Country reports
Die Freude über den Gipfel in Kopenhagen und den Abschluss der polnischen EU-Beitrittsverhandlungen währte nur kurz. Denn schon kurz nach den Festtagen bestimmte ein von Polens größter Tageszeitung, der „Gazeta Wyborcza“, veröffentlichter Artikel die politische Debatte. Wie so oft in Polen handelte dieser von angeblicher – aber nicht bewiesener – Korruption und einer unklaren Trennung von Politik und Wirtschaft.
Laut „Gazeta Wyborcza“ (GW) sei der Filmproduzent Lew Rywin an den Herausgeber der GW, Adam Michnik, mit dem Angebot herangetreten, für den Preis von umgerechnet gut 4 Millionen beim Ministerpräsidenten eine Änderung des neuen Mediengesetzes zu erwirken, so dass der GW (oder vielmehr ihrer Mutterfima „Agora“) der Erwerb von Fernsehkanälen gestattet würde. Rywin unterbreitete dieses Angebot nach eigenen Aussagen auf Geheiß des Ministerpräsidenten selbst.
Rywin ist eine schillernde Figur im polnischen öffentlichen Leben, bekannt durch seine Zeit als Vorstandsvorsitzender von Canal Plus und einer Reihe von Filmproduktionen mit internationalem Renommee (z.B. „Der Pianist“). Neben der Vermischung von Showgeschäft und Politik und dem offensichtlichen Versuch von Korruption ist an dem vorliegenden Fall vor allem Folgendes pikant.
- Der Besuch Rywins bei Michnik war schon im Juli 2002 erfolgt. Laut GW habe man sich zunächst nicht an die Staatsanwaltschaft gewandt, weil man größeres Vertrauen in den Investigativjournalismus des eigenen Blattes gehabt habe. Nach einigen Monaten vergeblicher Suche habe man im Herbst dann davon abgesehen, den Sachverhalt an die Öffentlichkeit zu bringen, um der Regierung vor dem Kopenhagener Gipfel nicht zu schaden. Erst nach dem Gipfel in Kopenhagen sei der richtige Zeitpunkt gekommen.
- Rywin und Michnik sind miteinander befreundet. Die Tatsache, dass das Korruptionsangebot unter Freunden vorgetragen wurde und dann nach einem halben Jahr erst an die Öffentlichkeit gelangte, hinterlässt trotz der Erklärungen Michniks einen bitteren Nachgeschmack.
- Ministerpräsident Miller versäumt es, die Staatsanwaltschaft sofort von dem Vorgang zu benachrichtigen. Miller begründete dies mit den Worten, Rywin sei offensichtlich „ein Fall für die Psychiatrie“. Nach Einschätzung polnischer Anwälte ist das Versäumnis des Ministerpräsidenten allerdings eine schwerwiegende Vernachlässigung seiner Amtspflichten.
Die Staatsanwaltschaft in Warschau begann umgehend mit dem Verhör Rywins und Michniks. Details dieser Verhöre sind aber nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Wann der Ministerpräsident angehört werden soll, steht noch nicht fest. Da außer den Artikeln in der GW über den gesamten Vorgang keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur spekuliert werden.
Hierbei sind sich die meisten Beobachter aber einig, dass das Angebot von Rywin an Michnik wohl in der Tat vorgetragen wurde. Höchst fragwürdig gilt allerdings, ob Miller von diesem Vorgang unterrichtet war. Als wahrscheinlich gilt vielmehr, dass Rywin nach Absprache mit Millers politischem Umfeld (in der Regierung oder der Partei) tätig wurde. Damit handelt es sich in der Tat um einen potenziell weitreichenden Skandal, der sicher zu noch mehr Aufsehen und unangenehmen Fragen führen würde, wenn die polnischen Medien gegenüber der SLD nicht so vorsichtig wären.
Kabinettsumbildung
Seit Wochen war in politischen Kreisen über eine bevorstehende Kabinettsumbildung spekuliert worden. Am 6. Januar ist sie schließlich erfolgt, wenn auch nicht mit den Veränderungen, die erwartet worden waren. Abgelöst wurden die Minister Kaczmarek (Privatisierung) und Piechota (Wirtschaft). Kaczmarek wird durch Slawomir Cytrycki ersetzt, Piechotas Ressort wird mit dem Ministerium für Arbeit und Soziales zusammengelegt und vom gegenwärtigen Arbeitsminister Hausner geführt. Das Datum der Kabinettsumbildung (am ersten Arbeitstag nach dem Weihnachtsurlaub Millers) kann als Reaktion auf den Skandal um Lew Rywin und Adam Michnik verstanden werden.
Hintergründe: Die Regierung Miller hatte seit ihrem Amtsantritt im Oktober 2001 deutlich an Unterstützung in der Bevölkerung verloren. Ihr dramatischer Ansehensverlust im Frühsommer war durch das Ausscheiden des Finanzministers Belka und der Nominierung seines Nachfolgers Kolodko zwar aufgehalten worden. Trotzdem aber erlitt die SLD bei den Regional- und Lokalwahlen im Oktober/November eine empfindliche Niederlage. Überraschend bei der jüngsten Kabinettsumbildung ist vor allem, dass die in der Öffentlichkeit als wenig durchsetzungsfähig eingeschätzten Minister Pol (Infrastruktur), Lapinski (Gesundheit) oder Lybacka (Bildung) nicht abgelöst wurden.
Kaczmarek und Piechota galten nicht als die schwächsten Glieder der Regierung. Kaczmarek dürfte vor allem darunter gelitten haben, dass ihm eine wachsende Nähe zu Präsident Kwasniewski unterstellt wurde, dessen Entfremdung von Miller trotz beiderseitiger Beteuerungen kaum zu übersehen ist. Der Posten Kaczmareks ist in Polen besonders wichtig, weil von ihm aus die lukrativen Posten in staatlichen Unternehmen und Regulierungsbehörden verteilt werden. Auch Piechota galt als besonders Kwasniewski-treu. Seine Ablösung wurde von Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden kritisch beurteilt.
Der neue Privatisierungsminister, Slawomir Cytrycki ist ein politisch weitgehend unbeschriebenes Blatt. Seine Nominierung wurde von Ministerpräsident Miller mit der Begründung versehen, es sei gut, die Privatisierung aus dem parteipolitischen Streit im Parlament herauszuhalten. Diese Begründung kann als vorgeschoben bewertet werden.
Erstaunlich bei Cytryckis Nominierung ist zweierlei: Erstens gilt Cytrycki als Kwasniewski-treu und ist damit dem gleichen Lager zuzuordnen wie sein Vorgänger. Der Unterschied zwischen Kaczmarek und Cytrycki besteht allerdings darin, dass Kaczmarek ein politisches Schwergewicht ist, dessen Seilschaften und persönliche Ambitionen weit reichen.
Cytrycki hat keine tiefere Verwurzelung in der SLD. Zweitens gestand er sofort nach seiner Nominierung ein, in kommunistischen Zeiten für den Geheimdienst gearbeitet zu haben. Diese Tatsache stellt zwar die fachliche Qualifikation des neuen Ministers nicht in Abrede, zeigt aber, dass es unter der Regierung Miller wieder üblich geworden ist, ehemalige Geheimdienstler in Positionen höchster Verantwortung zu heben. Dies wäre in den 1990er Jahren so nicht möglich gewesen und zeugt von einem erstarkten Selbstvertrauen der ehemaligen kommunistischen Kader.
Eine weitere Veränderung ist vor allem für die Vorbereitung auf das Referendum zum polnischen EU-Beitritt relevant. Der bisherige Chef des Ministerbüros, Nikolski, wird Staatssekretär mit Zuständigkeit für die Vorbereitungen auf das Referendum. Slawomir Wiatr, der bisher im Rang eines Unterstaatsekretärs für diesen Aufgabenbereich verantwortlich war, verbleibt im Amt, bekommt aber mit Nikolski einen direkten Vorgesetzten. Nikolski, der zum engsten Umfeld Millers gehört, wurden schon seit längerem Ambitionen auf ein Ministeramt nachgesagt.
Er wird als Mitglied der Regierung nun ein politisches Gegengewicht zu Dariusz Szymczycha bilden, welcher in der Kanzlei des Staatspräsidenten ebenfalls als Staatssekretär für das Referendum zuständig ist. Nachfolgerin Nikolskis wird die bisherige Staatssekretärin im Ministerium für Kultur, Jakubowska. Ob die Informationskampagne für das EU-Referendum bei Nikolski besser aufgehoben ist als bei Wiatr, ist aus heutiger Sicht schwer zu beurteilen. Nikolski ist zweifelsohne ein fähiger Polit-Manager, verfügt aber in Europafragen über wenig Kompetenz.
Leszek Miller hat durch eine erneut im engsten Kreis beschlossene und überraschend umgesetzte Kabinettsumbildung an politischem Spielraum gewonnen. Er gilt in den Medien nun wiederum (wie im Juli) als entschlossener Macher. Das Jahr 2003 wird aber trotz dieses Befreiungsschlages für den Ministerpräsidenten ein schwieriges werden.
- Wirtschaftliche Schwierigkeiten:
Die Arbeitslosigkeit bleibt bei über 17% und könnte aus demographischen Gründen weiter steigen. Wenn die Konjunktur in Deutschland nicht anzieht, wird es auch für Polen schwierig werden, auf über 1-2% Wirtschaftswachstum zu kommen.
- EU-Referendum:
Obwohl Kopenhagen als diplomatisches Glanzstück Millers wahrgenommen wurde, wird die Kampagne zum EU-Referendum für die Regierung schwierig werden. Die EU-Gegner um die „Selbstverteidigung“ Andrzej Leppers und die „Liga der Polnischen Familien“ Roman Giertychs sind seit ihrem guten Abschneiden bei den Regional- und Lokalwahlen hoch motiviert. Zwar wird das Ergebnis bei einem Referendum kaum unter 50% liegen, fragwürdig ist aber, ob sich durch die Kampagne der EU-Gegner eine Stimmung von Desorientierung und Misstrauen ausbreitet. Dann könnte es nämlich schwer werden, die notwendige Beteiligung von 50% zu erreichen.
- Interne Konflikte:
Die Entfremdung zwischen Miller und Kwasniewski führt in letzter Zeit zu immer offeneren Spekulationen, Kwasniewski könne im Vorgriff auf das Ende seiner Amtszeit 2005 eine eigene Partei der politischen Mitte gründen, in der er Teile der SLD, der Bürgerplattform und Reste der Freiheitsunion versammeln könne. Eine solche Gründung wäre ohne Zweifel ein waghalsiges Manöver. Ganz gleich, ob es zu einem Bruch zwischen der SLD Leszek Millers und Kwasniewski kommt, ist allerdings bezeichnend, dass das politische Polen über eine Parteigründung dieser Art überhaupt spekuliert. Der Konflikt zwischen Miller und Kwasniewski, der dadurch verdeutlicht wird, vereinfacht die Amtsführung Millers nicht. Auch deshalb könnte er geneigt sein, während des Jahres 2003 das Amt des Ministerpräsidenten abzugeben, um sich von der sicheren Position des Parteiführers auf eine Präsidentschaftskandidatur 2005 vorzubereiten.