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Country reports

Der Fall Madagaskar und die Afrikanische Union

by Burkhard Margraf
Am 3. Februar 2003 hat das Zentralorgan (für Konfliktvermeidung, -management und -lösung) der Afrikanischen Union (AU), das sich aus den Regierungschefs der Mitgliedsstaaten zusammensetzt, in Addis Abeba sich zu seiner Haltung zu Madagaskar geäußert. Darin schlägt das Zentralorgan der Vollversammlung der AU vor, den madagassischen Präsidenten Marc Ravalomanana, der Ende Januar der Bundesrepublik seinen ersten Staatsbesuch in Europa abstattete, auf dem nächsten Gipfel im Juli in Maputo als rechtmäßigen Präsidenten anzuerkennen. Diese Anerkennung war ihm von der Vollversammlung der AU bei ihrer Gründung im Juli 2002 noch verweigert worden.Um die Bedeutung dieses Meinungswechsels bei der AU zu verstehen, wird im Folgenden der Verlauf der Ereignisse in Madagaskar in Erinnerung gerufen.

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Die Präsidentschaftswahlen und die Ereignisse des Jahres 2002

Im Dezember 2001 fanden in Madagaskar Präsidentschaftswahlen statt, bei denen sich als Kandidaten der mit einer kurzen Unterbrechung in den 90er Jahren seit 1975 amtierende Präsident und Militär, Didier Ratsiraka, und der Geschäftsmann und Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo, Marc Ravalomanana, als Herausforderer gegenüberstanden.

Durch ungesetzliche aber geschickte Manipulationen bereits vor der Wahl (u.a. Neubesetzung des Verfassungsgerichtshofs mit seinen Vasallen) und Verletzung mehrerer Wahlgesetze bis zum Wahltag selbst hatte Ratsiraka gehofft, den Wahlausgang noch einmal zu seinen Gunsten beeinflussen zu können. Die Unzufriedenheit mit den Ergebnissen seiner Regierungsführung, mit Nepotismus, Klientelismus, Korruption und damit einhergehend zunehmender Verarmung der Bevölkerung war aber nach insgesamt mehr als zwei Dekaden seiner Herrschaft so stark, dass selbst alle diese Manipulationen zusammen nicht zu dem erwünschten Wahlergebnis führten. Der Logik seiner bisherigen Manöver folgend blieb ihm dann nur noch der Wahlbetrug selbst, nämlich die Fälschung von Auszählungsergebnissen, um sein Ziel zu erreichen.

Der Stimmenvorsprung des populären, weil als Bürgermeister der Hauptstadt sehr erfolgreichen Herausforderers, war allerdings so groß, dass er es nicht wagen konnte, sich als Sieger im ersten Durchgang deklarieren zu lassen. Immerhin ließ er ein Wahlergebnis verkünden, dass einen gewissen Abstand zwischen dem Wahlgewinner Ravalomanana und ihm schaffte, der einen zweiten Durchgang notwendig machte. Dieses Ergebnis wurde weder von der Bevölkerung noch von den unabhängigen Wahlbeobachtern anerkannt. Ab Januar 2001 ging die Bevölkerung in der Hauptstadt wochenlang täglich zu Hunderttausenden friedlich auf die Straße, um für eine Neuauszählung der Stimmen zu demonstrieren.

In den Provinzen, in die Ratsiraka wohl in Erwartung des Wahlergebnisses die ihm treuen militärischen Eliteeinheiten und die wenigen schweren Waffen, über die das Land verfügt, hatte verlegen lassen, zerstreuten die von ihm ernannten Provinzgouverneure die Demonstrationen mit Waffengewalt. Die Militärführung des Landes und die in der Hauptstadt stationierten Truppen verhielten sich verfassungskonform und enthielten sich eines Eingreifens in den politischen Konflikt. Am 22. Februar wurde Ravalomanana auf Druck seiner Anhänger und auf der Basis der Stimmenauszählung seiner Partei, die ihm eine absolute Mehrheit gaben und die von den unabhängigen Wahlbeobachtern i.W. bestätigt wurde, zum Präsidenten ernannt. Daraufhin rief Ratsiraka das Kriegsrecht im Lande aus. Da die Medien im Lande schon längst nicht mehr unter seiner Kontrolle waren und sich weigerten, seine Verlautbarungen zu verbreiten, waren die französischen Sender die einzigen, die diese Nachricht verbreiteten, zeitgleich versehen mit einem Kommentar des französischen Außenministeriums, das diesen Schritt begrüßte. Da Ratsiraka längst die Kontrolle über die verfassungsmäßigen Organe des Landes verloren hatte, wurde das Kriegsrecht jedoch nicht durchgesetzt.

Am 1. März begann Ravalomanana dann mit der Regierungsbildung, besetzte nach und nach die Ministerien neu und stellte sein Regierungsprogramm vor. Der in der Hauptstadt konzentrierte staatliche Verwaltungsapparat arbeitete normal weiter. Für viele Beobachter überraschend annullierte der Oberste Gerichtshof am 17. April 2001 sein im Januar unter Druck von Ratsiraka verkündetes Wahlergebnis und ordnete eine Neuauszählung der Stimmen an. Die beiden Kontrahenten Ratsiraka und Ravalomanana akzeptierten dieses Vorgehen in einem Treffen in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Als dann aber der Oberste Gerichtshof das Ergebnis der Neuauszählung am 29. April 2001 bekannt gab und Ravalomanana zum Gewinner im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit erklärte, hielt Ratsiraka sich nicht an die getroffene Abmachung und ließ verlautbaren, dass er das Ergebnis nicht akzeptierte. Ravalomanana wurde am 6. Mai 2001 zum zweiten Mal formell mit allen Ehren und unter großem Jubel der Bevölkerung als Staatspräsident vereidigt.

Daraufhin verstärkte Ratsiraka, der sich bereits einige Zeit vorher in die Hafenstadt Tamatave abgesetzt hatte, seine Anstrengungen, das Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen. Er führte fort, was er bereits vor Wochen begonnen hatte, und ließ weitere Zufahrtswege in die im Hochland liegende und auf Importe von den Küstenstädten angewiesene Hauptstadt Antananarivo von ihm treuen teilweise paramilitärischen Einheiten sprengen. Damit schaffte er es, die Hauptstadt von der Versorgung mit Medikamenten und vor allem mit Treibstoff abzuschneiden. Bei diesen terroristischen Akten wurde Infrastruktur, die entweder noch aus der Kolonialzeit stammte oder aber mit Hilfe internationaler Geber (auch aus der EU) errichtet wurde, im Werte vieler Millionen Euro zerstört. Die Menschenleben, die vor allem die so verursachte Knappheit an Medikamenten im Hochland forderte, sind nicht im einzelnen zu beziffern.

Nach und nach schafften es aber dann die regulären Einheiten des Militärs, die von den Ratsiraka-Treuen Einheiten noch belagerten Provinzstädte zu befreien. Der Durchbruch für die internationale Anerkennung des Präsidenten kam dann mit der Anerkennung durch die USA am 26. Juni 2001, dem Nationalfeiertag Madagaskars. Danach gab auch Frankreich seine Blockadehaltung innerhalb der EU gegenüber der Anerkennung des neuen Präsidenten auf und erkannte ihn und seine Regierung schließlich am 2. Juli 2001 an.

Als Ratsiraka dadurch die internationale Unterstützung durch seinen wichtigsten Bündnispartner Frankreich verlor, floh er am 7. Juli 2001 mit einem Häuflein seiner engsten Getreuen und Mittäter der vergangenen 7 Monate ins Exil nach Frankreich.

Der Präsident Ravalomanana rief auf Wunsch der internationalen Gebergemeinschaft nach einer besseren Legitimierung seiner Regierung im Dezember 2002 vorzeitige Parlamentswahlen aus, die seine Partei haushoch mit 102 von 160 Sitzen gewann. Damit ist nun für eine Legislaturperiode von 5 Jahren eine stabile politische Mehrheit gesichert, die der Regierung erlaubt, ihr Programm umzusetzen.

Die Position der AU

Die aufgezeigten Ereignisse in Madagaskar sind ein Beispiel für einen demokratischen, durch Wählerwillen an den Urnen herbeigeführten Machtwechsel. Aufgrund versuchten Wahlbetrugs des noch im Amt befindlichen Vorgängers wurde dieser von wochenlangen friedlichen Massendemonstrationen Hunderttausender betroffener Bürger begleitet, die diesen Machtwechsel letztlich durchsetzten. Dies ist für den afrikanischen Kontinent leider nicht die Regel, wenn man die aktuellen kriegerischen Konflikte bedenkt. In diesem Zusammenhang muss Madagaskar auf einer Stufe mit Kenia gesehen werden, das auch ein aktuelles Beispiel für einen demokratischen und friedlichen Machtwechsel ist und Hoffnung für den in der Vergangenheit so krisengeschüttelten Kontinent aufkommen lässt.

Trotzdem wurde von der Afrikanischen Union und Ihren Mitgliedsländern im Gegensatz zu allen anderen Ländern der Machtwechsel in Madagaskar bisher nicht anerkannt, weil er nach ihrer Ansicht nicht auf demokratischem Wege herbeigeführt worden war. Ausgeschert aus dieser Haltung waren zwischenzeitlich allerdings Senegal und Mauritius, die bilateral den neuen Präsidenten und seine Regierung anerkannt haben. Die Position der AU lässt Zweifel an den Standards dieser Organisation aufkommen und lässt sich eigentlich nur mit folgenden zwei Hypothesen erklären:

  • zum einen mit den persönlichen Beziehungen zwischen dem langjährigen Präsidenten Ratsiraka und vielen Mitgliedern des Zentralorgans der AU, die fast ebenso lange an der Macht sind, wie er es war. Einen „alten Kameraden“ lässt man nicht so einfach im Stich.
  • zum anderen mit der Angst vieler afrikanischer Staatschefs vor den seit Anfang der 90er Jahre viel beschworenen „winds of change“, die durch Afrika ziehen. Madagaskar als weiteres Beispiel eines Landes, in dem ein demokratisch abgewählter Präsident, der während seiner langen Amtszeit vor allem durch Machtmissbrauch, persönliche Bereicherung und Nepotismus aufgefallen ist, es vorzieht, das Land zu verlassen und ins Exil nach Frankreich zu gehen, weil er zuhause vor ein Gericht gestellt würde, muss für viele seiner noch amtierenden Kollegen ein Schreckbild sein, dass man nicht akzeptieren möchte.
Die Gründung der AU im südafrikanischen Durban im Sommer des vergangenen Jahres, hat neben viel Skepsis auf Seiten der internationalen Geber auch große Hoffnungen auf eine bessere Regierungsführung als Voraussetzung für eine wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents geweckt. Wenn die AU aber bei konkreten Fragen wie der Anerkennung eines demokratischen Regierungswechsels in einem ihrer Mitgliedsländer solches Zögern an den Tag legt und gleichzeitig auf der anderen Seite einen international geächteten Wahlbetrüger wie Mugabe aus Simbabwe in ihren Reihen duldet, läuft sie Gefahr, auf der internationalen Bühne als Verhandlungspartner ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Es ist der AU zu wünschen, dass ihre Mitglieder die von Ravalomanana am 27. Januar 2003 in Kenia bei einem Zwischenstop auf dem Weg nach Deutschland an ihre Adresse gerichteten Worte ernst nehmen. Ravalomanana sprach davon, dass in Afrika die Zeit reif ist für einen Wechsel, dass aber friedliche Machtwechsel in Afrika noch ein relativ junges Phänomen darstellen. Die Globalisierung stellt nach seiner Ansicht die Weichen für einen Wechsel auch in Afrika und wird gerade deshalb von vielen Staatschefs eher als Bedrohung – auch ihrer eigenen Position – denn als Chance für Entwicklung angesehen.

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Stefan Reith

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