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Herr Professor Jost, hat Sie die Entscheidung von Barack Obama und Raul Castro überrascht, diplomatische Beziehungen aufnehmen zu wollen?
Obama hatte ja verschiedentlich einige überwiegend rhetorische Lockerungsübungen in Richtung Kuba gemacht. Dennoch überrascht das, da die Geheimgespräche wirklich geheim geblieben sind. Allerdings: Auf beiden Seiten herrscht rationales Interessenkalkül, Herzblut ist da nicht im Spiel. Kuba steht wirtschaftlich am Abgrund, der große Förderer Venezuela versinkt immer stärker in seinem eigenen Problemsumpf und dürfte über kurz oder lang als wirtschaftlich wichtigster Kuba-Verbündeter ausfallen. Kuba braucht daher andere und seien es noch so begrenzte Optionen. Die jetzt möglichen wirtschaftlichen Erleichterungen im Verhältnis zu den USA sind eine Möglichkeit. Obama wiederum bleibt nicht mehr viel Zeit, um für seine Präsidentschaft bislang vermisste Markenzeichen zu setzen.
Sie haben vor zwei Wochen in Mexiko-Stadt eine Konferenz organisiert, an der ein breites Spektrum von Gegnern des kubanischen Regimes teilgenommen hat. Wie schätzen Sie die Opposition ein?
Hoch motiviert und engagiert, ohne Rücksicht auf ihre persönliche Sicherheit oder körperliche Unversehrtheit. Jeder von ihnen hat bereits einen teils sehr hohen Preis für sein Dissidententum bezahlt. Sie sind ernsthaft, seriös, entschlossen, aber nicht fanatisiert, sondern auf einen friedlichen, gewaltfreien Systemwechsel fokussiert; selbstbewusst, aber auch selbstkritisch was die eigene Situation, ihre Stärken und Schwächen sowie ihre Möglichkeiten unter den Bedingungen des Castro-Regimes betrifft – von daher auch realistisch und illusionsfrei.
Glauben Sie, dass die Oppositionellen nun enger zusammenrücken werden?
Die Opposition ist sich bewusst, dass sie sich in sehr viel stärkerem Maße austauschen, koordinieren und zu gemeinsamen Handlungsstrategien kommen muss, wenn sie Erfolg haben will. Statt sich wegen Fragen voneinander abzugrenzen, die erst irgendwann nach einem Systemwandel in Kuba aktuell werden, kommt es vielmehr darauf an, gemeinsam daran zu arbeiten, dass ein Systemwechsel in Kuba stattfindet und ein demokratisch-institutionalisierter Rahmen geschaffen werden kann, innerhalb dessen dann politischer Pluralismus erst möglich ist. Dafür müssen die organisatorische Zersplitterung und personalisierten Führungsansprüche überwunden und das Vertrauen zwischen den Beteiligten gestärkt werden. Die Definition von Gemeinsamkeiten als Grundlage gemeinsamen Handelns ist hierfür ein wichtiger Schritt.
Wird die Adenauer-Stiftung bald versuchen, in Kuba ein Büro aufzumachen?
Als Vertreter der KAS kann ich weder nach Kuba reisen, geschweige denn dort arbeiten. Ich sehe nicht, dass sich dies auf absehbare Zeit ändern wird. Solange es nicht möglich ist, in Kuba ohne Behinderungen und ohne Gefahr für die Teilnehmer beispielsweise eine Konferenz durchzuführen, wie wir das in Mexiko getan haben, auf der frei und offen diskutiert werden kann, ohne die Gefahr, anschließend Repressalien ausgesetzt zu sein, stellt sich nach meiner persönlichen Einschätzung die Frage einer institutionalisierten KAS-Präsenz in Kuba nicht.
In Mexiko waren auch Repräsentanten des kubanischen Exils aus Miami anwesend. Wie schätzen Sie diese ein?
Trotz der persönlich vielfach durch Verfolgung und langjährige Haftstrafen geprägten bitteren Erfahrungen vor allem bei den älteren Generationen sind das sehr rational denkende und handelnde Menschen, die nichts zu tun haben mit dem Bild blutrünstiger Kriegstreiber, das von Kuba und seinen internationalen Hilfstruppen so gern verbreitet wird. Sie sind sehr selbstkritisch, was die eigene Situation und Einflussmöglichkeiten betrifft; sie sind sehr realistisch mit ihrer Einschätzung eines sehr viel pragmatischeren Verhältnisses der jüngeren Generationen zur Kuba-Frage. Vor allem aber unterstützen sie den Ansatz, dass der Wandel in Kuba von innen kommen und gewaltfrei erfolgen muss. Es gab bei der Konferenz in Mexiko keinerlei Dialogbarriere zwischen den Beteiligten, gleichgültig ob sie in Kuba oder außerhalb arbeiten. Auch dies ist wichtig, um Vertrauen zu stärken und Einheit zu fördern.
Ein wichtiges Thema in Kuba war und ist die Lage der Menschenrechte. Wie beurteilen Sie diese?
Bürger- und Menschenrechte werden in Kuba nach wie vor tagtäglich, vielfach und massiv verletzt. Wenn in Kuba noch etwas perfekt funktioniert, dann ist es der staatliche Unterdrückungsapparat. Ich habe nicht die Erwartung, dass sich dies durch die Vereinbarungen der USA und Kuba schnell ändern wird. Nach meiner Einschätzung will das Castro-Regime vielmehr einem "Modell China" nacheifern, das heißt einerseits mehr staatsbeaufsichtigte Marktwirtschaft, um die wirtschaftliche Grundlage des Regimes nicht weiter zu erodieren, andererseits aber kein Jota von dem Einparteiensystem und seiner kommunistischen Nomenklatura sowie der politischen Unterdrückung der eigenen Bevölkerung abzuweichen.
Viele Teilnehmer an der Konferenz waren gegen die Aufhebung des Embargos. Wie erklären Sie sich das?
Zum Thema Embargo bestehen in der Opposition inner- wie außerhalb Kubas unterschiedliche Auffassungen. Die Befürworter eines Embargos sehen darin nicht nur ein Zeichen internationaler Solidarität, sondern verbinden damit nach wie vor die Hoffnung, dass das Castro-Regime aufgrund der wirtschaftlichen Misere in Kuba überwunden werden kann und nicht noch für sein, wie es die kubanische Opposition einhellig formuliert, "Embargo gegen das eigene Volk" durch verschiedene Formen wirtschaftlicher Überlebenshilfe belohnt wird.
Welche Auswirkungen werden die Ankündigungen Obamas und Raul Castros Ihres Erachtens in der Region haben?
Die Zustimmung zu diesem Kurswechsel war in Lateinamerika einhellig. Das hat, unabhängig von den jeweiligen Regierungen, viel damit zu tun, dass Kuba eine Art Symbol für das lateinamerikanische Unabhängigkeitsverständnis ist. Für Kuba bedeutet das die lang verfolgte internationale Legitimierung, eine Rückkehr Kubas in die OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) – eine Teilnahme Kubas bei Gipfeltreffen amerikanischer und lateinamerikanischer Staatschefs ist daher in Zukunft Realität und Normalität. Für die USA bedeutet das eine gewisse diplomatische Entlastung, die ihre Perzeption in Lateinamerika positiv beeinflussen, ihre Rolle in Lateinamerika sicher ein Stück einfacher machen und Handlungsspielräume eröffnen wird. Aber der frenetische Jubel von Alba-Ländern (Bolivarianische Allianz für Amerika) wie Venezuela, Bolivien oder Ecuador darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese ihren verkrusteten linkspopulistischen Antiamerikanismus weiter verfolgen werden. Kuba gewinnt kurzfristig sicherlich mehr als die USA oder die kubanische Opposition. Dennoch war der Schritt richtig. Für Kuba wird das die Konsequenz haben, dass jetzt immer weniger die USA für Missstände im eigenen Land verantwortlich gemacht werden können.
Mit freundlicher Unterstützung von DIE WELT