Country reports
Letzte Woche rief Präsident Leonid Kutschma die Fraktionsvorsitzenden des Parlaments zusammen, um über die politischen Reformen zu debattieren. Die Opposition erhoffte sich von diesem Treffen, weitere Details in Bezug auf die Reformvorschläge des Präsidenten zu erfahren. Aber wie Sozialistenchef Moros in der bekannten Zeitung ´Wochenspiegel` erklärte, äußerte sich der Präsident nicht eindeutig, sondern ließ die Fraktionsvorsitzenden ihre Positionen darlegen. Von Seiten der Opposition wurde Kutschmas Idee gleichzeitig ablaufender Präsidentschafts- und Parlamentswahlen prinzipiell abgelehnt. Doch zeigten sich schon bei dieser Frage einige Unterschiede im Detail.
Während Moros und der Vorsitzende der Allianz der Mitte ´Unsere Ukraine`, Juschtschenko, sich strikt dagegen aussprachen, ist Frau Timoschenko nur gegen die daraus resultierende Verlängerung der Amtszeit Kutschmas.
Am 19. Juni gab Kutschma offiziell in einer Fernsehansprache bekannt, dass die Präsidentschaftswahlen im Herbst 2004 stattfinden werden. Bedeutet dies nun, dass er seinen Nachfolger bestimmt hat? Auch die Frage, ob das Referendum – dessen Durchführung ebenfalls noch ungewiss ist – doch noch eine Verfassungsänderung bringen wird, bleibt vorerst offen. Von einem seiner Vorhaben ist Präsident Kutschma aber bereits abgerückt: Er wird vorerst nicht weiter auf die Einführung eines Zweikammersystems dringen, sondern diesen Vorschlag „in die Zukunft verschieben“.
Im Gegenzug hat auch die ad hoc-Kommission der Werchowna Rada zur Verfassungsänderung Reformvorschläge eingereicht. Diese sehen eine Stärkung der Rolle des Parlamentes und der Regierung sowie weitere Änderungen in Richtung eines parlamentarischen Systems vor. Dieser Entwurf wurde inzwischen vom Parlament angenommen und dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt. Damit kam der Präsident in Zugzwang und legte am 20. Juni seine Reformvorschläge dem Parlament vor. Zuvor hatte er im Rahmen einer groß angelegten Kampagne regionale Verwaltungen, Staatsbetriebe, Hochschulen, aber auch Medien aufgerufen, seine Vorschläge diskutieren zu lassen. Der nun eingereichte Entwurf stelle, laut Kutschma, das Ergebnis dieser angeblich umfassenden gesellschaftlichen Diskussion dar, welche breiteste Schichten der Gesellschaft einbezog. Nach einer kürzlichen Erhebung des Rasumkow-Zentrums wussten rund 61% der Befragten von Kutschmas Initiative, allerdings hatten 39% noch nichts davon gehört.
Die Kandidaten aus dem Lager um den Präsidenten
Das ´Präsidentenlager` besteht v.a. aus Parteien des früheren Wahlbündnisses ´Für eine einheitliche Ukraine` und den (vereinigten) Sozialdemokraten (SDPU), die sich selbst allesamt zentristisch nennen, von ihren Gegnern aber als ´Oligarchenparteien` bezeichnet werden. Die führenden Personen dieser Parteien sind - neben dem jetzigen Premierminister Janukowitsch (Partei der Regionen) - Medwedtschuk, Chef der Präsidialverwaltung und der SDPU, Tihipko, Nationalbankpräsident und dessen Partner, der Industrielle Pintschuk (beide aus der Partei ´Werktätige Ukraine`). Diese Parteien spiegeln drei große, im Parlament vertretene politische Clans wider: Erstens den Donezker Clan um Premier Janukowitsch, zweitens den Clan um Kutschma und dessen Schwiegersohn Pintschuk und drittens den Kiewer Clan, zu dem Medwedtschuk und Surkis zählen. Wer von diesen politischen Granden wird nun als Kandidat antreten?
- Viktor Janukowitsch
Janukowitsch ist zur Zeit die erste Wahl des ´Kutschma-Nachfolger-Szenarios`. Er soll den weiteren politischen Einfluss Kutschmas nach 2004 und vor allem dessen ungestörten Ruhestand sichern.
Er ist im Herbst 2002 Premierminister im Sinne eines ´fairen Ausgleichs` zwischen den großen Clans geworden, wie ihn Kutschma auch angesichts seines immer mächtiger werdenden Amtschefs Medwedtschuk für erforderlich hielt. Hintergrund war, dass sich der Donezker Clan unter der Vorgänger-Regierung Kinach beim Postenschacher übergangen fühlte.
Kutschma verweist inzwischen Janukowitsch immer wieder in seine Schranken und lässt ihm kaum Chancen, eigene Akzente zu setzen. Kutschma und Medwedtschuk haben Janukowitsch auch deswegen nach Kiew geholt, damit er die finanziellen Ressourcen des Donezker Clans hier einsetzt. Der Clan erhofft sich im Gegenzug dazu von Janukowitsch eine künftig noch größere politische und wirtschaftliche Einflussnahme.
- Viktor Medwedtschuk
Medwedtschuks Verhältnis zum Parlament ist gespannt. Sein Umgang mit den Parlamentariern sowohl auf oppositioneller wie auf der präsidententreuen Seite ist geprägt durch Druck, wobei er seine SDPU als langen Hebel einsetzt. In Folge dessen ist seine Popularität bei den Abgeordneten gleich null.
Auch seine Beziehung zu Janukowitsch gilt als äußerst schwierig. Denn da Medwedtschuk die Präsidial-Exekutive personifiziert, Janukowitsch aber - gestützt durch den Donezker Clan - eine ebenso starke Figur ist, kommt es zu ständigen Reibereien zwischen dem Premier und dem Leiter der Präsidialverwaltung. Medwedtschuks primäre Funktion im Blick auf den Präsidentschaftswahlkampf wird wohl eher die des „Strippenziehers“ sein.
- Sergej Tihipko
Das Oppositionslager
Auch die Opposition steht vor dem Dilemma, dass sie sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen kann. Kommunistenchef Simonenko hat bereits angekündigt, dass er auf jeden Fall kandidieren wird. Aber auch Julia Timoschenko und Moros haben verlauten lassen, dass sie als Kandidaten für das Amt des Präsidenten antreten werden, wenn sich die sogenannte Dreier-Opposition - Juschtschenko, Timoschenko, Moros - nicht auf Juschtschenko als gemeinsamen Kandidaten einigt.
- Petro Simonenko
Als Vorwand für seinen Unwillen, der Dreier-Opposition beizutreten, führt Simonenko die unklare Positionierung Juschtschenkos zum ´System Kutschma` an. Zum anderen beschuldigt er Juschtschenko, dass dieser sich bis zuletzt alle Optionen offen halten möchte und sich immer noch Unterstützung vom Präsidenten erhoffe.
Mit seinem relativ stabilen Rating von 10,4 Prozent hat Simonenko - auch ohne die Unterstützung der Dreier-Opposition - wahrscheinlich sehr gute Chancen, in die Stichwahl zu kommen wie schon bei der letzten Präsidentschaftswahl 1999. Seine Partei hat bereits offiziell verkündet, dass sie Simonenko mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen wird. Die Kommunisten verfügen im Unterschied zu anderen ukrainischen Parteien über eine stabile Mitgliederbasis und straffe Strukturen in fast allen Regionen. Allerdings haben sie in letzter Zeit mit einem Mitgliederschwund aus demographischen Gründen zu kämpfen.
- Julia Timoschenko
- Oleksander Moros
Sollten Timoschenko, Moros und Juschtschenko einzeln als Kandidaten antreten, hätte die Opposition kaum Chancen gegen den Kandidaten aus dem Präsidentenlager, der mit der geballten Macht der administrativen Ressourcen unterstützt würde.
- Viktor Juschtschenko
Während Juschtschenko die Opposition zur Einigung unter seiner Führung aufruft, hat er jedoch auch - zum Missfallen u.a. von Frau Timoschenko – bekannt gegeben, dass die politischen Hauptpositionen erst nach seinem Wahlerfolg verhandelt würden. Bis zum Oktober dieses Jahres will Juschtschenko zunächst einmal die Plattform um sich und ´Unsere Ukraine` herum festigen und ausbauen. Erst danach soll das größere Oppositionslager zum offiziellen Beginn des Präsidentschaftswahlkampfes 2004 in möglichst geschlossener Formation - und mit ihm als gemeinsamem Kandidaten - auf die Bühne treten.
Seit Anfang des Jahres setzt Juschtschenko auf seinen Auslandsreisen gezielt sein Image als Ex-Reformpremier und Hoffnungsträger für einen Politikwechsel nach Kutschma ein. Er hat inzwischen Schweden, die USA, Litauen, Pole n, Kanada und Deutschland besucht, um die Notwendigkeit einer fairen und demokratisch ablaufenden Präsidentschaftswahl, politische und ökonomische Strukturreformen sowie die Integration der Ukraine in die euroatlantischen Strukturen zu unterstreichen. Juschtschenko hebt sich zunehmend von der ambivalenten Außenpolitik des Präsidenten ab, der sich noch zu Jahresbeginn zum Präsidenten der GUS-Staaten wählen ließ. Ferner ist Kutschma entschlossen, gemeinsam mit Russland, Weißrussland und Kasachstan den Ausbau einer Freihandelszone voranzutreiben, die sich danach auf alle zwölf GUS-Staaten ausdehnen soll.