Country reports
Strategie der Sandinisten für die nächsten Wahlgänge
18 Monate vor den Kommunalwahlen (November 2004) und mehr als drei Jahre vor den nächsten nationalen Wahlen (November 2006) beginnt sich die Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSNL) strategisch vorzubereiten. In der Wählergunst bei 30% liegend, befinden sich die Sandinisten in einem politischen Hoch, begünstigt durch die Spaltung im Liberalismus und die zunehmende Dominanz im Justizsystems (demnächst werden die Berufungsgerichte besetzt). Glaubt man Tomás Borge, dem stv. Generalssekretär der Sandinisten und grauen Eminenz hinter Daniel Ortega, so stellt die Kontrolle des Wahlgerichtshofes einen entscheidenden Meilenstein auf dem Weg zum Wahlsieg dar.
Es sind vor allem drei strategische Achsen, die in Verbindung mit einer intensiven Arbeit der politischen Kommunikation im Mittelpunkt der Bemühungen der Sandinisten stehen: das Zurückdrängen der Ängste in der Katholischen Kirche, im Privatsektor sowie in den USA vor einer Regierung der Sandinisten. Dies vor dem Hintergrund, dass in den letzten Umfragen der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der Sandinisten für 2006, Daniel Ortega, nach Ex-Präsident Alemán mit 45 % die höchste Ablehnungsrate bei den Befragten aufwies. Die noch in den letzten Wahlen als wichtig erachtete Allianz Convergencia mit anderen politischen Gruppierungen (darunter die Christdemokraten) hat damit für die Sandinisten an strategischer Bedeutung verloren.
Nachdem sich die FSLN der Bedeutung der Konfrontation mit der Katholischen Kirche in den letzten drei aufeinanderfolgenden Wahlgängen bewusst geworden ist, bat der Generalsekretär Daniel Ortega während der Feierlichkeiten zum 24. Jahrestag der Sandinistischen Revolution am 19. Juli die Kirche öffentlich um Entschuldigung für die unter seiner Präsidentschaft erlittenen Demütigungen. Die Versöhnung mit der Kirche wurde sichtbar für alle durch den Auftritt von Monseñor Edy Montenegro, dem Vertrauten von Kardinal Obando y Bravo bei den Feierlichkeiten, und seine öffentliche Umarmung durch Tomás Borge, Innenminister in der Regierung der Sandinisten und Protagonist der Aktionen gegen die Kirche.
Was bewegt die Katholische Kirche, nach ihrer bisherigen strikten Ablehnung der Sandinisten, nun eine Kehrtwendung zu machen ? Die unter der Regierung Alemán der Katholischen Kirche eingeräumten Privilegien sowie politischer Einfluss (Vorstandsposten in öffentlichen Einrichtungen, steuerfreie Importe, eigene Radio- und Fernsehfrequenzen etc.) wurden unter der Regierung Bolaños drastisch eingeschränkt und die Beziehungen wurden merklich kühler. Dies obwohl die Katholische Kirche ein natürlicher Verbündeter von Bolaños wäre. Allein die Dominanz der Sandinisten im Justizsystem bewahrten die Kirche vor weiterem Macht- und Prestigeverlust im Zuge der Anti-Korruption-Kampagne der Regierung. Speziell der Präsident des Wahlgerichtshofes (und familiär mit Kardinal Obando y Bravo verbunden), Roberto Rivas, wurde durch eine Verständigung zwischen Kirche und Sandinisten vor einem Prozess gerettet. Die Sandinisten bekamen dadurch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss im Wahlgerichtshof.
Mit der Aufstellung des Medien-Unternehmers Dionisio Marenco als Kandidat für das Bürgermeisteramt von Managua haben die Sandinisten einen ersten Schritt in Richtung der Versöhnung mit dem Privatsektor getan. Der nächste Schritt ist die Aufstellung eines anerkannten Unternehmers für die Vize-Präsidentschaft auf dem Präsidentschafts-Ticket zusammen mit Daniel Ortega. Ein weiterer Meilenstein soll die Erarbeitung eines konsensfähigen Wirtschaftsprogramm sein.
Auch bezüglich der Beziehungen zu den USA konnten die Sandinisten einen ersten Erfolg verbuchen: der kubanisch-amerikanische Unternehmer Jorge Más Canosa mit seiner einflussreichen Stiftung nahm nicht nur an den RevolutionsFeierlichkeiten teil, er sprach sich auch für eine Kandidatur von Daniel Ortega und ihre Unterstützung aus. Die Motive sind offensichtlich: Más Canosa plant Investitionen in den nächsten Jahren in eine neue Fluggesellschaft sowie im Telefonsektor des Landes. Allerdings dürfte es nicht einfach sein, die USA einer sandinistischen Regierung gegenüber positiv zu stimmen, wenn man die jüngsten Äußerungen des Fundamental-Sandinisten Tomás Borge hört. Er macht unmissverständlich klar, dass eine Regierung der Sandinisten den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez unterstützen würde.
Ex-Präsident Alemán im Gefängnis: Ein weiterer Schritt zur politischen Konsolidie-rung der Regierung von Enrique Bolanos ?
Mit dem Rücken gegen die Wand gelang Präsident Bolaños nach der Aufhebung der Immunität von Ex-Präsident Alemán am 13. Dezember 2002 nun ein weiterer – unerwarteter - Coup: im August 2003 wurde der unter Hausarrest in seiner Finca stehende Alemán in ein Gefängnis eingeliefert. Neben seinen Parteigängern der PLC sprach sich lediglich die Katholische Kirche über den Präsidenten der Menschenrechtsorganisation ANPDH, Bischof Abelardo Mata für eine Aufhebung der Maßnahme aus, weil Arnoldo Alemán in seinen Menschen- und Verfassungsrechten durch die Regierung Bolaños verletzt wurde. Auch Kardinal Obando y Bravo setzt sich nach einem Besuch Alemáns in dessen Zelle dafür ein, dass der Ex-Präsident wieder unter Hausarrest in seiner Finca gestellt wird.
Die von der PLC-Alemán ernannten Richter am Obersten Gerichtshof versuchen, auf der Grundlage einer Eingabe des Rechtsvertreters von Ex-Präsident Alemán und des Drucks der Katholischen Kirche durch Verhandlungen mit ihren sandinistischen Kollegen zu erreichen, dass Alemán aus gesundheitlichen Gründen wieder unter Hausarrest gestellt wird, zumindest aber entweder in das moderne Gefängnis Tipitapa oder aber in das Militär-Krankenhaus verlegt wird. Von dort aus könnte er wieder die politischen Fäden der PLC (Partido Liberal Constitucionalista) in die Hand nehmen.
Nach einem Jahr der Aufdeckung der Korruptionsskandale der Regierung Alemán wurde vor allem eins erreicht: die politische Kaltstellung von Arnoldo Alemán. Die juristische Behandlung des speziellen Falles Alemán durch die sandinistische Richterin Juana Méndez und den von den Sandinisten beherrschten Obersten Gerichtshof war gezeichnet durch tendenziöse Entscheidungen, wie Hausarrest (wo Gefängnis angesagt war) und Herauszögerung des Urteilsspruchs, der bis heute noch nicht gefällt wurde. Einen schalen Geschmack hinterlässt ebenfalls der innige Kuss, den die Richterin dem Generalsekretär der Sandinisten, Daniel Ortega, auf den Feierlichkeiten zum Jahrestag der Sandinistischen Revolution am 19. Juli in aller Öffentlichkeit gab.
Damit wurde der Mehrheitsfraktion der Liberalen Partei (PLC-Alemán) deutlich gemacht, dass sie nicht weiter damit rechnen kann, dass er in die politische Arena zurückkehren wird und politische Kompromisse mit der Bolaños-Fraktion unausweichlich sind. Ein weiteres wird dabei die Zurückweisung der Immunität Alemáns im Rahmen des Zentralamerikanischen Parlaments durch den Zentralamerikanischen Gerichtshof sowie ein beginnender Prozess in den USA, verbunden mit der Konfiszierung von Wertpapieren in Höhe von rd. 10 Millionen US-Dollar, beitragen. Eine Auslieferung Alemáns an die USA ist allerdings aufgrund der bestehenden Rechtslage ausgeschlossen.
Bislang hatte sich die Führung der PLC-Alemán geweigert, einen Dialog mit der von Bolaños Mitte Juli gegründeten liberalen Einigungsbewegung MUL (Movimiento de Unidad Liberal) aus sieben Parteien des liberalen Lagers zu führen, während sich Alemán noch unter Arrest befindet. Doch die neue Situation mit einem Arnoldo Alemán im Gefängnis und ohne Aussichten auf eine Änderung seiner Situation wird auch in der von Alemán bislang kontrollierten Parteistruktur der PLC eine Absetzbewegung in Richtung der MUL bewirken.
Eine Delegation amerikanischer Kongressabgeordneter Mitte August zeigte sich – wie auch die Botschafter der internationalen Gebergemeinschaft - bestürzt darüber, dass angesichts der Teilung im liberalen Lager ein Sieg der Sandinisten bei den nächsten Wahlen im Bereich des mögliche liegt, machte aber gleichzeitig den führenden Vertretern der PLC-Alemán unmissverständlich klar, dass eine Partei unter Führung eines korrupten Parteiführers nicht damit rechnen kann, in den USA Unterstützung zu finden.
Aktuellen Umfragen zufolge liegt die PLC – ebenso wie die Sandinisten - bei einer Wählersympathie von rd. 30%. Etwa 30% der Befragten zeigten keinerlei Parteipräferenz. Innerhalb der Partei sind rd. 30% der Parteigänger bereit, die neue Partei MUL zu unterstützen. Dieser Anteil hat sich zweifellos durch die letzten Ereignisse um die Einlieferung von Arnoldo Alemán in das Gefängnis erhöht. Die Führung der MUL rechnet damit, dass sie bis zum Jahresende 50 % der Mitglieder der PLC-Alemán hinter sich vereinigen kann und es in der ers-ten Jahreshälfte 2004 zu konkreten Vereinigungsverhandlungen zwischen den beiden liberalen Lagern kommen wird.
Dafür spricht, dass aller Wahrscheinlichkeit nach bald innerhalb der PLC-Alemán der Kampf um die Führungsnachfolge ausbrechen wird (der bisherige Parteivorsitzende Jorge Castillo wurde bereits durch ein Dreier-Gremium „entlastet“). Der stellv. Parteivorsitzende und ge-genwärtig überaus populäre Wirtschaftsminister Eduardo Montealegre kann sich gute Chancen ausrechnen, zukünftig eine dominierende Rolle in der PLC-Alemán auszuüben. Er gilt als mögliche Konsensfigur zwischen den Anhängern von Bolaños und Alemán. Gleichzeitig versucht der ebenfalls populäre Transportminister Pedro Solórzano seinen Führungsanspruch in der Konservativen Partei (PC) durchzusetzen. Auch er könnte als Kandidat der PC für das Bürgermeisteramt von Managua an der Spitze der Konservativen Partei - die in aktuellen Umfragen bei rd. 10% Wähleranteil liegt - eine wichtige Rolle in der Bildung einer politischen Plattform für Bolaños bei den anstehenden Gemeindewahlen im November 2004 spielen.
Parallel zur Einlieferung Alemáns in das Gefängnis präsentierte Präsident Bolaños in Gegenwart von Ex-Präsident und Nobelpreisträger Oscar Arias (Costa Rica) auf einem medienwirksamen Forum der UNDP seine Vorschläge zu institutionellen Reformen des Landes, die sich auf die Modernisierung des Obersten Gerichtshofes einschließlich des Justizsystems (Wahl der Magistrate, Berufslaufbahn der Richter) sowie des Obersten Wahlrates (parteipo-litische Unabhängigkeit, moderne politische Parteien, Unabhängigkeit des Wahlprozesses) konzentrieren.
Doch ist nicht zu übersehen, dass zunächst die FSLN durch die aktuellen politischen Entwicklungen gestärkt wird. Zu blass ist die Wahrnehmung der vor allem im Beschäftigungs- und Sozialbereich verfolgten politischen Konzepte der Regierung in der Bevölkerung. Die Führungsfigur der Sandinisten, Daniel Ortega, lässt nichts unversucht, um sich als Staatsmann und Sachverwalter der Interessen der breiten Bevölkerung zu profilieren. In diesem Sinne führt er regelmäßige medienwirksame Konsultationsgespräche mit Präsident Bolaños, internationalen Delegationen, Kardinal Obando y Bravo und der Führung der PLC-Alemán.
Kurz- und mittelfristige Herausforderungen für die Wirtschaft des Landes
Nach Auffassung des Präsidenten des nationalen Unternehmerrates COSEP, Anastasio Somarriba, sind vor allem folgende Maßnahmen zu ergreifen:
- vollständige Beseitigung der bestehenden Steuerbefreiungen gemäß der geltenden Steuergesetzgebung
- Abbau der volkswirtschaftlichen Steuerquote um die Hälfte von den bislang zu verzeichnenden 25% auf die in der Region übliche Marke von 12,5%
- Abbau des Haushaltsdefizits um die Hälfte auf die in der Region üblichen 3,1%
- Reduktion der öffentlichen internen und externen Schuldenlast von rd. 380% auf rd. 47% des BIP
- Abbau des Anteils des Schuldendienstes von 28% auf 10% des BIP.
Trotz der Abfuhr durch die Sandinisten, den in frühren Zeiten populären christdemokratischen Ex-Präsidenten des Rechnungshofes und gegenwärtig Abgeordneter der Sandinisten, Agustín Jarquín als Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters von Managua für die Kommunalwahlen 2004 aufzustellen, verbleiben UDC und USC in der Allianz mit den Sandinisten. Beide Gruppierungen vertrauen darauf, dass ihnen aussichtsreiche Bürgermeisterposten in 28 Gemeinden angeboten werden. Dies, obwohl die Sandinisten bereits erklärt haben, dass lediglich Posten in solchen Gemeinden zur Debatte stehen, in denen sie Probleme haben, die Mehrheit zu erzielen.
Darüber hinaus kritisierte die UDC in einer Erklärung am Vorabend der Revolutionsfeierlichkeiten der Sandinisten vom 19. Juli, dass die Regierung Bolaños in den wichtigsten Problemen des Landes nicht präsent ist und keinerlei Maßnahmen zur Stärkung der demokratischen Institutionalität ergreift.