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Country reports

Die politische Lage in Polen

by Roland Freudenstein

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  • CDU/CSU-Antrag zum Jubiläum des Nachbarschaftsvertrages: die einhellige Verurteilung des Unionsantrags durch alle anderen Bundestagsfraktionen wird breit in den polnischen Medien berichtet; die polnischen Partnerparteien der CDU/CSU sind verschnupft.
  • EU-Beitritt verzögert sich: Die Antipathien gegenüber der EU und - insbesondere in diesem Zusammenhang - gegenüber Deutschland werden stärker.
  • Arbeitslosigkeit: liegt nun über 17 % und wird wahrscheinlich zum entscheidenden Wahlkampfthema.
  • Die anhaltende Diskussion um Jedwabne: Die polnische Vergangenheitsbewältigung bezüglich des Pogroms von Jedwabne 1941 hat erst begonnen.
  • Die Partnerparteien: befinden sich allesamt in der Krise; der Wahlsieg der Postkommunisten (SLD) ist kaum aufzuhalten.
Die Reaktionen auf den CDU/CSU-Antrag zum Nachbarschaftsvertrag

Der stark von Forderungen des BdV beeinflusste Antrag der CDU/CSU-Fraktion wird von allen politischen Kräften Polens vehement abgelehnt, in den Zeitungen hämisch kommentiert und hat unter den polnischen Partnerparteien der Union spürbaren Unmut hervor gerufen.

"Rüffel für die Christdemokraten" betitelt die größte polnische Tageszeitung (Gazeta Wyborcza vom 12. Mai) den Artikel zum CDU/CSU-Antrag. Die Forderungen nach Rückgabe von Kulturgütern, zweisprachigen Ortsnamensschildern, Renten des polnischen Staates für frühere Wehrmachtsangehörige und mehr Deutschunterricht für die deutsche Minderheit werden mit einer Mischung aus Ärger und Mitleid berichtet. Friedrich Merz wird mit der Äußerung zitiert, die Forderungen seien "provokant, aber keinesfalls rückwärtsgewandt". Es folgen Zitate von FDP-, SPD- und Grünen-Politikern, die den Unionsantrag einhellig verurteilen. Ganz ähnlich wird in der zweiten einflussreichen Tageszeitung "Rzeczpospolita" vom 12. Mai berichtet.

Die Unionsparteien haben sich sichtbar isoliert und ein außenpolitisches Eigentor geschossen, das in den Gesprächen mit den polnischen Partnern in den nächsten Wochen sicher oft zur Sprache gebracht wird.

Die Diskussion um die EU-Beitrittsverhandlungen

Die Stimmung in Polen gegenüber dem EU-Beitritt wird immer stärker durch das wahrgenommene Zögern der EU belastet. Auch die deutschen Forderungen nach Übergangszeiten bei der Arbeitnehmer-Freizügigkeit haben in Polen die Zweifel an der deutsch-polnischen Interessengemeinschaft wieder aufleben lassen.

Sowohl in der politischen Klasse als auch in der breiten Bevölkerung werden eigene Ängste (z.B. vor dem Landkauf durch Ausländer) nicht in einem Gesamtzusammenhang mit ebenso unbegründeten Ängsten der Gesellschaften der EU gesehen. Dagegen herrscht die unausgesprochen Grundüberzeugung, das starke, reiche Deutschland habe die moralische Pflicht, auf das arme, schwache und historisch geschädigte Polen Rücksicht zu nehmen.

Ähnlich die Debatte um das Beitrittsdatum: Zwar hat sich die polnische Regierung inzwischen praktisch vom Termin 2003 verabschiedet und spricht nun von 2004. Die Verantwortung hierfür wird von fast allen führenden Politikern jedoch auf EU-Seite gesehen: Die EU sei reformunfähig und unwillig, zu teilen, und zögere deswegen die Verhandlungen bewusst hinaus.

Außerdem drohe, wenn man die Übergangszeiten bei der Freizügigkeit, die geringeren Zahlungen für polnische Landwirte und die anvisierten geringeren Strukturfonds für Polen berücksichtige, eine Mitgliedschaft zweiter Klasse. Wenn sich diese Auffassung des Beitrittsprozesses in Polen weiter durchsetzt und bei der breiten Bevölkerung noch mit dem Eindruck vermischt, die wachsende Arbeitslosigkeit habe mit der Beitrittsvorbereitung zu tun - dann entstünde eine völlig neue interne Konstellation, in der ein erfolgreiches Referendum 2003 kein Selbstläufer mehr wäre.

Die wachsende Arbeitslosigkeit

Die Arbeitslosigkeit in Polen beträgt nun offiziell über 17 %. Dies ist in erster Linie ein Folge des Zusammentreffens zweier Faktoren: des demographischen Hochs der Jahrgänge 1978-83, die nun auf den Arbeitsmarkt strömten, und der Modernisierungs- und Restrukturierungsbemühungen der Unternehmen, die - auch im Hinblick auf den bevorstehenden EU-Beitritt - ihre Konkurrenzfähigkeit verbessern wollen.

Es scheint aber auch ein Abflauen des wirtschaftlichen Wachstums eine immer größere Rolle dabei zu spielen - wobei der Nachfragerückgang in Westeuropa in Zukunft verschärfend wirken mag. In vielen Konsumbranchen Polens geht die Nachfrage rapide zurück, unter Firmen vermehren sich Zahlungsrückstände und in der öffentlichen Debatte gewinnt das Thema Arbeitslosigkeit schnell an Bedeutung.

Das zeigten besonders die Politikeraussagen zum 1. Mai. Erstaunlich war, wie unverhohlen die postkommunistischen Sozialdemokraten mit Leszek Miller an der Spitze das kommunistische Polen unter dem Aspekt Vollbeschäftigung loben. Allerdings bestätigen Umfragen, dass die Unzufriedenheit mit der Marktwirtschaft im Moment rapide wächst. Die von UW und PO angestrebte Flexibilisierung des rigiden Arbeitsmarkts wurde von einer überwältigenden Mehrheit aus AWS, SLD und PSL im Keim erstickt.

Die Debatte um den Judenmord in Jedwabne und anderen Orten

Die erste tiefschürfende und umfassende öffentliche Debatte um eine polnische Vergangenheitsbewältigung seit Menschengedenken ist seit Anfang des Jahres im Gange. Ausgelöst durch die Buchpublikation eines New Yorker Historikers, Jan Tomasz Gross, im Herbst 2000 und deren Rezensionen in der Krakauer laienkatholischen Wochenzeitung "Tygodnik Powszechny", hat diese Debatte eine Problematisierung des gesamten polnischen Selbstverständnisses zur Folge, aber auch scharfe Polemiken, wie denn nun die Ermordung von Tausenden polnischer Juden durch katholische Polen in den Anfangstagen der deutschen Offensive gegen die Sowjetunion im Sommer 1941 zu bewerten sei.

Fest steht, dass es nach dem Abzug der Roten Armee aus einigen Regionen des heutigen Ostpolen und der Ukraine (um Suwalki, aber auch in Galizien) Anfang Juli 1941 kollektive Lynchmorde seitens der polnisch-katholischen Bevölkerung an ihren jüdischen Mitbürgern gegeben hat, denen Tausende zum Opfer fielen. Fest steht auch, dass Gestapo-Spezialeinheiten daruaf hinwirkten, solche Aktionen der polnischen und ukrainischen Bevölkerung auszulösen und wie spontanen "Volkszorn" aussehen zu lassen.

Die Forschungen Gross' und anderer Historiker lassen vermuten, dass die Polen, die die Morde begangen haben, nicht unter direkter Bedrohung durch Gestapo oder andere deutsche Einheiten handelten, und dass sie oft mit enormer Brutalität gegen die jüdischen Zivilisten vorgingen. Aber zu den letzten beiden Punkten liegen diametral widersprüchliche Aussagen vor, sie sind heute nicht mehr einwandfrei zu klären.

Jedenfalls wurden die Eckpunkte in der Debatte, wie sich Polen heute verhalten solle, von Präsident Kwasniewski und der "Gazeta Wyborcza" einerseits, und Premier Buzek und Primas Glemp andererseits gesetzt. Im Zentrum steht die Frage, ob und wer sich wann und in welcher Form bei wem entschuldigen solle. Präsident Kwasniewski will sich am 10. Juli auf einer Gedenkfeier in Jedwabne (60. Jahrestag) im Namen des polnischen Volkes entschuldigen. Premier Buzek ließ schon im Februar verlauten, er sehe keinen Anlass für eine Entschuldigung, da die Verbrechen nicht im Namen Polens geschehen seien.

Primas Glemp verlegte sich anfangs auf ein gemeinsames Gebet mit jüdischen Rabbinern in Warschau am 10. Juli (um nicht in Jedwabne sein zu müssen) und erklärte dann nach einer Sitzung der Bischofskonferenz am 6. Mai, er und seine Mitbrüder bäten um Vergebung für die Verbrechen von Jedwabne, erwarteten aber auch eine Entschuldigung seitens der Juden "für deren Mitarbeit in den kommunistischen Geheimdiensten NKWD und SB".

Letztere Äußerung rief außerhalb des polnischen Klerus Entrüstung und bei aufgeklärten Katholiken peinliches Lavieren hervor. Natürlich entspricht damit der Primas voll den Erwartungen eines Teils der polnischen Gläubigen, denn die Theorie, Juden hätten katholische Polen während der 2 Jahre sowjetischer Besatzung im Ostteil (1939-41) und ab 1944 zusammen mit der Roten Armee brutal verfolgt, ist in Polen weit verbreitet und bildet einen festen Bestandteil des volkstümlichen polnischen Antisemitismus.

Die tiefere Bedeutung der Jedwabne-Debatte für das polnische Selbstverständnis kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der Mythos Polens als immer währendes Opfer anderer ist nun endgültig angekratzt. Zwar gab es schon in der Vergangenheit kontroverse Debatten über dunkle Flecken der polnischen Geschichte (die Äußerungen Jan Jozef Lipskis 1981, die Debatte um das Pogrom von Kielce 1996), aber - genau wie in Deutschland (Debatte um das Fernsehdrama "Holocaust" 1979, Historikerstreit 1986, Walser/Bubis-Debatte 1999) - ist das Thema eben nicht mit einer Debatte "erledigt". Mit zeitlichem Abstand wächst sogar die Heftigkeit mancher Kontroversen.

Die KAS sollte die polnisch-jüdische Vergangenheitsbewältigung wie schon in den letzten Jahren unterstützend begleiten, ohne auch nur den Verdacht aufkommen zu lassen, es ginge hier um etwaige deutsche Schadenfreude (denn dieser Gedanke liegt in Polen nahe).

Die bevorstehende Parlamentswahl - Wahltermin und Wahlordnung

Der Wahltermin für die diesjährigen Wahlen zu Sejm und Senat steht nun fest: 23. September. Es wird also, wie schon 1997, einen relativ kurzen (d.h. in der heißen Phase zweiwöchigen) Wahlkampf geben.

Die Wahlordnung steht auch fest, nachdem Präsident Kwasniewski am 30. April die Sejm-Novellierung akzeptierte, die durch eine andere Stimmengewichtung als bisher kleine und mittlere Parteien eindeutig bevorzugt. Aus ersichtlichem Eigeninteresse stimmte eine Koalition aus AWS, UW, PO und PSL dafür, und die SLD dagegen, denn bei Weiterführung der bisher geltenden Wahlordnung wäre der SLD selbst bei möglichen kleineren Sympathieverlusten in den nächsten Monaten die absolute Mehrheit der Sitze im Sejm sicher. Aber auch so liegt eine absolute Mehrheit der SLD-Fraktion noch im Bereich des Möglichen. Die Entscheidung Kwasniewskis wird allgemein als weitere Kampfansage an den SLD-Vorsitzenden Leszek Miller gewertet, den Kwasniewski nicht allzu stark werden lassen will.

Zwar fanden am 21. April sogenannte "Testwahlen" (s. Abschnitt zur Sonntagsfrage) in einer angeblich für den polnischen Durchschnitt in der Bevölkerungszusammensetzung typischen Stadt, Nysa in Niederschlesien, statt. Aber Demoskopen und Soziologen messen den Ergebnissen nur sehr begrenzte Bedeutung zu. Signifikant sind eigentlich vor allem die niedrigen Prozentzahlen bei AWS und UW, die alle beide (AWS ist eine Koalition und muss daher die 8-Prozenthürde überspringen) außerhalb des Sejm lassen würden.

Die Lage in den Partnerparteien

  • Freiheitsunion (UW):
    Für die Freiheitsunion sind die schlechten Umfrageergebnisse Grund zu einer spürbaren Alarmstimmung. Der seit Dezember 2000 amtierende Vorsitzende, Prof. Bronislaw Geremek, hat bisher die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Viele derer, die ihn noch im Dezember vehement gegen den Herausforderer Donald Tusk unterstützten, finden seine Aussagen heute zu unklar und vermissen eindeutige Führung. Dennoch sind Bemühungen erkennbar, die Regionen wieder stärker in die Parteiarbeit einzubeziehen und Kontakte zu Unternehmerorganisationen zu knüpfen - beides sind Anzeichen für die Bestrebung, dem Image der Professorenpartei entgegen zu wirken. Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass die UW sich in den nächsten Wahlen von dem Auszug der Liberalen erholt. 8 % wären schon ein Spitzenergebnis.

    Sollte das Wahlergebnis bei 6 % oder sogar unter 5 % liegen, wäre ein Generationswechsel fällig, der Geremek, Mazowiecki und andere zum Rücktritt zwänge und wahrscheinlich den Breslauer UW-Chef Wladyslaw Frasyniuk an die Spitze brächte.

    Frasyniuk (Ende 40 und Solidarnosc -Mitbegründer), einer der wenigen exzellenten Rhetoriker der UW, gilt zwar als links, ist aber der Marktwirtschaft sehr aufgeschlossen. Möglicher Konkurrent (vielleicht wegen des niedrigen Bildungsgrades Frasyniuks) wäre der Fraktionsvorsitzende Jerzy Wierchowicz, über den sich wenig Markantes sagen lässt. Ob sich die UW dann den Europäischen Liberalen zuwenden würde - darüber kann im Moment nur spekuliert werden. Es ist aber ziemlich sinnlos, UW-Politiker heute über den zukünftigen Kurs in der internationalen Parteienzusammenarbeit zu befragen. Man wird nur zur Antwort bekommen, dass die UW nicht daran denkt, vor der Wahl irgendwelche Manöver zu unternehmen. Was danach passiert, kann heute keiner sagen.

  • Bürgerplattform (PO) und Konservative Volkspartei (SKL):
    Die Bürgerplattform hält sich in den Meinungsumfragen als zweitstärkste politische Kraft nach der SLD. Allerdings sind die ersten internen Meinungsverschiedenheiten sichtbar geworden: Das Zusammengehen mit der aus der AWS ausgescherten Konservativen Volkspartei (SKL) hat auf beiden Seiten zu Unmut geführt.

    Die SKL wollte ursprünglich nach ihrem Alleingang auf der Liste der PO kandidieren, aber als eigenständige Partei weiter bestehen. Das wollte der aus jüngeren Liberalen (ex-UW) bestehende Flügel unter dem Warschauer Bürgermeister Pawel Piskorski verhindern, indem er Erklärungen vorbereitete, durch die jeder Kandidat der PO garantierte, keiner anderen Gruppierung anzugehören.

    Dies hätte das Ende der SKL bedeutet und führte zu wütenden Versuchen einiger SKL-Politiker, zur AWS zurück zu rudern. Den Konflikt beendete (vorerst, und aufgrund Drängens von Sejm-Marschall und PO-Vorsitzenden Plazynski) ein Kompromiss, nach dem SKL-Politiker erst nach der Wahl ihre Formation aufgeben und zusammen mit der heutigen PO eine Partei gründen sollen.

    Dennoch sind in der SKL heute schon wichtige Politiker (Balazs, Janiszewski) enttäuscht und denken, so unverständlich es sein mag, über Alternativen zum Zusammengehen mit der PO nach, z.B. über ein Bündnis mit den moderaten Kräften der AWS unter Janusz Tomaszewski. Der SKL-Vorsitzende Jan Rokita bleibt allerdings konsequent: Er war ursprünglich gegen den Übertritt zur PO, beugte sich aber der Mehrheit und lehnt nun alle Spekulationen über neue Verschiebungen vehement ab. Im Gegenteil, er will den Auszug der SKL aus der AWS im Laufe des Mai vervollständigen durch einen (logisch gesehen überfälligen) Auszug der SKL-Minister aus der Regierung. Das beträfe die Ressorts Verteidigung ( Komorowski), Landwirtschaft (Balazs) und einen Staatssekretärsposten im Amt für Europäische Integration (Skorzynska).

  • Wahlaktion Solidarnosc (AWS):
    Die AWS liegt in Meinungsumfragen meist unter 15 % und befindet sich anscheinend in einer Phase der Selbstblockade, aus der im Moment kein Ausweg erkennbar ist. Folgende "Lager" sind in den vergangenen Wochen entstanden:

    Die Gruppe um Marian Krzaklewski: die nationalklerikale ZChN, die Mehrheit der Gewerkschaft "Solidarnosc", ein Teil der Partei RS-AWS, sowie das neu gegründete "Rechtsbündnis" unter Kulturminister Ujazdowski. Krzaklewski will die AWS nach rechts öffnen und eine Wahlkoalition mit der nationalpopulistischen ROP (Jan Olszewski), den Kräften um "Radio Maryja" und den Brüdern Lech und Jaroslaw Kaczynski schmieden.

    Das Lager um den von Spitzelvorwürfen rehabilitierten früheren Innenminister Janusz Tomaszewski (christdemokratische PPChD, sowie Teile der Partei RS-AWS). Tomaszewski sucht für die AWS Anschluss an die Freiheitsunion und Bürgerplattform.

    Die Zwillingsbrüder Kaczynski, von denen der eine, Lech, Justizminister und wegen Law-and-order-Sprüchen beliebtester Politiker der Rechten ist, haben ihre populistische Sammlungsbewegung "Recht und Gerechtigkeit" außerhalb der AWS gegründet. Sie präsentieren sich als die wahren Erneuerer der polnischen Rechten, sind aber als seriöse, berechenbare Politiker kaum glaubwürdig. Die CDU hat mit ihnen schon Anfang der 90er Jahre, als sie die "Zentrumsallianz" (PC) führten, schlechte Erfahrungen gemacht.

    Der Premierminister und AWS-Vorsitzende Jerzy Buzek versucht in diesen Konflikten eine in letzter Zeit kaum noch nachvollziehbare Rolle als Vermittler zu spielen. Er wird zunehmend Mühe haben, sich gegen Lech Kaczynski durchzusetzen, der ihm die Rolle als Vorsitzender einer neuen Sammlungsbewegung oder Partei auf der Rechten immer offener streitig macht.

    Die AWS wird sich wahrscheinlich, vor oder nach der Parlamentswahl, in mindestens zwei separate politische Subjekte spalten: Der rechte Teil wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine starke anti-europäische Komponente enthalten. Zumindest wird vermutlich, wenn die SLD-Regierung den Beitritt unter zahlreichen Kompromissen ausgehandelt hat, die Parole: "EU ja, aber nicht auf Knien und unter postkommunistischen Vorzeichen" ausgegeben.

    Der eher zentristische Teil wird so lange Schwierigkeiten haben, ein klares Profil zu zeigen, wie die Bürgerplattform erfolgreich ist. Erst wenn sie (z.B. auf Grund innerer Konflikte oder als Folge einer möglichen Koalition mit der SLD) klar in einen Abwärtstrend geraten sollte, könnte hier eine neue, moderat konservative Kraft entstehen. Das Tomaszewski-Lager, unter seiner gegenwärtigen Führung und mit seinen gegenwärtigen Strukturen und Ressourcen, wäre äußerst schwach einzustufen.

    Jedenfalls kann das Projekt AWS, also einer sich von liberalkonservativ bis nationalklerikal erstreckenden Sammlungsbewegung selbständiger Subjekte unter starkem Gewerkschaftseinfluss und mit Antikommunismus als gemeinsamem Nenner, nun wohl als untauglich abgehakt werden. Was immer danach kommt, wird nicht mehr so viele heterogene Kräfte umfassen, und es wird, wenn es dauerhaft sein soll, den Föderationscharakter zugunsten einer einheitlichen Struktur vermeiden. Allerdings wird es vermutlich auch keine Mitglieder- und Funktionärspartei klassischen mitteleuropäischen Typs sein. Wandel liegt in der Luft. Die Plattform könnte zu seinem ersten Kristallisationspunkt werden. Und das Europathema könnte die Rechte dauerhaft in mehrere solcher Bewegungen spalten.

Sonntagsfrage

 FEBRUARMÄRZAPRILTEST-
WAHL
InstitutPBSCBOSPBSCBOSPBSCBOS 
Partei 
SLD51%38%---- 
SLD+UP--54%44%49%41%46,56
PO17%16%12%12%17%11%16,63%
AWS12%9%12%9%13%9%7,61%
UW6%6%5%5%6%5%2,96%
PSL7%11%9%7%8%12%4,39%
KPEiR-2%----6,33%
SAMOO
BRONA
------6,67%


SLD: Bündnis der Demokratischen LinkenUP: Union der Arbeit (Listenverbindung mit SLD)PO: BürgerplattformAWS: Wahlaktion SolidarnoscUW: FreiheitsunionPSL: BauernparteiKPEiR: Rentnerpartei (hat landesweit kaum Chancen)Samoobrona: Radikale Bauernpartei (hat ebenfalls landesweit kaum Chancen)

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