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Das von Renzi vorgeschlagene Gesetz Italicum (nur für die Abgeordnetenkammer, der Senat sollte durch die Reform abgeschafft werden) wurde im Februar 2017 vom Verfassungsgericht abgelehnt.
Die italienische Abgeordnetenkammer hat nun am vergangenen Donnerstag (12.10.2017) das neue Wahlgesetz Rosatellum 2.0 verabschiedet. In dieser Woche beginnen die Beratungen im Verfassungsausschuss des italienischen Senats. Danach müssen die 315 Senatoren über das Gesetz abstimmen. Sollte es auch hier unverändert durchgehen, wird es dem italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella zur Unterschrift vorgelegt und tritt in Kraft. Die Parlamentswahlen in Italien müssen bis Mai 2018 stattfinden – dann endet die aktuelle Legislaturperiode.
Das neue Wahlgesetz Rosatellum bis oder Rosatellum 2.0 ist benannt nach dem Fraktionsvorsitzenden der Regierungspartei Partito Democratico (PD), Ettore Rosato, der den Text entworfen hat. Es trägt den Zusatz „bis“ oder „2.0“, da es im Juni 2017 in seiner ursprünglichen Form nicht verabschiedet werden konnte.
Zum ersten Mal hatten sich im Juni die traditionellen Parteien gemeinsam mit der Fünf-Sterne-Bewegung für eine gemeinsame Linie ausgesprochen und eine politische Abmachung getroffen. Dieser erste Versuch scheiterte mit der Abstimmung über das neue Wahlgesetz. Vor allem die Regierungspartei PD warf der Fünf-Sterne-Bewegung damals vor, nicht paktfähig zu sein.
Es kam zu einem Fiasko: die vier großen Parteien (Partito Democratico PD, Forza Italia FI, Lega Nord, Fünf-Sterne-Bewegung M5S) hatten sich darauf verständigt, für die Verabschiedung des Wahlgesetzes zu stimmen. Bei einer eigentlich geheimen Wahl kam es zu einem technischen Fehler und es wurde offensichtlich, dass einige Mitglieder der Fünf-Sterne-Bewegung sich nicht an die im Vorfeld abgesprochene Vorgehensweise hielten und einem Änderungsantrag zum Wahlgesetz zustimmten, anstatt diesen abzulehnen – wie es die Abmachung vorsah. Das für Italien dringend notwendige neue Wahlgesetz konnte vor der Sommerpause somit nicht in Kraft treten.
Wie funktioniert das neue Wahlgesetz?
Das neue Wahlgesetz Rosatellum 2.0 soll in der Abgeordnetenkammer und im Senat Anwendung finden. Es handelt sich um eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht: 36 Prozent der Sitze werden nach dem Mehrheitswahlrecht in Einmannwahlkreisen bestimmt und 64 Prozent nach dem Proporzsystem. Das bedeutet für die Abgeordnetenkammer, dass die 630 Sitze wie folgt verteilt werden: 232 werden nach dem Mehrheitsverfahren in Einmannwahlkreisen nach dem englischen Prinzip „the first past the post“ gewählt. 386 Sitze werden per Verhältniswahlrecht über Wahllisten bestimmt – voraussichtlich in 65 Wahlkreisen. Die Anzahl wird nach der Verabschiedung des Gesetzes per Dekret festgelegt. 12 Sitze werden über den „Wahlkreis Ausland“ (circoscrizione Estera) bestimmt.
Im Senat hingegen werden die 315 Sitze wie folgt aufgeteilt: 102 Einmannwahlkreise, die nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben werden und 207 Sitze, die mit dem Verhältnismodus und den Wahllisten bestimmt werden. Sechs Sitze werden über den „Wahlkreis Ausland“ bestimmt.
Zwei Wahlkarten, Zwei Kreuze
Wie kann man sich das Wahlgesetz in der Praxis vorstellen?
Der Wähler bekommt zwei Wahlkarten – eine für den Senat und eine für die Abgeordnetenkammer. Auf jeder Karte hat er die Möglichkeit, ein Kreuz zu machen.
Wie bereits erwähnt, gehen die Parteien Wahlbündnisse ein und bestimmen in einem Wahlkreis einen gemeinsamen Kandidaten, der sich mit dem System des Mehrheitswahlrechtes durchsetzen muss. Der Wahlzettel ist voraussichtlich so aufgebaut, dass man in einem Kasten den Namen des Direktkandidaten sieht und darunter die Symbole der Parteien , die ihn als Bündnis unterstützen. Neben dem Parteisymbol hingegen stehen mindestens zwei und höchstens vier Namen der Kandidaten, die für die jeweilige Partei nach dem Proporzsystem antreten – ähnlich der Liste in Deutschland.
Dem Kandidaten des Einmann-wahlkreises ist es erlaubt, in bis zu fünf weiteren Wahlkreisen auf der jeweiligen Liste seiner Partei zu kandidieren. Diese werden proportional ausgewertet. Das heißt, er kann bis zu sechs Chancen ausschöpfen, ins Parlament gewählt zu werden.
Angenommen im Wahlkreis A verständigen sich die Mitte-Rechts-Parteien, bestehend aus Forza Italia, Lega Nord und Fratelli d’Italia auf einen Kandidaten der FI. Der Wähler hat nun die Möglichkeit, diesen Kandidaten durch sein Kreuz direkt zu unterstützen. Sein Kreuz wirkt in zwei Richtungen: einerseits wählt er den Kandidaten, dem er seine Stimme gibt. Auf der anderen Seite wird seine Stimme proportional auf alle Parteien verteilt, die sich in diesem Wahlbündnis befinden und diesen Kandidaten unterstützen – also auf Forza Italia, Lega Nord und Fratelli d’Italia.
Der Wähler kann sich aber auch dazu entscheiden, nicht den Kandidaten des Einmannwahlkreises zu wählen, sondern die Liste der Partei, der er seine Stimme geben will. Auch in diesem Fall wirkt sein Kreuz in zwei Richtungen und kommt prozentual auch dem Direktkandidaten zu Gute.
Empfohlen wird von den Experten, nicht den Direktkandidaten, sondern das jeweilige Parteisymbol zu wählen. Warum? Mit dem Proporzsystem werden circa zwei Drittel der Abgeordneten bestimmt – mit dem Direktmandat nur ein Drittel.
Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass mindestens 40 Prozent der Kandidaten in jedem Wahlkreis Frauen sein müssen.
Der „Wahlkreis Ausland“ wird nicht nach dem neuen Wahlgesetz ausgezählt, sondern funktioniert weiterhin mit einem „Präferenz-system“. Bislang konnte nur kandidieren, wer seinen Wohnsitz im Ausland hat. Dies wurde mit Rosatellum 2.0 nun geändert. Auch Italiener mit Wohnsitz in Italien können sich auf der Liste des „Wahlkreises Ausland“ aufstellen lassen.
Hürden und Sperrklauseln
Im Rosatellum 2.0 ist eine Hürde von drei Prozent für einzelne Parteien vorgesehen und 10 Prozent für Parteibündnisse auf nationaler Ebene. Durch diese Sperrklausel sollen Parteien dazu animiert werden, Bündnisse einzugehen. Das Wahlgesetz sieht jedoch auch vor, dass Parteien, die ein Wahlbündnis eingehen, landesweit nur ein Prozent der Stimmen erhalten müssen und damit ihr Stimmenanteil dem Bündnis zu Gute kommt.
Das bedeutet in der Praxis, dass die eigentliche Sperrklausel nicht bei drei, sondern innerhalb der Allianzen bei einem Prozent liegt. Das gesamte Wahlbündnis hingegen muss mindestens 10 Prozent der Stimmen erhalten.
Diese Regelung zeigt, dass das neue Wahlgesetz Allianzen begünstigt. Es lohnt sich, mit möglichst vielen kleinen Parteien und Bewegungen Allianzen einzugehen.
Wenn der Kandidat einer Partei, über das Prinzip des Mehrheitswahlrechts gewinnt, seine Partei jedoch an der 3-Prozent-Hürde scheitert, dann wird ihm dennoch sein Sitz im Parlament zugestanden.
Die Anzahl der Wahlkreise wird in den kommenden 30 Tagen nach Verabschiedung des neuen Wahlgesetzes festgelegt. Die Reihenfolge auf den Wahllisten ist nicht veränderbar und wird von der jeweiligen Parteiführung bestimmt.
Aktuelle Politische Landschaft in Italien
Es gibt derzeit in Italien drei politische Blöcke: Mitte-Rechts, Mitte-Links und die Fünf-Sterne-Bewegung. Zum Mitte-Rechts-Lager zählen die von Silvio Berlusconi geführte Partei Forza Italia, die von Matteo Salvini geführte Partei Lega Nord und Fratelli d’Italia unter der Leitung von Giorgia Meloni. Zum Mitte-Links-Lager gehört die Regierungspartei Partito Democratico (PD). Den dritten Flügel bildet die „Fünf-Sterne-Bewegung“ (M5S), die bislang alleine antritt und keine Bündnisse eingeht.
Die neuesten Umfrageergebnisse (http://www.termometropolitico.it/1271004_sondaggi-elettorali-demospi.html, Stand, 16.10.2017) zeigen derzeit mit Blick auf die Sonntagsfrage folgendes Ergebnis:
Lega Nord liegt bei 14,6 Prozent; Forza Italia bei 14,2 Prozent und Fratelli d’Italia bei 5 Prozent. Das Mitte-Rechts-Lager wäre damit derzeit das stärkste Bündnis mit knapp 34 Prozent.
Mitte-Links kommt bei diesen Erhebungen auf 26,3 Prozent.
Damit liegt Mitte-Links knapp hinter der Fünf-Sterne-Bewegung, die in den jüngsten Umfrageergebnissen mit 27,6 Prozent abschneiden.
Wo sich Alternativa Popolare (AP), derzeitige Koalitionspartner der Regierungspartei PD, unter der Führung von Außenminister Angelino, Alfano positionieren wird, ist bislang unklar. Seine Partei liegt in den Umfragen derzeit bei 2,2 Prozent.
Das neue Wahlgesetz Rosatellum 2.0 muss vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Konstellationen gelesen werden. Es ist sozusagen Spiegelbild der aktuellen Kräfteverhältnisse. Jene Parteien, die es verhandelt und durch ihre Zustimmung auf den Weg gebracht haben, erhoffen sich dadurch ein gutes Abschneiden bei den nationalen Wahlen.
Annahme des Wahlgesetzes durch die Abgeordnetenkammer
Bei der Abstimmung am vergangenen Donnerstag (12. Oktober 2017) in der Abgeordnetenkammer haben sich Teile der Regierungspartei PD, Forza Italia, Lega Nord, die Alleanza Popolare (AP) sowie kleinere parlamentarische Minderheiten für die Verabschiedung des Wahlgesetzes ausgesprochen. Dagegen war die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), Sinistra Italiana und die linke Abspaltung der Regierungspartei, Articolo 1 - Movimento Democratico e Progressista (MDP).
Bei der letzten Abstimmung, von insgesamt drei, zeigte sich folgendes Ergebnis: 375 Abgeordnete stimmten dafür – 215 dagegen, keine Enthaltung. 40 Abgeordnete waren nicht zur Abstimmung erschienen. Hätten alle Abgeordneten der befürwortenden Parteien auf Parteilinie gestimmt, wäre das Gesetz mit 441 Stimmen verabschiedet worden. Offensichtlich gab es 66 „Abweichler“ (La Stampa, 13.10.2017, S. 2). Dies zeigt eine Zustimmung der Abgeordneten von gut 60 Prozent. Zum ersten Mal seit 1948 wurde ein Wahlgesetz in Italien mit einer solch breiten Mehrheit verabschiedet. (http://www.ladige.it/blogs/editoriali/2017/10/15/legge-elettorale-ruolo-mattarella, Stand 18.10.2017).
Die Mehrheit der Regierungspartei PD hatte einen Antrag auf den Einsatz des Vertrauensvotums zur Verabschiedung des Wahlgesetzes beantragt. Der Ministerrat erteilte seine Zustimmung, die Verabschiedung des Gesetzes mit der Vertrauensfrage zu verknüpfen. Begründet wurde dies u.a. mit der „Verantwortung“ für Italien - in einem halben Jahr muss ein gültiges Wahlrecht vorliegen.
Die „Fünf-Sterne-Bewegung“ sowie die linke Abspaltung der Regierungspartei, Articolo 1 - Movimento Democratico e Progressista (MDP) kritisierten dieses Vorgehen und versuchten durch öffentliche Proteste, Druck auf den italienischen Staatspräsidenten Mattarella auszuüben und von ihm eine Positionierung zu erzwingen – jedoch ohne Erfolg. Mattarella selbst hatte sich nicht öffentlich zu dieser Angelegenheit geäußert – allerdings, berichtete die italienische Tageszeitung „Il Foglio“, könne man im Quirinal vernehmen, der italienische Staatspräsident schätze das Engagement des Parlaments sehr, ein neues Wahlgesetz zu verabschieden und hoffe auf breite Zustimmung. (http://www.ilfoglio.it/politica/2017/10/10/news/cosi-la-legge-elettorale-e-diventata-una-questione-di-fiducia-156848/, Stand 17.10.2017).
Die Fünf-Sterne-Bewegung kritisierte vor der Abstimmung, man wolle ein Gesetz durchwinken, das verfassungswidrig und unwürdig sei. Die Regierung sei schwach und verfüge nicht über die Mehrheit im Parlament, so die M5S-Mitglieder in der Verfassungskommission. (http://www.ilsole24ore.com/art/notizie/2017-10-10/legge-elettorale-dem-chiedono-fiducia-gentiloni-112417.shtml?uuid=AE22DviC. Stand 16.10.2017).
Auch der ehemalige Staatspräsident und Senator auf Lebenszeit, Giorgio Napolitano übte harsche Kritik an der Verknüpfung der Abstimmung über das Gesetz mit der Vertrauensfrage. Er sehe dadurch den Rahmen der Parlamentarier, ihre Meinung zu vertreten, auf schwerwiegende Weise eingeschränkt. Der ehemalige Staatspräsident kündigte an, im Senat zu diesem Thema sprechen zu wollen. (http://www.ansa.it/sito/notizie/politica/2017/10/11/napolitano-fiducia-limita-parlamentari_b2a081b9-4f68-4c44-8ffb-bf5589556562.html, Stand 17.10.2017). Ob es auch im Senat zum Einsatz der Vertrauensfrage kommt, ist bislang unklar.
Unüblich ist die Methode, die Verabschiedung von Gesetzen an das Vertrauensvotum zu knüpfen jedoch nicht: Rund 45 Prozent der in der Gentiloni-Regierung verabschiedeten Gesetze wurden nach Angaben von Openpolis an mindestens ein Vertrauensvotum geknüpft. (https://blog.openpolis.it/2017/09/11/voti-di-fiducia-del-governo-gentiloni/16370, Stand 18.10.2017).
Dabei ging es natürlich nicht immer um ein solch sensibles Thema wie das Wahlgesetz. Dreimal wurde bislang in der Geschichte der italienischen Republik ein Wahlgesetz per Vertrauensfrage durchgesetzt: 1953 unter Alcide De Gasperi, im April 2015 zur Verabschiedung des Wahlgesetzes Italicum unter Matteo Renzi und jetzt unter Paolo Gentiloni beim Wahlgesetz Rosatellum 2.0. Bislang wurden seit 1948 fünf unterschiedliche Wahlgesetze verabschiedet: Ein Proporzsystem der ersten Republik, das Mattarellum (Wahlen 1994,1996 und 2001), das Porcellum (Wahlen 2006, 2008 und 2013), das Italicum (abgelehnt vom Verfassungsgericht) und nun das Rosatellum 2.0.
Senat berät über Rosatellum 2.0
Die Verfassungskommission des italienischen Senates berät nun über das Rosatellum 2.0. Sollte der Ausschuss keine Änderungen vornehmen, könnte das Gesetz bis Ende Oktober verabschiedet werden. In dem Verfassungsausschuss haben die Parteien, die sich für das neue Wahlgesetz aussprechen (PD, AP, FI, Lega und Alleanza Liberalpopolare-Scelta Civica) eine Mehrheit.
Danach wird es den Senatoren zur Abstimmung vorgelegt. Sollte es im Senat doch zu weiteren Änderungen kommen, müsste es, aufgrund des bestehenden Zweikammersystems (perfekter Bi-Kameralismus) wieder zurück an die Abgeordnetenkammer gehen.
Auch wenn die Fünf-Sterne-Bewegung bereits angekündigt hat, alles zu unternehmen, um das Gesetz zu stoppen, ist davon derzeit nicht auszugehen. Wahrscheinlicher ist, dass es auch dort verabschiedet, von Staatspräsident Sergio Mattarella unterschrieben wird und in Kraft treten kann. Vor allem die traditionellen Parteien wollen das Gesetz vor den Regionalwahlen auf Sizilien am 5. November verabschiedet wissen.
Bedeutung für die politische Landschaft Italiens
Aufgrund der Tatsache, dass das neue Wahlgesetz Allianzen favorisiert und die Sperrklausel sehr niedrig ausfällt, werden kleinere Parteien begünstigt. Das Gesetz sieht darüber hinaus keinen Mehrheitsbonus mehr vor. Dadurch wird es für eine Partei oder ein Bündnis schwierig – Experten sagen aufgrund der derzeitigen Umfrageergebnisse gar unmöglich sein – alleine zu regieren. Denn dazu braucht eine Partei oder ein Bündnis ein „Super- Wahlergebnis“ und müsste 50 Prozent der Sitze ergattern, die über das Proporzsystem ausgerechnet werden und 70 Prozent der Direktmandate über das Mehrheitswahlrecht, schreibt der italienische Politikwissenschaftler Roberto D‘Alimonte in der Tageszeitung „Il Sole 24 ore“ (http://www.ilsole24ore.com/art/notizie/2017-10-14/coalizioni-percentuali-e-seggi-pallottoliere-rosatellum-224320.shtml?uuid=AEMyKZnC , Stand 15. 10. 2017).
Realistisch ist aktuell ein solches Ergebnis nicht – weder für Mitte-Links (Partito Democratico), noch für Mitte-Rechts (Forza Italia, Lega Nord, Fratelli d’Italia) oder die Fünf-Sterne-Bewegung, die derzeit die prinzipiellen Lager bilden.
Es müssen also nach der Wahl wahrscheinlich Koalitionen geschlossen werden. Ein wichtiger Kritikpunkt ist, dass die Allianzen, die im Wahlkampf gemeinsam antreten, sich nicht automatisch zu einer Koalition nach der Wahl zusammenschließen werden.
Nach der Wahl kann es also durchaus sein, dass sich zum Beispiel die stärkste Partei des Mitte-Rechts-Bündnisses mit der stärksten Partei des Mitte-Links-Bündnisses zusammenschließt – ohne die kleineren Parteien, die zum Wahlerfolg durch die Wahlallianz und der gemeinsamen Liste beigetragen haben, zu berücksichtigen. Es bleibt also alles offen.
Ein weiterer Punkt sind die Direktmandate: Nach Einschätzung der Experten hat die Lega Nord im Norden Italiens sehr gute Chancen, diese Direktmandate zu gewinnen. In der Mitte Italiens sieht man einen Vorteil bei der derzeitigen Regierungspartei PD. Im Süden Italiens ist hingegen noch alles offen. Vieles hängt von den Regionalwahlen am 5. November 2017 in Sizilien ab.
Bei den Kommunalwahlen im Juni 2017 zeigte sich, dass Allianzen maßgeblich zum Erfolg – zumindest auf kommunaler Ebene - beigetragen haben.
Maurizio Gasparri, Vorsitzender von Forza Italia im Senat, bewertete damals die Bündnisbildung auf kommunaler Ebene zwischen Forza Italia und der Rechts-Partei Lega Nord als Testlauf für nationale Wahlen. Man habe sich auf die „klassische Allianz“ verlassen und damit u.a. in Genua Erfolg gehabt.
Schon damals wurden diese Wahlerfolge als mögliche Strategie präsentiert, um das Mitte-Rechts-Lager auch auf nationaler Ebene, wiederzubeleben. Seit den Kommunalwahlen hat das Mitte-Rechtslager auf nationaler Ebene an Zustimmung gewonnen.
Auch im Mitte-Links-Lager zeigte sich auf kommunaler Ebene, dass Bündnisse von fundamentaler Bedeutung sind, um zu siegen: Die These des ehemaligen Bürgermeisters von Turin, Piero Fassino, lautete, dass sich die Regierungspartei Partito Democratico (PD) dort durchsetzen konnte, wo sie sich mit anderen Formierungen aus dem Mitte-Links-Lager zusammengeschlossen hatte. Alleine hingegen, zeigte sie keine Schlagkraft. In Catanzaro zum Beispiel war die PD in einem Bündnis mit zehn weiteren politischen Formierungen. Gemeinsam erreichte man 44,29 Prozent der Stimmen. Die PD alleine trug jedoch nur 5,05 Prozent zum Erfolg bei.
Kritik der Fünf-Sterne-Bewegung
Die Fünf-Sterne-Bewegung schließt Wahlbündnisse bislang aus. Daher können sie von den Regelungen des Rosatellum 2.0, das ganz klar Koalitionen favorisiert, eigentlich nicht profitieren. Allerdings hat der Spitzenkandidat der Fünf-Sterne-Bewegung in Sizilien, Giancarlo Cancelleri, nun angekündigt, man wolle ein Zehn-Punkte-Programm aufstellen, um auf dieser Basis gemeinsam mit anderen politischen Strömungen ins Gespräch zu kommen. Vielleicht könnte dieser Vorstoß eine Richtungsänderung in der Fünf-Sterne-Bewegung darstellen.
Die Fünf-Sterne-Bewegung hatte bereits vor der Verabschiedung des Gesetzes in der italienischen Abgeordnetenkammer auf der “Piazza Montecitorio” Proteste organisiert. Beppe Grillo nahm an den Demonstrationen nicht teil. Luigi di Maio sagte nach der für ihn verlorenen Abstimmung: “Sie haben die Mehrheit im Parlament, wir im Land” (La Stampa, 13.10.2017, S. 2). Die Fünf-Sterne-Bewegung kündigte Demonstrationen vor dem Quirinalspalast an, um Sergio Mattarella an der Unterzeichnung des Gesetzes zu hindern. “Diesen Mut hatte noch nicht einmal Berlusconi seinerzeit” kommentierte, die Tageszeitung “La Stampa”. Ob sie gegen das Gesetz nach dessen Verabschiedung beim italienischen Verfassungsgericht klagen werden, ist bislang unklar.
Fazit
Durch die relativ niedrige Sperrklause von de facto einem Prozent in Wahlbündnissen, ist eine Fragmentierung des Parteiensystems möglich. Es kann sein, dass Abgeordnete durch ein Direktmandat ins Parlament gewählt werden, die keine Partei hinter sich haben. Da es in Italien ohnehin eine hohe Fluktuationsrate bzw. häufige Partei- und Fraktionswechsel gibt – in dieser Legislaturperiode haben im Schnitt 10 Parlamentarier pro Monat die Fraktion gewechselt – bleibt abzuwarten, welche Implikationen dies auf die Mehrheiten und die Stabilität im Parlament haben wird. (http://www.repubblica.it/politica/2017/06/20/news/cambi_di_casaccc_le_giravolte_dei_parlamentari_a_quota_500_mai_cosi_tante-168605779/, Stand 17.10.2017).
Voraussichtlich wird es mit diesem Wahlgesetz nach der Wahl keinen eindeutigen Sieger geben. Daher muss es zu der Bildung einer Koalition nach der Wahl kommen. Analysten erwarten eine Koalition der Mitte mit breitem Konsens – angelehnt an die große Koalition in Deutschland. In Italien könnte dies z. B. eine Koalition von Forza Italia und PD sein.
Einige Experten befürchten, dass sich die Fünf-Sterne-Bewegung durchsetzen und mit der Lega Nord verbünden könnte. Auch wenn dies zum jetzigen Zeitpunkt eher unwahrscheinlich erscheint, muss man feststellen, dass Standpunkte – vor allem im Umgang mit den Herausforderungen der Migrationskrise – in beiden Lagern Ähnlichkeiten aufweisen.
Es bleibt also bis zur Wahl im Frühjahr 2018 alles offen. Obwohl das Gesetz noch nicht unter Dach und Fach ist, läuft der Wahlkampf schon an. Die Fünf-Sterne-Bewegung hat bereits vor Wochen Luigi Di Maio, Vizepräsident der italienischen Abgeordnetenkammer, zum Spitzenkandidaten ausgerufen. Als erster Gradmesser gilt jetzt die Regionalwahl am 5. November in Sizilien.