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Die Urteilsverkündung am Montag (28. Juni) dauerte sieben Stunden. Ausführlich begründete die Vorsitzende Richterin María Zavala Valladares, warum Montesinos eine härtere Strafe verdient habe als die für Bestechungsdelikte nach dem Gesetz vorgesehenen acht Jahre Gefängnis. In allen Einzelheiten ließ sie vor den Prozeßteilnehmern in der zum ständigen Gerichtssaal umfunktionierten Marinebasis von Callao, dem Hafen von Lima, noch einmal Revue passieren, was sich zwischen Oktober 1998 und Juli 2000 im Chefbüro des früheren peruanischen Geheimdienstes SIN zugetragen hatte.
Viele Neuigkeiten konnte das Verfahren nicht zutage fördern. Das war für die Verurteilung auch gar nicht nötig. Die meisten Beweise hatte Montesinos, der als Rasputin des Regimes zwar schalten und walten konnte, wie er wollte, offiziell aber nie ein öffentliches Amt bekleidete, im Vorfeld unfreiwillig selbst geliefert. Akribisch ließ der (de facto) oberste Agent und engste Berater von Ex-Präsident Alberto Fujimori mit verdeckter Kamera aufzeichnen, wer in der gemütlichen Sitzecke seines Arbeitszimmers Platz nahm und nach einem gemeinsamen Kaffee die Dollars kassierte. Waren die Brusttaschen für die Geldbündel zu klein, spendierte der „Doc“ für den Abtransport auch mal eine Plastiktüte oder eine unauffällige Sporttasche.
Was als eine Art Rückversicherung gedacht war für den Fall, daß sich die Bestochenen „undankbar“ erweisen sollten, bringt den 58jährigen nun für lange Zeit hinter Gitter. In der Summe ließe sich mit den brisanten Aufnahmen eine kleine Videothek bestücken. In den Tresorräumen der Behörden stapeln sich nach Schätzungen bis jetzt über 2000 Bänder. Die Anklage wertete mehrere hundert Stunden Bild- und Tonmaterial aus.
Wie das erste „Vladivideo“ im September 2000 in Umlauf kam, ist noch immer nicht genau geklärt. Für die peruanische Öffentlichkeit war die Ausstrahlung im Programm des Kabelsenders Canal N ein Schock. Mit Scheinen im Wert von 15.000 Dollar überzeugte der Ex-Geheimdienstchef den Oppositions-Abgeordneten Alberto Kouri, ins Fujimori-Lager zu wechseln. Die Bilder von der Geldübergabe setzten eine Lawine in Gang, die zunächst Montesinos und wenig später Fujimori selbst überrollte.
In der Nacht zum 24. September flüchtete der mafiose Präsidentenberater zunächst nach Panama. Sein Mentor und Arbeitgeber setzte sich im November 2000 nach Tokio ab. Mit seinem japanischen Paß kann sich Fujimori dort noch immer recht sicher fühlen; die Regierung des Inselstaates lehnt eine Auslieferung ab. Montesinos hingegen wurde im Juni 2001 in Venezuela verhaftet und in Handschellen nach Peru gebracht. Seitdem sitzt der für kurze Zeit meistgesuchte Mann der Erde in einer der acht Zellen des Hochsicherheitstraktes der Marinebasis. Und nicht einmal zur Prozeßteilnahme mußte er das Gebäude verlassen.
Pikanter weise teilt sich Montesinos die beengten Räumlichkeiten mit einem Gefangenen, dessen Verhaftung 1992 zu den größten Erfolgen der Regierung Fujimori zählte und an der auch er maßgeblich mitgewirkt hatte: Abimael Guzman, früherer Anführer des terroristischen „Leuchtenden Pfades“.
Die dramatischen Fernsehberichte brachten acht Jahre später aber nicht nur Montesinos und die Regierung Fujimori zu Fall. Über die „Vladivideos“ stolperten die TV-Sender am Ende selbst. Denn vor laufender Kamera ließen sich im Chefbüro des SIN nicht nur Politiker bestechen. Für Hofberichterstattung und Propaganda gegen die Opposition entlohnte Montesinos auch einige einflußreiche Medienchefs.
Francisco und Enrique Crousillat von América Television steckten sich umgerechnet gut 20 Millionen Euro in die Tasche, die Brüder Mendel und Samuel Winter von Frecuencia Latina bekamen insgesamt fast vier Millionen, Ernesto Schütz von Panamericana TV hielt für gut acht Millionen die Hand auf und Julio Vera Abad von ATV war zu sehen, wie er 50.000 Dollar in Empfang nahm.
Die beiden Crousillats entzogen sich ihrer Verhaftung durch Flucht ins Ausland. Sie halten sich nach jüngsten Meldungen in Argentinien auf. Auch Ernesto Schütz konnte sich an den Rio de la Plata absetzen. Dort war er verhaftet, mangels Flucht- und Verdunklungsgefahr dann aber wieder frei gelassen worden. Die argentinischen Behörden prüfen derzeit die Auslieferung. Julio Vera Abad wurde nach unbestätigten Angaben in Miami gesichtet. Nur die Winter-Brüder gingen den peruanischen Behörden ins Netz. Nach zweijähriger Haft wurden sie wegen guter Führung vor einigen Wochen unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt.
Der als „Kameramann“ für die verdeckten Videoaufnahmen zuständige Ex-Oberst Roberto Huamán Ascurra wurde im jetzt abgeschlossenen Prozeß zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt. Richterin Valladares kündigte an, die Verfahren gegen den flüchtigen Vera Abad und die beiden Crousillats erst nach deren Festnahme eröffnen zu wollen.
Für Montesinos bedeutet der Gerichtsbeschluß vom Montag die siebte Verurteilung. Seit Anfang 2002 mußte er sich bereits mehrfach wegen Bestechung und Amtsanmaßung verantworten. Wegen Menschenrechtsverletzungen, Geldwäsche, Drogenhandel und Waffenschmuggel drohen ihm weitere 60 Verfahren.