Country reports
OAS-Mission ohne Fortschritte
Ein sichtlich deprimierter OAS-Generalsekretär trat heute vor die nationale und internationale Presse, um zu erklären „dass keine Lösung in Sicht ist“. Offen sei der Austausch zwischen Opposition und Regierung zwar gewesen. Beide Seiten haben aber im Grunde lediglich ihre bekannten und bereits mehrfach vorgetragenen Standpunkte erneut verdeutlicht.
Die Opposition will ein Paketlösung: einen verlässlichen Wahltermin, feste Vereinbarungen zum Procedere und zur kleinen Verfassungsreform. Sie will verhindern, dass diese über Monate im Parlament verzögert wird. Nur eine rasche Entscheidung über zügige Wahlen in einem gesicherten Rahmen kann die Lage beruhigen. Sie fordert auch weiter die Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit dem höchsten Stimmenanteil, wenn ein Kandidat nicht im ersten Durchgang 50% erreicht.
Demgegenüber fordert die Regierung zuerst ein neues Wahlgesetz, die Wahl einer neuen, vertrauenswürdigen Obersten Wahlbehörde und einen „Schiedsrichter“ im Verfahren, dem man vertrauen kann.
Immerhin hat die Regierung erklärt, dass sie bereit ist eine Lösung zu suchen, die kürzere Fristen vorsieht, als im aktuellen Wahlgesetz vorgeschrieben. Doch ob diese Verhandlungen ausreichen, um die Krise zu lösen, daran hat offensichtlich César Gaviria selbst Zweifel. „Wenn die Verhandlungen keine Einigung bringen, wird die Straße die Entscheidung suchen“ warnt er und verweist auf die äußerst hohe Konflikt- und Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten. Die Polarisierung muss vermindert werden, weil sonst das enorme Gewaltpotential explodiert.
Seine Warnung richtet sich an beide Seiten. Die Gewaltbereitschaft sieht er auch auf Seiten der Regierungsanhänger Dies bedeutet für die Regierung, dass sie die Gewaltstrategie nicht mehr einseitig der Opposition unterstellen kann. Und zum Abschluß betont Gaviria nochmals auf Nachfragen, dass ein Parlamentsverfahren nur Sinn macht, wenn zuvor eine Einigung am Verhandlungstisch verbindlich für beide Seiten - Regierung und Opposition - erreicht wurde und er schließt: „No solución en la vista“ (keine Lösung zu sehen).
Internationale Reaktionen
Internationale Gremien haben heute mit ganz unterschiedlichen Voten reagiert. Die OPEC hat heute in einem Brief an Präsident Chávez ihre tiefe Besorgnis über die Berichte aus Venezuela geäußert und sich gegen die infamen Versuche gewendet, die legitime und verfassungsmäßige Regierung zu zerstören. Wenn es notwendig ist, will die OPEC Venezuela Hilfen geben. Trotzdem fordert auch dieses Kommuniqué eine friedliche Lösung der gegenwärtigen Situation.
Die interamerikanische Menschenrechtskommission betont, dass sie bereits bei ihrer Visite im Mai de Jahres gravierende institutionelle Mängel in Venezuela festgestellt hat: so die fehlende Unabhängigkeit der Justiz, die Einschränkung der Meinungsfreiheit, die
Rolle der Streitkräfte, die extreme Polarisierung der Gesellschaft und eine klare Schwäche, um die Abkommen über Menschenrechte und Demokratie zu erfüllen.
Die Kommission verurteilte den versuchten Staatsstreich und kritisierte alle, die vor, während und nach den Tagen im April Gesetz und Menschenrechte verletzten.
„Die aktuelle Situation hat sich progressiv verschlechtert“ hält die Kommission fest. Vor allem ist sie besorgt über die systematischen und zunehmenden Attacken gegen Menschenrechtsorganisationen und unterstreicht deren Bedeutung für die Demokratie.
In ihrem Urteil über die gegenwärtige Situation ist die Kommission ausgewogen. Sie fordert von der Opposition, einschließlich der Medien, eine Aufarbeitung ihrer Aktionen im April und fürchtet, dass bestimmte Äußerungen den notwendigen Dialog erschweren.
Aber noch ausführlicher behandelt die Kommission die Haltung der Regierung. Sie verurteilt die Intervention der Polizei des Hauptstadtdistrikts (Policia Metropolitana) und die Beteiligung der Armee an der zivilen Kontrolle des Landes. Energisch wird die Unterdrückung von Demonstrationen, die Straffreiheit, die Bedrohung der Medien, die Bewaffnung ziviler Gruppen verurteilt. Die Kommission erinnert daran, dass die Regierung systematisch feste Termine verweigert hat, um die Situation der Menschenrechte zu erörtern. Schließlich unterstützt die Kommission die OAS-Mission und könnte sich vorstellen, dass ihre Gespräche mit der Regierung hilfreich für die Entspannung der Lage und für eine Lösung wären.
Die USA haben wiederum einen Erfolg des „Tisches über Verhandlungen und Übereinkunft“ gefordert und auch die kolumbianische Botschafterin hat ihre Besorgnis über die komplizierte Lage erklärt, insbesondere über die zunehmende Gewalt. In den USA rückt die Lage Kolumbiens etwas hinter die in Venezuela zurück.
Proteste und Gegenproteste
Die Proteste der Opposition halten an. Die Demonstration am 12. Dezember war der Solidarität mit den bedrohten Medien gewidmet. Zum Schutz der Medien haben Richter den Schutz durch die Guardia Nacional angeordnet. Zusätzlich sind Ermittlungen wegen der Bedrohung der Medien eingeleitet worden.
Die „Cacerolazos“ entwickeln sich zu einem Wettkampf zwischen Anhängern und Gegnern von Präsident Chávez - leider nicht immer friedlich, weder in Caracas, noch in den Regionen. Polizei und Guardia Nacional zerstreuten am Abend mit erheblichem Tränengaseinsatz, Gummigeschossen und Zwangsmaßnahmen eine Konfrontation beider Seiten. Chávez-Anhänger hatten versucht, Bewohner des Viertels „La Candelaria“ zu vertreiben, die mit der Säuberung eines Platzes von Graffiti begonnen hatten.
Die Cacerolazos der Opposition entwickeln sich zu kleinen und massiven Protestzügen. Ab acht Uhr abends erschallen die Viertel der Stadt vom Topf- und Hupkonzert. Und eine halbe Stunde später beginnen die Umzüge, ausgestattet mit Fahnen, Trillerpfeifen, Töpfen und „Tröten“, die man sonst nur aus den Sportstadien kennt.
Die Chávez-Anhänger vor allem in den marginalen Zonen halten dagegen. Sie lärmen ebenfalls mit Töpfen, Waschbretterm und Trommeln. Begeistert werden dem Beobachter Bilder von Präsident Chávez - zahlreich die mit seiner Paradeuniform - hingehalten. Rote Barette und Fahnen prägen das Bild. Diese Bilder aus den Hochburgen des Chavismo werden kaum im Privatfernsehen gesendet, sind aber Realität und auch Ausdruck der tiefen Spaltung des Landes.
Total unterschiedliche Sichtweisen der Lage in Venezuela
Der Gewerkschaftsvorsitzende, Carlos Ortega, und der Präsident des Unternehmerverbandes, Carlos Fernández, warnen gleichlautend vor Attacken ihrer politischen Gegner. Sie rufen dazu auf, sich nur in der Nähe der Häuser aufzuhalten und Vorsorge für jedwede Situation zu treffen. Für sie weitet sich der Streik täglich aus.
Die Regierung behauptet unbeirrt, dass der Ausstand gescheitert ist und das sich die Lage normalisiert. Dies gilt vor allem für den Ölsektor. Dort werden die prominenten Angestellten der Streikfront entlassen, Spezialisten aus anderen Ländern, Pensionäre und Rentner aktiviert. Gegen die „Normalität“ der Regierung spricht der Augenschein. Geschlossene Tankstellen zunehmend auch in der Hauptstadt und immer noch das Militär an Zapfsäulen und Ölanlagen. Und nur aus einer tiefen Krise läßt sich die Zusicherung der OPEC (siehe oben) für Hilfen für den Ölsektor von Venezuela erklären. Der Streik gescheitert, trotzdem Sabotage, so das Gegenbild der Regierung zur Lageschilderung der Opposition.
Eines machen alle Äußerungen des Tages deutlich. Man rechnet mit einer Ausweitung der Gewalt und schiebt sich schon präventiv die Schuld dafür zu.
Ein Grund für das Aufheizen der politischen Auseinandersetzung ist unzweifelhaft die Arroganz und Doppelmoral der Macht, die die Regierung praktiziert. Am 16. Dezember wollen Teile der Opposition - entschieden ist der Fall noch nicht - zum Amtssitz des Präsidenten nach „Miraflores“ ziehen. Dieses Ansinnen wird schon vorab mit dem Hinweis auf die Sicherheitszonen verweigert.
Am 14. Dezember wird die Rückkehr von Präsident Chávez nach dem Umsturzversuch vom April mit einer Massenveranstaltung gefeiert. Natürlich endet diese politische Demonstration vor „Miraflores“, weil man die Erlaubnis des Verteidigungsministers erhalten hat.
Präsident des Obersten Gerichtshofes für schnellstmögliche Wahlen
Der Präsident des Obersten Gerichtshofes, Ivan Rincón Urdaneta. hat sich eindringlich für eine Entscheidung über schnellstmögliche Wahlen ausgesprochen, eine „Notwendigkeit von Stunden“. Dazu hat das Oberste Gericht allerdings Möglichkeiten in der Hand. Artikel 333 der Verfassung ermöglicht dem Obersten Gericht, den Präsidenten zu ersetzen; die Asamblea Nacional (Parlament) kann den Amtsverzicht des Präsidenten erzwingen. Diese Verfahren würden die Agonie des Landes abkürzen und sind durch die „Verfassung der Bolivarianischen Republik“ möglich.
Das Oberste Gericht ist aber derzeit unfähig zu handeln. Die jetzt anstehenden internen Wahlen (Präsident des Obersten Gerichtes, Vorsitzende der Kammern) sind auf Ende Januar verschoben. Acht der 20 Obersten Richter haben die Intervention und Vermittlung internationaler Organisationen gefordert, um überhaupt wieder zu regulären Besetzungs- und Spruchverfahren zu kommen.
Oberste Wahlbehörde fordert Mittel für notwendige Referenden
Die Oberste Wahlbehörde fordert von Präsident und Parlament die notwendigen Mittel, um das Konsultativreferendum am 2. Februar organisieren und durchführen zu können. Alle rechtlichen Voraussetzungen für das Referendum sind gegeben. Aber ohne Haushaltsmittel, die immer nur von Fall zu Fall bewilligt werden, ist die Wahlbehörde handlungsunfähig und kann den Willen des Souveräns nicht erfüllen.
Der Obersten Wahlbehörde steht zusätzlich binnen kurzem der nächste Volksentscheid ins Haus. Gouverneur Enrique Mendoza beginnt jetzt mit der Sammlung von den für eine Verfassungsreform notwendigen Unterschriften (15% der Wahlberechtigten). Er will damit ohne Zeitverzug handeln können, wenn der Verhandlungstisch oder das Parlament zu einem Konsens finden.