Einleitung
Angesichts einer großen Zahl ausreisepflichtiger Ausländer, die derzeit nicht abgeschoben werden können, steht die Rückkehrpolitik im Zentrum der Diskussion über mangelnde Durchsetzung geltenden Rechts. Die Rückführung abgelehnter Asylbewerber stand von Beginn der Flüchtlingskrise an weit oben auf der Agenda der Bundesregierung – neben der Kraftanstrengung zur Aufnahme, Registrierung und Integration der Flüchtlinge. Dabei ist die Organisation der Rückkehr – der Begriff umfasst sowohl freiwillige Rückkehr von Ausreisepflichtigen als auch Abschiebungen – extrem komplex. Sie hängt von der Situation im Herkunftsland und dessen Kooperationsbereitschaft ebenso ab wie von den Interessen und Verhaltensweisen der betroffenen Personen, sowie rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen in Deutschland, vor allem in den für Abschiebungen in erster Linie zuständigen Bundesländern. Rückkehrpolitik hat außenpolitische, entwicklungspolitische und innenpolitische Implikationen. Die vielfältigen Hindernisse, die sie erschweren, werden im Abschnitt „Abschiebehindernisse“ erläutert.
Es wird deutlich, dass es nicht möglich ist, allein mit ein oder zwei politischen Maßnahmen die Probleme bei der Rückführung zu lösen. Daher haben Bundesregierung und Bundestag in den letzten Jahren eine Vielzahl struktureller, gesetzgeberischer und diplomatischer Maßnahmen ergriffen, um rechtliche und operative Abschiebe-hindernisse zu beseitigen. Die Zusammenarbeit von Außen-, Entwicklungs-, Wirtschafts- und Innenpolitik und der Wille, eine konsistente Strategie von Rückkehrberatung über Schaffung von Jobs im Herkunftsland bis zur Abschiebung zu entwickeln, ist ein echter Paradigmenwechsel. Dieses Papier erläutert die politischen Schritte der letzten Jahre und stellt die entstandenen Strukturen sowie rechtlichen Grundlagen der deutschen Rückkehrpolitik dar. Es basiert auf öffentlich zugänglichen Quellen und Gesprächen mit Experten aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft.
Zahlen und Fakten
Ausländer ohne einen erforderlichen Aufenthaltstitel sind ausreisepflichtig, so steht es in § 50 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Das betrifft alle Fälle, in denen kein Aufenthaltstitel beantragt wurde, er abgelehnt oder widerrufen wurde oder schlicht abgelaufen ist. Betroffene Personen müssen das Land auch ohne Aufforderung entweder unverzüglich oder, falls ihnen eine Frist gesetzt wurde, innerhalb dieser Frist verlassen. Eine Duldung ist die vorrübergehende Aussetzung der Abschiebung (§ 60a AufenthG). Die Person bleibt also ausreisepflichtig, es wird aber auf die Durchsetzung der Ausreisepflicht, also auf die Abschiebung, für einen bestimmten Zeitraum verzichtet.
Mitte 2018 waren im Ausländerzentralregister (AZR) insgesamt 234.600 Ausreisepflichtige registriert. Von den Ausreisepflichtigen hatten 173.900 eine Duldung, das sind ca. 74 Prozent. Somit waren 60.690 Ausreisepflichtige ohne Duldung im Land. Bei 126.100 der Ausreisepflichtigen handelte es sich um abgelehnte Asylbewerber. Von diesen hatten 98.750 eine Duldung (78 Prozent).
Eine exakte Zahl, wie viele ausreisepflichtige Ausländer das Land in einem Jahr verlassen haben, gibt es angesichts kontrollfreier EU-Binnengrenzen nicht. Zum einen fehlen Daten von Personen, die freiwillig ausgereist sind und dabei keines der Programme zur Förderung der freiwilligen Rückkehr genutzt haben. Zum anderen konnten die Zahlen dieser Programme in der Vergangenheit auch Doppelungen enthalten, da verschiedene Unterstützungsangebote zum Teil kombiniert werden können. Über das gemeinsame Rückkehr-Förderprogramm von Bund und Ländern REAG/GARP sind im Jahr 2017 insgesamt 29.600 ausreisepflichtige Drittstaatsangehörige ausgereist. Darunter waren 19.300 abgelehnte Asylbewerber. Darüber hinaus sind 24.000 Abschiebungen durchgeführt worden. Insgesamt haben im vergangenen Jahr 52.500 abgelehnte Asylbewerber das Land verlassen.
2016 sind ca. 1.400 Abschiebungen mehr durchgeführt worden als 2017. Jedoch ist dieser Rückgang auch darauf zurückzuführen, dass 2016 viele Personen in die westlichen Balkanstaaten zurückgeführt wurden, mit denen die Kooperation gut verlief. Auf einen Rückgang der politischen Bemühungen oder einen nachlassenden Erfolg ist daher daraus nicht eins zu eins zu schließen.
Die aus der Flüchtlingskrise entstandenen Asylverfahren sind mittlerweile abgearbeitet. 2016 und 2017 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) insgesamt ca. 1,3 Millionen Asylentscheidungen getroffen.
374.000 Personen haben in diesen beiden Jahren die Rechtsstellung als Flüchtling nach Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) erhalten, 6.500 politisches Asyl nach dem Grundgesetz. 252.000 Personen erhielten subsidiären Schutz und 64.000 ein Abschiebungsverbot. Das bedeutet, dass sie aus menschenrechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden und eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst ein Jahr erhalten.
Insgesamt ergibt dies eine Zahl von rund 702.000 Personen, die nach dem Asylverfahren in den vergangenen beiden Jahren eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben. Dem stehen 406.000 abgelehnte Asylbewerber und 197.000 formelle Entscheidungen gegenüber. Formelle Entscheidungen werden nicht aus inhaltlichen Gründen getroffen, sondern z. B. wenn ein anderer Mitgliedstaat der EU für das Verfahren zuständig ist (Dublin-System) oder der Antrag zurückgezogen wurde.
Jedoch wird gegen knapp die Hälfte der Bescheide Klage eingelegt. Gegen Ablehnungen wird in 90 Prozent der Fälle geklagt, gegen als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnte Anträge in 56 Prozent der Fälle. Auch Entscheidungen über die Zuständigkeit Deutschlands für das Verfahren nach dem Dublin-System und Entscheidungen über subsidiären Status wird häufig widersprochen. Im Herbst 2017 waren insgesamt 365.000 Klagen in Asylfragen bei deutschen Gerichten anhängig. Solange diese Verfahren laufen, und das dürfte die kommenden Jahre betreffen, werden die Rückführungszahlen auf entsprechend niedrigem Niveau bleiben.
Rechtlicher Rahmen und Zuständigkeiten
Der rechtliche und institutionelle Rahmen der Rückkehrpolitik spannt sich von der europäischen Ebene, die mit der Rückführungsrichtlinie den Mitgliedstaaten die grundlegenden Standards vorgibt, über den nationalen Gesetzgeber zu den Bundesländern, die für die Umsetzung des Aufenthaltsrechts bis hin zu Abschiebungen zuständig sind, und letztlich den Ausländerbehörden in den Kommunen.
Die EU-Rückführungsrichtlinie enthält detaillierte Vorgaben insbesondere zur zwangsweisen Rückführung, also Abschiebungen und Abschiebehaft. Sie wurde 2011 in Deutschland umgesetzt. Anfang 2017 richtete die Europäische Kommission Empfehlungen zur Anwendung der Richtlinie an die Mitgliedstaaten, um das Rückführungsmanagement effizienter zu gestalten.
Auf nationaler Ebene regelt das Aufenthaltsgesetz grundsätzlich Einreise, Aufenthalt, Niederlassung, Erwerbstätigkeit und auch Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen in Deutschland. Im Asylgesetz sind die verschiedenen Schutzarten, der Ablauf des Asylverfahrens, die Rechte und Pflichten von Asylbewerbern, ihre Unterbringung, sowie gerichtliche Verfahren und die Aufenthaltsbeendigung geregelt.
Für die Erteilung und den Entzug von Aufenthaltstiteln ebenso wie für die Durchführung von Abschiebungen sind die Bundesländer zuständig. Konkret obliegt der Vollzug von Abschiebungen in der Regel den Ausländerbehörden (ABH) in den Kommunen. Inzwischen haben die Bundesländer auf verschiedene Weise die zuständigen Arbeitseinheiten zentralisiert, um Abschiebungen effizienter durchzuführen. Passersatzbeschaffung und Rückführungen sind meist bei einer oder mehreren Zentralen Ausländerbehörden (ZAB) pro Bundesland konzentriert. In den zuständigen Landesämtern wurden Koordinierungsstellen geschaffen oder vorhandene Organisationseinheiten personell verstärkt. Die Bundespolizei unterstützt die Bundesländer bei der Beschaffung von Passersatzpapieren und der Durchführung der Abschiebungen. Für eine Liste von Zielländern beschafft sie grundsätzlich die Reisepapiere, für einige andere Länder nur in problematischen Fällen.
Das BAMF ist für die Prüfung von Asylanträgen zuständig, die ABH für die aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen dieser Entscheidung. Mit dem ablehnenden Bescheid erteilt das BAMF direkt die Abschiebungsandrohung, die eine Frist von 30 Tagen zur selbständigen Ausreise setzt. Bei offensichtlich unbegründeten oder unzulässigen Anträgen beträgt die Ausreisefrist 7 Tage. Die erfolgte Ausreise soll nachgewiesen werden, indem die ausreisende Person an der Grenze oder bei einer deutschen Auslandsvertretung im Zielland die sogenannte Grenzübertrittsbescheinigung (GÜB) abgibt. Dies erfolgt jedoch nicht immer, vor allem nicht an Landgrenzen ohne Grenzkontrollen. Damit ist nicht nachweisbar, in wie vielen Fällen die Personen ausgereist sind, ohne dass dies registriert wurde, oder ob sie möglicherweise in Deutschland untergetaucht sind.
Nach der 30-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise droht die Abschiebung. Gegen die Asylentscheidung kann innerhalb von zwei Wochen nach der Zustellung Widerspruch eingelegt werden. Ein Widerspruch verhindert zunächst die Abschiebung (§§ 74, 75 AsylG), nicht jedoch bei unzulässigen und offensichtlich unbegründeten Anträgen sowie wenn schwere Straftaten vorliegen (§ 60 Abs. 8 AufenthG). Die Zuständigkeit für die Durchführung der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen liegt dann bei der Ausländerbehörde.
Die Ablehnung des Asylbescheides hat verschiedene Konsequenzen. So wird der Pass oder Passersatz von ausreisepflichtigen Personen gewöhnlich einbehalten. Sie erhalten bis zur Ausreise eine Kopie. Außerdem müssen sie die Ausländerbehörde informieren, wenn sie umziehen oder den Bezirk der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage verlassen wollen. In besonderen Fällen müssen sie sich wöchentlich bei der örtlichen Polizei melden. Vollziehbar ausreisepflichtige Personen müssen sich im zuständigen Bundesland aufhalten. Der Aufenthalt kann weiter eingeschränkt werden auf einen Kreis oder sogar eine bestimmte Unterkunft. Seit 2015 darf der Termin einer geplanten Abschiebung nicht mehr vorab angekündigt werden, wie es einige Bundesländer zuvor praktizierten. Darüber hinaus kann die Ausländerbehörde die Personen verpflichten, eine Rückkehrberatung in Anspruch zu nehmen oder Geld, welches sie nicht zum absoluten Existenzminimum benötigen, auf ein Sperrkonto einzuzahlen, um für die Rückkehr zu sparen. Denn die Kosten von Abschiebung und Abschiebehaft muss im Prinzip der Abgeschobene tragen. Wenn er oder sie später erneut ein Visum beantragt, kann die Begleichung dieser Ausgaben zur Voraussetzung gemacht werden. Wenn vermutet wird, dass die Person nicht freiwillig ausreisen und sich auch der Abschiebung entziehen wird, kann auf Antrag der zuständigen Behörde vom Gericht für drei, höchstens jedoch für sechs Monate Abschiebehaft angeordnet werden. In besonderen Fällen kann die Abschiebehaft um ein weiteres Jahr verlängert werden. Die Voraussetzungen der Abschiebehaft werden in einem Kriterienkatalog in den §§ 2 Abs. 14 und 62 AufenthG beschrieben. Dazu zählt u. a., dass die Person umgezogen ist, ohne der Behörde ihren neuen Aufenthalt mitzuteilen, sie sich schon einmal einer Abschiebung entzogen hat, Identitätsdokumente vorenthalten oder Schleuser bezahlt hatte, um nach Deutschland zu kommen. Die Bundesländer sind für die Umsetzung der Abschiebehaft und damit dafür zuständig, die nötigen Abschiebehaftplätze zur Verfügung zu stellen.
Abschiebehindernisse
Die betroffenen Personen selbst haben in der Regel ein Interesse, in Deutschland zu bleiben. Sie hatten erhebliche Gründe ihr Land zu verlassen und haben zum Teil ein hohes Risiko auf sich genommen. Wenn alle vom deutschen Aufenthalts- und Asylrecht gebotenen Möglichkeiten jedoch nicht zu einem Aufenthaltsrecht führen, stehen sich die Wünsche der Migranten und die deutsche Rechtsordnung konflikthaft gegenüber. Im Sinne der Rechtsstaatlichkeit, die ein grundlegendes Prinzip unseres Gemeinwesens ist, muss geltendes Recht auch durchgesetzt werden.
Im Prinzip sind alle Mechanismen, die dem Schutz hilfsbedürftiger Menschen dienen und daher eine wertvolle Errungenschaft unserer Rechts- und Werteordnung sind, auch anfällig für Missbrauch. Bei in der betroffenen Person liegenden Abschiebehindernissen bedarf es daher eines differenzierteren Umgangs mit unverschuldeten und selbst verursachten Umständen, als dies bisher möglich ist. Im Masterplan wird dementsprechend die „Schaffung einer Bescheinigung unterhalb der Duldung für Ausreisepflichtige, denen die Rückführungshindernisse zuzurechnen sind, z. B. in Fällen von Identitätsverschleierung“ angekündigt. Zur anderen Seite hin ermöglicht eine solche Differenzierung auch Erleichterungen für Personen, die unverschuldet über einen längeren Zeitraum im Duldungsstatus verharren und sich integriert haben.
Das größte Problem bei der Rückführung sind fehlende Papiere. Denn die Herkunftsländer nehmen nur Personen zurück, die nachgewiesenermaßen ihre Staatsbürger sind. Ohne Papiere können Asylbewerber zum Beispiel sein, wenn ihnen von ihren Herkunftsstaaten keine Papiere ausgestellt werden, um sie so an der Ausreise zu hindern, oder wenn sie diese auf der Flucht verloren haben. Daher können Menschen ohne Papiere nicht pauschal vom Asylverfahren ausgeschlossen werden. Andere nutzen den Umstand, dass sie ohne Identitätsdokumente nicht rückgeführt werden können, gezielt aus und vernichten Papiere oder halten sie zurück. Auch medizinische Gründe können eine Abschiebung verhindern. Des Weiteren berichten Praktiker davon, dass Ausreisepflichtige im Moment der Abschiebung nicht oder Familien nicht vollständig aufgefunden werden und sich dadurch der Abschiebung entziehen. Verhält sich eine Person aggressiv, können Flugkapitäne sich weigern, sie zu befördern.
Als strukturelle Probleme benannte die AG Rück die schlechte personelle Ausstattung der Ausländerbehörden, die zu einer qualitativen und quantitativen Überforderung führe. Auch die Datenqualität im Ausländerzentralregister, welches Grundlage für die Arbeit der Ausländerbehörden ist, war in der Vergangenheit problematisch. Im „Leitfaden zur Verbesserung der Datenqualität im AZR“ wurden Unsauberkeiten, Probleme und widersprüchliche Speicherungen im Datenbestand analysiert und Lösungsvorschläge erarbeitet. Ungefähr die Hälfte der geschilderten Probleme bezieht sich nach Angaben der Bundesregierung auf Ausreisepflichtige. Auch die komplexe Landschaft an Zuständigkeiten, Anwendungsspielräume und politische Interpretation in den Bundesländern sowie Probleme in der Zusammenarbeit mit den Bundesbehörden werden von Experten als Hindernisse genannt. Mangelnde Abschiebehaftplätze erschweren in einigen Bundesländern die Vorbereitung von Sammelflügen bzw. haben einen hohen Aufwand bei den ausführenden Behörden zur Folge.
Für Identitätsklärung, Beschaffung von Ersatzpapieren und Rückkehr sind die deutschen Behörden maßgeblich auf die Unterstützung der Konsulate und Behörden der (vermuteten) Herkunftsländer angewiesen. Vertrauen und Kooperationsstrukturen mit den Behörden in den einzelnen Herkunftsländern aufzubauen ist mittel- und langfristige Detailarbeit. Für jedes Land müssen technische, strukturelle, rechtliche oder politische Hindernisse individuell ausgemacht und Lösungen erarbeitet werden. Auch die Überstellungen in andere Länder im Rahmen des Dublin-Verfahrens verlaufen schleppend.
Wenn eine Rückkehr aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zeitnah möglich ist, wird eine Duldung ausgesprochen. Geduldete sind eine Gruppe, die es nach der Logik „wer Schutz braucht, soll ihn bekommen, wer kein Bleiberecht hat, muss wieder gehen“ eigentlich nicht geben dürfte, aber eben doch gibt. Die verschiedenen Gründe für eine Duldung unterscheiden sich erheblich in Qualität und Häufigkeit, wie aus BT-Drucksache 19/633 hervorgeht (siehe Tabelle 1).
Die Zahlen weisen nach, dass fehlende Reisedokumente eines der größten Abschiebehindernisse darstellen. Auch die große Zahl von Duldungen ohne nähere Angaben der Gründe, also aus „sonstigen Gründen“, ist auffällig. Um zielgerichtet Lösungen für Abschiebehindernisse entwickeln zu können, sind jedoch differenzierte Daten über die Duldungsgründe nötig. Daher hat der Beauftragte für Flüchtlingsmanagement einen Leitfaden zum AZR erarbeitet und das BMI Anwendungshinweise zu den unterschiedlichen Duldungsgründen vorgelegt. Der Anteil der „sonstigen Gründe“ ist im Verlauf des Jahres 2017 von 60 auf 43 Prozent gesunken. Daraus lässt sich bereits eine positive Tendenz bei der Datenqualität im AZR ablesen.
13 politische Maßnahmen zur Erhöhung der Rückkehrquote
Für alle genannten Probleme wurden in den letzten Jahren Lösungen gesucht. Seit 2015 sind eine Reihe rechtlicher Lücken geschlossen und Regeln deutlich verschärft worden, um die Ausreisepflicht von Personen ohne Bleiberecht durchzusetzen.
Mit dem „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und des Rechts der Aufenthaltsbeendigung“ vom August 2015 wurde das Ausweisungsrecht neu geordnet, der Ausreisegewahrsam eingeführt, um das Untertauchen zu erschweren; Ausländerbehörden wurde das Recht zum Auslesen der Datenträger des Ausländers zwecks Klärung der Identität erteilt, Wiedereinreisesperren bei zum Beispiel nicht fristgerechter Ausreise geregelt und Abschiebungen erleichtert.
Mit dem Asylpaket I vom Oktober 2015 (Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz) wurde es den zuständigen Behörden verboten, die Termine bevorstehender Abschiebungen anzukündigen. Außerdem wurde die Höchstdauer der Aussetzung der Abschiebung von sechs auf drei Monate reduziert, die maximale Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen hingegen von drei auf sechs Monate erhöht. Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten wurden verpflichtet, bis zum Ausgang ihres Verfahrens und im Falle einer Ablehnung bis zur Ausreise in der Aufnahmeeinrichtung zu bleiben. Albanien, Kosovo und Montenegro wurden zusätzlich zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Die Leistungen für Ausreisepflichtige wurden eingeschränkt.
Mit dem Asylpaket II wurden im März 2016 die Voraussetzungen, unter denen medizinische Gründe eine Abschiebung verhindern können, verschärft. Für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten sowie für mit Wiedereinreisesperren belegte oder mangelnde Mitwirkungsbereitschaft zeigende Personen wurden beschleunigte Verfahren geschaffen, bei denen das BAMF innerhalb einer Woche über den Asylantrag entscheidet. Eingelegte Rechtsmittel sollen innerhalb von zwei Wochen bearbeitet werden. Der Familiennachzug für subsidiär Geschützte wurde für zwei Jahre ausgesetzt.
Das Datenaustauschverbesserungsgesetz vom Februar 2016 schuf die gesetzliche Grundlage für das Kerndatensystem, welches die Grunddaten von Flüchtlingen enthält und Bund, Ländern und Kommunen Zugriff ermöglicht. Registrierung und Identifizierung werden so erleichtert, Mehrfachidentitäten verhindert. Der Bund stellte den Behörden die benötigte Technik zur Aufnahme biometrischer Daten zur Verfügung.
Das „Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung“ vom März 2016 vereinfachte als Antwort auf die Ereignisse in der Silvesternach 2015/16 die Ausweisung ausländischer Straftäter (u. a. bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung) und die Versagung der Flüchtlingseigenschaft.
Um die Rückkehr weiter zu verbessern, wurde 2017 eine neue, umfassende Initiative gestartet. Im Februar beschlossen die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder einen „16 Punkte–Plan zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“. Dieser umfasste sowohl weitere rechtliche Reformen durch das „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“, die Förderung der freiwilligen Rückkehr und eine flächendeckende Rückkehrberatung, die personelle Aufstockung der für Rückführung zuständigen Stellen, die zentrale Unterbringung vollziehbar Ausreisepflichtiger, die Schaffung des Zentrums zur Unterstützung der Rückkehr (ZUR) zwischen Bund und Ländern und die Verbesserung des Datenaustauschs zwischen Ausländer- und Sozialleistungsbehörden.
Das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom Juli 2017 ermöglicht es dem BAMF u. a., Handys von Asylbewerbern auszulesen, um Angaben über die Identität und Staatsangehörigkeit, die nicht über Dokumente nachgewiesen werden, zu überprüfen. Dies ist nicht flächendeckend nötig, erleichtert aber in bestimmten Fällen die Identifizierung der Personen und die Überprüfung ihrer Angaben erheblich. Die Herausgabe kann zwangsweise durchgesetzt werden. Mangelnde Mitwirkung bei der Identitätsfeststellung hat außerdem Sanktionen zur Folge. So dürfen sich Personen, die falsche Angaben zu ihrer Identität gemacht haben, durch dieses Gesetz nur noch im Zuständigkeitsbezirk ihrer Ausländerbehörde aufhalten. Besondere Verschärfungen enthält das Gesetz für ausreisepflichtige Gefährder. Sie können leichter in Abschiebehaft genommen und bis zur Abschiebung verpflichtet werden, eine elektronische Fußfessel zu tragen. Geduldeten, die Abschiebehindernisse selbst verursacht haben, muss die Abschiebung nun nicht mehr einen Monat zuvor angekündigt werden. Des Weiteren wurde die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams auf 10 Tage erhöht und die Möglichkeit des Einbehalts ausländischer Reisepapiere von deutschen Mehrstaatlern geschaffen. Die Jugendämter wurden verpflichtet, für unbegleitete ausländische Minderjährige einen Asylantrag zu stellen. Schließlich ermöglicht das Gesetz den Bundesländern, Asylbewerber ohne Bleibeaussicht auch länger als die bisher gültigen sechs Monate, nämlich bis zur Entscheidung des BAMF, zu verpflichten, in der Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. So soll die Erreichbarkeit der Personen für Behörden und Gerichte und letztlich die Durchsetzung der Ausreisepflicht deutlich verbessert werden.
Das Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr (ZUR) hat seine Arbeit im Mai 2017 aufgenommen. Dort arbeiten Beamte des Bundes (BMI, BAMF, BPOL) und der Länder zusammen an der operativen Abstimmung. Neben Bedarfsanalyse und strategischer Planung koordinieren sie auch länderübergreifend Charterflüge und Sammelaktionen zur Passersatzbeschaffung oder vermitteln bei Bedarf an Abschiebehaftplätzen. Das ZUR dient wie die Schaffung von zentralen Stellen in den Bundesländern und die deutliche Aufstockung des für Rückführungen zuständigen Personals der besseren und schnelleren Durchsetzung der Ausreisepflicht. Auch die Arbeitseinheiten für Dublin-Fälle im BAMF wurden aufgestockt. Bund und Länder arbeiten zusammen an der Optimierung der Abläufe bei Dublin-Fällen.
Förderung der freiwilligen Rückkehr. Die Zahl derer, die 2017 freiwillig ausreisten, war größer als die Zahl der Abgeschobenen. Freiwillige Ausreisen sind nicht nur weniger belastend für die Beteiligten, sie dürften auch nachhaltiger sein als Abschiebungen, da die Personen sich auf die Ausreise und ihr Leben im Zielland vorbereiten können. Sie können auch Hilfen zur Reintegration in Anspruch nehmen. Zudem sind freiwillige Ausreisen deutlich weniger kostenintensiv als Abschiebungen. Freiwillige Ausreisen sollen daher Vorrang vor Abschiebungen haben. Die Förderung der freiwilligen Rückkehr wurde ausgebaut und finanziell gestärkt.
Neben den bestehenden Bund-Länder-Programmen (REAG/GARP) und den eigenen Programmen in Bundesländern und Kommunen hat der Bund nun zwei weitere, reine Bundesprogramme geschaffen. „StarthilfePlus“ gibt einen Zuschuss zur Rückreise, der umso größer ist, je früher im Asylverfahren die Rückehrentscheidung getroffen wird. 2017 standen von Seiten des BMI 40 Millionen Euro dafür zur Verfügung.
Das Programm „Perspektive Heimat“ des BMZ unterstützt die Reintegration im Herkunftsland, insbesondere im Bereich Ausbildung und Arbeit. Dafür wurden 2016 bis 2018 150 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Bundesminister Müller hat angekündigt, dieses Programm auf 500 Millionen Euro pro Jahr erheblich aufstocken zu wollen. Damit diese Mittel sinnvoll zum Einsatz kommen, ist eine flächendeckende Rückkehrberatung Voraussetzung. Rückkehrberatung wird sowohl von staatlichen als auch nicht-staatlichen Trägern wie der IOM oder den Wohlfahrtsverbänden durchgeführt. Der Bund hat eine staatliche Rückkehrberatung in den Ankunftszentren eingeführt. Auf dem neuen Portal www.returningfromgermany.de können sich Interessierte, Berater und Helfer in mehreren Sprachen über Rückkehrförderung, Beratungsstellen und die Situation in den Zielländern informieren.
Die Bundesregierung verhandelt darüber hinaus aktiv mit den Herkunftsländern, um die Kooperation im Bereich der Rückkehr zu verbessern. Dabei kommt der kohärente Ansatz zum Tragen, bei dem ressortübergreifend (v. a. BMI, BMZ und AA) mit jedem Land individuell konkrete Schritte zur Beschleunigung der Verfahren und Anreize zur besseren Zusammenarbeit ermittelt werden. Kohärent ist der Ansatz, weil das deutsche Interesse an zügiger Rückkehr ausreisepflichtiger Personen in deren Herkunftsländer mit entwicklungs- und außenpolitischen Interessen und Ansätzen verknüpft wird. Neben dem politischen Willen zur Kooperation geht es um die Verbesserung technischer Abläufe. In einigen Herkunftsländern müssen zunächst Ansprechpartner benannt sowie die personellen und technischen Strukturen für die Passersatzbeschaffung und Abwicklung von Rückführungen aufgebaut werden. Mit anderen Ländern konnten bereits elektronische Verfahren des Identitätsabgleichs etabliert werden. Mit Afghanistan wurde im Oktober 2016 und mit Tunesien im März 2017 je eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit geschlossen. Im Gegenzug unterstützt Deutschland die Entwicklung in den Herkunftsländern. In elf Ländern entstehen Migrationsberatungszentren, die zu Möglichkeiten der legalen Migration und Gefahren der illegalen Migration beraten sowie Rückkehrern bei der sozialen und wirtschaftlichen Wiedereingliederung helfen.
Auch die Europäische Union hat die Kooperation mit Herkunfts- und Transitstaaten neu strukturiert und ihr eine hohe Priorität eingeräumt. Im Rahmen des neuen Partnership Framework verhandelt sie individuelle Kooperationsformen mit Herkunfts- und Transitstaaten zur Rückübernahme ihrer Staatsangehörigen aus Europa, aber auch aus anderen Drittländern. Wie Krause / Wientzek betonen, stellen bei allen noch vorhandenen Problemen diese neue europäische Migrationsaußenpolitik, das starke Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit und der gemeinsame europäische Grenzschutz eine große Leistung dar. Die Ratsbeschlüsse vom 28. Juni 2018, die sowohl vollständig durch die EU unterstütze Asylzentren in den Mitgliedstaaten als auch sogenannte regionale Ausschiffungsplattformen in Drittstaaten in Aussicht stellen, gehen über die bisherigen Konzepte noch einmal hinaus.
Ausblick
Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren umfassende Maßnahmen ergriffen, um Rückkehr effizienter zu gestalten und Abschiebehindernisse zu beseitigen.
Die Zusammenarbeit deutscher Außen-, Innen-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik im Rahmen des kohärenten Ansatzes ist ein Paradigmenwechsel. Erste Erfolge sind sichtbar, doch dürfen die Bemühungen, eine bessere Kooperation der Herkunftsstaaten zu erreichen, nicht nachlassen. Erfolge wurden ebenso erzielt bei der Erfassung von Daten und Identitäten, der Erreichbarkeit von Ausreisepflichtigen für Behörden und Gerichte, der Anreizsenkung für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten und der Unterstützung der freiwilligen Rückkehr.
Koalitionsvertrag und Masterplan schreiben den eingeschlagenen Weg fort. Die Regelung für sichere Herkunftsstaaten soll nicht nur auf Algerien, Marokko und Tunesien, sondern in Zukunft systematisch auf alle Länder mit einer Anerkennungsquote unter fünf Prozent angewendet werden. Ein Ziel besteht in der zentralen Unterbringung von Asylbewerbern für das gesamte Verfahren, um die Erreichbarkeit für die Behörden sicherzustellen und die Abläufe zu beschleunigen. In den AnKER-Einrichtungen sollen alle Verfahrensschritte inklusive der umfassenden Identitäts- und Altersfeststellung unter einem Dach stattfinden. Im Idealfall verbleiben die Personen bis zum Asylbescheid und ggf. der Rückführung, höchstens aber 18 Monate in der Einrichtung. Dabei muss laut Koalitionsvertrag eine unabhängige Asylverfahrensberatung gewährleistet werden. Der freiwilligen Rückkehr wird explizit Vorrang vor der Abschiebung gegeben. Der Masterplan stellt den Ausbau der freiwilligen Rückkehrprogramme in Aussicht und setzt dabei auf eine neue Konzeption der Rückkehrberatung, die vor allem durch staatliche Behörden durchgeführt wird. Die in der Vergangenheit entstandenen Programme und Strukturen im Bereich der freiwilligen Rückkehrförderung sollten darüber hinaus mit dem Ziel stärkerer Komplementarität strukturiert und Erfahrungen mit Reintegration und nachhaltiger Rückkehr stärker in die politische Debatte einbezogen werden.
Eine weitere Tendenz der Rückehrpolitik lässt sich in dem Ziel erkennen, stärker danach zu unterscheiden, ob der Ausländer selbst die Rückkehr verhindert hat oder unverschuldet an der Ausreise gehindert wird. Hier sind weitere Differenzierungen vorgesehen, zum Beispiel hinsichtlich des Bezugs von Leistungen. Das erfolgt nicht zuletzt im Interesse der wirklich Schutzbedürftigen.
Letztlich wird eine erfolgreiche Rückkehrpolitik vom Gesamtrahmen der Migrationssteuerung und der Qualität der Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union sowie mit den Herkunfts- und Transitstaaten abhängen. Rückkehrpolitik allein kann Migration nicht steuern. Es bedarf ebenso eines effizienten Schutzes der EU-Außengrenzen wie klarer Zugangsregeln und Zugangsmöglichkeiten zum Schutz für die, die ihn brauchen, wie es reguläre Zuwanderungskanäle für Drittstaatler braucht, die in Deutschland einen Job finden.
Katharina Senge war bis 2016 Koordinatorin für Zuwanderung und Integration der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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