Issue: 1/2019 kompakt/2019
Die transatlantischen Beziehungen sind seit dem Amtsantritt Donald Trumps in eine schwierige Phase eingetreten. Eine Hinwendung Deutschlands und Europas zu Lateinamerika könnte die transatlantischen Beziehungen um neue Partner und neue Themen erweitern, ohne den Kontakt zu Washington abreißen zu lassen.
Trump und Lateinamerika
Der zuweilen ruppige Ton und die strategische Orientierungslosigkeit im Weißen Haus erschweren die Zusammenarbeit zwischen Lateinamerika und den USA erheblich. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die geteilte Wertebasis wie auch die gemeinsamen wirtschaftlichen, sicherheitspolitischen und regionalpolitischen Interessen von dieser Verschiebung in Stil und Substanz wenig berührt werden. Heraus forderungen wie das Management der Migrationsströme in der Region, das Ausufern der Organisierten (Drogen-)Kriminalität, die Fortführung des kolumbianischen Friedensprozesses und die durch das Regime Maduro verursachte humanitäre Katastrophe in Venezuela bleiben für beide Seiten dringlich und relevant.
Für die lateinamerikanischen Länder wird es in den nächsten Jahren vor allem darum gehen, Trumps Aufmerksamkeit zu erregen und die USA (wieder) für die Region zu interessieren. Das weist schon darauf hin, dass im Weißen Haus bereits lange vor Trump ein ausgeprägtes Desinteresse gegenüber der Region existierte – und erklärt, jedenfalls teilweise, wieso die lateinamerikanische Verstörung über das Phänomen Trump jenseits von Mexiko und Kuba relativ gering ausfällt.
Chancen für Europa
In der jüngsten Entfremdung zwischen Washington und Berlin und dem Desinteresse Trumps gegen- über Lateinamerika liegt aus deutscher und europäischer Sicht auch die Notwendigkeit und Chance, die eigene internationale Rolle neu zu definieren sowie alte und neue Partnerschaften zu vertiefen.
Eine Reihe lateinamerikanischer Staaten bieten sich hier als Partner an, einerseits, weil die Region mit dem Westen grundsätzlich Grundwerte und Strukturprinzipien teilt, andererseits weil auch die USA und Europa in der Region noch immer wichtige Ziele und Interessen teilen – so etwa die Erhaltung der demokratischen und rechtsstaat lichen Ordnung in Lateinamerika sowie die weitere Stabilisierung und Entwicklung der Region durch die Bekämpfung von Organisierter Kriminalität und Staatenfragilität.
Partnerpotenziale in Lateinamerika
Innerhalb Lateinamerikas können derzeit drei Ländergruppen identifiziert werden: Erstens die Mitglieder der ALBA-Allianz, gegründet von Hugo Chávez, inzwischen aber wirtschaftlich und politisch erheblich geschwächt: Venezuela, Bolivien, Kuba, mit Abstrichen Nicaragua. Eine transatlantische Kooperation mit diesen Ländern ist weder politisch opportun noch – bis auf punk tuelle Projekte – wirtschaftlich interessant.
Eine zweite Kategorie sind die Länder, die dem freien Welthandel und einer Kooperation mit Europa deutlich offener gegenüberstehen, zwar noch keine bilateralen Handelsabkommen mit Europa haben, diese aber im Kollektiv (Mercosur) oder als Einzelstaaten anstreben: Argentinien, Uruguay, Paraguay sowie v. a. Brasi lien. Allerdings ist gerade Brasilien wegen seiner politischen Turbulenzen ein Paradebeispiel für enttäuschte Hoffnungen mit Blick auf eine engere Partnerschaft mit Lateinamerika. Der jüngste Wahlerfolg Jair Bolsonaros hat Brasiliens Position in der Region jedenfalls weiter geschwächt. Was er mittel- und langfristig für das Verhältnis zwischen Brasília und Washington bedeutet, lässt sich derzeit noch nicht absehen.
Die dritte und interessanteste Gruppe aus trans atlantischer Sicht bilden die Mitglieder der Pazifik- Allianz: Mexiko, Chile, Kolumbien, Peru, bald viel - leicht auch Ecuador. Diese Länder haben sich eindeutig dem Multilateralismus und dem freien Welthandel verschrieben. Wegen der dynamischen und konsequenten Öffnung dieser Länder in Richtung China, müsste Europa hier offensiv definieren, welche Vorteile und Kooperations gewinne für alle Beteiligten in einer „Erweiterten Transatlantischen Partnerschaft“ liegen.
Mexikos Sonderrolle
Mexiko spielt in diesen Überlegungen eine gewichtige Sonderrolle – wegen seiner geografischen Nähe zu den USA sowie den wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Verflechtungen beider Länder. Auch das neu verhandelte Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) hat trotz des aufgeheizten Diskurses Mexikos Rolle als „verlängerte Werkbank der USA“ nicht nachhaltig beschädigt. Mexiko ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Region und die EU ist nach den USA und China sein drittwichtigster Handelspartner, seit April 2018 gar mit eigenem Freihandels abkommen. Mit Mexiko verbindet Deutschland darüber hinaus eine ambitionierte Entwicklungsagenda auf der globalen Ebene wie auch in Drittstaaten, vor allem in Lateinamerika.
Hier liegt für Deutschland und Europa eine außergewöhnliche Chance, über Mexiko einen neuen Kommunikationskanal zur Trump-Administration zu eröffnen. Wie sich der jüngste Regierungswechsel in Mexiko diesbezüglich auswirken wird, hängt entscheidend von der persönlichen Chemie zwischen Andrés Manuel López Obrador und Donald Trump ab – und auch davon, inwieweit beide Präsidenten zulassen, dass die vielbeschworene Mauer zwischen den beiden Staaten die bilateralen Beziehungen definiert.
Hans-Hartwig Blomeier ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mexiko.
Patricio Garza Girón ist Projektmanager im Auslands büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mexiko.
Christian E. Rieck ist Senior Analyst für Regionalmächte und Regionalintegration am Global Governance Institute in Brüssel sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Potsdam.