Country reports
Mit dieser Illusion einer heilen Welt scheint es nun vorbei zu sein. 19 Monate nach ihrem Einzug in den Präsidentenpalast in Jakarta und etwa eineinhalb Jahre vor den nächsten Präsidentenwahlen muss Megawati Sukarnoputri erleben, dass die Menschen auf den Straßen der Hauptstadt ihr Konterfei mit Schmutz bewerfen. Die Tochter des Staatsgründers Sukarno schäumte nach eigenen Worten vor Wut, als sie dies erstmals beobachten musste. Sie sehe zu gut aus, um so behandelt zu werden, ließ die Präsidentin verlauten.
Seit der offiziellen Unabhängigkeit Indonesiens im Jahr 1949 gab es insgesamt fünf Staatsoberhäupter, davon allein vier in den letzten fünf Jahren. Schon diese Entwicklung zeigt, dass es bisher keinem der dem drei Jahrzehnte lang autoritär regierenden Suharto nachfolgenden Präsidenten seit 1998 überzeugend gelungen ist, politische Stabilität sicherzustellen. Aufgrund wirtschaftlicher und innenpolitischer Krisen lastet auch auf Präsidentin Megawati großer Druck.
Im nächsten Jahr stehen die ersten freien Präsidentschaftswahlen seit der Unabhängigkeit an. Bis dahin muss sie ihre politischen Fähigkeiten beweisen, um mit ihren Wettbewerbern um das Amt konkurrieren zu können. Viele politische Beobachter fragen sich, ob es aufgrund der derzeit wachsenden Unzufriedenheit mit Megawati und ihrer Politik nach den Wahlen 2004 noch eine politische Zukunft für sie geben wird oder ob danach ein erneuter Präsidentenwechsel unvermeidbar sein könnte.
Nach der Amtsenthebung Abdurrahman Wahids durch die Beratende Volksversammlung (MPR) und der Regierungsübernahme durch Megawati und ihren Vizepräsidenten Hamzah Haz Mitte 2001 versprachen sich die Indonesier von der ersten Frau im Staat einen Weg aus der Krise und eine schnell fortschreitende Demokratisierung. Trotz einiger weniger Fortschritte blieben dennoch die politischen und v.a. ökonomischen Resultate insgesamt hinter den Erwartungen der Bevölkerung zurück, und die Hoffnung, die anfangs in Megawati gesetzt wurde, schlägt seit dem Jahreswechsel in zunehmenden Unmut und Enttäuschung über ihre Regierung um.
Ein Hauptkritikpunkt an der Präsidentin ist ihre so anmutende Unentschlossenheit bei der Durchsetzung wichtiger Reformen. Dies zeigte sich z.B. zu Beginn dieses Jahres an den Debatten über eine Kürzung staatlicher Subventionen bei Energie- und Telekommunikationskosten, die auf Empfehlung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Bekämpfung der Staatsschulden verordnet wurde. Diese unpopuläre Maßnahme, die massive Preissteigerungen nach sich gezogen hätte, sahen führende Ökonomen des Landes als Chance zur Einsparung erheblicher Summen im Staatshaushalt.
Doch um diesen wirtschaftlichen Schritt politisch zu verkaufen, fehlte Megawati einmal mehr das nötige Geschick. Zum einen ließ sie die Preissteigerungen genau einen Tag nach Silvester und nach einer gigantischen Geburtstagsparty ihres Mannes Taufik Kiemas in einem Luxushotel auf Bali bekannt geben, und zum anderen vermied sie es, die Bevölkerung direkt anzusprechen und ihr Vorgehen auch den sozial schwachen Schichten, die täglich um ihr Überleben zu kämpfen haben, plausibel zu erklären. Ihre für sie zu diesem Anlass verfasste Rede las sie zwar selbst vor, wirkte aber unpersönlich und überließ die nähere Erläuterung der Notwendigkeit der Preissteigerungen ihren Ministern.
Das Vorhaben führte allerdings zu anhaltenden Demonstrationen, die Arbeiter, Studenten, Demokratieaktivisten und Wirtschaft im ganzen Land vereinten und sich somit zur ersten großen Herausforderung des neuen Jahres für Megawati entwickelten. Doch ihre harte Politik, deren objektive Notwendigkeit nicht von der Hand zu weisen war, hielt nicht lange an. Drei Wochen nach der Verkündigung knickte Megawati aufgrund der anhaltenden Proteste ein, und die Preissteigerungen wurden größtenteils zurückgenommen. Kritiker warfen ihr deswegen eine unprofessionelle Vorgehensweise sowie einen Mangel an der nötigen Durchsetzungskraft vor, um unliebsame, aber dringend notwendige wirtschaftliche Reformen durchzuführen.
Obwohl viele Regierungskritiker der Meinung sind, dass Megawati die Repräsentationsfunktion für den Staat vorzüglich ausübt, beharren sie darauf, sie sei nicht fähig, exekutive politische Managementaufgaben auszuführen. In der Regel nimmt sie zu wichtigen Themen öffentlich nicht Stellung oder sie scheut sich, den unerlässlichen Kontakt zum Volk zu suchen. Auch meidet sie häufige Zusammentreffen mit Politikern, Journalisten, Staatsbeamten und Geschäftsleuten. Genau dieses Defizit versucht ihr Ehemann Taufik Kiemas nur zu gern auszugleichen. Er schlüpft ohne Unbehagen regelmäßig in ihre Rolle, spricht als „First Gentleman“ für die Präsidentin und nimmt ihr auch sonst unliebsame Aufgaben ab. Schon lange gilt er in den Medien als inoffizieller „Mr. President“. Doch wohin soll diese Art von Politik führen?
Ein weiteres großes Handicap, das Megawatis Regierung belastet, ist die horrende Korruption. Wie die Organisation „Indonesian Corruption Watch“ vor kurzem bekannt gab, hat das Problem der Korruption in Behörden und bei Politikern weiterhin stark an Bedeutung zugenommen. Während der zentralistischen Regierung unter Suharto wurde schwere Korruption vornehmlich bei den obersten Regierungsmitgliedern und der Familie des Präsidenten sowie einer Reihe ihr nahestehender Persönlichkeiten aus der Wirtschaft beobachtet. Durch die Implementierung einer weitgehenden regionalen Autonomie seit 1999 im Rahmen des Dezentralisierungsprozesses, konnte sich Korruption jedoch noch stärker bis in die unteren Regierungsebenen des Staates ausbreiten.
In diesem Zusammenhang klingt Megawatis Aufruf zu einem sparsamen Lebensstil sehr seltsam. Nach den verschwenderischen Geburtstagsfeierlichkeiten ihres Ehemannes Taufik Kiemas mit über 500 Teilnehmern, u.a. aus dem Repräsentantenhaus, zu Beginn des Jahres auf Bali und den anhaltenden Demonstrationen wegen der drohenden Preiserhöhungen rief sie die Bevölkerung auf, die Last der Preissteigerungen gemeinsam zu tragen und den persönlichen Lebensstil einzuschränken. Die Glaubwürdigkeit ihres Anspruchs ließ von Anfang sehr zu wünschen übrig.
Zeitgleich zu den Massen-Antiregierungskundgebungen gegen die drastischen Preiserhöhungen formierte sich in den letzten zwei Monaten eine Gruppe von Regierungskritikern, die eine vorzeitige Ablösung Megawatis befürworteten. Bereits Mitte Januar kam es auf Einladung von Eros Jarot, dem Vorsitzenden der „Bung Karno Nationalist Party“ (PNBK) – eine erst jüngst gegründete Partei, die sich in ihrem Namen ironischerweise auf Megawatis Vater, „Bung“ (eine Form der Anrede für hochgestellte, männliche Persönlichkeiten) „Karno“ (Kurzform für Sukarno), beruft - zu einem Treffen von Führern verschiedener Gruppen und Parteien, um sich in dieser Angelegenheit zu beraten.
Ein nationales Präsidium solle Megawati und Vizepräsident Hamzah ersetzen, lautete die wenig realistische Forderung der Teilnehmer. Laut Presseberichten sollten Amien Rais, Sprecher der MPR und Topgegner Megawatis, sowie der ehemalige Präsident Abdurrahman Wahid bereits eingeladen worden sein, den Vorsitz dieses Komitees zu übernehmen. So realitätsfern diese Vorgehensweise war, spiegelt sie aber den wachsenden Unmut der politischen Klasse Indonesiens über Megawati wider. Nur das Bewusstsein, dass eine Enthebung der Präsidentin große politische Gefahren in sich bergen und das Land in erneutes Chaos stürzen würde, hält die politische Elite davon ab, zum jetzigen Zeitpunkt allzu hart gegen die Präsidentin vorzugehen.
Bemerkenswert ist, dass auch der Oberbefehlshaber der indonesischen Streitkräfte einen Tag nach jenem Oppositionsmeeting während eines Treffens von über 560 Militärführern aus allen Provinzen des Landes in einer kryptisch anmutenden Rede vor geheimen Absprachen und vor einer nicht legitimierten Amtsenthebung der Präsidentin warnte. Er ermahnte das Militär zur besonderen Wachsamkeit in allen Provinzen, um solche Bewegungen von Beginn an zu verhindern. Politische Auguren interpretierten dies als (vorläufige) Absage an jene unzufriedenen Teile der Streitkräfte, die sich möglicherweise Putschgelüsten hingegeben haben könnten.
Neben diesen Gruppen, die eine Ablösung Megawatis forderten, blühen aber anscheinend auch solche, die sich nach dem alten autoritären Regime von Suharto zurücksehnen. Viele Bevölkerungsschichten verbinden damit noch immer Stabilität und Schutz des Staates. Da sich die Wirtschaftsprobleme während der Demokratisierung aus vielen Gründen nur verschlechtert haben, drohen die Menschen in ihren Erwartungen an die Demokratie enttäuscht zu werden und verklären zunehmend immer mehr Seiten des alten Systems. Um die Situation in absehbarer Zeit in den Griff zu bekommen, wäre es jetzt Megawatis wichtigste Aufgabe, glaubwürdig Kontakt zur Bevölkerung aufzubauen und sich ernsthaft ihrer v.a. sozialen Belange anzunehmen.
Dafür besteht aber wenig Hoffnung. Die Tochter Sukarnos hat weder das rhetorische Talent ihres Vaters noch gar sein legendäres Charisma geerbt, von dem insbesondere ältere Indonesier, die den Staatsgründer selbst erlebt haben, noch heute begeistert schwärmen. Die Einsicht in die Erfordernis, z.B. einen erfahrenen Medienprofi als Regierungssprecher und damit als Bindeglied und Kommunikationsmechanismus zwischen ihr und dem Rest des Landes zu engagieren, geht ihr offenbar völlig ab. Während sie in der persönlichen Begegnung durchaus sympathisch wirkt, bleibt dieser Effekt gerade gegenüber den Massen einfacher Menschen und auch bei ihren Medienauftritten aus.
Ein vor kurzem erschienenes Buch eines früheren leitenden Mitarbeiters ihres Amtsvorgängers, Präsident Wahid, skizziert Megawati als nahezu unpolitisch denkende Gestalt, die bei Kabinettssitzungen nicht aus Höflichkeit schweige, sondern weil sie nichts zu sagen habe und attestiert der rundlichen 56jährigen allenfalls auf dem Gebiet der indonesischen Küche umfassende Kompetenz. Ihre in jüngster Zeit dünnhäutigeren Reaktionen auf kritische Medienberichterstattung über Mängel der Regierungsleistung sowie ihr eigenes Fehlverhalten deuten darauf hin, dass sie sich langsam der Gefahren bewusst wird, die ihr mit Blick auf die Wiederwahl von diesen Defiziten drohen.
Wenig hilfreich wirkte auch ihre zornerfüllte Kritik an ihrem angeblich inkompetenten Kabinett und dem übrigen Regierungsapparat. Zwar verfügt sie mit ihrer Partei PDI-P über eine breite landesweite politische Basis und ist in Umfragen (noch) die populärste Figur unter den Spitzenpolitikern. Dies allein aber scheint aus heutiger Sicht aber bei weitem keine Garantie für einen Wiedereinzug in den Präsidentenpalast.
Indonesiens erste Frau trägt einen Namen, „Mega“, der in der javanischen Sprache „Wolke“ bedeutet. In seinen einer ausländischen Journalistin in die Feder diktierten Lebenserinnerungen weist Vater Sukarno darauf hin, er habe seiner Tochter diesen Namen gegeben, weil zur Stunde ihrer Geburt ein schweres Gewitter niederging und dunkle Wolken über ihrer Geburtsstadt Yogyakarta hingen. Es bleibt für sie zu hoffen, dass solch dunklen Wolken nicht auch die Zukunft ihres Landes unter ihrer Präsidentschaft verdunkeln.