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Nach 17 Monaten Vakanz sollte Ende April der neue Defensor del Pueblo, der Ombudsman des peruanischen Volkes (wörtl: "Verteidiger des Volkes"), vom Kongress gewählt werden. Doch die Wahl scheiterte, weil keiner der beiden Spitzenkandidaten die erforderliche 2/3-Mehrheit auf sich vereinigen konnte. Dieses unerwartete Ergebnis wurde allgemein mit Unverständnis aufgenommen und als Belastung für den Demokratisierungsprozess in Peru gewertet.
Das Verfassungsorgan des Defensor del Pueblo
Die Institution des "Ombudsmans des peruanischen Volkes" kann auf eine zwar nur kurze, dafür umso erfolgreichere Geschichte zurückblicken. Eingeführt wurde sie mit der Verfassung von 1993 und konkretisiert im "Gesetz über die DefensorÃa del Pueblo" vom 8. August 1995. Die Wahl des Defensors wird von der peruanischen Legislative, dem Kongress, vorgenommen.
Um die Unparteilichkeit und die politische Unabhängigkeit des Defensor del Pueblo weitestgehend zu garantieren, bedarf es - diesem Gesetz entsprechend - der 2/3-Mehrheit aller Abgeordneten, also mindestens 80 Stimmen. Am 28. März 1996 wurde der bekannte Jurist Jorge Santistevan de Noriega, der Kompromisskandidat zwischen Fujimori-Regierung und demokratischer Opposition, mit 95 von 120 Stimmen zum ersten Defensor del Pueblo gewählt.
Sein Büro, die DefensorÃa, unterhält neben der Zentrale in Lima auch sieben Regionalbüros in den wichtigsten Provinzmetropolen und beschäftigt insgesamt 160 Mitarbeiter. Die wichtigste Aufgabe der DefensorÃa besteht darin, als direkte Anlauf- und Clearingstelle für die peruanischen Bürger zu wirken, und lässt sich daher am besten mit dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages vergleichen.
Innerhalb weniger Jahre hat sich die DefensorÃa zu einer allseits anerkannten und geachteten Verfassungsinstitution entwickelt, was zu einem Grossteil der Arbeit und dem persönlichen Einsatz von Jorge Santistevan zu verdanken ist. Immerhin sprechen der DefensorÃa laut einhelligen Umfrageergebnissen 60 Prozent der Bevölkerung das Vertrauen aus. Keine andere Verfassungsinstitution kann damit auch nur annähernd konkurrieren.
Seit ihrer Schaffung hat die DefensorÃa aber nicht nur Eingaben, Petitionen und Beschwerden von Bürgern bearbeit. Ihre Aufgaben gehen weit darüber hinaus: So begleitete sie im Verlauf der Präsidentschafts- und Kongresswahlen 2000 viele Oppositionskandidaten bei deren Wahlveranstaltungen, um allein durch ihre Anwesenheit Ãœbergriffe durch Fujimori-Anhänger und von der Regierung bezahlte Störer zu vermeiden (die Polizei sah sich damals vielfach "nicht in der Lage", die Sicherheit und die politischen Rechte der Opposition zu gewährleisten).
Als Jorge Santistevan dann im Juni 2000 die Entsendung einer Hohen Mission der OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) forderte, die die Geschehnisse um die Betrugswahlen vom 9. April und 28. Mai untersuchen sollte, machte er sich damit bei Präsident Fujimori und seinem Geheimdienstchef Montesinos nicht gerade beliebter. Im Rahmen der demokratischen Stichwahlen um das Präsidentenamt im Jahr 2001 wurde die Tätigkeit der DefensorÃa als oberste Wahlaufsicht vom US-amerikanischen National Democrat Institute, das als internationaler Beobachter fungierte, ausdrücklich gewürdigt.
Zwischen 1980 und 2000 wurden insgesamt 4022 Vermisstenanzeigen über verschwundene Personen eingereicht (davon allein 1682 Fälle während der Präsidentschaft von Alan GarcÃa 1985-90), deren Schicksale und Verbleibe in vielen Fällen bis heute ungeklärt sind. Bei den Vermissten handelt es sich entweder um Opfer des gnadenlosen Terrorismus von MRTA und Sendero Luminoso ("Leuchtender Pfad") bzw. der ebenso gnadenlosen Verfolgung desselben durch die Polizieibehörden und paramilitärische Einheiten der Fujimori-Administration, die allzu häufig nach dem Prinzip "Wo gehobelt wird, da fallen Späne" vorgingen.
Die DefensorÃa unterbreitete der Ãœbergangsregierung unter Präsident Paniagua daher im Februar 2001 den Vorschlag, eine Wahrheitskommission (Comisión de la Verdad) zu berufen, um das begangene Unrecht aufzuarbeiten, die Schuldigen zu entlarven und die Schicksale der vermissten Personen - soweit heute noch möglich - aufzuklären. Diese Initiative wurde umgehend aufgegriffen: Mitte 2001 berief Präsident Paniagua zwölf gesellschaftspolitisch engagierte Persönlichkeiten als Mitglieder der Kommission unter dem Vorsitz des Rektors der Katholischen Universität von Peru, Salomon Lerner. Seit Februar beteiligt sich die DefensorÃa mit ihren Regionalvertretungen auch an der Arbeit der Sonderstaatsanwaltschaft, die die Verbrechen des Fujimori-Regimes untersucht und Anzeigen verfolgt, die Hinweise auf Korruptionsfälle und Menschenrechtsverletzungen durch die Staatsmafia geben.
Nachdem am 29. November 2000 Jorge Santistevan seinen Rücktritt als Defensor del Pueblo bekanntgegeben hatte, weil er in den Wahlen 2001 für das Amt des Staatspräsidenten kandidierte (um dann doch vorzeitig das Handtuch zu werfen), wurde sein damaliger Stellvertreter Walter Albán Peralta bis zur Wahl eines Nachfolgers zum Interimsdefensor ernannt. Obwohl allgemein davon ausgegangen wurde, dass erst der neue, demokratisch legitimierte Kongress, der Ende Juli 2001 seine Arbeit aufgenommen hat, diese Wahl vornehmen sollte, so dachte doch niemand ernsthaft daran, dass es nach 17 Monaten immer noch keinen neuen Defensor geben würde.
Der lange Weg zum Scheitern - warum es nach 17 Monaten immer noch keinen Defensor del Pueblo gibt
Zu Beginn der Legislaturperiode setzte der Kongress eine Kommission ein, deren Aufgabe es war, die Bewerbungen um das Amt des Defensors zu sammeln und die fünf besten Kandidaten dem Kongress zur Wahl vorzuschlagen. Ende November hatte diese Kommission ihre Aufgabe erfüllt und aus der Unmenge von immerhin 45 ernsthaften Kandidaten die fünf geeignetsten Bewerber selektiert. Der Kongress hätte damit durchaus die Möglichkeit gehabt, mit der zügigen Wahl des neuen Defensors dem peruansichen Volk ein demokratischen Weihnachtsgeschenk zu machen. Doch aus verschiedensten Gründen, auf die näher einzugehen den Rahmen dieses Berichts sprengen würde, zögerte sich die Wahl immer wieder hinaus.
Die wichtigste Ursache bestand darin, dass sich der Meinungsbildungsprozess in den einzelnen Fraktionen als ein äusserst schwieriges Unterfangen erwies, sodass das Gros der Fraktionsführer sich eher um die Wahl drückte, als sie zu forcieren. Auch der Parlamentspräsident selbst befand sich in diesem Zusammenhang in einer Zwickmühle, weil sich seine Regierungsfraktion Perú Posible mit immerhin 44 von 120 Abgeordneten in keiner Weise auf einen Kandidaten einigen konnte.
Als am 25. April endlich die Wahl des Defensors auf der Tagesordnung der Parlamentssitzung stand, war bereits ein Kandidat abgesprungen. Nach einer langen und kontroversen Diskussion, bei der es allein um das Wahlprocedere ging, wurden dann zumindest die beiden Spitzenkandidaten - der Interimsdefensor Walter Albán sowie der bekannte Verfassungsjurist Francisco Eguiguren - bestimmt. Da allerdings nur 97 der 120 Abgeordneten anwesend waren und der Parlamentspräsident befürchtete, dass keiner der Kandidaten die erforderlichen 80 Stimmen erzielen würde, verschob er die Stichwahlen auf den 30. April.
Am Abend des 30. kam es dann zu einer Stichwahl, die erneut geprägt war von langwierigen Diskussion um den Wahlmodus. Im ersten Wahlgang setzte sich der Interimsdefensor Walter Albán gegen Francisco Eguiguren überraschend klar mit 56 zu 27 Stimmen durch. Die Wahl des Defensors sollte damit eigentlich nur noch eine Formsache darstellen ,da zudem 119 Abgeordnete anwesend waren. Umso überraschender war es für alle Anwesenden, das Albán nur 68 Stimmen auf sich vereinigen konnte und damit nicht die erforderliche 2/3-Mehrheit erzielte. Damit ist die Frage der Wahl eines neuen Defensor del Pueblo bis auf weiteres vertagt.
Fest steht, dass diese Nicht-Wahl in keiner Weise auf die Qualität der Kandidaten zurückgeführt werden kann, sondern vielmehr auf das Unvermögen der im Kongress vertretenen Parteien, einen Konsens zu finden. Es gibt sogar Stimmen, die behaupten, die beiden Stichwahlkandidaten hätten aufgrund ihrer jeweiligen Persönlichkeit und Befähigung zu stark polarisierend gewirkt. So stellte die Regierungsfraktion von Perú Posible ihren 44 Mitgliedern die Wahlentscheidung frei, und ihr Fraktionsvorsitzender LuÃs Solari machte keinen Hehl daraus, dass er wegen seiner grundsätzlichen Kritik am Verfahren einen ungültigen Stimmzettel abgab.
Noch herrscht Unsicherheit darüber, wie nun weiter vorgegangen werden soll. Der Vorsitzende des Kongressausschusses zur Kandidatenevaluierung, Ernesto Herrera, stellte fest, mit der Nicht-Wahl sei eine äußerst schwierige Lage entstanden, da seine Kommission dem Kongress die mit Abstand besten und geeignetsten Kandidaten vorgeschlagen habe. Laut Gesetz könnte jetzt aus dem Kreis der übrigen 40 Kandidaten ein Vorschlag erarbeitet werden, doch es ist ebenso möglich, dass ein gänzlich neuer Evaluierungsprozess eröffnet wird, zu dem ausschließlich neue Bewerber zugelassen werden.
Dies hieße aber zugleich, dass das peruanische Volk mindestens ein weiteres halbes Jahr warten müsste, um einen demokratisch legitimierten Defensor del Pueblo zu erhalten. Der Kongress und jedes einzelne Mitglied müssen sich daher auf jeden Fall den Vorwurf gefallen lassen, die Außenwirkung dieser Wahl nicht erkannt und eine wichtige Chance zur Stärkung des gesamten Demokratieprozesses in Peru verspielt zu haben.