Die Regierungsumbildung wurde von Dăncilă mit der Vorbereitung für die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2019 motiviert. Dafür sollten u.a. ehemalige Minister erneut berufen werden, die über Erfahrungen bei EU-Verhandlungen verfügten. Tatsächlich ist bislang fraglich geblieben, inwieweit Rumänien auf die Ratspräsidentschaft vorbereitet ist. Der überraschend erfolgte Rücktritt des zuständigen Ministers für Europäische Angelegenheiten, Victor Negrescu (PSD), am 10. November, nach Medienberichten aufgrund eines Konflikts mit Dragnea, unterstrich diesen Eindruck. Über vage und allgemeine Themensetzungen hinaus waren konkrete Konzepte oder Impulse bislang kaum zu erkennen. Vielmehr wurden die Vorbereitungen überschattet durch innenpolitische Konflikte, vor allem um Rechtstaat und die Unabhängigkeit der Justiz, die sich zugleich auch in einen Konflikt zwischen der EU und der rumänischen Regierung ausgeweitet haben. Zuletzt hatte der am 13. November veröffentlichte Jahresbericht des
„Control und Verification Mechanism“ (CVM) der EU-Kommission zur rechtstaatlichen Lage scharfe Kritik an den „Justizreformen“ der rumänischen Regierungskoalition sowie den Entlassungsverfahren gegen die frühere Leiterin der Antikorruptionsbehörde, Laura Codruța Kövesi und den Generalstaatsanwalt Augustin Lazar geübt. Zugleich wurde eine Suspendierung und Überarbeitung erheblicher Teile der neu erlassenen Justizgesetze verlangt. Am selben Tag verabschiedete auch das Europäische Parlament mit breiter überparteilicher Mehrheit eine deutliche Resolution u.a. gegen die Rückschritte bei der Unabhängigkeit der Justiz und der Korruptionsbekämpfung. Dass Ministerpräsidentin Dăncilă die Positionierung der EU-Institutionen als Einmischung in innere Angelegenheiten zurückwies und auch Dragnea in seiner Rhetorik zunehmend auf die Verteidigung von Souveränität und rumänischen Interessen abstellt, zeugt auch nur davon, dass die Ratspräsidentschaft im Zeichen einer Konfrontation mit Brüssel beginnen dürfte, für die aber letztlich die innenpolitischen Ziele der Regierungsparteien verantwortlich sind.
Daher dürften auch für die jetzt erfolgte Regierungsumbildung tatsächlich primär innen- und parteipolitische Motive, vor allem innerhalb der PSD, ausschlaggebend sein. Das wird auch durch den Umstand deutlich, dass sie im Rahmen einer Vorstandssitzung der PSD am Montag beschlossen wurde, die mit bedeutenden Veränderungen innerhalb der Führung der Partei einhergingen. So musste sich nicht nur Firea als profilierteste und nach Umfragen populärste Antagonistin Dragneas in der PSD aus ihren Parteifunktionen zurückziehen. Daneben wurde u.a. die Absetzung des Vizepremierministers und Ministers für Regionalentwicklung Paul Stănescu beschlossen, der sich – ebenso wie Firea – als innerparteilicher Gegner von Dragnea öffentlich profiliert hat. Zugleich aber bindet Dragnea einige seiner früheren Kritiker aus der zweiten Reihe ein. So wurde der in der Öffentlichkeit eher für Fehltritte bekannt gewordene Wirtschaftsminister Dănuț Andrușcă ersetzt – und zwar durch Niculae Bădălău, der bereits im Januar die Machtstellung von Dragnea kritisiert und eine „kollektive Führung“ der Partei gefordert hatte. Dadurch wird auch signalisiert, dass sich Bădălău von den sogenannten „Putschisten“ um Stănescu und Firea distanziert hat, was sich bereits im September abgezeichnet hatte als er zum Vorsitzenden des Bezirksverbandes Giurgiu nominiert worden war. Ferner wurde der Kulturminister George Ivașcu, der Firea nahe steht, ausgetauscht. Um einer Entlassung zuvorzukommen trat außerdem Verteidigungsminister Mihai Fifor zurück, wofür er als Ausgleich immerhin noch den Vorsitz des Nationalen Rates der PSD erhielt - faktisch kein mächtiges Amt, aber auch er behält eine herausgehobene Funktion. Ein weiterer ehemaliger innerparteilicher Kritiker Dragneas, Codrin Ștefănescu, wurde außerdem zum neuen Generalsekretär vorgeschlagen. Vor nur zwei Wochen war der bisherige Amtsinhaber, Marian Neacșu, ebenso wie ein weiterer ehemaliger Verteidigungsminister, Adrian Țuțuianu, die sich offen gegen Dragnea positioniert hatten, aus der Partei ausgeschlossen worden. Bereits vor einer Woche war mit Ecaterina Andronescu eine frühere Gegnerin Dragneas zur Bildungsministerin ernannt worden – ein Amt, das sie bereits zwei Mal bekleidet hatte. Andronescu hatte noch im August in einem offenen Brief den Rücktritt des PSD-Vorsitzenden gefordert. Nebenbei dürfte diese Ernennung auch die Mehrheit der Regierungskoalition im Senat sichern, dem Andronescu angehört.
In den Medien war am vergangenen Wo-chenende noch spekuliert worden, dass ein Ausschluss von Stănescu und Firea geplant sei. Ein solcher dürfte sich jedoch mit den Personalrochaden innerhalb von Regierung und PSD erübrigt haben. Dragneas Strategie scheint darauf zu setzten, seine profiliertesten Gegner innerparteilich zu marginalisierten und zugleich zu isolieren, indem er deren bisherigen Anhänger zu sich hinüber zieht und einbindet. Damit scheint sich Dragnea innerparteilich erneut gegen seine Gegner durchgesetzt zu haben. Offen bleibt trotzdem weiterhin die Frage, ob sich um Firea und andere im Hintergrund eine kritische Masse an Opposition gegen Dragnea bilden kann. Tatsache ist, dass die Regierungskoalition aus PSD und ALDE auch aufgrund von Dissidenten in den eigenen Reihen über eine gesicherte Mehrheit nur noch durch die Zusammenarbeit mit dem Demokratischen Verband der Ungarn in Rumänien (UDMR) verfügt, der der Europäischen Volkspartei (EVP) angehört. Dabei bleibt in Rechnung zu stellen, dass sich die PSD bislang stets als disziplinierte Kaderpartei erwiesen hat, die ohne klare Machtperspektive kaum einen Kurs- oder Führungswechsel vornehmen würde. Zugleich ist gegen die PSD im Parlament kaum eine stabile Mehrheitsbildung möglich, die verfassungsrechtlichen Hürden für Neuwahlen wären hoch – und selbst wenn die PSD als solche Neuwahlen vermutlich gar nicht so fürchten müsste, dürften viele ihrer Abgeordneten sie ablehnen, aus Ungewissheit, ob sie ihre individuellen Mandate behalten. Daher wird der politische Diskurs in Rumänien auch von Gerüchten mitbestimmt, die Alternative zur jetzigen Regierungskoalition und ihres Führungspersonals bestünde in einer breiten „nationalen“ oder einer technokratischen Regierung. Für beides gibt es Beispiele aus den vergangenen Legislaturperioden. Im Ergebnis haben solche Konstellationen allerdings bislang nur zu Glaubwürdigkeitsverlusten der bürgerlichen Parteien geführt, das Vertrauen in die Demokratie beeinträchtigt und die Ausgangsposition für die PSD bei den nächsten Wahlen gestärkt. Da nicht zu erkennen ist, warum die Folgen diesmal andere sein würden, bliebe der Nutzen eines solchen Szenarios wohl nur vordergründig und kurzfristig – ganz abgesehen davon, wie realistisch entsprechende Erwartungen überhaupt sind. Der Vorsitzende der Nationalliberalen Partei (PNL) und damit der stärksten Oppositionspartei in Rumänien, Ludovic Orban, der auf eine Positionierung der PNL als klarer Alternative und in Abgrenzung zur PSD setzt, dämpfte dementsprechend Erwartungen an einen baldigen Regierungswechsel.
Tatsache ist zunächst, dass sich die Regierungsbildung und die sich dahinter verbergenden Auseinandersetzungen innerhalb der PSD vor dem Hintergrund einer nach wie vor insbesondere rhetorisch eskalierenden Konfrontation zwischen der Regierungskoalition und Präsident Iohannis vollziehen. Hatten führende Vertreter der PSD, allen voran Dragnea und Dăncilă, dem Präsidenten Putschpläne unterstellt, so hat Iohannis der Regierung bereits öffentlich sein Misstrauen ausgesprochen und sie als „Unfall der Demokratie“ bezeichnet. Das sonst eher für seine Zurückhaltung bekannte Staatsoberhaupt bezeichnete die Regierung zudem als „gänzlich unvorbereitet“ auf die EU-Ratspräsidentschaft. Die Regierungsumbildung bezeichnete er als „schwache Lösung“ und wiederholte seine Forderung nach einem grundlegend neuen Kabinett. In zwei Fällen machte der Präsident von seinem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch, nach dem er ihm von der Premierministerin vorgeschlagene Kandidaten für ein Ministeramt einmal ablehnen kann. So lehnte er die Ernennung von Ilan Laufer für die Funktion des Ministers für Regionalentwicklung – ein Schlüsselressort für die Verteilung von Finanzmitteln - wie auch den Wechsel von Lia Olguța Vasilescu vom Arbeits- zum Verkehrsministerium als ungeeignet ab. Zugleich setzen sich die Konflikte zwischen Präsident und Regierung um den Rechtsstaat weiter fort. Am 21. lehnte Iohannis u.a. die von Justizminister Toader vorgeschlagene Kandidatin für die Leitung der Anti-Korruptionsbehörde DNA ab, nachdem der Oberste Magistratenrat (CSM) bereits ebenfalls eine negative Stellungnahme zu dieser Kandidatur abgegeben hatte. Die deutliche Kritik des CVM-Berichts an dem Entlassungsverfahren gegen die frühere DNA-Chefin Kövesi und dem noch laufenden Verfahren gegen Generalstaatsanwalt Lazar dürfte zudem die ablehnende Position des Präsidenten zu einer Entlassung von Letzterem stärken. Auch generell wird die bevorstehende Ratspräsidentschaft eher die Position des Präsidenten stärken; denn während die Regierungskoalition dem Präsidenten in der Vergangenheit bereits wiederholt mit einem Amtsenthebungsverfahren gedroht hatte, wäre ein solcher Schritt während der Präsidentschaft kaum noch darstellbar.
Im Nachklang zu der Regierungsumbildung ist es umso mehr zu rhetorischen Entgleisungen gegen den Präsidenten gekommen. Ilan Laufer warf dem Präsidenten in einem Fernsehinterview offen antisemitische Motive gegen seine Ernennung vor und wiederholte die in der Vergangenheit auch von anderen Vertretern der PSD aufgestellte Behauptung, das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien – die offizielle Organisation der Deutschen Minderheit -, zu dem Iohannis (tatsächlich ein ehemaliger Vorsitzender) „dubiose Beziehungen“ unterhalte, sei Nachfolger einer Nazi-Organisation. Präsident Iohannis hätte Bundeskanzlerin Merkel versprochen, eine Verlegung der rumänischen Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem zu verhindern. Vor diesem Hintergrund stelle die Ablehnung seiner Ernennung eine Option für die Beziehungen zu Deutschland zu Lasten der Beziehungen zu Israel dar. Laufer verstieg sich in seinen Aussagen gegen Iohannis freilich derart, dass sie in der Wirkung wohl eher einer Selbstkarrikatur gleichkamen. Öffentliche Rückendeckung für seine Aussagen erhielt Laufer gleichwohl von der PSD durch den neuen Generalsekretär Ștefănescu.
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