Country reports
Perus Demokratie leidet unter Vertrauensverlust
Die Demokratie in Peru steckt gegenwärtig in einer schweren Krise. Die Regierung des Präsidenten Alejandro Toledo hat seit ihrem Amtsantritt im Sommer 2001 einen erdrutschartigen Verlust der Wählergunst hinnehmen müssen; ihre Zustimmungswerte liegen seit einem Jahr zwischen katastrophalen 6 bis 12 Prozent.
Diese niedrigen Zustimmungswerte beschränken sich allerdings nicht allein auf die Regierung Toledo, sondern erstrecken sich auf alle politischen Institutionen und Akteure. Der Grund ist eine tiefe Legitimationskrise. Aus einer Umfrage der Universidad de Lima aus dem Oktober 2003 geht hervor, dass nur 13% der Limeños dem Kongress noch Vertrauen entgegenbringen. Bei einer Umfrage im Juni 2004 gaben 83% der Befragten an, mit der Demokratie in Peru nicht zufrieden zu sein und bei der Frage, welche Regierungsform sie bevorzugten, entschieden sich nur 69% für eine demokratische Regierung. Immerhin 13% gaben an, eine Diktatur vorzuziehen.
Dieses dramatische Ergebnis lässt sich zu einem Großteil durch die Schwäche der politischen Parteien erklären. In Peru gibt es kein solides Parteiensystem. Die Parteien lassen organisatorische Stabilität vermissen. Es fehlt der Kontakt zu den Bürgern und zur organisierten Zivilgesellschaft. Dadurch sind sie faktisch nicht in der Lage, als Verbindungsträger zwischen dem Volk und den Staatsorganen zu fungieren.
Seit den 90er Jahren ist zu beobachten, dass die Parlamentsmehrheiten und die Wählerzustimmung für die Parteien extrem schwanken. Bei einem Vergleich der Wahlergebnisse von 1990 bis 2001 lässt sich erkennen, dass es keiner Partei auf die Dauer gelungen ist, einen zumindest einigermaßen konstanten Prozentsatz an Zustimmung zu halten. Die jeweils drei Parteien mit den höchsten Zustimmungswerten sind bei keinem Wahlgang dieselben. Auch im Vergleich mit den anderen 18 Ländern der Region schneidet Peru äußerst schlecht ab: so ist Peru das Land mit dem höchsten Grad an Wechselwählern. Nach Guatemala verzeichnet Peru die stärksten Schwankungen bei der Sitzverteilung im Parlament. Die Affinität der Bürger zu den Parteien ist nach Brasilien die geringste und sein Parteiensystem verzeichnet den niedrigsten Grad an Institutionalisierung unter allen untersuchten Ländern.
Parteien ohne Tradition und ideologische Basis
Unter den derzeit auftretenden Parteien verfügt nur die 1924 von Raúl Haya de la Torre gegründete APRA über eine solide Organisation und Struktur. Neben ihr gibt es nur wenige Parteien, die über eine gewisse Parteientradition, ein bestimmtes ideologisches Profil und eine Identifikationsgeschichte verfügen, wie der in den 60er Jahren gegründete PPC (Partido Popular Cristiano), die 1956 gegründete AP (Acción Popular) und einige kleine Linksparteien.
Ansonsten besteht eine Vielzahl an politischen Parteien und Bewegungen. Im Jahr 2003 gab es 53 zumindest auf dem Papier bestehende Parteien und Allianzen. Den meisten gelingt es nicht, sich zu konsolidieren, so dass sie bis zu den nächsten Wahlen wieder verschwinden. Sie zeichnen sich aus durch ein diffuses politisches Profil und sind nicht selten auf eine zentrale (Gründungs-) Person ausgerichtet.
Vergrößert wird dieses Durcheinander durch eine Vielzahl an unabhängigen Kandidaten, die sich nach dem peruanischen Wahlgesetz aufstellen lassen dürfen. In der Hoffnung auf erhöhte Wahlchancen werben die Parteien diese populären Kandidaten an, auch wenn sie zuvor eventuell für andere Parteien tätig waren.
Dies führt zu einer sich ständig verändernden politischen Szene: Viele der Akteure haben kein klares politisches Profil oder fühlen sich ihrer jeweiligen Partei gegenüber und deren ideologischer Basis (sofern sie eine besitzt) nicht in der Verantwortung und wechseln aus ideologischen oder opportunistischen Gründen ihre Parteizugehörigkeit, ohne dabei ihr Mandat niederlegen zu müssen. Oftmals verschwinden die Akteure auch recht bald wieder von der politischen Bühne und es tauchen neue, unerfahrene politische Dilettanten auf. Die Regierbarkeit erschwert sich dadurch immens, da die Formation großer und beständiger Koalitionen und stabiler Mehrheiten mit klarer politischer Richtung unmöglich ist.
Besonders schlecht konsolidiert sind die Parteien in den Provinzen. Ein Großteil der Abgeordneten im Kongress sind Limeños. Deren Politik konzentriert sich hauptsächlich auf die Provinz Lima und ignoriert die Bedürfnisse der anderen Regionen. Zudem war es bis zu den Wahlen 2001 für Politiker aus Lima möglich, sich für die verschiedenen Provinzen aufzustellen zu lassen. So wurden die Limeños für einen Wahlkreis in der Provinz in den Kongress geschickt, ohne selbst eine persönliche Beziehung zu dieser Gegend zu haben und ohne diesen Wahlkreis in irgendeiner Weise vertreten zu können. (Seit einer Wahlreform 2001 müssen die Kongressabgeordneten nun auch Bewohner ihres Wahlkreises sein).
Des weiteren besaßen die Parteien bis zur Verabschiedung des Parteiengesetzes Ende 2003 keine internen demokratischen Strukturen, z.b. zur Regulierung der Wahl von Kandidaten und Führungspersonen (Frauenquote etc.). Genauso wenig wurden Mechanismen zur Vorbereitung und Qualifizierung von Führungspersönlichkeiten implementiert, auch da - mit Ausnahme der APRA - alle Parteien an mangelnden Ressourcen leiden, um politische Schulungen und Fortbildungen vorzunehmen. Bei der Finanzierung mangelte es an Transparenz, so dass Korruption und die Einflussnahme materiell gut gestellter Personen oder Gruppen nur schwer zu kontrollieren war.
Das aktuelle Chaos im Kongress – ein ständiger Fraktions- und Mehrheitenwechsel
Die stärkste Fraktion der aktuellen Legislaturperiode bildet die Partei des Präsidenten Alejandro Toledo. Seine für die Präsidentschaftswahlen 2000 eigens gegründete Partei Perú Posible (PP) zeichnet sich durch einen Mangel an politischer oder ideologischer Programmatik aus und war somit von Beginn an auf ihre Identifikation mit der Person Toledo als Präsidentschaftskandidat und als Alternative zum Autokraten Fujimori beschränkt. Die Kurzlebigkeit von PP wird u.a. an ihren aktuellen Zustimmungswerten und dem Verhalten ihrer Abgeordneten deutlich. Zu Beginn der Legislaturperiode zog die Partei mit 47 Sitzen (von 120) ins Parlament ein und hat seitdem schon ein Viertel der Abgeordneten verloren, die aus Protest oder mangelnder Bindung ihre Fraktion verlassen haben, anderen beigetreten sind oder sich als unabhängig deklariert haben. Die zweitstärkste Fraktion APRA hat im Vergleich dazu keinen einzigen Verlust an Abgeordneten zu verbuchen, was als Beweis für ihre Parteidisziplin und die engere Bindung der Mitglieder an ihre Partei zu deuten ist. Die drittstärkste Kraft, die Alianza Electoral Unidad Nacional (UN), eine im Jahr 2001 gegründete Koalition aus konservativen Mitte/Rechts-Parteien verfügt mit ihrer Vorsitzenden Lourdes Flores zwar über eine äußerst charismatische Führungspersönlichkeit, leidet aber an der Schwierigkeit, die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Gruppen zu integrieren. Insgesamt hat die UN bisher einen Verlust von 5 Abgeordneten im Kongress zu verzeichnen, immerhin fast ein Drittel ihrer Sitze. Ob es diesem Parteienbündnis zukünftig gelingen wird, sich zu konsolidieren, bleibt offen.
Die Ergebnisse der Regional- und Kommunalwahlen im Jahr 2002 bestätigen die Führung dieser drei Parteien nicht. Alle drei zusammen verbuchten lediglich 40 % der Wählerstimmen auf sich.
Bestand der Kongress zu Beginn der Legislaturperiode noch aus fünf Fraktionen (Perú Posible, APRA, UN, FIM und UPD), finden sich heute im Parlament sieben Fraktionen. Insgesamt haben bereits 22 Abgeordnete ihre ehemalige Fraktion verlassen. Einige haben sich zu neuen Bündnissen zusammengeschlossen. Zu den ursprünglich drei unabhängigen Abgeordneten sind sechs weitere hinzugekommen. Diese Zahlen zeigen deutlich, dass nicht einmal innerhalb einer Legislaturperiode mit einer konstanten Sitzverteilung gerechnet werden kann. Erschwerend kommt die fehlende Fraktionsdisziplin hinzu, so dass selten ein einstimmiges Abstimmungsverhalten zu beobachten ist.
Schärfere Regelungen mit dem neuen Parteiengesetz
Im Oktober 2003 wurde nun erstmalig ein Parteiengesetz verabschiedet. (Peru ist damit das Schlusslicht in der Region.) Ziel des Gesetzes ist es, ein Parteiensystem mit starken, national repräsentativen, verantwortungsvollen und beständigen Parteien zu schaffen. Dabei ist vor allem eine Erschwerung der Zutrittsmöglichkeiten ins politische System notwendig.
Um sich ins Parteienregister neu einzuschreiben, benötigen alle Parteien knapp 130.000 Unterschriften von Parteianhängern, was einem Prozent der Teilnehmer an der letzten landesweiten Wahl entspricht. Zusätzlich müssen die Parteien in zwei Dritteln der 25 Departements und in mindestens 65 Provinzen des Landes Parteienkomitees gründen. Um die notwendigen Unterschriften zu sammeln, gewährt das Parteiengesetz den bisher registrierten Parteien eine Frist bis Februar 2005. Die Frist für die nicht eingeschriebenen Parteien ist Anfang November bereits abgelaufen.
Ein weiteres Ziel der durch das Gesetz angestrebten Reformen ist die Implementierung einer demokratischen und transparenten internen Ordnung. So wurde beispielsweise für die Wahl von Führungskräften innerhalb der Partei und von Kandidaten für die Präsidentschafts- und Kongresswahlen eine Frauenquote von 30% festgelegt.
Um der Korruption entgegenzuwirken und um die finanzielle Lage der Parteien besser und transparenter zu machen, wurden im neuen Parteiengesetz folgende Regelungen beschlossen: Die Parteien, die im Kongress vertreten sind, erhalten vom Staat öffentliche Gelder, die für Bildungsveranstaltungen, Schulungen und zu Forschungszwecken verwendet werden müssen. Den Parteien ist es verboten, Gelder von öffentlichen oder staatlichen Institutionen aus dem In- oder Ausland entgegenzunehmen. Verboten sind auch Spenden ausländischer Parteien oder religiöser Vereinigungen.
Ein erster Schritt zur Regulierung des Chaos?
Nach wie vor ist es offen, welchen und wie vielen Parteien es letztlich gelingen wird, sich vor Ablauf der vorgegebenen Frist als Partei einschreiben zu können und damit an den im Frühjahr 2006 anstehenden Präsidentschafts- und Kongresswahlen teilnehmen zu dürfen. Die Einschreibungen haben bisher 5 von den 26 zuvor schon registrierten Parteien erreicht, doch es gibt einige, die die nötigen Unterlagen bereits beim Jurado Nacional de Elecciones, der nationalen Wahlprüfungsstelle, eingereicht oder die Fertigstellung ihrer Formularien angekündigt haben. Ihre Unterschriftenlisten werden derzeit auf ihre Richtigkeit geprüft. Von den 13 neuen Parteien, die sich erstmalig um eine Einschreibung bemüht haben, ist es bisher nur zweien gelungen, alle durch das Gesetz vorgeschriebenen Voraussetzungen zu erfüllen. Es ist zu vermuten, dass nur eine Handvoll weiterer dieses Ziel erreichen wird. Diese Zahlen lassen hoffen, dass das Ziel, die Zahl der Parteien in Peru zu verringern, mit dem neuen Parteiengesetz wohl erreicht werden könnte. Mehrere kleine Parteien erwägen jetzt, sich zu größeren Formationen zusammenzuschließen oder sich anderen etablierten Parteien anzuschließen. So diskutieren einige Parteien der moderaten Linken, ein Bündnis mit der bereits eingeschriebenen Partei Acción Popular einzugehen.
Dennoch melden sich auch kritische Stimmen, denen die Reform nicht weit genug geht. So wird z.b. bezweifelt, ob die obligatorische Bildung von Komitees in den Regionen tatsächlich eine große Hürde darstellt. Die zur Komiteegründung notwendigen 50 Parteimitglieder können durch Versprechungen und Geschenke leicht gefunden werden. Ebenso wird gefordert, die Dauerhaftigkeit der einzelnen Komitees regelmäßig zu prüfen. Eine weitere Kritik gilt der zwar diskutierten aber letztlich nicht durchgesetzten Reform in bezug auf den Fraktionswechsel innerhalb einer Legislaturperiode. Hier könnten im Falle eines Fraktionswechsels mögliche Sanktionierungen überlegt werden, um der Schwächung der Fraktion entgegenzutreten und somit eine größere Fraktionsdisziplin zu erwirken.
Wie dem auch sei, fest steht, dass das Parteiengesetz einen ersten Schritt darstellt, zur Regulierung des gegenwärtigen Chaos im Kongress und zur Formierung eines stabileren Parteiensystems. Ende Februar wird dann feststehen, welchen Parteien es erlaubt sein wird, sich für die Wahlen 2006 aufstellen zu lassen. Es bleibt zu hoffen, dass es den Parteien durch die neuen Regelungen langfristig gelingen wird, ihrer Aufgabe als Vertretung des Volkes besser gerecht zu werden.