Country reports
Während seine Ankündigungen direkt nach der Amtsübernahme als Wirtschaftsminister eher Konjunkturprogramme und Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft vermuten und die Bevölkerung auf Entlastungen hoffen ließen, zeichnet sich jetzt ab, dass auch Cavallo zu dem Ergebnis gekommen ist: Ohne Verbesserungen auf der Einnahmenseite und Reduzierung der Ausgaben ist das Defizit des Staatshaushaltes nicht in den Griff zu bekommen, mit allen Auswirkungen auf das Länderrisiko und die Kreditwürdigkeit Argentiniens. Mit den Maßnahmen nutzt Domingo Cavallo die Sondervollmachten aus, die Abgeordnetenhaus und Senat der Regierung in der Krisenwoche Mitte März zugestanden hatten.
Bitter hatte Cavallo nach seinen ersten Ankündigungen erfahren müssen, dass die internationalen Finanzmärkte längst nicht auf alles positiv reagieren, was dem "Vater der Konvertibilität" vorschwebte. Das Länderrisiko stieg entsprechend von den rund 850 Punkten beim Abschied seines Vor-Vor-Gängers José Luis Machinea auf über 1200 Punkte, erneut wurde über die Zahlungsunfähigkeit des Landes spekuliert, die Zinsen zogen an, die Börse stürzte ab.
Cavallo, kein Freund der leisen Töne - viele halten sein cholerisches Temperament sogar für das bei weitem größte Risiko - polterte daraufhin bei einer Reise nach London, die Finanzmärkte verstünden "weder die Politik noch die reale Wirtschaft Argentiniens." Sein Vize Daniel Marx sprach gleichzeitig von "perversen Interessen, die gegen Argentinien gerichtet" seien und beteuerte: "Unsere Verschuldung ist normal im internationalen Vergleich und wir haben den Willen und die Fähigkeit, sie zu bedienen." Wer von Zahlungsunfähigkeit spreche, lebe "offenbar auf dem Mars." (Clarín vom 20.4.)
An der Situation änderte diese Kritik einstweilen nichts, zumal weitere Signale die Besorgnis der Märkte steigerten: So will Cavallo seine Vollmachten dazu nutzen, den Banken zu erlauben, einen Teil ihrer vorgeschriebenen Einlagen bei der Zentralbank nicht wie bisher in Dollar sondern in argentinischen Staatspapieren zu hinterlegen. Damit änderte er die "carta organica" der Zentralbank und schwächt deren Autonomie.
Dass gleichzeitig der anerkannte Stabilitätsgarant und Zentralbankpräsident Pedro Pou vom Präsidenten nach dem Votum einer Parlamentskommission - ihm wird unter anderem Nachlässigkeit bei der Kontrolle der Geldwäsche, ungenügende Bankenaufsicht und falsche Informationspolitik vorgeworfen -gefeuert wurde, stieß ebenfalls auf wenig Gegenliebe.
Zu verschlechtern begann sich für Cavallo auch die veröffentlichte Meinung: Für den Kommentator der Wirtschaftszeitung "El Cronista" hat er im ersten Monat seiner Tätigkeit als Wirtschaftsminister zwar Dynamik in eine in Agonie liegende Regierung zurückgebracht, versucht, die Wirtschaft anzukurbeln und Haushaltslücken zu schließen, gleichzeitig aber auch unnötige Debatten losgetreten:
- über die Zukunft des MERCOSUR,
- über die Veränderung der Konvertibilität durch die Einbeziehung des EUROs in einen Währungskorb und nicht zuletzt
- über die Reservepolitik der Zentralbank.
Wie kritisch inzwischen auch beim Internationalen Währungsfonds in Washington gedacht wird, zeigte eine ungewöhnlich offene Erklärung seines Präsidenten Horst Köhler. Der nämlich rief Cavallo dazu auf, "so bald wie möglich sein Arbeitsprogramm vorzulegen." Köhler: "Die Märkte und wir alle warten darauf, was passiert und wie er seine angekündigte Politik in Gang setzen will." Argentinien sei in Lateinamerika das Land, das ihn am meisten beunruhige.
So sah sich Cavallo offenbar zu einer Kursänderung gezwungen, zu einer Rückkehr zur Orthodoxie. Auch die allerdings ist nicht konfliktfrei: So sehen jetzt viele Bürger kaum noch Unterschiede zu den Sparplänen von Ricardo López Murphy, die diesen nach kaum zwei Wochen Amtszeit den Job kosteten.
Zwar spart Cavallo bei der Anwendung des kompletten Mehrwertsteuersatzes von 21 Prozent Bildung und Bücher ausdrücklich aus, eingeschlossen aber sind zum Beispiel die Zeitungen, Zeitschriften, Kino und Kabelfernsehen sowie, in Argentinien besonders wichtig, die Eintrittskarten für Fußballspiele.
Nach heftigen Protesten nahm der Minister die Ankündigung, auch den Theaterbesuch entsprechend zu besteuern, von den Maßnahmen wieder aus. 1,8 Milliarden Dollar verspricht sich Cavallo von diesem Paket, das die Erhöhung der gerade erst eingeführten Schecksteuer auf Finanztransaktionen einschließt. Hinzu kommen Kürzungen bei der Sozialversicherung. Die Medien, das zeigen die Überschriften am Tag nach Bekanntgabe der Pläne deutlich, haben dem Minister jedenfalls den Krieg erklärt.
Einen "Anschlag auf die Pressefreiheit" sehen die Verlegerverbände in der Steuererhöhung von Zeitungen und Zeitschriften, nicht zuletzt die mächtige Gruppe "Clarín" mit ihren Kabelbeteiligungen trifft die Verteuerung in diesem Bereich. Und wieder, so die einhellige Meinung, werde besonders die ohnehin schon gebeutelte Mittelklasse getroffen.
Pablo Kandel kommentierte im "Clarín" vom 28.4.: "Das Durchschnittseinkommen einer Familie, die sich solche Ausgaben leistet, liegt bei 1500 Pesos pro Monat. Einen Peso mehr für jede Kinokarte, zwei Pesos mehr für den Eintritt zum Fußballspiel, acht Pesos mehr für die Zeitung und drei Pesos mehr fürs Kabelfernsehen sind eben nicht `neutral´, wie Cavallo sagt, sondern gravierend. Und wenn die Einkommen noch darunter liegen: umso mehr."
Für Cavallo allerdings ging es mit den Ankündigungen wohl auch darum, für seinen augenblicklichen Besuch beim Währungsfonds in Washington ein freundliches Klima zu schaffen, braucht er doch die Freigabe von Kreditmitteln aus der zu Jahrebeginn verhandelten "Panzerung", um anstehende Schulden zu finanzieren. Dies dürfte gelungen sein, zumal er gleichzeitig den Banken eine vergleichsweise attraktive Umwandlung kurzfristiger Verbindlichkeiten in längerfristige Kredite anbot und damit die lang erwartete Umschuldung in Gang zu setzen versucht.
Noch scheint auch das persönliche Image Cavallos in der Bevölkerung intakt: Nach einer am 30. April veröffentlichten Gallup-Umfrage sehen ihn 44 Prozent der Bürger positiv, 30 Prozent durchschnittlich und 20 Prozent negativ, während Präsident de la Rúa deutlich dahinter liegt: ihn sehen nur 22 Prozent der Argentinier positiv, immerhin aber 35 Prozent durchschnittlich und 39 Prozent negativ.
Auf der Personalseite versuchte die Regierung, diese Werte zu verbessern und Vertrauens-Punkte zu machen. Gleichzeitig zur Entlassung von Zentralbankchef Pou dekretierte Präsident de la Rúa den Amtsübergang auf Roque Maccarone.
Maccarone verfügt über eine umfangreiche Erfahrung im Bankenbereich, u.a. als Generaldirektor des "Banco Río" und als Präsident der argentinischen Bankenvereinigung. In seiner Zeit als Wirtschaftsminister im Kabinett Menem berief Cavallo Maccarone in Funktionen zur Deregulierung des Bankenmarktes und der Bankenaufsicht, später in die Führung des "Banco Nación.
Von Beobachtern wurde diese Entscheidung begrüßt. An der inneren Front der Allianz-Regierung gab es einen Teilerfolg. Mit dem Abgeordneten Juan Pablo Cafiero, dem Sohn des PJ-Senators Antonio Cafiero, kehrt nach Wochen der fast totalen Abwesenheit - endgültiger Auslöser war die Ankündigung des Sparprogramms des Kurzzeitminister López Murphy - der kleinere Regierungspartner FREPASO personell in die Regierung zurück. Cafiero wird neuer Sozialminister.
Kopfzerbrechen bereitet jetzt die Lage im Oppositionssektor, den die Regierung nicht zuletzt aufgrund ihrer Minderheitsposition in der zweiten Kammer, dem Senat, zur Regierungsfähigkeit braucht. Hier aber sorgen die juristischen Ereignisse im Umfeld der illegalen argentinischen Waffenlieferungen an Kroatien und Ecuador - vor kurzem war der ehemalige Schwager von Ex-Präsident Carlos Menem, Emir Yoma, verhaftet worden - für Aufregung: Staatsanwalt Carlos Stornelli verlangt nämlich ein Verhör von Carlos Menem selbst und wirft ihm vor, "eine kriminelle Vereinigung mit dem Ziel des illegalen Waffenhandels gebildet und angeführt zu haben."
Sollte der Untersuchungsrichter dieser Argumentation folgen, Menem vorladen und Anklage erheben, hieße dies für den früheren Staatschef in jedem Fall Untersuchungshaft. Dieser "asociación ilícita" sollen laut Stornellis 33seitiger Begründung auch der ehemalige Verteidigungsminister Ermán González und der frühere Heereschef, General a.D. Maríin Balza angehört haben.
Für weite Teile des Peronismus stellt diese Entwicklung eine "politische Hexenjagd" gegen die frühere Regierung dar. Dafür spricht nach ihrer Meinung, dass lediglich ein an den Dekreten zu den Waffenlieferungen beteiligter Minister der Menem-Regierung von einer Vorladung offenbar ausgespart bleiben soll: Domingo Cavallo. Ihm unterstand während der fraglichen Zeit die Zollverwaltung, der das Umdeklarieren des Bestimmungsortes für die Waffen - in den Regierungsdekreten waren Panama und Venezuela angegeben - hätte auffallen müssen.
Auch wird der ehemalige US-Botschafter James Cheek in den Fall hineingezogen, der sich für das Flugzeug der US-Firma "Fine Air", das die Waffen transportiert hat, um die Landeerlaubnis bemüht hat und sie von der argentinischen Luftwaffe offenbar in kürzester Zeit erhielt. Sollte ein Ex-Diplomat in den Fall verwickelt werden, könnte die Zuständigkeit auf das Verfassungsgericht wechseln, wo einer Richtermehrheit eine große Menem-Nähe nachgesagt wird. Besonders absurd, so die Verteidigung, sei allerdings die Anwendung der Rechtsfigur der "kriminellen Vereinigung" auf Regierungshandeln. Dafür gebe es keinerlei Grundlage.
Zwar beeilte sich Präsident de la Rúa, zu versichern, seine Regierung nehme auf die juristische Entwicklung keinen Einfluss, Zweifel allerdings bleiben. In einer beispiellosen Aktion und einem kämpferischen Ambiente versammelte sich die gesamte PJ-Prominenz - es fehlten lediglich der ehemalige Präsidentschaftskandidat Eduardo Duhalde und Gouverneur Nestor Kirchner - jenseits aller interner Querelen im Senat und beschloss eine Solidaritätserklärung für Carlos Menem.
Gleichzeitig wurden anstehende Parlamentsberatungen über die Cavallo-Massnahmen ausgesetzt. Ein deutliches Zeichen, allerdings auch ein problematisches: In Teilen der Öffentlichkeit wird die PJ-Aufforderung, die "Justiz nicht zu politisieren und die Politik nicht zu justizifizieren" als Freibrief für solche Politiker verstanden, die bei ihrer Amtsführung die Einhaltung der Gesetze nicht allzu genau nehmen. Und das in einem Land, in dem der Justizsektor ohnehin schwächlich, das Vertrauen in ihn gering und die Rechtssicherheit wenig ausgeprägt sind.