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Schluss mit dem Ausverkauf?
Was heißt konservativ und hat konservative Politik heute eine Chance in Deutschland und Europa?
Jörg Schönbohm hat gemeinsam mit seiner Frau Evelin 2010 Lebenserinnerungen zu Papier gebracht. Sie sind mit dem Titel "Wilde Schwermut" überschrieben, ein Zitat aus Ernst Jüngers Buch von 1939 "Auf den Marmorklippen", wo es heißt: "Ihr alle kennt die wilde Schwermut, die uns bei der Erinnerung an Zeiten des Glücks ergreift." Im Untertitel heißt es: "Erinnerungen eines Unpolitischen", was wiederum eine Anspielung auf Thomas Mann ist. Nun ist Schönbohm, der General, politische Beamte, Minister, ein bekennender Konservativer. So liegt die Frage nicht fern, inwieweit sich das Konservative heute mit einer gewissen "wilden Schwermut" verbindet und ob es nicht an sich zum Unpolitischen neigt, indem es mehr bewahren als verändern will? In einem Gespräch auf der Terrasse vor Adenauer-Villa auf dem Hügel über dem Comer See, legte Jörg Schönbohm seine Lebensstationen mit Textpassagen aus dem Buch dar. Deutlich wurde dabei die Standfestigkeit in seinen Grundüberzeugungen eines protestantisch geprägten Soldaten, die Dienstbereitschaft, aber auch der Widerspruchsgeist, der sich daraus ergab, auch seine Heimatverbundenheit, die ihn nach Brandenburg heimkehren ließ. Der Unwille, seine Ideale dem Gruppenkonsens zu opfern, sich geschmeidig den Verhältnissen allzusehr anzupassen, machen "den General" auch als Politiker zu einem Charakter und konservativen Vorbild, was die Haltung betrifft. Dass auch so einer zur Politik taugt, hat er - bei allen Stärken und Schwächen - über ein Jahrzehnt hinweg in der nicht einfachen brandenburger Politiklandschaft bewiesen. Seine geistige und materielle Unabhängigkeit half ihm dabei und sein Selbstverständnis als eigentlich unideologischer "pragmatischer Ernstfallentscheider".
Gemeinsam mit anderen beklagte Schönbohm 2011 in dem Büchlein "Schluss mit dem Ausverkauf!", einer Art provokativem Weckruf, den "traurigen Niedergang der Union". Das betrifft die politischen Inhalte. Doch worauf genau bezieht sich die Klage vom weltanschaulichen Ausverkauf und ist sie nicht nur eine mehr oder weniger nostalgische Reminiszenz? Von der Familie, von Bildung und Selbstverantwortung, von der Bundeswehr, der Zuwanderung und Europa in dem Diskussionsbuch die Rede und von dem "christlichen Abendland". Genug Stoff für die Diskussion am dritten Tage in Cadenabbia.
„Jeder Politiker agiert aus seinem Inneren heraus und trägt nicht ständig das Parteibuch vor sich her“, sagte Dieter Dombrowski dabei. Seine Politik bestehe darin, konservative Werte ins Tagesgeschäft zu übersetzen. Doch Gesellschaft und Politik hätten sich verändert in einer Zeit, in der täglich dreimal Umfragen gemacht würden, so der Fraktionsvorsitzende der CDU in Brandenburg. „Dadurch haben sich auch unsere Führungen und der Führungsstil verändert. Kaum einer traut sich noch, etwas zu sagen und der Hang zum Opportunismus ist fortgeschritten.“ Nur wenige könnten es sich leisten, wirklich frei zu sprechen, womit er die Bedeutung der Unabhängigkeit des Politikers hervorhob.
Politik messe sich immer am Machbaren, Pragmatismus sei jedoch nicht gleichzusetzen mit Opportunismus, mahnte Prof. Georg Milbradt. „Kompromisse und Koalitionen müssen immer gemacht werden. Die Frage ist, ob das Handeln zielgerichtet auf das ist, was man erreichen will.“ Politik wolle immer zugleich ändern und bewahren, so Sachsens ehemaliger Ministerpräsident. Doch auch wenn Gesetze immer wieder geändert und angepasst werden müssten, gelte das nicht für die Grundwerte und Grundorientierungen einer Partei. „Auch heute kann man noch sagen, dass ziemlich alles von dem, was Ludwig Erhard zur Sozialen Marktwirtschaft gesagt hat, richtig war und ist, auch wenn jetzt in der Krise nicht danach gehandelt wird.“ Konservativ sei für ihn das, was den Staat und die Gesellschaft zusammenhalte, so Milbradt.
"Dem Zeitgeist nicht hinterherlaufen"
Opportunismus sei da, um Karriere zu machen, Pragmatismus, um Lösungen zu finden, sagte Dombrowski. „Wir laufen der Gefahr einer inhaltlichen Aushöhlung, wenn wir dem Zeitgeist hinterherlaufen.“ Ein konservativer Markenkern der CDU sei stets die Familienpolitik gewesen. Historisch betrachtet seien die ganz großen Krisen, wie beide Weltkriege, im Wesentlichen auch durch den Zusammenhalt der Familien gemeistert worden. Politiker müssten sich Folgendes eingestehen: „Die Familien brauchen den Staat nicht, aber der Staat braucht die Familien.“
Die Familie sei nicht nur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtig, sondern vor allem auch eine tragende Säule der sozialen Sicherungssysteme, ergänzte Milbradt. Daher verstehe er nicht, dass gerade beim Thema Familien seitens der Politik heute mit zweierlei Maß gemessen werde. „In anderen Solidargemeinschaften wie Mieter und Vermieter oder Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden die Abhängigkeiten ständig verschärft, nur bei der Familie wird es als Eingriff in die Privatsphäre gewertet.“ Es könne nicht richtig sein, dass es heute leichter sei, sich von einem Ehepartner zu trennen als von einem Mieter.
"Breites Spektrum abdecken"
Ein konservatives Profil habe auch heute noch seine Berechtigung in der CDU, wo immer ein breites politisches Spektrum an Einstellungen nebeneinander vertreten gewesen sei, so Dombrowski. „Dieses Spektrum muss in einer Volkspartei durch unterschiedliche Charaktere verkörpert werden und man darf nicht nur auf ‚Mainstream’ setzen.“ Auch wenn sich die CDU gesellschaftlichen Diskussionen und Änderungen nicht verschließen könne, hänge auch von einzelnen Köpfen ab, ob die Partei noch für Wähler attraktiv sei. Allerdings fehlten der Christdemokratie aktuell die konservativen Leitfiguren, wie es früher etwa mit Alfred Dregger gegeben habe, räumte Dombrowski ein.
Soviel wurde in der angeregten Diskussion über das Konservative klar, meist dreht es sich dabei über eine allgemeine Haltung hinaus um Begriffe wie christlich-humanistische Grundorientierungen, Leistung und soziale Verantwortung, Ehe und Familie, Heimat und Einwanderung, Recht und Ordnung, Widerspruch gegen allzu beliebige Zeitgeistphänomene und die damit verbundene "politische Korrektheit" und vor allem eben um konservative Vorbilder, die offenbar rar geworden sind.
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Politisches Bildungsforum Brandenburg
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