Country reports
Je deutlicher der Oppositionserfolg wird, je hektischer und drohender reagiert die Regierungsseite. Die große Frage ist, wird Präsident Chávez seine Worte wahr machen und eine Entscheidung gegen ihn akzeptieren, wenn diese demokratisch zustande kommt? Oder wird er andere Lösungen suchen, um die „Bolivarianische Revolution“ getreu seinem Ausspruch „nichts uns niemand kann die Revolution umkehren“ an der Macht zu halten?
Gestärkte Opposition
3,6 Millionen Unterschriften gegen Präsident Chávez hat die Opposition in vier Tagen gesammelt. 1,2 Millionen mehr, als zur Realisierung eines Abberufungsreferendums notwendig sind (2,4 Mio.). Gouverneur Enrique Mendoza hat als Vorsitzender der „Coordinadora Democrática“ an die Geduld der Venezolaner appelliert, die Überprüfung der Unterschriften durch die Oberste Wahlbehörde (CNE) friedlich abzuwarten und der Behörde das Vertrauen und alle Unterstützung zugesagt. Mendoza erwartet, dass die CNE tatsächlich unabhängig, unparteiisch und transparent vorgeht. „Geduld aber soll man nicht mit Schwäche verwechseln“ betonte Mendoza im Hinblick auf die offensichtliche Strategie der Revolution, das Votum der Opposition zu zerstören.
Mendoza hatte Grund, vielen zu danken. Vor allem der Zivilgesellschaft und den Parteien. Aber auch den Streitkräften, die schließlich in ihrer übergroßen Mehrheit korrekt gehandelt hätten und die für die Verfassung und gegen den politischen Missbrauch der Institution stehen. Eine besondere Bemerkung - aber auch der uneingeschränkte Dank - galt den Wahlbeobachtern der „Bolivarianischen Revolution“. Diese haben in ihrer übergroßen Mehrheit täglich die Rapports abgezeichnet, keine Unregelmäßigkeiten festgestellt und in einem Klima der gegenseitigen Toleranz ihre Aufgabe erfüllt. Durch die Attacken (Superbetrug) des Präsidenten und der politischen Spitze der Revolution, sind auch diese Helfer der Seite des Präsidenten diskreditiert worden. Mendoza hat beschworen, dass das Referendum im Frühjahr 2004 kommen wird und zur Ablösung von Präsident Chávez führt. Mendoza hat die Grundwerte Venezuelas –Freiheit, Friedfertigkeit und Einheit- unterstrichen und zum entschlossenen Kampf gegen die Armut aufgefordert.
Gewinner - Verlierer
Die demokratische Opposition hat entscheidend gewonnen. Nicht allein, dass die notwendige Stimmenzahl um 1/3 übertroffen wurde und man fast die Anzahl der „Pro-Chávez-Stimmen“ bei der letzten Präsidentschaftswahl erreichte (3,7 Mio.). Sehr wichtig ist auch die internationale Anerkennung als demokratische Opposition. Irritationen und Abwege vor, während und nach dem gescheiterten Machtwechsel vom April 2002, konnten ausgeräumt werden. Die Opposition hat sich eindeutig für Demokratie und Verfassungsmäßigkeit entschieden.
Gestärkt ist Enrique Mendoza selbst. Auf dem Weg zu diesem erfolg hatte er sehr oft nur begleitet von wenigen Getreuen fast allein gestanden. Angriffe, dass z.B. die Konrad-Adenauer-Stiftung ihn zu einem politischen Programm nach Deutschland einlud, kamen nicht nur von der Regierung, sondern auch von Teilen der Opposition.
Geschwächt ist Henrique Salas-Römer. Er hatte seine Kandidatur zur Präsidentschaft oft auf Kosten der „Coordinadora“ und der Rolle ihres Führers (Mendoza) lanciert und vorangebracht. Er und seine Partei „Proyecto Venezuela“ muss entscheiden, wie sie zur „Coordinadora“ steht und wie sie die Opposition fördert. Noch stehen dazu alle Türen offen. Die Verkündung der Ergebnisse des „reafirmazo“ aber war signifikant. Salas-Römer war, wie so oft zuvor, nicht anwesend. Er ließ sich von einem zweitrangigen Funktionär seiner Partei vertreten. Dabei hatte er in seiner Heimatprovinz, Carabobo, ein außerordentlich gutes Ergebnis eingefahren.
Die mühsam gewonnene Einheit der Opposition muss erhalten bleiben, wenn man im „nächsten Gang“, also dem Referendum, gegen Präsident Chávez bestehen will. Man muss ja dann nicht nur mindestens die 3,7 Millionen Stimmen erreichen, sondern zusätzlich mehr Voten erhalten, als sie Chávez auf sich vereinigen kann. Sollte das Oppositionsbündnis zerbrechen oder geschwächt werden, wird Chávez in jedem Fall der „lachende Dritte“ sein.
Verloren hat auch Präsident Chávez. Seine Angriffe gegen OAS-Generalsekretär César Gaviria fanden kein gutes Echo in der nationalen und internationalen Presse. Daran ändert auch das heutige Gespräch Chávez/Gaviria nach Einschätzung von Beobachtern nichts. OAS und Carter-Zentrum haben ihre klare Haltung (siehe vorheriger Bericht) heute erneut unterstrichen.
Gleichfalls negativ wird seine Attacke „Superbetrug“ auf die Opposition gewertet. Mehr noch als die schlechte Presse ist die Besorgnis zu sehen, ob Präsident Chávez sich tatsächlich an die Regeln halten und eventuell das Mandat aufgeben wird. Tiefe Sorge besteht für den Fall, dass mit allen Mitteln eine unabhängige Entscheidung der Wahlbehörde behindert oder verhindert würde oder das Ergebnis mit anderen Mitteln „ausgehebelt“ wird. Das Vertrauen in Präsident Chávez ist international durch seine Reaktion auf den Erfolg der Opposition keineswegs gestiegen.
Analysiert man die Politik des Präsidenten in den letzten Wochen, so ist festzustellen, dass er sich im permanenten Wahlkampf befindet und dazu alle seine Möglichkeiten („Wahlgeschenke“ und „Medienauftritte“) nutzt. Besorgt wird gesehen, dass Präsident Chávez sich mehr und mehr isoliert. Nicht das Ausland schließt Venezuela aus oder will intervenieren.
Nein, Präsident Chávez schließt mehr und mehr Venezuela aus dem Kreis moderner Demokratien aus. Zusätzlich werden Brücken zu denen abgebrochen, die im Konfliktfall vermitteln können. Zu Kirche und Vatikan ist dies bereits geschehen, die Angriffe auf den OAS-Generalsekretär können ebenso in diese Richtung interpretiert werden. Und aus der „Gruppe der Freunde“ (Brasilien, USA, Mexiko, Portugal, Spanien und Chile) werden die USA, Spanien und Chile in einer Art und Weise attackiert, dass sie für eine Vermittlung praktisch ausfallen oder geschwächt werden. Es scheint, als wolle Präsident Chávez die Lage auf seine Art und Weise lösen, allein auf sein Venezuela konzentriert und ohne Vermittlung oder Hilfe von außen.
Sein Handlungsrahmen gegen die Opposition ist dabei aber wesentlich enger geworden. Im April 2002 hatte er das konstitutionelle Recht des gewählten Präsidenten auf seiner Seite. Dem politischen Generalausstand konnte er begegnen. Jetzt aber ist er in einen engen verfassungsmäßigen Rahmen –und ein Abkommen Opposition/Regierung unter internationaler Vermittlung und Aufsicht- eingebunden. Er kann nicht mehr „frei“ handeln, sondern muss Rechtsnormen erfüllen und verfassungsmäßige Entscheidungen des venezolanischen Souveräns akzeptieren.
Der internationalen Komponente versucht er sich offensichtlich zu entledigen, den nationalen Rechtsrahmen „seiner Verfassung“ könnte er nur um den Preis eines offenen Rechtsbruchs verlassen. Trotz allem Druck seinerseits eine extrem hohe Hürde, vor allem dann, wenn er wieder gewählt werden will. Die Alternative ist, das Referendum gegen ihn zu akzeptieren und zu versuchen, mit der populistischen Politik die Mehrheit zu gewinnen. Gesetzt dieser Fall tritt ein, würde die Opposition zerfallen und es Chávez viel leichter werden, sich 2006 bei den nächsten regulären Präsidentschaftswahlen zu behaupten. Da die Oberste Wahlbehörde nur vier Wochen Zeit hat, um über die Zulässigkeit der Referenden zu entscheiden, wird man relativ schnell wissen, welchen Weg Chávez und die Opposition wählen werden.