Issue: Sonderausgabe 2020/2020
Vor den Präsidentschaftswahlen muss Trump unter Beweis stellen, was er umsetzen konnte. Da seine Erfolgsbilanz durch das schlechte Management der COVID-19-Pandemie und die desaströsen Auswirkungen für die amerikanische Bevölkerung getrübt wird, sind Schuldzuweisungen an andere und eine Politik des Isolationismus einfache Mittel, um die Wählerbasis zufriedenzustellen. Ein zähes Ringen um Kompromisse im multilateralen Kontext ist aus dieser Perspektive eher Zeitverschwendung und verwässert zugleich nationale Interessen.
Nullsummenspiel statt Multilateralismus
Isolationismus und Unberechenbarkeit der US-Außenpolitik führen dazu, dass die einst vorhandene globale Führungsrolle sukzessive verspielt wird. Die hohe Zahl an personellen Wechseln im außen- und sicherheitspolitischen Bereich wie auch die politische Positionierung der USA im multilateralen System der Vereinten Nationen (inklusive Rückzug aus dem VN-Menschenrechtsrat und Aufgabe der UNESCO-Mitgliedschaft sowie die Einstellung der Unterstützung für UNRWA) unterstreichen die von einer kurzsichtigen Kosten-Nutzen-Rechnung geleitete Politik.
Das Nullsummenspiel in den internationalen Beziehungen scheint wieder salonfähig geworden zu sein. Damit steigt das Risiko für Konflikte und deren gewaltsame Austragung. Die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene wertebasierte Weltordnung erodiert und der Rückzug der USA auf eine rein an vermeintlichen nationalen Interessen ausgerichtete Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik findet ihre Nachahmer. Dabei werden Fakten nachrangig und es dominieren an Emotionen appellierende, verkürzte und aus dem Zusammenhang gerissene Argumente.
Peking profitiert
Was die normative Dimension der internationalen Politik angeht, hinterlässt der Rückzug der USA ein Vakuum, das rasch von autokratischen Regimen und ihrem ganz eigenen Verständnis von Souveränität, Partizipation und Nichteinmischung gefüllt wird. Vor allem China versteht es geschickt, dieses Vakuum für die eigenen Interessen zu nutzen und Allianzen mit Gleichgesinnten zu schmieden.
Darüber hinaus wächst das militärische Selbstbewusstsein Chinas. Dies wird etwa am Grenzkonflikt mit Indien, an der Einschränkung ziviler Rechte in Hongkong wie auch im Verhältnis zu Taiwan deutlich. Es zeigt sich aber auch beim Aufbau der „Perlenkette“ von Handels- und auch Militärstützpunkten im Indischen Ozean und an der Ostküste Afrikas.
Im VN-Kontext macht China vermehrt seinen Einfluss auf die Ausgestaltung der Mandate von VN-Friedensmissionen geltend und engagiert sich verstärkt sowohl finanziell als auch personell. Während die USA ihren Finanzierungsanteil von VN-Friedensmissionen bereits 2018 von 28,5 auf 25 Prozent kürzten und damit unter den offiziell zugeschriebenen Mitgliedsbeiträgen bleiben, hat China seinen Beitrag auf 15 Prozent aufgestockt und eine Milliarde US-Dollar pro Jahr für die nächsten fünf Jahre zugesichert. 8.000 Soldaten der Volksbefreiungsarmee wurden darüber hinaus von China für Friedensmissionen vorbereitet.
Nachahmungseffekt und Schadensbegrenzung
Die Schnittmenge zwischen den USA und den transatlantischen Partnern ist kleiner geworden. Deshalb stellt sich die Frage, in welchen Bereichen und bei welchen multilateralen Initiativen eine Kooperation zukünftig noch möglich sein wird bzw. inwieweit Deutschland und Europa in der Lage sein werden, den Rückzug der USA zu kompensieren. Die Verhandlungen rund um den rechtlich nicht bindenden Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration zeigten bereits den Nachahmungseffekt, den der Ausstieg einer einflussreichen Nation wie der USA haben kann, und machten deutlich, wie kontrovers multilaterale Lösungen mittlerweile auch in Europa wahrgenommen werden.
Um die liberale Weltordnung und den Multilateralismus zu stärken, werden sich Deutschland und diejenigen in Europa, die noch zum EU-Wertekanon stehen, nicht nur auf die Suche nach neuen Partnern und Gleichgesinnten machen und strategische Allianzen durch Ad-hoc-Zusammenschlüsse ersetzen müssen. Die von Deutschland und Frankreich 2019 ins Leben gerufene Allianz für den Multilateralismus ist ein erster Schritt in diese Richtung. Es wird allerdings auch notwendig werden, sich von einem rein zwischenstaatlichen Ansatz zu lösen. Insbesondere die Vertreter der Zivilgesellschaft und des Privatsektors sind stärker in den Dialog einzubinden, neue Partner sind weltweit zu identifizieren.
Bisher zahlen vor allem die Europäer den Preis für den Rückzug der USA und kompensieren deren Abwesenheit in vielen Bereichen der multilateralen Zusammenarbeit. Gestaltungswille und Gestaltungskonzepte sind dabei allerdings noch unzureichend ausgeprägt und die politischen Antworten oftmals nur reaktiv.
Andrea Ellen Ostheimer ist Leiterin des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in New York.