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In den Tagen vor den Ratssitzungen kristallisierte sich bereits heraus, dass eine Einigung über die Entscheidung der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Albanien (und Mazedonien) den EU-Mitgliedsstaaten nicht leicht fallen würde. Immer wieder sickerte im Vorfeld durch, dass Frankreich und die Niederlande bei ihrer klaren Ablehnung gegen eine positive Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt bleiben würden. Bereits am Freitag, den 22.06.2018 hatte die deutsche Bundesregierung über die Deutsche Welle veröffentlichen lassen, dass Deutschland zwar für ein JA, jedoch stark (und konkret) konditioniertes ABER votieren wird. Der Tenor eines vorbereiteten Entschließungsantrages der Großen Koalition gem. § 9 Abs. 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) ging in die gleiche Richtung. Die albanischen Medien und Politiker reagierten positiv auf die aus Deutschland zu erwartende Entscheidung.
Am 26.06.2018 jedoch durchlitten Albanien und Mazedonien ein Wechselbad der Gefühle. Hintergrund waren die Verhandlungen der Minister zur Aussprache zu den Ratsschlussfolgerungen und die damit verbundene Frage der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Mazedonien. Wie bekannt wurde, sprachen sich 25 Mitgliedsstaaten zum Teil sehr emotional für den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Mazedonien aus. Frankreich, die Niederlande und auch Dänemark zeigten allerdings noch keinerlei Bereitschaft zu Kompromissen. Wohl erst nach mehreren Verhandlungsunterbrechungen und leidenschaftlichem Insistieren einiger Außenminister, kam letztlich ein konsentierter Text zustande, der die Reformschritte Albaniens und Mazedonien würdigte und in Aussicht stellt, dass die EU im Juni 2019 über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen entscheiden wird. Die erste Beitrittskonferenz soll, abhängig von den Fortschritten bis dahin, für Ende 2019 angestrebt werden. Der für Deutschland so wichtige Parlamentsvorbehalt konnte in der Entschließung verankert werden.
Was bedeutet der Ratsbeschluss für Albanien?
Albanien muss, um bei dem Wording der Regierung zu bleiben, bis Juni 2019 seine Hausaufgaben machen und weitere nachvollziehbare Reformfortschritte anbieten können. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat mehrfach durch Analysen und einem Monitoring der Entwicklungen zwischen dem Fortschrittsbericht aus dem Dezember 2016 und dem im April dieses Jahres erschienen Bericht der EU-Kommission festgestellt, dass es bei der Umsetzung und Implementierung der einzelnen Reformen inklusive der Wahlrechtsreform keine ausreichenden Fortschritte zu verzeichnen waren und sind.
Es liegt somit wesentlich in den Händen der albanischen Regierung, was aus dem genannten Datum: Juni 2019 werden kann bzw. folgen soll. Klar ist, dass es im Juni nächsten Jahres keine Beitrittsverhandlungen geben wird, sondern sich der Europäische Rat, wie schon in diesem Juni, erst einmal mit dem Erweiterungspaket und den Fortschritten befassen wird und daraus Schlussfolgerungen zieht. Die erste Beitrittskonferenz und damit die Eröffnung des Verhandlungsprozesses könnte bei einer positiven Entscheidung dann Ende 2019 erfolgen. Das ist aber wiederum abhängig von den erzielten Fortschritten. Dass der Prozess erst Ende 2019 beginnen kann, hat auch damit zu tun, dass die EU-Kommission im Juni 2019 aus dem Amt scheidet und die neue Kommission erst wieder im Herbst 2019 handlungsfähig sein wird.
Verhandlungsprozess Ende 2019?
Der Verhandlungsprozess kann also frühestens Ende 2019 beginnen, allerdings vorausgesetzt, es sind die notwendigen Fortschritte aus Sicht des Europäischen Rats erzielt. Laut Ratsbeschluss soll die erste Beitrittskonferenz Ende 2019 beginnen. Kurz vorher soll der Europäische Rat, vermutlich auf dem Gipfel im Dezember 2019, die Entscheidung des Rates zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen im Lichte der bis dahin gemachten weiteren Fortschritte billigen. Die Entscheidung zur Eröffnung des Verhandlungsprozesses mit der ersten Beitrittskonferenz ist zudem abhängig von den „Verfahren nationaler Parlamente“.
Dadurch ist der Deutsche Bundestag wieder gefragt, im Vorfeld des Europäischen Rates im Dezember 2019 seine Stellungnahme abzugeben und damit die sogenannte Einvernehmensherstellung nach 9 Abs. 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) nachholen. Genau diese Entscheidung des Deutschen Bundestages ist vor der Ratssitzung am 28.6. nicht getroffen worden. Die Koalitionsspitzen von CDU/CSU und SPD hatten sich kurz vorher entschieden, ihren Entschließungsantrag dem Deutschen Bundestag vor dem Hintergrund der bis dahin ablehnenden Haltungen von Frankreich und den Niederlanden (sowie Dänemark) nicht einzubringen.
Voraussetzung für die Entscheidung, den Verhandlungsprozess zu eröffnen, sind Fortschritte in den bekannten Bereichen der sogenannten 5 Schlüsselkriterien plus der Wahlrechtsreform. Welche Fortschritte erzielt sind, bestimmt allerdings nicht die EU-Kommission, sondern am Ende der Europäische Rat. Damit hat der Deutsche Bundestag mittels § 9 EUZBBG nach wie vor ein entscheidendes Mitspracherecht, zu bewerten welche Fortschritte erzielt wurden, um Beitrittsverhandlungen zu eröffnen.
Die akribische Beobachtung und Bewertung, ob echte Fortschritte in den nächsten 12 bis 18 Monaten erreicht werden, wird durch die Konrad-Adenauer-Stiftung weiter fortgesetzt. Bereiche in den Fortschritte erzielt werden müssen sind nach wie vor:
- Abschluss des Vetting bei den „prioritären Dossiers“ (also, zumindest die Überprüfung der 57 obersten Richter und Staatsanwälte);
- Etablierung der in der Verfassungsreform genannten „unabhängigen Justizstrukturen“. Und das bedeutet, dass sie auch unabhängig und arbeitsfähig sein müssen.
- Einrichtung der Sonderbehörde für die Bekämpfung der Korruption (SPAK) und des National Bureau of Investigation (NBI);
- Solide Fortschritte bei der Schaffung einer Erfolgsbilanz bei der Bekämpfung der Korruption und der organisierten Kriminalität auf allen Ebenen, „auch auf hoher Ebene“. Dazu gehören proaktive Ermittlungen, Strafverfolgungen und Verurteilungen im Zusammenhang mit Korruption und organisierter Kriminalität.
- Weitere solide und nachhaltige Fortschritte insbesondere im Bereich der Rechtsstaatlichkeit;
- Mit Blick auf die Wahlen betonte der Europäische Rat, dass die Empfehlungen von OSZE/ODIHR noch umgesetzt werden müssen. Da im nächsten Jahr die Lokalwahlen stattfinden, müsste die Wahlrechtsreform bis Ende 2018 beschlossen sein. Sollten die Wahlen im Juni 2019 noch nach dem alten Wahlrecht stattfinden, ist zu befürchten, dass sich das für eine Eröffnung der Beitrittsverhandlungen unmittelbar sehr negativ auswirken würde.
Bewertung
Der Ratsbeschluss ist eine Ermutigung an Albanien, mit den Reformen fortzufahren. Der Druck dafür wird wohl weiterhin aufrecht erhalten bleiben. Der Deutsche Bundestag kann weiterhin sein Recht nach § 9 EUZBBG wahrnehmen. Er wird die Fortschritte kontrollieren und rechtzeitig vor dem Europäischen Rat im Juni und Dezember 2019 bewerten. Wie in der Vergangenheit wird sich insbesondere die CDU/CSU-Fraktion nicht ausschließlich auf die Bewertungen der EU-Kommission verlassen wollen. Manche verstehen den Beschluss des Rates für Allgemeine Angelegenheiten vom 26.06.2018 auch als eine Absage an das Verhalten der Kommission, im Fortschrittsbericht zwar die Probleme weitestgehend korrekt darzustellen, in der abschließenden Bewertung diese jedoch massiv „schön zu schreiben“.
Was kann man also den verantwortlichen und handelnden Politiker raten? Wenn sie die Reformbemühungen weiterhin so schleppend vorantreiben, Reformen blockieren oder verzögern, nicht konsens- oder kompromissfähig sind, dann wird der Juni 2019 ein Déjà-vu bereithalten: Es wird keine positive Entscheidung über die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen erfolgen können. Leiden tun darunter nicht die Politiker, sondern die Bevölkerung. Man riskiert eine weitere Abwanderungswelle insbesondere der jungen Bevölkerung und ein Nachlassen der Europabegeisterung. Beides wäre fatal für die Zukunftsfähigkeit des Landes.