Country reports
Wir erinnern uns:
Am 22. April beendete der zwar riskante, aber erfolgreiche militärische Kommandoeinsatz einer peruanischen Spezialeinheit die 122-tägige Besetzung der japanischen Botschaft durch 14 Terroristen der "Revolutionären Bewegung Tupac Amaru" MRTA. Die Terroristen hatten am 17. Dezember 1996 die Botschaft während eines Empfangs besetzt, an dem hohe und höchste peruanische Repräsentanten sowie internationale Gäste teilgenommen hatten. Insgesamt fielen der MRTA weit über 300 Geiseln in die Hände, doch schon nach wenigen Tagen wurden zumindest alle Frauen, Senioren und Kranke freigelassen.
Nach weiteren vier Monaten (!) vergeblicher Versuche der Vermittlung und friedlichen Befreiung der verbliebenen 72 Geiseln gab der damalige Staatspräsident Fujimori den Befehl zur militärischen Beendigung des Geiseldramas. Bei der spektakulären Aktion, die von insgesamt 106 ausgebildeten Spezialisten durchgeführt wurde, kamen alle 14 Terroristen, eine Geisel sowie zwei Soldaten ums Leben. Kritische Stimmen v.a. der internationalen Medien, die berichteten, dass alle getöteten Terroristen Kopf- bzw. Genickschüsse aufwiesen, die nahezu an Hinrichtungen erinnern ließen, verhallten angesichts des offensichtlichen Erfolgs des Einsatzes schnell.
Mit dem " Kommando ChavÃn de Huántar" wurde dem Terrorismus, der über ein Jahrzehnt das Andenland in Angst und Schrecken versetzt und schätzungsweise 25.000 Menschenleben gekostet hatte, endgültig das Rückgrat gebrochen. Präsident Fujimori, dessen Mut zum Einsatzbefehl auch internationale Anerkennung hervorrief, glänzte weltweit als Sieger über den Terrorismus in Peru. Die Mitglieder des Einsatzkommandos ChavÃn de Huántarwurden vom ganzen Volk als Helden gefeiert. Die Menschen in Peru atmeten auf.
Anklage nach monatelangen Untersuchungen
Wenige Tage nach dem Haftbefehl gegen die zwölf Offiziere richtete der Staatsanwalt für Korruptionsdelikte, Richard Saavedra, die Bitte an die oberste Staatsanwältin, Anklage gegen insgesamt 22 Personen zu erheben, u.a. gegen Ex-Präsident Fujimori, seinen Geheimdienstberater Vladimiro Montesinos, den damaligen Oberbefehlshaber des Heeres, General Nicolás Hermoza RÃos, und weitere Offiziere im Generalsrang. Nach einer 14-monatigen Untersuchung stützt sich die Mordanklage in erster Linie auf Augenzeugenberichte von japanischen Botschaftsangehörigen sowie peruanischen Polizeikräften, die alle bestätigen, dass die drei Terroristen Nicolás Cruz, Luz Meléndez und VÃctor Peceros nach ihrer Gefangennahme lebend gesehen worden seien. Die beiden Polizisten erklärten, dass sie den Terroristen "Tito" lebend an ein Mitglied der Spezialeinheit übergeben hätten, und beschrieben ihre Verwunderungen, als sie am nächsten Tag der Zeitung entnahmen, dass alle Terroristen im Kampf getötet worden seien.
Der kommandierende General José William Zapata, der für die Vorbereitung des Einsatzes verantwortlich gezeichnet hatte, gab im Rahmen eines Interviews detaillierte Auskünfte zur Durchführung der Aktion. So waren die Einsatzkräfte darauf geschult, die Geiselnehmer definitiv kampfunfähig zu machen: "Wenn wir kämpfen, gehen wir nach der israelischen Technik namens "Instinktiver selektiver Schuss" vor, die vor allem bei kürzesten Gefechtsdistanzen und auf engstem Raum benützt wird. Sie besteht aus drei Schüssen in den Kopf - und nicht auf ein anderes Körperteil, denn nur so kann die Ausschaltung des Gegners garantiert werden." Zudem seien die Einsatzkräfte angewiesen worden, sich den Körpern vorsichtig zu nähern und einen Genickschuss zur Gewährleistung der Kampfunfähigkeit abzufeuern, so der General weiter. Dies erkläre auch, warum die getöteten Terroristen in erster Linie Kopfwunden aufwiesen.
Für die elf im Kampf getöteten Terroristen mag diese Erklärung durchaus zutreffen, und es obliegt nun der peruanischen Justiz zu entscheiden, ob es sich hierbei wirklich um Tötungsdelikte im Sinne des Strafgesetzbuches handelt. Anders verhält sich die Sachlage aber mit den drei toten Terroristen, die lebend in die Hände der Sicherheitskräfte gefallen waren. Hierzu sind jüngst Berichte aufgetaucht, wonach 18 Minuten nach dem Beginn der Aktion ChavÃn de Huántar eine weitere militärische Einheit in das Botschaftsgelände eingedrungen war.
Diese Einheit unterschied sich in Uniform und Ausstattung klar von den Spezialkräften, und der Verdacht liegt nahe, dass es sich hierbei um Kräfte des von Vladimiro Montesinos gelenkten allmächtigen Geheimdienstes SIN gehandelt habe. Sollten sich diese Vermutungen bestätigen, liegt ein deutlicher Befehl, unter keinen Umständen Gefangene zu machen, noch mehr im Bereich des Möglichen. Bleibt die Frage, wer letztendlich diese Befehle gab und von wem sie ausgeführt wurden.
Verklärt sich Vergangenheitsbewältigung zur Hexenjagd?
Unabhängig von der rechtlichen Problematik verdeutlichten die unmittelbaren Reaktionen und Gegenreaktionen auf die Festnahme der Nationalhelden, wie schnell sich gut gemeinte Vergangenheitsbewältigung in eine Hexenjagd mit universellen großinquisitorischen Alleinansprüchen aller Beteiligten verwandelt.
Nur so können die Äußerungen seitens verschiedener Kongressabgeordneter, Minister und sogar des Staatspräsidenten selbst gedeutet werden, die in teils gemäßigten, teils scharfen, teils unqualifizierten Stellungnahmen die Inhaftierungen kritisierten.
Präsidialminister Carlos Bruce de Oca, gleichzeitig Generalsekretär der Regierungspartei Perú Posible, liess so in einem Interview verlauten, die Meinung der Justiz sei ihm völlig schnuppe (le importa "un bledo la opinión del Poder Judicial" )!
In verschiedenen Medien wurden die Staatsanwälte Pollack und Saavedra persönlich angegriffen und so dargestellt, als würden sie mit den Terroristen sympathisieren. Etwas konzilianter gaben sich einige Kongressfraktionen, die den Vorschlag einer Generalamnestie für alle beteiligten Sicherheitskräfte der Aktion ChavÃn de Huántar ernsthaft als mögliche elegante Lösung des Problems diskutierten.
Die Antwort der Justiz ließ nicht auf sich warten. Der Vorsitzende des Nationalen Rats der Magistratur (mit der Funktion, alle Richter und Staatsanwälte des Landes zu ernennen), Ricardo La Hoz Lora, äußerte, insbesondere die Angriffe seitens der Exekutive auf die Justiz stellten eine Gefährdung des Rechtsstaats dar: "Man versucht, die Unabhängigkeit der Judikative einzuschränken. Erst vor kurzem konnten wir diese Situation (die Aufhebung des Rechtsstaats durch die Fujimori-Regierung) überwinden, und schon wieder wird damit begonnen, die Fundamente der judikativen Macht auszuhöhlen."
Gegenüber der Tageszeitung "La Republica" bestätigte La Hoz zudem, dass die Regierung Druck auf die Richter ausüben wolle, obwohl laut Verfassung die Exekutive die Entscheidungen der Judikative erfüllen müsse - und nicht umgekehrt. Gleichzeitig stellte er nochmals klar, dass es der Staatsanwaltschaft in keiner Weise darum gehe, den Erfolg der Aktion ChavÃn de Huántar (übrigens der Name der wichtigsten vorchristlichen Hochkultur in Peru) infrage zu stellen, doch die Verletzung von elementaren Menschenrechten erfordere in jedem Falle eine Untersuchung.
Stoff für weitere Diskussionen lieferte dann die Verbreitung eines neuen, professionell produzierten Videos, in dem der flüchtige Ex-Staatspräsident (der zurzeit seine japanische Staatsbürgerschaft und in diesem Zusammenhang die strikte japanische Nichtauslieferungspolitik eigener Staatsbürger ausnutzt) seine herausragende Rolle während des gesamten Geiseldramas und natürlich auch als geistiger Vater und Motor der Befreiungsaktion darstellt.
U.a. klagt Fujimori in diesem Video die aktuelle Regierung Perus an, die Inhaftierung der zwölf "patriotischen Offiziere" aktiv unterstützt zu haben. Verteidigungsminister Aurelio Loret de Mola bezeichnete die Ausstrahlung des Videos in der wöchentlichen Politiksendung "Panorama" des Privatsenders "Panamericana Televisión" als "psychosoziale Operation gegen die Demokratie" und als "werbewirksame Reportage zugunsten "Fujimoris" unter Ausnutzung des Ansehens der Spezialeinheit ChavÃn de Huántar. Der TV-Sender wiederum berief sich auf seine Informationspflicht und unterstellte der Regierung, sie wolle - ebenso wie die Fujimori-Regierung - die Pressefreiheit infragestellen.
Der Ausgang dieses Justizdramas ist noch völlig offen. Möglicherweise verschwindet der Fall ChavÃn de Huántar ebenso so schnell in der Versenkung, wie er Mitte Mai in das öffentliche Interesse gerückt ist; nämlich dann, wenn der Nationale Gerichtshof dem Antrag des Obersten Militärgerichtsbarkeit stattgeben sollte, den Fall als militärische Angelegenheit einzustufen, die dann jedoch nicht mehr vor einem zivilen, sondern ausschließlich vor einem Militärgericht verhandelt werden könnte.
Aber auch dieser Antrag wurde bereits durch eine nicht näher identifizierte Quelle aus dem Präsidialministerium mit dem Prädikat "Rückkehr in die unheilvolle Fujimori-Ära" abqualifiziert.
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