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Country reports

Bericht aus Kroatien

by Dr. Stefan Gehrold
Kroatien reagiert mit Zurückhaltung auf die Absetzung des HDZ-Vorsitzenden Jelavic Diskussion um Budišas Vorschlag zur Kantonisierung Bosnien-Herzegowinas

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Am 07. 03. 2001 enthob der hohe Repräsentant Wolfgang Petric in Bosnien-Herzegowina den dortigen HDZ-Vorsitzenden Ante Jelavic sowie dessen Parteifreunde Ivo Andric Lužanski, Zdravko Batinic und Marko Tokic aller Ämter: Vorsitz und Mitgliedschaft in der kroatischen Selbstverwaltung in Mostar, Mitgliedschaft im Rat der bosnisch-kroatischen Föderation und des Parteivorsitzes sowie aller Parteifunktionen innerhalb der HDZ in Bosnien-Herzegowina.

Als Grund gab Petric an, die Gruppe um Jelavic und Jelavic selbst wollten das System der bosnisch-kroatischen Föderation untergraben. Diese agierten seit langem gegen die Bestimmung des Dayton-Abkommens und wollten eine eigene Regierung schaffen. Jelavic vertrete die Interessen einiger krimineller Elemente in der HDZ und sei nicht der Vertreter des kroatischen Volkes in der Föderation. Dies sei keine Entscheidung gegen das kroatische Volk und es werde auch keine anderen Aktionen - auch nicht wirtschaftlicher Natur - gegen das kroatische Volk geben.

Die amerikanische Regierung unterstützt in einer ersten Stellungnahme die Absetzung der Gruppe und betonte, man werde sich weiter für den Schutz des kroatischen Volks in Bosnien-Herzegowina einsetzen.

Ante Jelavic äußerte sich dahingehend, dass er hoffe, dass es keine massiven und gewalttätigen Reaktionen seitens des kroatischen Volkes in Bosnien-Herzegowina aufgrund der Entscheidung geben werde. Außerdem äußerte er die Hoffnung, dass Bosnien-Herzegowina eines Tages ein Staat wäre, der aus drei Völkern unter rechtstaatlichen Bedingungen bestehe.

Die Reaktionen der kroatischen Politik:

Premierminister Racan (SDP) teilte mit, er habe die HDZ in Bosnien-Herzegowina gewarnt. Im übrigen würde er sich auf die innenstaatliche Probleme innerhalb Kroatiens konzentrieren. Parlamentspräsident Zdravko Tomcic (HSS) äußerte ebenfalls, dass die kroatischen Regierungsparteien die Vertretungen in Mostar gewarnt hätten und unterstrich, dass die kroatische Regierung eine Lösung für die Probleme des kroatischen Volkes in Bosnien-Herzegowina suchen wolle.

Der Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses im kroatischen Parlament, Dr. Tomac (SDP) wies darauf hin, dass die Schaffung einer kroatischen Selbstverwaltung in vom Ante Jelavic angeregten Sinne von der internationalen Staatsgemeinschaft nicht toleriert werden könne.

Die mitregierende Sozialliberale Partei (HSLS) machte darauf aufmerksam, dass die Initiative Ante Jelavics die Konfliktparteien weiter von einander entferne.

Die HDZ in Kroatien äußerte zwar Kritik am Vorgehen des hohen Repräsentanten und wies darauf hin, dass ein von kroatischem Volk gewählter Vertreter (über 70% der Stimmen) eben nur durch das kroatische Volk abgesetzt werden könne. Auf der anderen Seite erklärte der HDZ Vorsitzende, Dr. Sanader, in einem persönlichen Gespräch, dass er die Initiative Jelavics zum jetzigen Zeitpunkt für falsch gehalten habe. Er habe Jelavic dies auch mitgeteilt, allerdings sei die HDZ in Bosnien-Herzegowina eben nicht der Direktive die HDZ in Kroatien unterstellt und würde ihre eigene Politik betreiben. Man wäre daher im Dialog, eine direkte Einflussnahme auf die HDZ-Führung in Bosnien-Herzegowina scheide jedoch aus.

Alle Stellungnahmen waren sich darin einig, dass die Situation der kroatischen Bevölkerungsgruppe in Bosnien-Herzegowina höchst unbefriedigend wäre. Der im Außenministerium für Beziehung zu den Nachbarnstaaten zuständige Abteilungsleiter wies darauf hin, dass Jelavics Initiative Ausdruck einer massiven Frustration der kroatischen Bevölkerungsgruppe in Bosnien-Herzegowina sei.

Offensichtlich handelt es sich nicht um eine kleine, radikalisierte Gruppe. Immerhin hat die HDZ - weitere Parteien in Bosnien-Herzegowina (HSP und HKDU) teilen ihre Politik in dieser Frage - bei den letzten Wahlen über 70% der Stimmen der kroatischen Bevölkerungsgruppe erhalten.

Der Parteivorsitzende der zweitgrößten Regierungspartei, Dražen Budiša, entwickelte kurz darauf einen Vorschlag zu "Kantonisierung" Bosnien-Herzegowinas.

Ausgangspunkt dieses Konzeptes ist der Versuch, den Charakter Bosnien-Herzegowinas und die Konzeption des Daytoner Abkommens zu erhalten und trotzdem weitgehende Selbstverwaltung zu ermöglichen.

Viele Vorschläge hat es bereits vorher gegeben: Republik, föderale Struktur, verschiedene Entitäten, Selbstverwaltung, eine Vielzahl von Kantonen, etc.

Die Formel Richards Holbrookes: 1 (Staat) + 2 (Entitäten) + 3 (Völker) ersetzt Budiša durch die folgende Formel:

1 (Staat) + 3 (Völker) + 14 (Kantone)

Budiša sieht dies als Kompromiss aller bisherigen Vorschläge und ist der Auffassung, dass dieses Konzept die Möglichkeit zu Beseitigung einer Vielzahl der heutigen Probleme birgt. Er möchte einer Tendenz begegnen, die momentan faktisch auf eine Zweistaatlichkeit Bosnien-Herzegowinas (nämlich: Republika Srpbska und bosnisch-kroatische Föderation) hinausläuft, zu begegnen. Sein Ziel ist die Wiederherstellung eines wirklich föderativen Staates.

Nach Budišas Auffassung ist es durch eine größere Anzahl von Kantonen möglich, sämtliche Parteien gleicher Massen (un)zufrieden stellen zu können.

Budiša sieht drei Konsequenzen an einer derartigen Aufteilung:

1. Die Kroaten streben nicht weiter nach der Schaffung einer dritten Identität.2. Die bosnischen Muslime streben nicht weiter nach der Schaffung eines eigenen Staates.3. Die Serben streben nicht weiter nach der Abspaltung der Republika Srpska aus Bosnien-Herzegowina.

Am meisten, so räumt der Parteivorsitzende Budiša ein, belastet dieser Plan die serbischen Bevölkerungsgruppe innerhalb Bosnien-Herzegowinas. Dieser habe immer im Rahmen der Republika Srpska praktisch eine Regierung und aber da daher das größte Interesse daran, Bosnien-Herzegowina so aufrecht zu erhalten.

Budiša meint trotzdem, dass im Rahmen seines Vorschlags keine massiven Beschränkungen der Rechte der serbischen Bevölkerungsgruppe zu erwarten wären.

Alles was erfordere, wäre eine Kantonisierung der Republika Srpska, ohne dass eine wirkliche Änderung der heutigen Grenzzierung erfolgte.

1. Serbische Bevölkerungsgruppe:

Diese können sich ungefair im Umfang der heutigen Grenzen bewegen. Die Kantone hätten die Sitze bei Banja Luka, Mrkonjic Grad, Doboj, Zvornik und Trebinje. Die einzige territoriale Veränderung wäre die Schaffung eines kleinen kroatischen Kantons in ehemalig kroatisch besiedelten Gebiet an der jugoslawischen Grenze. Zum Ausgleich dafür erhielte serbische Bevölkerungsgruppe einen vergrößerten Kanton in dem neu zuschaffenden Kanton mit Sitz in Mrkonjic Grad. Dies hätte dann die Verkleinerung des kroatischen Kantons Livno zu Konsequenz.

2. Kroatische Bevölkerungsgruppe:

Außer dem Kanton Posavski und Livno erhielte die kroatische Bevölkerungsgruppe noch zwei Kantone, was im wesentlichen eine Konsequenz der Teilung der heute gemischt besiedelten Gebiete (muslimische Bosnier und Kroaten) wäre.

3. Bosnische Bevölkerungsgruppe:

Diese hätte die Kantone Sarajevo, Zenica, Tuzla, Bihac und Konjic, womit hier eine Grenzziehung im Bereich der muslimisch besiedelten Gebiete erfolgte. Die Kantonisierung erfolge dann komplimintär zu Teilung der gemischt besiedelten Regionen.

Nach Budišas Konzeption hätten die Kantone nicht die Berechtigung, eigene Beziehungen zu den Nachbarnstaaten zu entwickeln. Damit wäre die Gefahr beseitigt, dass die kroatischen Kantone in Zusammenspiel mit der Regierung der Republik Kroatien Regierungshoheit über die serbischen Kantone gewinnen könnte. Die Befürchtungen der serbischen Bevölkerungsgruppe wären damit ausgeräumt.

Über die Lösung territorieller Fragen hinaus bot Budiša auch die Schaffung politischer Strukturen an:

In der Föderation B i H könnte ein Zwei-Ebenen-Parlament entstehen und eine wirkliche legislative und föderative Kraft darstellen.

Budiša entspricht mit diesem Vorschlag einem Teil der Kritik internationaler Beobachter am Dayton-Abkommen. Die zunehmende Unzufriedenheit insbesondere in der muslimischen und kroatischen Bevölkerungsgruppe führte dazu, dass viele internationale Beobachter sich für eine Grenzziehung nach Bevölkerungsgruppen ausgesprochen hatten.

Die Reaktionen waren unterschiedlich:

Die internationale Staatengemeinschaft unterstützte prinzipiell Ansätze zur Lösung der Konfliktlage.

Die jugoslawische Regierung ist überzeugt, dass dies eine Verletzung des Dayton-Abkommens darstellte, da die Kantonisierung die Republika Srpska spalten würde.

Vertreter der bosnischen Bevölkerungsgruppe äußerten sich dahingehend, dass sie grundsätzlich jede Initiative unterstützen, die eine Stärkung des Staates Bosnien-Herzegowinas zur Konsequenz hätte.

Der Präsident der kroatischen Selbstverwaltung in Bosnien-Herzegowina begrüßte den Vorschlag und war der Auffassung, dass dies eine von der kroatischen Regierung bisher nicht vertretende Konzeption wäre. Er hielt es für gut, dass nun auch die neue kroatische Regierung in dieser Hinsicht initiativ würde.

Die Reaktionen der kroatischen Regierung auf den Vorschlag:

Premierminister Racan machte deutlich, dass die Republika Srpska unter keinen Gesichtpunkt angerührt werden dürfe. Er war allerdings der Auffassung, dass die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas das Protektorat der internationalen Staatengemeinschaft verlängere. Auf der anderen Seite kritisierte er, dass das Dayton-Abkommen zwar Frieden gebracht habe, allerdings keine ausreichende Struktur für die Entwicklung des Landes enthalte.

Er hielt daher eine Anpassung, keine Revision des Dayton-Abkommens für erforderlich.

In einer zweiten Stellungsnahme distanzierte er sich dann leicht von Budišas Vorschlag. Erneut bekräftigte er seine Haltung, dass man mit der internationalen Staatengemeinschaft bei der Lösung der Probleme in Bosnien-Herzegowina zusammenarbeiten wolle.

Fazit:

1.Die Ereignisse in Bosnien-Herzegowina und die Situation der kroatischen Bevölkerungsgruppe in der Föderation werden in der Republik Kroatien nach wie vor mit großem Interesse verfolgt.

2.Die kroatische Politik - und dies gilt für fast alle maßgebenden Parteien - distanziert sich von radikalen Schritten, die zur Lösung der Probleme der kroatischen Bevölkerungsgruppe in Bosnien-Herzegowina ergriffen werden.

3.Dražen Budiša, als Parteivorsitzender der zweitgrößten Regierungspartei HSLS, präsentiert sich immer wieder geschickt als "Opposition in der Regierung". Auch in diesem Fall hat seine schnelle Reaktion auf ein aktuelles Thema eine mehrtägige Diskussion in allen großen Zeitungen und in der politischen Szene ausgelöst.

Was sind die weiteren Perspektiven?

Budišas Vorschlag liegt auf dem Tisch und bietet Anlass zu Diskussionen sowie eine vertiefte Beschäftigung mit der Thematik. Der Vorschlag wird aber von vielen als nicht realisierbar angesehen.

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Contact

Dr. Michael A. Lange

Dr. Michael A

Interim Director of the Rule of Law Program Middle East/North Africa

Michael.Lange@kas.de +361 1 385-094 +361 1 395-094

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