Obituary
Mit ihren 70 Jahren auf dem Thron hat die Queen zumindest bezogen auf Großbritannien ein neues elisabethanisches Zeitalter geprägt. Zu ihrem 21. Geburtstag drückte sie in einem Interview ihr Pflichtverständnis so aus: „Ich erkläre hier vor Ihnen allen, dass mein ganzes Leben, mag es lang oder kurz sein, in Ihrem Dienst stehen wird“. Gedient hat sie ihrem Volk und dem Commonwealth länger als jede andere Monarchin und jeder andere Monarch in der britischen Geschichte. Und das jahrhundertealte Motto, das jeweils das Wappen des Thronfolgers, des „Prince of Wales“, ziert „Ich dien“ – auch wenn die Forscher über die Bedeutung dieser Aussage unterschiedliche Auffassungen haben – war für sie immer wörtliche Aufforderung. Ihr Pflichtbewusstsein und ihre Disziplin war von ihren Zeiten als Thronfolgerin in frühsten Jugendjahren bis hin zu ihrem Tod überragend und beispielgebend. Dass die Monarchie auch Krisen überwunden hat und Kritik an der Amtsführung der Königin die Ausnahme geblieben ist, ja bis heute die Befürworter der Monarchie in Großbritannien weit überwiegen, das hat auch massiv mit dieser ebenso bewunderungswürdigen wie unerschütterlichen Haltung zu tun.
Die Annahme, dass die strengen und engen Leitplanken der konstitutionellen Monarchie die Königin daran gehindert hätten, auch bleibende politische Akzente zu setzen, ist unzutreffend. Pointiert hat die FAZ diese Annahme dekonstruiert mit der Frage, wie könne eine Frau, die Staatsoberhaupt von knapp 20 Ländern sei, die während ihrer Regentschaft 15 britische Ministerpräsidenten habe kommen und gehen sehen, mehr als 300 Staatsbesuche absolviert habe, ein unpolitischer Mensch sein? Dass sie trotz der begrenzten Möglichkeiten wichtige Impulse gegeben hat, gilt auch und gerade für die Beziehungen zu Deutschland, die für sie immer einen großen Stellenwert besessen haben. Zu einer Zeit, zu der die verheerenden Luftangriffe in London, zu der das Fanal „Coventry“ immer noch extrem präsent im kollektiven Gedächtnis der britischen Nation verankert waren und eine Annäherung an Deutschland in der breiten Bevölkerung nur schwer vermittelbar war, und zu einer Zeit, zu der sich die Popularität des Königshauses auch aus der Tatsache abgeleitet hat, dass die royale Familie in Kriegszeiten die Entscheidung getroffen hatte, im unsicheren London zu verbleiben und damit Zeichen zu setzen, erforderte die ausgestreckte Hand in Richtung des ehemaligen Feindes viel Mut.
Es half, dass auf der deutschen Seite mit Theodor Heuss ein Staatsoberhaupt und mit Konrad Adenauer ein Bundeskanzler standen, die auch ihrerseits großes strategisches wie auch moralisches Interesse an einer Versöhnung der beiden Staaten hatten. Die erste Begegnung von Elizabeth II. als Königin mit dem Namensgeber unserer Stiftung, mit Konrad Adenauer, fand bereits am 14. Februar 1952 bei den Trauerfeierlichkeiten für Ihren Vater König George VI. vor 70 Jahren statt. Im Buckingham-Palace war es ihr Ehemann Philipp, der in den Jahrzehnten bis zu seinem Tod 2021 an ihrer Seite stand, der das kurze Gespräch zwischen dem ersten Kanzler der Bundesrepublik und der jungen Monarchin dolmetschte, verbunden mit dem entschuldigenden Hinweis, er sei etwas aus der Übung gekommen, was die deutsche Sprache beträfe. Adenauer schrieb über diese Begegnungen in seinen Erinnerungen: „Noch am Tage meiner Ankunft stattete ich Königin Elizabeth II. im Buckingham Palace einen Beileidsbesuch ab. Ich sprach sie im Verlauf meines Londoner Aufenthaltes noch ein weiteres Mal, und zwar am Tage meines Abfluges, am 19. Februar 1952“. […] Königin Elizabeth machte einen ausgezeichneten Eindruck auf mich; sie wirkte sehr natürlich.“ Bis zum Tod Adenauers, der bei seinen Bemühungen, Großbritannien so eng wie möglich an das entstehende gemeinsame Haus Europa zu binden, auf die Unterstützung der Queen zählen konnte, sind sich beide immer wieder begegnet und zahlreiche Fotoaufnahmen zeugen von dem Respekt, den der alte Patriarch der jungen Monarchin trotz des immensen Altersunterschiedes zollte. Dieser Respekt war übrigens beiderseitig. An dem Staatsempfang für die Queen während ihres Staatsbesuchs in der Bundesrepublik im Mai 1965 konnte Adenauer nicht teilnehmen, da er sich von einem Unfallschock erholen musste – er hatte sich im Zug „Rheingold-Express“ befunden, als dieser mit einem Sattelschlepper zusammenstieß. Die Queen ließ ihm 50 rote Rosen nach Rhöndorf schicken.
Zum guten Verhältnis mag auch die enge und vertrauensvolle Beziehung beigetragen haben, die die Queen mit dem wichtigsten „Counterpart“ Adenauers, mit dem legendären britischen Premierminister Winston Churchill gehabt haben.
„Deutschland verliert mit dem Tode von Königin Elisabeth II. eine wahre Freundin. Schon 1958, erst dreizehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, empfing sie mit damals 31 Jahren den ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, auf Schloss Windsor – ein Zeichen der Versöhnung, das kaum zu überschätzen war. Auch in den folgenden Jahrzehnten hat sie sich maßgeblich dafür eingesetzt, dass die britisch-deutschen Beziehungen von Verlässlichkeit und Freundschaft geprägt waren. Wir werden Königin Elisabeth auch deshalb in dankbarer Erinnerung behalten.“
Prof. Dr. Norbert Lammert
Alle Kanzler der Bundesrepublik Deutschland von der ersten Begegnung mit Adenauer bei der Beisetzung ihres Vaters bis zum Besuch Angela Merkels im Jahr 2021 hat sie kennengelernt und bei sich im Palast empfangen. Ihr erster Staatsbesuch in Deutschland im Jahr 1965 hat tiefen Eindruck hinterlassen. Schon damals wurde offenbar, dass sie sich sehr für die Aussöhnung der beiden Staaten nach den tiefen Wunden, die der Zweite Weltkrieg im Vereinigten Königreich hinterlassen hat, eingesetzt hat. Von hier zieht sich ein Bogen über die insgesamt fünf Besuche in Deutschland bis zu Ihrem letzten Aufenthalt in Deutschland, der wie alle ihre Besuche sehr bemerkenswerte Akzente gesetzt hat. Im Jahr des 750-Jahr-Jubiläum Berlins 1987 hatte Helmut Kohl sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Staatsoberhäupter aller drei Westmächte der geteilten Stadt einen Besuch abstatteten und damit eine Geste der Verbundenheit zeigten. Im historischen Gedächtnis ist zwar vor allem die Rede Ronald Reagans vor dem Brandenburger Tor mit der direkten Aufforderung an Michail Gorbatschow geblieben, doch auch die Queen fand bei ihrem Besuch im Mai 1987 deutliche Worte und gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die Teilung Berlins eines Tages überwunden und diese Stadt dann ein Symbol der Einheit Europas werden würde – sie sollte Recht behalten. Nach der Wiedervereinigung besuchte die Queen neben Berlin, wo sie etwa im Jahr 2000 das neu errichtete Botschaftsgebäude einweihte, nun auch Orte in Ostdeutschland. Im Jahr 1992 nahm sie in Dresden an einem ökumenischen Gottesdienst teil und setzte in der Anfang 1945 bei britischen Luftangriffen schwer zerstörten Elb-Metropole ein Zeichen der Versöhnung. In Potsdam besuchte die Queen das Grab Friedrichs des Großen sowie die Grabstätte ihrer Urgroßtante Victoria, Gemahlin des „99-Tage-Kaisers“ Friedrichs III.. Erstmals hat sie während des Besuches 2015 mit der Gedenkstätte Bergen-Belsen ein Konzentrationslager besucht. Noch stärker aber bleibt ihre Mahnung im Gedächtnis, die sie im Rahmen des Staatsbankettes im Schloss Bellevue in einer Deutlichkeit zum Ausdruck brachte, die für die Zurückhaltung, die sie sich sonst auferlegt hat, ungewöhnlich war; eine Mahnung, die sich an das deutsche Publikum ebenso wie an ihre eigene Nation gerichtet hat: Die eindringliche Warnung vor einer Spaltung Europas, vor den Gefahren der Folgen im Osten des Kontinents, die das mit sich bringen würde. Sie sprach diese Warnung zu einer Zeit aus, zu der der Brexit und noch mehr der russische Angriffskrieg auf die Ukraine noch nicht mehr war als ein Wetterleuchten am Horizont.
Die Queen selbst hat uns ein bemerkenswertes Vermächtnis mit auf den Weg gegeben, das uns in krisenhaften Zeiten voller Konflikte, aber auch im Verhältnis Europas zum britischen Königreich, das nach dem Brexit nicht einfacher geworden ist, Leitschnur sein kann. So sagte sie: „Während wir neue Antworten in modernen Zeiten suchen, ziehe ich für meinen Teil erprobte und bewährte Rezepte vor, nämlich gut übereinander zu reden, unterschiedliche Standpunkte zu respektieren, Gemeinsamkeiten auszuloten und niemals das größere Bild aus dem Auge zu verlieren“.
Es bleibt nach ihrem Tod die berechtigte Hoffnung, dass ihr Nachfolger Charles III., der als ältester Kronprinz in der Geschichte der Monarchie den Thron besteigt und der deshalb über einen breiten Erfahrungshorizont verfügt, dem größeren Bild, dem Zusammenhalt Europas, aber auch den deutsch-britischen Beziehungen den gleichen Stellenwert einräumt wie seine Mutter. Beim Empfang durch Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Oktober 1992 hatte die Queen zum Verhältnis zwischen Großbritannien und dem wiedervereinigten Deutschland ausgeführt: „Die deutsch-britische Freundschaft ist eine lebendige Realität. Wie alle guten Freunde sind wir nicht immer einer Meinung, doch versuchen wir, wie gute Freunde es tun sollten, es über keinen Streit Abend werden zu lassen. Wir haben zuviel zu verlieren, als daß wir das zulassen könnten, nicht nur hinsichtlich unserer gemeinsamen Interessen auf Regierungsebene, sondern auch bei den vielen tausend täglichen Kontakten zwischen unseren Bürgern.“