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Country reports

"Sponti" oder "Realo"? Der indonesische Präsident im Machtkampf

by Dr. habil. Klaus Paehler

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Präsident Abdurrahman Wahid ("Gus Dur") selbst hatte in diesem Jahr bereits mehrfach von Putschversuchen gesprochen. Erst vor kurzem war es ihm ja gelungen, den ehemals so mächtigen Verteidigungsminister Wiranto zu entmachten - so schien es jedenfalls. Sollte dieser jetzt zurückschlagen? Dies ist bis jetzt nicht geschehen und erscheint auch nicht sehr wahrscheinlich. "Gus Dur" konnte immerhin strategische Positionen in den Streitkräften mit Offizieren seines Vertrauens - soweit dieser Ausdruck hier überhaupt angebracht ist - besetzen.

Das wichtigste Problem des im letzten Jahr überraschend gewählten Präsidenten ist es trotzdem immer noch, erst einmal politisch zu überleben. Wiranto war zusammen mit dem Präsidenten des Parlamentes (DPR), Akbar Tandjung, und der Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri ja nur eine der mächtigen Persönlichkeiten des Landes, die nach dem höchsten Amt streben und damit im Prinzip eine Herausforderung für den Präsidenten darstellen dürften. Keiner ist dabei in seiner Kritik aber soweit vorgeprescht wie Amien Rais, der den Präsidenten unter anderem deswegen anklagen wollte ("impeachment"), weil dieser sich so oft selbst widerspreche und unberechenbar äußere.

In der Tat schwanken Beobachter in ihrer Beurteilung "Gus Durs". Ist er nun ganz besonders schlau oder ganz besonders, wie soll man es höflich ausdrücken, spontan und naiv? Widersprüchliche Äußerungen in der Öffentlichkeit, der Anschein der Naivität und Spontaneität könnten aber auch strategische Instrumente des fast blinden Präsidenten sein. Warum sollte er sich angesichts der zahllosen Probleme des Landes unnötig neue - noch dazu überflüssige und unwichtige - schaffen?

Warum sollte er - selbst ein angesehener Muslimführer - die Moslems in diesem so überwiegend islamischen Lande provozieren, in dem er erklärt, sie seien in der Vergangenheit den Christen gegenüber in den Molukken - mit Tausenden von Toten der blutigste aller indonesischen Bürgerkriegsschauplätze - bevorzugt worden? Warum sollte er eine Diskussion über die Aufhebung des Verbots der kommunistischen Partei lancieren, wo seine Regierung doch die größte Mühe hat, vom IMF die Freigabe der nächsten Kreditrate zu erreichen? Konnte er das Aufheulen im fundamentalistisch-radikalen Lager des Islam denn nicht vorhersehen?

Vor dem Parlament demonstrierte eine wütende, teils bewaffnete Menge von über 20.000 Personen. Entweder gibt es hier keine Bannmeile oder sie wird nicht eingehalten. "Sit ins" im Parlamentsgebäude mit massiven Beeinträchtigungen und zumindest latenten Einschüchterungen der Abgeordneten sind hier an der Tagesordnung. Auch vor dem Präsidentenpalast kam es zu bewaffneten Demonstrationen extremer Moslems. In einem Lager etwas außerhalb von Jakarta bereiteten sich 3000 oder mehr "Jihad-Kämpfer" auf ihren Kampfeinsatz gegen die Christen auf den Molukken vor. Insgesamt 10.000 Kämpfer würden dorthin zum "heiligen Krieg" aufbrechen, drohten sie dem Präsidenten. Zuvor wolle der Führer dieser "Laskar Jihad" ("Truppe des heiligen Krieges"), Jaffar Umar Thalib, aber noch in den mittleren Osten reisen, um dort über Einzelheiten des Einsatzes zu beraten. Tagelang berichteten die Medien über den Spuk, ohne daß die Polizei oder das Militär eingriffen. Dann drohten die "heiligen Krieger" den Jihad gegen die Christen auf Java an, wenn es ihnen nicht gelänge, auf die weit entfernten Molukken zu kommen.

Inzwischen haben die Kämpfer zumindest einen Teil ihrer Waffen abgeliefert, das Trainingslager verlassen und sich in ihre Ausgangsbasen in Zentraljava zurückgezogen. Sie betonen jetzt die spirituelle Dimension des heiligen Krieges. Aber nicht nur Christen, sondern auch die große Mehrheit der friedliebenden Moslems begannen, sich ernsthafte Sorgen zu machen, denn derartige Drohungen sind in Indonesien ernst zu nehmen.

Sollte der Präsident wirklich leichtfertig mit dem Feuer religiöser Fanatisierung spielen, bloß um seiner Spontaneität freien Lauf zu lassen? Dann wäre es um Indonesien wahrlich schlecht bestellt. Will man den Präsidenten dagegen als rationalen Akteur in einem Machtkampf verstehen, muß man wohl annehmen, daß er die heftigen Reaktionen der radikalen Moslems nicht nur vorhergesehen, sondern wohl absichtlich provoziert haben dürfte, um den einzigen Muslimführer unter seinen politischen Gegnern, Amien Rais, und damit auch die extremen Moslems zu schwächen.

Parlamentspräsident und GOLKAR-Vorsitzender Akbar Tandjung nämlich behielt einen kühlen Kopf und distanzierte sich klar von den "Kriegern". Er gewann an staatsmännischem Profil. Vizepräsidentin Megawati (zugleich PDI-P-Vorsitzende) gelobte dem Präsidenten unverbrüchliche Solidarität. Verlierer war tatsächlich Amien Rais. Der distanzierte sich nicht eindeutig vom "Jihad". Ja, er hatte selbst früher - wenn auch wohl in einem gewaltlosen Sinne - von Jihad gesprochen. Die meisten Beobachter glaubten jedenfalls, wenn Amien Rais vielleicht auch nicht unmittelbar Anstifter oder Drahtzieher dieses Extremismus sei, wolle er davon zumindest politisch zum Schaden des Präsidenten profitieren.

Amien Rais ist als Führer einer großen Muslimorganisation auch darin Rivale von "Gus Dur", der etwa so kalkuliert haben könnte: Entweder muß Amien Rais sich in Gegensatz zu seiner eigenen Machtbasis - den strengeren Moslems bringen - oder er muß in Kauf nehmen, selbst als Radikaler eingestuft und bloßgestellt zu werden. Beides würde ihn politisch als Herausforderer des Präsidenten entscheidend schwächen. Ohne Unterstützung durch das moslemische Lager kann er sich keine Hoffnungen auf das Präsidentenamt machen. Ohne Koalition mit den säkularen Kräften (PDI-P, GOLKAR) aber auch nicht. Durch sein Verhalten ist Amien Rais für die letzteren aber zur Zeit als Alternative zu "Gus Dur" unakzeptabel geworden, der sich damit nach Wiranto eines zweiten gefährlichen Herausforderers entledigt hätte. Amien Rais lenkte denn auch ein und erklärte, er wolle keine "Anklage" des Präsidenten betreiben. Er wolle ihn jedoch auch weiterhin kritisch kommentieren. Das gehöre zur Demokratie.

Auch gegenüber dem Ausland könnte "Gus Dur" seine Verhandlungsposition gestärkt haben. Er hat vorgeführt, welche Alternativen es zu seiner gemäßigten, toleranten und um Reformen bemühten Regierung in Indonesien geben könnte. Weder der IMF noch der Pariser Club können an einem extremistischen Indonesien interessiert sein. Die Rückzahlung der über 60 Milliarden Dollar Auslandsschulden würde dadurch gewiß nicht gefördert. Denn was Indonesien zu seiner wirtschaftlichen Erholung vor allem braucht, sind Vertrauen in seine politische Stabilität und berechenbare Investitionsbedingungen. Ohne sie wird es die dringend benötigten ausländischen Direktinvestitionen nicht anziehen können. Und ohne diese wird es seine Schulden nicht zurückzahlen können.

Mit großer Mühe hat Indonesien inzwischen einige vom IMF gesetzte Fristen verspätet erfüllen können. Kritiker hatten geäußert, Indonesien habe überhaupt nicht die Absicht gehabt, die zugesicherten Vereinbarungen auch einzuhalten. Derartige Einschätzungen sind für das internationale Ansehen des Landes und das Vertrauen der Investoren natürlich vernichtend.

Stanley Fischer ist inzwischen mit Experten in Jakarta eingetroffen, um zu prüfen, ob Ende Mai etwa 400 Millionen Dollar als Darlehen an Indonesien ausgezahlt werden können. Insgesamt benötigt Indonesien allein in diesem Jahr etwa 2 Milliarden Dollar vom IMF.

Eine gute Nachricht für Präsident "Gus Dur" ist es auch gewesen, daß der Pariser Club von 19 Gläubigerstaaten zugestimmt hat, die Rückzahlung indonesischer Schulden im Wert von 5,8 Milliarden Dollar, die zwischen April 2000 und März 2002 fällig geworden wären, auf 20 Jahre zu strecken. Trotzdem wurde Indonesiens Kreditwürdigkeit von Standards and Poor heruntergestuft, die Rupiah fiel, vorübergehend stand sie wieder bei 8000 pro Dollar.

Hier dürfte denn auch das wirkliche Bewährungsfeld für den Präsidenten "Gus Dur" liegen. Ohne baldige und nachhaltige Besserung der wirtschaftlichen Lage dürfte es ihm auch bei allem taktischen Geschick immer schwerer werden, sich an der Macht zu halten. Dies versucht er aber entschlossen. Ende April entließ er zwei Minister seines Wirtschaftsteams, den Minister für Industrie, Yusuf Kalla, und den Minister für Investitionen und Entwicklung von Staatsunternehmen, Laksamana Sukardi.

Das Wirtschaftsteam war in letzter Zeit häufig kritisiert worden, auch vom Präsidenten selbst. Ob es durch die Umbesetzungen aber verstärkt wurde, bleibt fraglich. Die neuen Minister, Generalleutnant Luhut Panjaitan und Rozy Munir, werden von ersten Kommentaren nämlich eher mit Skepsis betrachtet. Ja, man wundert sich geradezu über deren Ernennung. Für den General spreche, daß seine Schwester mit einem bekannten Ökonomen verheiratet sei, bemerkte ein Journalist ironisch.

Wenn die Auguren recht behalten, waren dies nicht die letzten Umbesetzungen im Kabinett sonders erst der Anfang. Das Kabinett war ja allseits als ein dem Koalitionsproporz und dem inneren Frieden dienender Kompromiß eingestuft worden, der "Gus Dur" mehr oder weniger aufgezwungen worden war. Zur Festigung seiner Machtposition scheint er sich davon allmählich befreien zu wollen.

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