Country reports
Mit dem letzten OAU-Gipfel in Lusaka/Sambia (09.-11. Juli 2001) hat die einjährige Transformationsphase "Organisation für Afrikanische Einheit" (OAU) zur "Afrikanischen Union" (AU) begonnen. Angesichts schwieriger Startbedingungen bestehen erhebliche Zweifel an den Erfolgsaussichten - auch wenn das Beispiel der EU immer wieder als Vorbild genannt wird.
Die Organisation für die Einheit Afrikas, kurz OAU, war am 25. Mai 1963 in Addis Abeba gegründet worden. Ihr gehören außer Marokko alle Staaten Afrikas sowie die durch die Befreiungsbewegung Polisario vertretene Republik Sahara (Westsahara) an.
Die OAU hatte die Aufgabe, sich für Einheit und Solidarität in Afrika, für die wirtschaftliche Zusammenarbeit der afrikanischen Staaten und für die Schlichtung von Streitfällen unter besonderer Beachtung der Wahrung der territorialen Integrität der Mitgliedsländer einzusetzen. Die Befreiung des afrikanischen Kontinents von den Resten des Kolonialismus war ein weiteres erklärtes Ziel der OAU, das mit der Unabhängigkeit Namibias im Jahr 1990 und mit der Abschaffung der Apartheid in der Republik Südafrika im Jahr 1994 schließlich erreicht war.
Die OAU konnte in den 38 Jahren ihres Bestehens aber keinen entscheidenden Beitrag zur politischen Einheit und zur wirtschaftlichen Entwicklung der Mitgliedsländer erbringen. Auch bei der Lösung binnenstaatlicher oder regionaler Konflikte spielte sie kaum eine ausschlaggebende Rolle.
Bürgerkriege und regionale Konflikte überschatten den Kontinent, Menschenrechte werden in vielen Ländern missachtet.
Die wirtschaftliche Lage der meisten afrikanischen Länder gibt nach wie vor wenig Anlass zur Hoffnung, in einer Reihe von Ländern sind die Lebensbedingungen für große Teile der Bevölkerung desparat. Positive Beispiele gibt es auch, sie sind aber selten, und sicher nicht auf Initiativen der OAU zurückzuführen.
Afrikanische Politiker stellen fest, dass das internationale Interesse an Afrika seit Jahren rückläufig ist, sie fühlen sich vernachlässigt und zunehmend vom "Westen" gemaßregelt. Kann ein engerer Schulterschluss in veränderter organisatorischer Form zu neuen "winds of change" in Afrika führen ? Kann und wird die neue Afrikanische Union auch neue Impulse in Richtung auf Demokratisierung, Menschenrechte und Entwicklung setzen ?
Give me hope... (oder: Die Hoffnung bleibt uns doch... ?)
Dass die OAU an ihre Grenzen gestoßen und mit ihr kein neuer Aufbruch zu schaffen war, ist schon seit geraumer Zeit deutlich geworden. Verschiedene Ansätze, zum Teil auf regionaler Wirtschaftskooperation beruhend (z.B. SADC, ECOWAS u. a.), zum Teil mit darüber hinausgehendem Anspruch (hier wäre z. B. Thabo Mbekis "Millenium Africa Recovery Plan" zu erwähnen) setzen stärkere bindende Elemente voraus und lassen eine neue, übergreifende -durchaus politische - Vision als wünschenswert erscheinen - nämlich die der afrikanischen Einheit.
Hierfür soll mit Hilfe der "Afrikanischen Union" nun auch eine angemessene organisatorische Form geschaffen werden. Dass hierbei das Beispiel der Europäischen Union eine Vorbildfunktion spielen dürfte, sollte nicht überraschen. Die Europäer werden auch in Afrika um ihre sich zunehmend materialisierende Vision der kontinentalen Zusammenarbeit und einer europäischen Identität beneidet, die Europäische Union wirkt ohne Frage als erstrebenswertes Vorbild.
Es gibt bereits Überlegungen hinsichtlich der Einrichtung eines Afrikanischen Parlaments, eines Ministerrats, eines afrikanischen Gerichtshofs, einer afrikanischen Zentralbank und einer einzigen afrikanischen Währung...
A long and winding road... (oder: Ein langer und steiniger Weg...)
Die Forderung nach einer afrikanischen Einheit hat eine lange Geschichte, die bis in die 50-er Jahre zurückreicht, als etwa Kwame Nkrumah den Panafrikanismus als ein Mittel zur Wiedererlangung von W?rde und Entwicklung nach Abschluss der Phase des Kolonialismus propagierte.
Aufgegriffen wurde diese Idee im Jahr 1999 von Oberst Gaddafi, und anlässlich eines außerordentlichen OAU-Gipfeltreffens in Sirte/Libyen im März 2001 wurde schließlich die Absicht zur Gründung einer Afrikanischen Union von den versammelten afrikanischen Staatschefs öffentlich bekanntgegeben.
Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass es Gaddafi damit geschafft hat, in den Augen weiter afrikanischer Kreise zu einem respektablen Politiker zu werden. Für seinen Beitrag zur Initiierung der AU wurde er jüngst sogar vom Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, ausdrücklich gelobt.
Der formale Countdown der Transformation der OAU hin zur AU (African Union) begann im April 2001 auf dem Afrikanischen Gipfeltreffen in Abuja/Nigeria, als Nigeria als 36. Mitgliedsstaat der OAU (damit war die 2/3 Mehrheit erreicht) die Ratifikationsurkunde dem Generalsekretär Salim Ahmed Salim übergab.
Auf dem letzten Gipfel der OAU vom 09. -11. Juli 2001 in Lusaka/Zambia wurde mit der Wahl des ehemaligen Außenministers der Côte d'Ivoire, Amara Essy, als letztem "Interim" - Generalsekretär der OAU schließlich die Transformationsphase von 1 Jahr eingeleitet. Der 57-jährige Essy ist Moslem, aber mit einer Christin verheiratet. Er verfügt über große Erfahrung als Diplomat und arbeitete mehrere Jahre bei den Vereinten Nationen.
Überschattet war das Gipfeltreffen in Lusaka von Störungen durch Trauergäste, die an der Beerdigung von Paul Tembo, einem früheren engen Mitarbeiters von Präsident Chiluba, der sich inzwischen aber der Opposition angeschlossen hatte, teilnahmen. Tembo war wenige Tage vorher, kurz vor einer Anhörung im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen gegen die Regierung, von Unbekannten ermordet worden. Die zambische Opposition behauptet, dass der Anschlag auf das Konto der Regierung gehe.
River deep, mountain high.... (oder: Tiefe Täler, hohe Berge...)
Auch wer der Idee einer Afrikanischen Union grundsätzlich offen gegenübersteht, muss sich mit einigen kritischen Fragen auseinandersetzen:
Fraglich ist zum Beispiel, inwiefern die Entwicklungen von EU und AU überhaupt vergleichbar sind. Während die Europäische Union aus wenigen, ähnlich "getakteten" Kernstaaten hervorging und sich allmählich erweiterte, besteht die Afrikanische Union von Anfang an aus einer Vielzahl von staatlichen Gebilden unterschiedlichster politischer, wirtschaftlicher und sozialer Struktur. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern sind so groß, wie sie größer kaum sein könnten.
Aus unterschiedlichen Interessenlagen herrührende Probleme, die schon die OAU nicht lösen konnte, werden auch auf die AU zukommen. Sie geht zusätzlich mit dem Handicap einer hohen Erwartungshaltung ins Rennen.
Fraglich bleibt außerdem, ob die afrikanischen Staatschefs überhaupt bereit sein werden, einen Teil ihrer staatlichen Autonomie an Organe der AU abzugeben - nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund nicht auszuschließenden Hegemonialstrebens einzelner Staaten oder Staatengruppen (anglophon / frankophon, arabisch / afrikanisch, moslemisch / christlich - um nur einige mögliche Bruchstellen zu erwähnen).
Ein aus heutiger Sicht entscheidendes Defizit ist, dass Strukturen, Funktionen und Arbeitsweisen der AU noch in hohem Masse unklar sind - außer einer politischen Absichtserklärung gibt es noch wenig konkrete Planungen für die Umsetzung der Ziele, es ist noch nicht einmal klar, ob der neugewählte Generalsekretär nur für die Transformationsphase oder auch schon f?r eine Funktion als Generalsekretär der AU gewählt wurde.
Schon bei dessen Wahl in Lusaka spielte eine Blockbildung zwischen frankophonen und anglophonen Staaten eine ausschlaggebende Rolle. Nach dem Rückzug des frankophonen Bewerbers Kouyate stimmten die frankophonen Staaten überwiegend für den schließlich gewählten Essy, dem der hauptsächlich von den SADC-Staaten gestützte namibianische Aussenminister Theo Ben Gurirab in der Stichwahl unterlag.
Diese Niederlage könnte übrigens Auswirkungen auf die namibianische Innenpolitik haben, gilt doch Gurirab als einer der potentiellen Nachfolger des Staatspräsidenten Nujoma (der es sich offen hält, notfalls auch "an der Verfassung vorbei" für eine 4. Amtsperiode zu kandidieren).
Schließlich ist auch noch die Finanzierung der African Union offen - schon jetzt zahlt fast ein Drittel der Mitglieder der OAU keine Mitgliedsbeiträge mehr, die OAU war chronisch unterfinanziert. Ob die in diesem Zusammenhang diskutierte "African Union Tax" hier eine Lösung bietet, erscheint zumindest fraglich.
House of the rising sun... ? (oder: Wie baut man ein gemeinsames Haus... ?)
Angesichts der gerade in Afrika verbreiteten Ängste vor zunehmender externer Dominanz und vor wachsender Bedeutungslosigkeit im Kontext der Globalisierung ist der Wunsch nach einer besseren Vertretung afrikanischer Interessen, nach mehr Solidarität und nach einer gemeinsamen afrikanischen Identität verständlich.
Angesichts der schwierigen Startbedingungen und der unklaren Vorgaben bestehen aber noch erhebliche Zweifel am Erfolg der Afrikanischen Union. Zwar trauert eigentlich niemand der OAU nach, es gibt aber auch bei afrikanischen Beobachtern trotz aufkeimender Hoffnungen eine verbreitete Skepsis, ob es die AU wohl besser machen wird als die OAU.
Man fragt sich, ob es nicht vielleicht sinnvoller wäre, auf regionaler Ebene nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die politischen Integrationsansätze zu fördern, und dann -darauf aufbauend- das afrikanische Haus von unten nach oben zu bauen?
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt drängt sich der Eindruck auf, dass hier schon einmal mit dem Bau des Daches begonnen wird, während die entscheidenden Fragen der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Statik noch ungeklärt sind.
Eine fundierte Beurteilung der Erfolgsaussichten der Afrikanischen Union wird aber sicher erst nach Ablauf der Transformationsphase möglich sein. Auch die eingangs gestellte Frage, ob die Afrikanische Union zu mehr Demokratie, Menschenrechten und Entwicklungsfortschritten in Afrika führt, kann noch nicht beantwortet werden.
Diese Begriffe werden in den verschiedenen Ländern noch nicht einmal einheitlich definiert: eine einheitliche und verbindliche Definition wäre aber ein entscheidendes Erfolgskriterium für die Afrikanische Union. Der neugewählte Architekt Essy ist um seine Aufgabe wahrlich nicht zu beneiden!