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Andrew Kelly, Reuters.

International Reports

Ohne die USA ist alles nichts

by Klaus-Dieter Frankenberger
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 27.02.2022, Nr. 9, S. 8

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Wie oft hatte man das im vergangenen Jahr gehört: Der weltpolitische Großkonflikt des 21. Jahrhunderts ist der zwischen China und dem Westen, genauer: zwischen China und den USA. Und dieser Konflikt, verharmlosend als Wettbewerb beschrieben, werde auf allen Feldern ausgetragen, geo-, ordnungs- und bündnispolitisch, diplomatisch, wirtschaftlich, technologisch, ideologisch und militärisch. Darauf würden die USA all ihre strategischen Energien richten. Der amerikanische Präsident Joe Biden und sein Außenminister Antony Blinken sprachen immer wieder davon, sodass auch jeder verstand, dass China für Amerika die größte vorstellbare Herausforderung bedeutet. Und jetzt?

Jetzt sind die USA mit einer Sicherheitskrise in Europa konfrontiert, wie es sie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat. Die Aggression gegen die Ukraine im Zeichen eines großrussischen Neoimperialismus hat Wladimir Putin zum offenen Angriffskrieg ausgeweitet. Die einst von Obama sogenannte „Regionalmacht“ Russland führt mit verbrecherischer Hemmungslosigkeit vor, was einem souveränen und unabhängigen Nachbarland blüht, das seine Zukunft lieber als Teil des Verbundes der westlichen Demokratien sieht denn als Kolonie Moskaus.

Das berührt die Sicherheitsordnung in Europa, das berührt die Sicherheit der Länder an der Ost-Flanke der NATO, und es berührt natürlich auch die Sicherheitsgarantien Amerikas. Diese Garantie hat Vizepräsidentin Kamala Harris vor wenigen Tagen in München bekräftigt, und zwar so feierlich, dass man im Stillen hinzufügen wollte: Bis in alle Ewigkeit. Es ist schließlich noch nicht lange her, dass die zersetzende Rhetorik des früheren Präsidenten Donald Trump gegen die NATO die halbe Welt in Aufregung versetzte.

Tatsächlich haben die USA ihre militärische Präsenz in den Frontstaaten der NATO noch vor den offenen Kriegshandlungen Moskaus verstärkt und somit auf die prekäre Lage reagiert. Auch Frankreich, das Vereinigte Königreich und Deutschland haben Truppenverstärkungen und die Verlagerung von militärischem Gerät angekündigt.

Was jedoch vor allem zählt, das sind ganz im wörtlichen Sinne „American boots on the ground“. Bei aller Wertschätzung für die europäischen Beiträge ist es das amerikanische Abschreckungspotential gegen Russlands Expansionismus, worauf es nun ankommt. Doch was ist, wenn diese „Stiefel“ dereinst anderswo eingesetzt werden sollen, wenn die strategische Priorisierung Chinas zwangsläufig die entsprechenden sicherheitspolitischen und militärischen Konsequenzen hat? Würde Europa mit einem wild gewordenen Putin, der einen neuen Eisernen Vorhang niedergehen lässt, allein fertig? Die Antwort würden Polen und Balten ungern in einem Echtzeit-Experiment herausfinden wollen.

Die Diskussion über Amerikas sicherheitspolitische Schwerpunktsetzung wird in Washington besonders heftig in der Republikanischen Partei geführt, einer Partei, die ein George H. W. Bush nicht mehr wiedererkennen würde. Es melden sich Traditionalisten zu Wort und Isolationisten, Allianz-Loyalisten und Trump-Epigonen. Ernst zu nehmende Wortführer befinden, dass für Amerika die Eindämmung Chinas Priorität habe und die Europäer ihre „Sicherheitsprobleme“ mit Russland selbst lösen müssten. Deutschland wird hierbei nicht nur eine besondere Rolle zugeschrieben. Es wird in beeindruckender Verkennung der Realitäten sogar zur neuen Schutzmacht Europas ausgerufen.

Sigmar Gabriel, der ehemalige deutsche Außenminister, hat kürzlich die Vorhersage gewagt, Amerika könne und werde nicht als Sicherheitsgarant für den Frieden in Europa zur Verfügung stehen. Wenn das heißen soll, dass Europa mehr für seine Sicherheit tun muss, und zwar sowohl politisch als auch militärisch-materiell, dann ist das richtig und unabweisbar. Doch eine der Lehren des Ersten Weltkriegs, die tragischerweise erst nach dem Zweiten beherzigt wurden, lautet: Die USA sind die europäische Macht, die bleibt. Für den Teil Europas, der nicht der sowjetischen Herrschaft unterlag, war das eine Voraussetzung für Stabilität und Wiederaufstieg.

Sollten die USA sich von der Rolle als Europas Sicherheitsanker verabschieden, wären die Europäer unter sich. Dann stünden sie allein dem von der Autokratie zur Diktatur mutierten Russland gegenüber. Dann müssten sie allein mit den Macht- und Unterwerfungsgelüsten Putins fertigwerden. Mit 5000 Helmen und Sanktionen gegen Polit-Marionetten und Oligarchen wäre dem Aggressor wohl nicht Einhalt zu gebieten.

 


 

Klaus-Dieter Frankenberger war bei der F.A.Z. von 2001 bis 2021 verantwortlicher Redakteur für Außenpolitik.

 


 

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