Country reports
Die Themen Einwanderung und Asyl dominierten auch den Wahlkampf um das französische Präsidentschaftsamt im Frühjahr 2017, bei dem insbesondere aus dem rechten und bürgerlich-konservativen Lager ein härteres Durchgreifen und eine Reform des gängigen Rechts eingefordert wurde. Nicht nur deshalb hat Staatspräsident Emmanuel Macron bereits zu Beginn seines Mandats im Juli 2017 eine Reform des Einwanderungs- und Asylgesetzes angekündigt, die nun im Ministerrat vorgestellt wird.
Das französische Asylrecht ist einerseits an die Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 (Konventionsflüchtlinge), andererseits an die Verfassungen von 1793 („Es gewährt Ausländern, die um der Sache der Freiheit willen aus ihrem Vaterland vertrieben wurden, Zuflucht. Sie verweigert sie den Tyrannen.“), 1946 („Jedermann, der auf Grund seiner Tätigkeit für die Freiheit verfolgt wird, hat in den Gebieten der Republik Asylrecht.“) sowie 1958 („… die Behörden der Republik immer das Recht, jedem Ausländer, der wegen seines Einsatzes für die Freiheit verfolgt wird oder aus einem anderen Grunde den Schutz Frankreichs begehrt, Asyl zu gewähren.“) gebunden.
Das Asyl wird heute durch das Gesetzbuch über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern und das Asylrecht (CESEDA) geregelt. Bis 1998 galt lediglich der Status des Konventionsflüchtlings, erst 1998 wurde in Hinblick auf die neuen geopolitischen Herausforderungen und Krisen der Begriff des „territorialen Asyls“ eingeführt. Dieses konnte durch das Innenministerium nach Beratung mit dem Außenministerium ausgestellt werden und sollte Personen, denen in ihren Herkunftsländern Todesstrafe, Folter oder individuelle Lebensgefahr durch einen internationalen innerstaatlichen Konflikt drohte, schützen.
2003 wurde der Status des „territorialen Asyls“ durch den „Subsidiären Schutz“ ersetzt und unterliegt ebenso wie der Schutz von Konventionsflüchtlingen dem Urteil des „Französisches Amts für den Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen“ (OFPRA) und nicht mehr der Initiative des Innenministeriums. Festzuhalten ist, dass Frankreich fast zehn Jahre vor Deutschland einen über ein Abschiebungsverbot hinausgehenden Status für Schutzsuchende mit fehlender Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention eingerichtet hat.
Insgesamt ist ab den 1990er Jahren jedoch ein Anstieg der restriktiven Maßnahmen festzustellen, die darauf abzielen, die Zahl der unbegründet gestellten Asylanträge zu verringern. Eingeführt wurden die nach dem französischen Hochgeschwindigkeitszug als „TGV-Verfahren“ bezeichnete Schnellverfahren, bei denen Anträge, die auf falschen Dokumenten oder wirtschaftlichen Motiven beruhen, ohne persönliche Befragung der Antragsteller abgelehnt werden können. 1992 wurden für Ausländer, die nicht zur Einreise nach Frankreich berechtigt sind oder die an der Grenze einen Asylantrag stellen, per Gesetz internationale Warte¬zonen an den französischen See- und Flughäfen eingerichtet.
In Vorwegnahme der europäischen Rechtslinien wurde 2003 der Begriff des „sicheren Herkunftsstaates“ eingeführt. Staatsbürger aus diesen Ländern unterliegen systematisch dem Asyl-Schnellverfahren. Die im Jahr 2005 eingeführte Liste wurde mehrmals ergänzt; gestrichen wurde im Jahr 2012 Mali. Die heute gültige Liste , stammt aus dem Jahr 2015 und umfasst neben den Balkanstaaten Albanien, Bosnien-Herzego¬wina, Mazedonien, Montenegro, Serbien und Kosovo die afrikanischen Länder Ghana, Senegal, Benin, Kap Verde und Mauritius. Auch Armenien, Georgien, Moldawien, die Mongolei sowie Indien wurden als sichere Herkunftsländer definiert.
Frankreichs gescheiterter Reformversuch von 2015
Bereits vor drei Jahren wurde die französische Asylpolitik tiefgehend reformiert. Ziel der Reform aus dem Jahr 2015 war es, Frankreichs Politik an die europäischen Standards – das 2013 votierte Asylpaket - anzupassen und Aufnahmekonditionen der Asylbewerber zu verbessern. So wurde bereits 2013 in einem Bericht der französischen Nationalversammlung festgestellt, dass das System nicht mehr den Anforderungen gerecht wird: Die langen Bearbeitungszeiten der Anträge sowie die Überlastung der Notunterkünfte und Erstaufnahmeeinrichtungen seien nicht haltbar.
Das Gesetzbuch über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern und das Asylrecht (CESEDA) legt die Rechtsansprüche der Asylbewerber z.B. die Zuweisung einer Unterkunft (centre d’accueil pour demandeur d’asile – CADA) und finanzieller Unterstützung (Allocation pour Demandeur d’Asile) auf dem Papier fest . Seit 2015 können auch Personen, die dem Dublinverfahren unterstehen, diese Leistungen bis zur Rücküberweisung in das zuständige EU-Land einfordern. Der Mangel an Schlafplätzen hat jedoch gerade unter dem Eindruck der sich ab 2015 abzeichnenden Flüchtlingskrise zu katastrophalen Zuständen insbesondere in der Hauptstadt geführt, so dass Frankreich derzeit nicht seinen eigenen rechtlichen Standards gerecht und die Reform von 2015 als nicht zielführend eingeordnet werden kann: Auch wenn die Zahl der CADA-Notunterkunftsplätze von 25.300 im September 2015 auf 39.800 im Juli 2017 angehoben werden konnte, fehlten – beachtet man die aktuellen Antragszahlen aus dem Jahr 2017, die bei 100.412 lagen - auch unter Einbeziehung alternativer Unterbringungsmöglichkeiten viele Plätze.
Paradebeispiel für die „Fehlplanung“ ist die einzige in Paris vorhandene Notunterkunft im Norden von Paris, die im November 2016 die Türen öffnete und 400 Plätze anbietet. Ziel der Notunterkunft ist es, die Schutzsuchenden rechtlich zu beraten und sie in einem nächsten Schritt landesweit in die CADA-Unterkünfte umzuverteilen. Im Juli 2017 campierten bis zu 3000 Personen unter schwierigen hygienischen Bedingungen vor dem Aufnahmezentrum. Es handelte es sich hier sowohl um Asylberechtigte als auch um sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“.
12 - 14 Monate sind derzeit für das Asylbewerbungsverfahren einzurechnen. Besonders schwierig ist die Lage in Paris. Bis zu eineinhalb Monaten wartet ein Asylbewerber derzeit auf einen Erstkontakt mit einer Hilfsorganisation, die ihn in das staatliche Verfahren einführt und ihn registriert. In Paris handelt es sich dabei um „France Terre d’Asile“. Eine Richtlinie der Europäischen Union verpflichtet die Mitgliedstaaten, Migranten – so sei erinnert - innerhalb von drei Tagen zu registrieren. Zwischen 25 und 90 Tagen dauert dann die Wartezeit bis zu einem Termin in der Präfektur. Erst hier werden die Fingerabdrücke genommen und eine Bescheinigung über die Antragsstellung ausgestellt.
Je nach Profil des Antragsstellers werden drei verschiedene Verfahren ausgelöst: das normale Verfahren für Asylberechtigte, das Schnellverfahren für Bewerber aus sicheren Herkunftsländern sowie das Dublin-Verfahren für Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat registriert wurden. In den beiden ersten Fällen hat der Antragssteller bis zu 21 Tage Zeit um seinen Antrag an das „Französisches Amt für den Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen“ (OFPRA) zu senden. Bis zum Anhörungstermin können erneut bis zu 7 Wochen vergehen. Wird gegen die Entscheidung Berufung eingelegt, sind bis zu sechs Monate einzurechnen. Die langen Wartezeiten schaffen Grauzonen, denn zu einem wird Frankreich nicht seinen Verpflichtungen gegenüber den Asylantragsstellern gerecht. Zum andern nutzen viele abgelehnte Personen die Übergangszeiten um in die Illegalität abzutauchen. Die Zahl der „Sans-papiers“, der sogenannten „Papierlosen“ wurde 2017 auf 200.000-400.000 geschätzt.
Was soll nun geändert werden?
Das Gesetzesprojekt „für eine kontrollierte Einwanderung und ein effektives Asylrecht“ weist in seiner Präambel auf die Notwendigkeit hin, „Best Practices“ der europäischen Nachbarn in das französische Recht zu überführen. Gerade Deutschland wird als positives Beispiel angeführt. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass die unterschiedlichen Standards in Europa zu Wanderungsbewegungen der Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union geführt haben, die sich aktuell negativ für Frankreich auswirken. Seit Anfang 2017 wurde in Paris zum Beispiel eine verstärkte Präsenz afghanischer Staatsbürger festgestellt, die insbesondere aus Deutschland nach Frankreich eingereist sind. Als möglicher Grund wird u.a. angeführt, dass die Schutzquote für Afghanen in Deutschland im Jahr 2017 bei unter 50% lag, wohingegen die Quote in Frankreich bei rund 83% liegt.
Das Gesetzesvorhaben ist ein Mix aus zusätzlichen Schutzmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge und striktere Ausweisungsbedingungen für „Wirtschaftsflüchtlinge“.
Der Text, der 38 Artikel umfasst, die in vier Kapitel aufgeteilt sind, sieht u.a. vor, die Dauer der Aufenthaltsgenehmigung für „subsidiär Schutzberechtigte“ von einem auf vier Jahre hochzusetzen. Gleichzeitig soll die Ausstellung einer zehnjährigen Aufenthaltsgenehmigung für Familien minderjähriger Flüchtlinge erleichtert werden.
Das Asylverfahren möchte Frankreich deutlich verkürzen und strebt eine Verfahrensdauer von sechs Monaten an. Dies soll insbesondere durch strikte Verfahrensregeln erreicht werden. Den Antragstellern wird ein Zeitraum von 90 Tagen (bisher 120 Tage) ab Einreise eingeräumt, um den Asylantrag zu stellen. Berufung gegen das Urteil des „Französisches Amtes für den Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen“ (OFPRA) kann nur noch 15 Tage (bisher 30 Tage) nach Urteilsverkündigung eingelegt werden. Auch eine Wohnsitzauflage ist im Gesetzes¬projekt vorgesehen, so soll eine bessere Umverteilung auf nationaler Ebene erreicht werden und aktuell besonderes betroffene Regionen entlastet werden. Asylbewerber, die der Auflage nicht nachkommen, wird das Anrecht auf eine Unterkunft und finanzielle Hilfen entzogen. Die für die Notunterkünfte zuständigen Organismen werden zu einer monatlichen Vorlage einer Liste verpflichtet, die auflistet, wie viele Personen einen Antrag gestellt, bzw. einen Schutzstatus haben.
Herzstück des Gesetzesentwurfs ist jedoch die Stärkung eines „effizient und glaubhaft geführten Kampfes gegen die illegale Einwanderung“. So sollen Ausweisungen auch direkt nach negativen Urteilsentscheidungen in zweiter Instanz durchgeführt werden können, was das Risiko eines „Untertauchens“ der Betroffenen senken soll.
Die Dauer der Verwaltungshaft soll von derzeit 16 auf 24 Stunden hochgesetzt werden, um mehr Zeit für die Überprüfung des Aufenthaltsstatus einzuräumen. Wird eine Abnahme des Fingerabdrucks verweigert, können die bereits bestehenden Strafmaßnahmen durch ein Landesverbot ergänzt werden.
Die maximale Dauer der Abschiebehaft wird von 45 auf 90 Tage, erweiterbar auf bis zu 135 Tagen, erhöht. Auch Personen, die eine Rückkehr auf Basis einer finanziellen Hilfsstellung durch den französischen Staat zugestimmt haben, können in Abschiebehaft genommen werden.
Eine weiteres zentrales Vorhaben ist die Schaffung eines Strafdelikts bei illegaler Überschreitung der Grenzen des Schengen-Raums, die mit bis zu einem Jahr Haftstrafe geahndet werden kann. Der französische Staat zielt dabei auf die illegale Einwanderung auf die Komoren-Insel La Mayotte und nach Französisch-Guyana ab, die beide Übersee-Départements Frankreichs sind und eine starke illegale Einwanderung von den anderen Komoren-Inseln bzw. Haiti verzeichnen.
Festzuhalten ist, dass der Gesetzestext auch eine Reihe an Artikeln vorsieht, die darauf abzielen, die Attraktivität Frankreichs für hochqualifizierte Einwanderer zu stärken. Hier sieht Frankreich einen „Talent-Einreisepass“ (Passport talents) vor.
Einschätzung und Ausblick
Frankreich braucht eine Reform seines Asylsystems. Verkrustete Strukturen und eine unflexible Bürokratie haben das Land an seine Grenzen gebracht. Die Brennpunkte in Calais und der französisch-italienischen Grenze konnten immer nur sporadisch gelöscht werden. Dem Schwellbrand wurde bis heute kein Einhalt geboten.
Das Frankreich nun einen Blick über den Tellerrand wagt, ist zu begrüßen, denn vieles muss nicht neu erfunden werden. Eine Generalisierung des „Best-Practices“ auf europäischer Ebene wäre sinnvoll und zeigt erneut die Dringlichkeit einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik auf, die sich insbesondere auf Solidarität stützen muss. Dies hat auch Frankreich verstanden: blieben in dem ein oder anderen Bus, den Frankreich im Herbst 2015 nach Bayern schickte, um Deutschland zu entlasten, Plätze frei, wird in Frankreichs illegalen Camps heute von vielen Flüchtlingen deutsch gesprochen. Geringe Asylchancen in Deutschland haben gerade viele Afghanen trotz Dublin den Rhein überqueren lassen.
Die Reform des französischen Asylgesetzes ist unabdingbar, der vorliegende Gesetzestext bringt jedoch den ein oder andern Stolperstein für seine Einführung mit sich. Denn wie bereits der deutsche Innenminister Thomas de Maizière 2015 in Deutschland anmerkte, dürfen Asyl und Zuwanderung nicht vermischt werden, was im französischen Gesetzesprojekt mit der Nennung von Ausweisungspolitik und Fachkräfteanwerbung in einem Atemzug jedoch gemacht wird.
Das Gesetzesprojekt steht zudem seit Beginn unter dem starken Druck der französischen Flüchtlingsverbände, die die Differenzierung von Flüchtlingen und irregulären Migranten kritisieren. Der Graben zwischen den Verbänden und dem Staat ist groß. Während die Verbände der staatliche Seite eine laxe Haltung vorwirft, ist man von Regierungsseite davon überzeugt, dass illegal organisierte Essensausgaben an obdachlose Asylsuchende sich kontraproduktiv auswirken und die Lage nur noch verschärfen. Hier braucht es mehr als einen von oben diktierten Kurs, sondern eine nationale Aussprache über Frankreichs zukünftigen Asylpolitik.
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Auslandsbüro Frankreich
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