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Country reports

Viererkoalition löst sich auf

by Frank Spengler
Der Auszug der Bürgerlich-Demokratischen Allianz (ODA) aus der Viererkoalition hingegen war keineswegs freiwillig. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die Schuldenlast dieser Partei.

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Die Bürgerlich-Demokratischen Allianz (ODA) trat am 01. Februar 2002 aus der Viererkoalition aus. Zuvor sollten - auf Grund ungeklärter hoher Schulden der ODA - auf Drängen der Christdemokraten (KDU-CSL) deren Kandidaten von der gemeinsamen Liste der Viererkoalition für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus des Tschechischen Parlaments am 14.-15. Juni 2002 entfernt werden. Die Demokratische Union (DEU) verschmolz bereits am 1. Januar 2002 mit der Freiheitsunion. US-DEU will am Dienstag, den 5. Februar 2002, über das weitere Vorgehen entscheiden. Die KDU-CSL hat sich bereits zuvor für die Fortsetzung einer Koalition mit der US-DEU ausgesprochen. Die Viererkoalition, die 1999 als Reaktion auf den Oppositionsvertrag zwischen den Sozialdemokraten (CSSD) und der ODS geschlossen wurde, gilt somit als beendet. Ihr Spitzenkandidat für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus, Karel Kühnl, legte bereits sein Amt nieder. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass US-DEU und KDU-CSL aber als "Koalition" bei den kommenden Wahlen antreten werden.

Zur Geschichte der Viererkoalition

Als im Juli 1998 die Sozialdemokraten (CSSD) als Sieger der Parlamentswahlen vom Juni desselben Jahres einen Oppositionsvertrag mit der ODS schlossen, der es ihnen ermöglichte eine Minderheitsregierung zu bilden, entschlossen sich die Christliche und Demokratische Union - Tschechoslowakische Volkspartei (KDU-CSL), die Freiheitsunion (US), die Bürgerlich-Demokratische Allianz (ODA) und die Demokratische Union (DEU) durch eine engere Zusammenarbeit die Kräfte der Opposition zu bündeln.

Nachdem sich der erwartete Erfolg dieser Zusammenarbeit im Rahmen einer Wahlkoalition schon bei den Senatswahlen im Herbst 1998 bestätigte, schlossen die vier Parteien im September 1999 einen Kooperationsvertrag: die Viererkoalition. Bei den Senatswahlen im Herbst 2000 siegte die Parteienallianz und erzielte die Mehrheit der Sitze im Senat. Obwohl interne Streitigkeiten, insbesondere über die Person des Spitzenkandidaten für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus, die Beziehungen der Parteien untereinander gelegentlich erheblich belasteten, wurde im Frühling 2001 eine Vertiefung der Zusammenarbeit der Viererkoalition beschlossen.

Im Oktober 2001 unterzeichneten die vier Parteien ein Abkommen über eine gemeinsame Liste für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Die Viererkoalition war ein Zusammenschluss von zwei kleinen Parteien - DEU und ODA - mit den beiden größeren US und KDU-CSL. Eine Änderung des Wahlgesetzes zu Ende des Jahres 2001 bestimmte, dass für Parteienkoalitionen eine additive Sperrklausel von fünf Prozent gilt. Dieses Risiko wollte die Viererkoalition aber bei dem kommenden Urnengang nicht eingehen, deswegen wurde die für einen Zeitpunkt nach den Wahlen vorgesehene Verschmelzung von DEU und US vorgezogen. Sie fusionierten im Januar 2002 zur US-DEU.

Das Ende der Viererkoalition

Der Auszug der ODA aus der Viererkoalition hingegen war keineswegs freiwillig. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die Schuldenlast dieser Partei. Im Jahre 1992 finanzierte ODA, in der Hoffnung auf eine hohe Rückerstattung der Wahlkosten, ihren Wahlkampf weit gehend mit Krediten. Das Wahlergebnis blieb jedoch hinter den Erwartungen zurück und die Partei auf ihren Schulden sitzen. Weitere kamen hinzu, heutiger Schuldenstand 68 Millionen Kronen (ca. 2 Millionen Euro). Die Viererkoalition war sich der Problematik bewusst. ODA versicherte in dem Koalitionsabkommen, rasch eine akzeptable Lösung der Schuldenproblematik vorzulegen. Die Situation eskalierte im November 2001 als die staatliche Versicherungsgesellschaft, bei der ODA die Schulden angehäuft hatte, privatisiert wurde. Die neuen Gläubiger wollten ihr Geld zurück bzw. waren bereit, die Schulden mit einem Abschlag zu verkaufen. Nachdem der Gläubiger, die Tschechische Versicherungsgesellschaft, androhte, die Schulden an einen dubiosen Unternehmer zu verkaufen, der wiederum aus persönlicher Animosität ODA in den Bankrott treiben wollte, erzwangen die Christdemokraten ultimativ eine Lösung der Schuldenkrise. Die KDU-CSL fürchtete ansonsten einen Verlust des Ansehens der Viererkoalition und hatten Angst davor, erpressbar zu werden.

Anfang Dezember 2001 forderten deshalb die Christdemokraten die ODA auf, ihr Schuldproblem bis Mitte Januar 2002 zu lösen oder ihre Vertreter von der gemeinsamen Kandidatenliste zu nehmen. Die US-DEU, vor allem die Vorsitzende Hana Marvanová, unterstützte zunächst nicht dieses radikale Vorgehen, forderte jedoch ebenfalls so rasch wie möglich eine Lösung der ODA-Finanzprobleme.

Mit dem Ablauf der Frist legte der Vorsitzende von ODA, Michael Zantovský, seinen Partnern eine wenig überzeugende und undurchsichtige Lösung - eine dubiose Weitergabe der Schulden an eine Partei nahe Stiftung - vor. Die KDU-CSL war damit keineswegs zufrieden und forderte ODA auf, mit der US-DEU zu fusionieren oder die gemeinsame Wahlliste aufzugeben. Da weder ODA noch US-DEU Interesse an einer Fusion hatten und ODA nicht bereit war, ihre Kandidaten von den Wahllisten zu streichen, kam es am 27. und 28. Januar zu neuen Verhandlungen. Der Vorsitzende von KDU-CSL trug dann ein Abkommen mit, in dem sich ODA verpflichtete, ihre Kredite im Laufe der nächsten Jahre zu begleichen und zugleich bestätigte, keine weiteren Schulden zu haben. Der Vorsitzende der Christdemokraten, Cyril Svoboda, wurden in seinen eigenen Reihen heftig kritisiert, weil er sich auf diese Kompromisslösung eingelassen hatte.

Das Abkommen hielt aber nur eine Nacht: Die Tageszeitung "Lidové noviny" berichte schon am nächsten Tag auf ihrer Titelseite über weitere, bisher nicht bekannte Schulden von ODA in der Höhe von weiteren sechs Millionen Kronen (ca. 180.000 Euro). Die Christdemokraten bezeichneten dies als einen Bruch des unterzeichneten Abkommens und beschlossen am 31. Januar 2002 auf einer einberufenen Parteikonferenz (höchstes Organ zwischen den Parteitagen), nur noch mit der US-DEU in die Parlamentswahlen zu gehen.

Selbst der Versuch von Staatspräsident Václav Havel im Rahmen eines Treffens mit den Spitzen der Viererkoalition, diese zur Einigkeit zu bewegen, fiel auf unfruchtbaren Boden. Die US-DEU, die sich sonst bei den Verhandlungen um die Schuldbegleichung von ODA eher zurückhaltend zeigte, änderte auf Grund der Entwicklung der letzten Woche ihre Ansichten und nahm den Vorschlag der Christdemokraten an. Als Reaktion auf diesen Beschluss erklärte der ODA-Vorsitzende Zantovský die Viererkaolition für beendet.

Die politischen Konsequenzen des Endes der Viererkoalition

Am 1. Februar trat der Spitzenkandidat der Viererkaolition für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus, Karel Kühnl, von seiner inzwischen obsolet gewordenen Funktion zurück. Am gleichen Tag trat der ehemalige Parteivorsitzende und Gründer der ODA, Daniel Kroupa, wegen des Scheiterns der Viererkoalition aus seiner Partei aus. Die ODA, so der Vorsitzende Zantovský, will nun allein oder mit neuen Partnern in die Wahlen gehen. Für Sie besteht jedoch nur theoretisch die Möglichkeit, die Fünfprozent-Hürde zu überwinden. ODA soll bereits vor dem Austritt aus der Viererkoalition einen Antrag auf Mitgliedschaft bei den Internationalen Liberalen gestellt haben, was insbesondere bei den Christdemokraten zu einer erheblichen Verstimmung geführt haben soll.

Eine endgültige Entscheidung der US-DEU hinsichtlich der weiteren Zusammenarbeit mit den Christdemokraten wird am 5. Februar 2001 im Rahmen der Tagung des Republikausschusses der Partei (höchstes Organ zwischen den Parteitagen) fallen. Mit Ausnahme des Prager US-DEU Stadtverbandes sind alle regionalen Parteigliederungen für den Bestand der Koalition.

Ein Beschluss über eine Fortführung der Zusammenarbeit mit den Christdemokraten, die sicherlich für beide Parteien von Vorteil wäre, könnte jedoch die Position der Parteivorsitzenden Hana Marvanová bedrohen, die sich zuvor mit Nachdruck für ein Verbleiben der ODA in der Viererkoalition ausgesprochen hatte. Ferner äußerte sie sich in der Presse eher skeptisch über eine Koalition mit der KDU-CSL. Ein Misstrauensvotum gegen Marvanová ist aber kurz vor dem Wahltermin eher unwahrscheinlich, ein Rücktritt von ihr aber durchaus denkbar, zumal sie in jüngster Zeit in der eigenen Partei durchaus nicht unumstritten ist. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass der 1. stellvertretende Parteivorsitzende Ivan Pilip, Finanzminister a.D., die Führung bis zu einem neuen Parteitag übernehmen könnte. Er gilt, unabhängig von der Entwicklung der letzten Wochen, als der starke Mann in der Partei. Aber auch der ehemalige Parteivorsitzende Karel Kühnl käme als ein möglicher Nachfolger in Betracht.

Die Vorsitzenden von ODS und CSSD, Václav Klaus und Vladimír Spidla, zeigten sich in ihren Reaktionen eher zurückhaltend. Dass ihnen die Entwicklung der letzten Tage im Hinblick auf die kommenden Wahlen entgegen kommt, ist jedoch kein Geheimnis.

Tatsache ist, dass sich die Wahlaussichten von KDU-CSL und US-DEU erheblich verschlechtert haben. Erste Meinungsumfragen belegen bereits einen beachtlichen Rückgang der Unterstützung durch die Wähler. Mit dem Ende der Viererkoalition verlieren die vier Parteien für einen "neuen Politikstil" ihr wichtigstes Argument für die Wahlen: Den Anspruch mit vereinten Kräften gemeinsam die Zukunft des Landes gestalten zu wollen.

Für den Wähler wird es nur schwer zu akzeptieren sein, dass Zwistigkeit und persönliche Animositäten in und zwischen KDU-CSL und US-DEU nun überwunden sein sollen. In der Tat gibt es ein strukturelles Problem in der praktischen Zusammenarbeit. Da die US-DEU nur rund 4000 Mitglieder hat, ihre Kandidaten auf den Wahllisten aber überproportional zur Parteimitgliedschaft vertreten sind, beschweren sich die Christdemokraten in den Regionen schon seit einiger Zeit darüber, dass Sie die Wahlkampfarbeit für die US-DEU mit erledigen müssten.

Das Ende der Viererkoalition macht aber eine mögliche Zusammenarbeit von US-DEU und KDU-CSL mit den Sozialdemokraten einfacher, da die Vertreter von ODA bisher immer als Gegner einer solchen Kooperation galten. Die Schwächung der Parteien der ehemaligen Viererkoalition macht aber eine Koalition zwischen ODS und CSSD noch wahrscheinlicher.

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