Country reports
Die kenianischen Wähler entscheiden über den künftigen Präsidenten, die Besetzung des neuen Parlaments, und die lokalen Gemeinderäte. Es haben sich ca. 10,4 Mio Wahlberechtigte registrieren lassen. Die Legislaturperiode geht über 5 Jahre.
Die Wahl entscheidet sich zwischen der KANU (Kenya African National Union) mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Uhuru Kenyatta und der NARC (National Rainbow Coalition), einem Bündnis von ursprünglich 13 Parteien mit Mwai Kibaki als Spitzenkandidat. Zwei weitere Präsidentschaftskandidaten spielen nur eine Außenseiterrolle: Simon Nyachae (70) mit seiner FORD-People Partei, und James Orengo (51) mit Teilen der SDP (Social Democratic Party). Deren Hoffnung ist es, durch einen möglichst großen Block von Abgeordneten im späteren Machtpoker dabeizusein.
Die Situation der beiden „Lager“
Die KANU wird weiterhin allein gesteuert von ihrem Vorsitzenden: Präsident Moi (78). Sie bringt außer Routine und gekauften Dienstleistungen nichts neues. Einen Monat vor den Wahlen macht sie einen eher müden Eindruck. Es ist mehr Geld als früher nötig, um Massenkundgebungen aufzufüllen.
Dabei schienen sich noch im März 2002 die Pläne Mois zu verwirklichen: mit der Aufnahme von Raila Odingas National Development Party in die KANU war diese sich der Stimmen des zahlenmäßig starken Luo-Volkes sicher. Nun sollte noch ein Vertreter des größten Volkes, der Kikuyu, an herausragender Stelle den Kenianern präsentiert werden, und zwar als zukünftiger Präsident.
Moi hatte hierfür Uhuru Kenyatta (39) vorgesehen und seit 2001 planmäßig aufgebaut. Er brachte den großen Namen seines Vaters und ersten Präsidenten Kenyas, Jomo Kenyatta, ein. Als Kikuyu sollte er die Hochburgen der Opposition in der Central Province für die KANU zurückgewinnen. Er sei auch lenkbar, sagte Moi öffentlich, was die Vorstellung in der Bevölkerung erhärtete, Moi würde als Parteivorsitzender der Regierungspartei der Schattenpräsident werden wollen. Uhuru – so mag Moi auch denken – würde sich ihm später dankbar erweisen und ihm als politischem Pensionär eine Rechenschaftspflicht oder gar ein Gerichtsverfahren ersparen. Hatte nicht Moi seinerseits das Kenyatta-Wirtschaftsimperium unter der Witwe Mama Ngina stets so geschützt, dass es sich erheblich weiterentfalten konnte?
Große Teile des KANU-Establishments ließen sich Uhuru Kenyatta aber nicht „den Schlund hinunterpressen“, wie es die Kommentatoren nannten. Nach ihrem anhaltenden Widerspruch enthob Moi sie ihres Amtes, so den Vizepräsidenten George Saitoti (58) und den langjährigen KANU-Generalsekretär und Minister in verschiedenen Ressorts Joseph Kamotho (60), einige Vize-Minister und andere KANU-Politiker. Im September kamen weitere wichtige Funktionsträger ihrer Entlassung zuvor: am wichtigsten Raila Odinga (56), KANU-Generalsekretär und Energie-Minister. Er nahm auch seine gesamten ehemaligen NDP-Abgeordneten wieder mit. Raila wurde zum Kraftzentrum der KANU-Dissidenten, indem er diese seiner neuen Liberal Democratic Party zuführte und mit den Oppositionskräften Verhandlungen über eine Allianz führte.
Seitdem haben zahlreiche weitere Politiker und hohe Amtsträger die KANU verlassen und sind sogleich ins Oppositionslager gewechselt. Die KANU-Spitze und ihr Präsident betonten zwar stets, dass diese Elemente ohnehin nichts mehr taugten und keinen Verlust für die Partei bedeuteten; überzeugend war dies nicht.
Kandidat Uhuru Kenyatta stand anfangs ganz unter der Fuchtel des Präsidenten, der keine Gelegenheit ausließ, darzustellen, dass das „Projekt Uhuru“ seine Idee war, der das Volk nun zu folgen habe. Inzwischen hat er das Image des jungen Unpolitischen, der gar kein Präsident werden wollte, wenn nicht seine Mutter ihn antreiben würde, abgelegt. Er hat Moi bei seinen Wahlkampftouren abgeschüttelt, der mehr eine Belastung war. Seine Werbeagentur weiß ihn gut darzustellen, und seine Nähe zu Alkohol und Drogen wird im Wahlkampf von niemandem thematisiert. Er scheut sich nicht, den Menschen den Wandel zu versprechen und die Schwachstellen aufzuzeigen, obwohl sie doch das Ergebnis ununterbrochener KANU-Regierung sind.
Die National Rainbow Coalition (NARC) entstand aus der Kernmannschaft um den Parteichef der Democratic Party of Kenya, Mwai Kibaki (71), den Vorsitzenden von FORD-Kenya, Kijana Wamalwa (58) und die Vorsitzende der National Party of Kenya, Charity Ngilu (50). Diese bildeten die National Alliance Party of Kenya (NAK). Sie sammelte schließlich 12 Parteien unter ihrem Namen. Damit wurde die Hoffnung auf eine Einheit der Opposition erheblich genährt. Trotz aller Unkenrufe gelang den Parteiführern die Einigung hinsichtlich der höchsten Ämter, was 1992 und 1997 gescheitert war. Kibaki war als Präsidentschaftskandidat bereits in dieser Phase unumstritten.
Den besonderen Schub bekam NAK aber durch den Eintritt von Raila Odingas Liberal Democratic Party. Er brachte nicht nur seine eingeschworene Luo-Anhängerschaft aus der Provinz Nyanza ein, sondern auch zahlreiche Sympathisanten aus den anderen Provinzen. Mit einem Schlag war die neue NARC zum überall präsenten Herausforderer geworden.
Die besondere Leistung Raila Odingas besteht aber darin, dass er die Präsidentschaftskandidatur Kibakis ausdrücklich unterstützte. Zwar wurde ihm in der Allianz der Posten des Premierministers zugesagt, aber dazu muss erst der neue Verfassungsentwurf der Ghai-Kommission beschlossen und umgesetzt werden. In Kenia spielt die ethnische Zugehörigkeit immer noch eine entscheidende Rolle für die Stimmabgabe. Die NARC hat ihre Spitzenleute in den Regionen so platziert, dass KANU kaum mithalten kann:
Bei den Kikuyu wird eindeutig Kibaki der Vorzug vor Uhuru Kenyatta gegeben. Bei den Luo ist Raila Odinga der Heros. Die Luhya werden von Wamalwa und Awori angesprochen. Um die Maasai bemühen sich der ehemalige Minister Ntimama und Saitoti, an der Küste ist Najib Balala als neuer Hoffnungsträger aufgestiegen, die Kamba-Bevölkerung wird durch Charity Ngilu und dem KANU-Dissidenten Kalonzo Musyoka vertreten.
Das veränderte Umfeld
KANU steht vor der größten Herausforderung seit ihrem Bestehen. War es ihr bei den Wahlen 1992 und 1997 gelungen, die Opposition zu stören und zu zerstören (am meisten hat sich die Opposition allerdings mit ihren damaligen Präsidentschafts-Egomanen selbst geschadet), so ist die Opposition dieses Mal in vorher unerwartetem Maße geeint. Die Stimmung in der Bevölkerung schlägt zunehmend in Richtung „Wandel“ aus. Dies geht so weit, dass die Menschen Kandidaten beschimpfen, die die Einheit der Opposition untergraben könnten (Nyachae, Orengo). Die Menschen scheuen sich nicht mehr, offen das Erkennungszeichen der NARC zu zeigen. Sie kommen in Mengen zu den Veranstaltungen.
Diese Bereitschaft, Flagge zu zeigen, hat staatliche Interventionen zugunsten der Regierungspartei bisher mehr gezügelt als früher. Sicherheitskräfte, Provinzadministration und andere staatliche Organisationen verhalten sich neutraler.
Es ist bisher nicht zu den gefürchteten von außen inszenierten Gewaltausbrüchen gekommen, die als „ethnic clashes“ 1991/92 und 1997 großes Unheil angerichtet haben. Gerade noch rechtzeitig vor der Wahl musste die Regierung – per Gerichtsbeschluss gezwungen - den Akiwumi-Report freigeben. Er untersucht diese Gewaltphasen, und obwohl er schon stark verwässert ist, enthält er immer noch zahlreiche Anschuldigungen gegen Mitglieder der Regierung und öffentlichen Verwaltung. Die Genannten müssten eigentlich vor Gericht gestellt werden.
Die kenianische Wahlkommission agiert selbständiger als früher. Sie hat eine Reihe von Maßnahmen verfügt, die eine Wahlfälschung erschweren, z.B. das Auszählen der Stimmzettel gleich im Wahllokal. Beachtenswert in ihrer Offenheit ist auch die Anzeigen- und Fernsehspot-Serie gegen die von außen induzierte Gewalt.
Gegenstrategien der KANU?
Hält die KANU noch Trümpfe versteckt? Man ist von Moi gewöhnt, dass er immer wieder für Überraschungen sorgt. Welche Tricks vor, während und nach der Wahl kommen noch? Es gibt aber auch Beobachter, die KANU für zu erstarrt halten, als dass sie aus der Defensive noch kreativ agieren könnten. Und Moi selbst könnte dieselben Wahrnehmungsmängel haben, die bei alternden Autokraten häufig auftreten (Mugabe, Mobutu).
Die Strategie „Aufsplittern der Opposition“ hat bisher nicht verfangen. Die Oppositionsparteien haben sich bisher nicht selbst kannibalisiert wie früher. Sie warnen zur Zeit zwar vor einer „Infiltration“ durch KANU-Elemente. Dies dürfte aber keinen nachhaltigen Effekt mehr haben.
Die Strategie „Ethnische Karte“ ist ausgereizt. Der Fall des jetzigen Vizepräsidenten Mudavadi zeigt, dass die Wähler kurzfristigen und daher durchschaubaren Personalverschiebungen nicht trauen. Mudavadi war ebenfalls absprungbereit, konnte aber durch massive wirtschaftliche Erpressung (hochverschuldet) im KANU-Lager gehalten werden. Nun soll er die Western Province (Luhya) zurückgewinnen. Er stößt aber in seiner Region eher auf Ablehnung.
Die verfassungsmäßigen Rechte des Präsidenten sind von ihm entsprechend eingesetzt worden. Der bis zuletzt von ihm geheim gehaltene Zeitpunkt der Auflösung des Parlaments hat die Opposition nicht verwirrt oder unter Druck gesetzt. Die übliche Terminierung des Wahltags auf den 27. Dezember wird das Wahlergebnis nicht grundlegend verändern. (Die Kenianer in den Städten reisen über die Weihnachtstage als Familienmenschen aufs Land zu ihren Angehörigen. Sie sind dort aber nicht registriert und können daher nicht wählen. Dies schwächt die Oppositionsparteien).
Was der KANU bleibt, ist der uneingeschränkte Einsatz des Staatsapparates. Kenya Broadcasting Corporation z.B. agiert als Regierungssender in Wahlzeiten noch ungehemmter. Er ist der einzige landesweit operierende Radiosender; 80% der Bevölkerung können nur ihn hören. Was ebenfalls bleibt, ist der massive Geldeinsatz. Es wird erwartet, dass so viel Geld eingesetzt wird wie nie zuvor, wobei dieses Mal auch die gesamte Finanzkraft des Kenyatta-Imperiums eingesetzt werden dürfte. Warnungen vor Stimmenkauf ergehen laufend, sei es durch Bestechung der Wähler, Kauf von Wahlberechtigungsscheinen, Identitätskarten usw.
Bleibt schließlich noch die Drohung, falls Versprechungen nicht ankommen: Entzug des Wohlwollens der Regierung bei ungewünschtem Wahlergebnis, im Klartext: 5 Jahre keine Investitionen der öffentlichen Hand.
Ausblick
Der Wahlkampf wird noch heißer werden. Dabei sind weder Kibaki noch Kenyatta willens und fähig, die Wähler populistisch aufzupeitschen. Kibaki führt einen Gentleman-Wahlkampf, Kenyatta bemüht sich, argumentativ zu sein und sich damit von der KANU-Bürde abzuheben.
Die größte Konfrontation wird von den Abgeordneten her kommen. Das Abgeordneten-Gehalt ist so unverhältnismäßig hoch und lukrativ für kenianische Verhältnisse, dass es eine Konkurrenz mit Hauen und Stechen gibt. Dies fängt bereits mit der Nominierung innerhalb der Parteien an. Während KANU nach alter Tradition einen Kandidaten bestimmt oder hinmanipuliert, tut sich die NARC schwer mit dem Ansturm von Aspiranten auf den Abgeordnetensitz. Es gibt keine innerparteilichen demokratischen Verfahren, die schon erprobt wurden. Wenn am 26. November die Nominierung abgeschlossen ist, werden viele Blessuren und Reibungsverluste abzuarbeiten sein.
Die Furcht vor dem Präsidenten erodiert. Deutliches Zeichen: Erstmals hat Generalstaatsanwalt Wako sich erlaubt, eine andere Meinung als Moi zu haben. Wenn NARC gewinnen sollte, fängt die Arbeit erst an. Wahrscheinlich weiß niemand so genau, wie schlecht es wirklich um Kenia bestellt ist. NARC muss dann, ohne Zeit zu verlieren, anpacken; Kibaki seinem Ruf als Wirtschaftsfachmann gerecht werden. Ungewiss ist das Verhalten der ehemaligen KANU-Mitglieder in der NARC. Wenn sie sich mit einem Abgeordnetenmandat und einem ehrenvollen Abgang zufrieden gäben, blieben der NARC kritische innere Kämpfe erspart, zumal diese Neuzugänge auch Altlasten mitschleppen. Sie auch noch mit einem hohen Amt zu betrauen, wird sicher nicht widerspruchslos hingenommen werden.
Es wird auf jeden Fall auf Raila Odinga als aufkommende zentrale politische Figur zu achten sein: er kann nicht nur die Massen auf sich konzentrieren. Er ist auch ein harter Arbeiter und kann vorausplanen. Und er hat sich Moi gegenüber erfolgreich behauptet.
Der Verlierer läuft Gefahr, auseinanderzufallen. Dies ist nunmehr auch bei KANU denkbar. Sollte KANU gewinnen, bleibt für die meisten Analytiker unklar, wo neue Akzente zu erwarten sind. In vertraulichen Gesprächen wird zur Zeit ein KANU-Sieg aber eher ausgeschlossen. Diese Prognose sollte die Opposition aber nicht zu falscher Siegeszuversicht verleiten. Auch in Kenia gilt: Wer am 4. Januar 2003 das State House übernehmen will, muss bis zum Abend des 27. Dezember kämpfen.