Country reports
Folgende sieben Ergebnisse und Tendenzen können festgehalten werden:
Teuerste, aufwendigste und am schlechtesten organisierte Wahl seit der Unabhängigkeit
Mit 47 Listen traten bei dieser Parlamentswahl so viele Parteien und Koalitionen an, wie bei keiner Parlamentswahl in der Geschichte des Landes seit der Unabhängigkeit zuvor. Bei der Parlamentswahl 2012 waren es noch 24 Listen. Die Unübersichtlichkeit der Parteienlandschaft im Senegal (vermutlich gibt es knapp 300 Parteien) und die Konzentration auf Personen, statt auf Programme, führte dazu, dass viele Wähler den Überblick über die unterschiedlichen Parteien und ihre Forderungen verloren und bei der bewährten Konstellation – nämlich der seit 2012 regierenden BBY – blieb. Die Vielzahl der antretenden Listen mit ihren ins-gesamt 15.040 Kandidaten führte durch den Druck aller Stimmzettel für knapp 14.000 Wahlbüros zu einem laut lokalen Experten absehbaren organisatorischen Chaos und zu einem für Kontroverse sorgenden finanziellen Mehraufwand. Zeitungen titelten nach der Wahl, dass dies die „kostspieligste und chaotischste Wahl“ in der Geschichte des Landes gewesen sei. Die Kosten für den Druck der Stimmzettel und die von der Regierung in Auf-trag gegebene Wahlwerbung im staatlichen Fernsehen und Radio betrugen zusammen mehr als 25 Mrd. FCFA (entspricht 38 Mio. Euro). Für den Druck der biometrischen Personalausweise der Westafrikanischen Wirtschaftsunion CEDEAO/ECOWAS wurde an eine Druckerei aus Malaysia zudem 52 Mrd. FCFA (entspricht 80 Mio. Euro) überwiesen.
Frappierend ist vor allem die dilettantische Organisation der Wahl, die bereits im Vorfeld des Wahltages zahlreiche politische und zivilgesellschaftliche Gruppierungen dazu veranlasste, den Rücktritt des Innenministers zu fordern. Eine Woche vor dem Wahltag hatte die Hälfte der Wähler noch immer nicht ihren Personal- bzw. Wahlausweis. Am Wahltag selbst konnten die Wähler auf Vorschlag des Staatspräsidenten und mit Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 26. Juli 2017 mit anderen Ausweisdokumenten, als mit dem eigentlich vorgeschriebenen neuen Personalausweis, zur Wahl streiten. Dennoch wurden am Wahlsonntag auch weitere organisatorische Fehler bei der Wahlvorbereitung ersichtlich. In zahlreichen Wahllokalen – vor allem in ländlichen Regionen und in der weitestgehend autonom verwalteten religiösen Stadt Touba – gab es etwa keinerlei Stimmzettel am Wahltag.
Nach Angaben der Leiterin der Beobachtermission der Afrikanischen Union (AU) zur Wahlbeobachtung im Senegal, Catherine Samba Panza, hätten 90 Prozent der Wahlbüros am Wahltag nicht rechtzeitig geöffnet. Dabei sei in 10 Prozent der Wahlbüros gar eine Öffnung der Wahllokale mit über einer Stunde Verspätung zu verzeichnen gewesen. Dennoch seien die Wahllokale nicht länger geöffnet geblieben, um die vorgesehene Zeit zur Stimmabgabe einzuhalten. Gravierend ist auch die Feststellung, wonach in zahlreichen Wahllokalen lediglich mit der Bestätigung der Wahleinschreibung, allerdings ohne die Vorlage weiterer Lichtbilddokumente gewählt werden konnte. In zahl-reichen Wahllokalen seien zudem nicht alle Vertreter der angetretenen Listen zur Beobachtung des ordentlichen Wahlablaufs anwesend gewesen und in einigen Fällen sei Wählern gar der Zutritt zum Wahllokal verweigert worden. Die AU-Beobachtermission hielt schließlich dennoch fest, dass die Wahl zwar transparent, jedoch organisatorisch nicht einwandfrei verlief.
Es lässt sich nicht abschließend festhalten, in wie vielen Wahllokalen es zu welchen tatsächlichen Unregelmäßigkeiten kam. Klar ist allerdings, dass sowohl das Innenministerium als auch die Wahlbehörde nach Ansicht zahlreicher lokaler Experten teilweise ungeschickt in der Vorbereitung des Wahltages agierten. Die aufwendige Verteilung der Personalausweise sowie der Stimmzettel für den Wahltag inmitten der einsetzenden Regenzeit und mit den schwierigen infrastrukturellen Verhältnissen außerhalb Dakars hätten der Regierung bewusst sein müssten. Entsprechend hätte frühzeitiger mit der Vorbereitung der Wahl begonnen werden müssen.
Gesteigerte Wahlbeteiligung
Die Wahlbeteiligung 2017 betrug knapp 54 Prozent und erlebte nach 2007 (34,7 Prozent) und 2012 (36,7 Prozent) eine erneute Steigerung – im Vergleich zur Wahl 2012 gar um 17 Prozent. Mehr als die Hälfte der 6.240.534 ein-geschriebenen Wähler nahm an der Parlamentswahl teil und dies obschon die Verteilung der neuen biometrischen Personal- und Wahl-ausweise mit erheblichen Problemen verbunden war. Zahlreiche Wähler mussten am Wahl-tag mit den Beantragungsbestätigungen ihres neuen Personalausweises oder anderen Ausweisdokumenten abstimmen. Dennoch ließen sich die Senegalesen am Wahltag weder von solchen organisatorischen noch von wetterbedingten Einschränkungen (ein heftiger Regen-sturm tobte das Wahlwochenende im ganzen Land) von ihrem Wahlrecht abhalten. Es scheint, als seien zahlreiche Senegalesen allen Einschränkungen zum Trotz an die Wahlurnen gegangen, um zu verdeutlichen, wie stark eine demokratische Kultur das Wesen Senegals prägt. Die deutlich gesteigerte Wahlbeteiligung bei der Wahl eines Parlaments, das in einer Präsidialdemokratie naturgemäß nur eingeschränkte Befugnisse aufweist, ist daher eine erfreuliche Entwicklung.
Überraschend klarer Sieg für Benno Bokk Yaakaar
Neben der erfreulich gesteigerten Wahlbeteiligung sorgte das Wahlergebnis für weitere Überraschungen. Die Regierungskoalition des Staatspräsidenten Macky Sall, Benno Bokk Yaakaar (BBY), ist der klare Sieger dieser Parlamentswahl. Mit 49,48 Prozent der abgegebenen Stimmen wird BBY zukünftig 125 der 165 Abgeordneten in der Nationalversammlung stellen. Dabei konnte BBY einen geradezu fulminanten Wahlsieg für sich verbuchen – vor allem da es der Koalition gelungen ist, selbst in der Hauptstadt Dakar eine Mehrheit zu erlangen. Die Regierungskoalition mit Premierminister Mouhamed Boun Abdallah Dionne als nationalem Spitzenkandidaten erhielt in 42 der 45 Departements im Senegal und in sieben der acht Departements in der erstmals ebenfalls abstimmenden Diaspora eine klare Mehrheit. Das Wahlergebnis gilt auch Staatspräsident Macky Sall, der zwar nicht selbst zur Wahl an-trat, jedoch während des Wahlkampfs omnipräsent war. Dieses deutliche Wahlergebnis wird Macky Sall gestärkt in die Präsidentschaftswahl 2019 gehen und ihn bis dahin sei-ne wirtschaftspolitischen Reformen im Rahmen des Senegalesischen Entwicklungsplans PSE weiter vorantreiben lassen.
Wer wird Oppositionsführer?
Die zweite politische Kraft im Land wird in der 13. Legislaturperiode mit 19 Sitzen die Fraktion der Koalition „Mankoo Wattu Senegaal“ um den 91-jährigen früheren Staatspräsidenten Abdoulaye Wade bilden. Drei Abgeordnete der Fraktion werden zukünftig Diaspora-Abgeordnete aus Südeuropa sein. Es wird spekuliert, ob der seit 2012 in Frankreich lebende ehemalige Präsident womöglich eine Präsidentschaftskandidatur seines im Exil in Katar lebenden Sohnes Karime Wade für 2019 vorbereite. Wade selbst kritisierte unmittelbar nach der Wahl die schlechte Vorbereitung der Wahl und bemängelt, dass gerade in Hochburgen seiner Partei auffällig viele Wahllokale keine Stimmzettel erhielten. Dennoch ist das Ergebnis für seine Koalition eine Überraschung, da Wade offensichtlich noch immer über einen politischen Rückhalt in der senegalesischen Bevölkerung verfügt und seine Abwahl 2012 durch Macky Sall nunmehr durch den Auftrag, als „größte“ Oppositionsfraktion – wenn auch mit erheblichem Abstand zur Regierungsmehrheit – zu wirken, für ihn gewiss eine Genugtuung sein dürfte. Fraglich bleibt allerdings, wer die Fraktion anführen und somit Oppositionsführer in der Nationalversammlung werden wird. Die Möglichkeit eines Zusammenschlusses mit weiteren Abgeordneten bleibt ebenfalls offen.
Khalifa Sall – Hoffnungsträger a.D.?
Die Koalition „Mankoo Taxawu Senegaal“ (MTS) des seit März 2017 wegen Betrugsvorwürfen in Untersuchungshaft sitzenden Bürgermeisters von Dakar, Khalifa Sall, gilt als Verlierer dieser Wahl. Sie wird künftig mit nur sieben Abgeordneten im Parlament vertreten sein. Das Wahlergebnis für MTS ist besonders bitter, da Khalifa Sall – der nicht mit dem Staatspräsidenten verwandt ist – seine Inhaftierung offensiv im Wahlkampf als eine Politisierung der Justiz darstellte und dadurch hoffte, als politischer Märtyrer gegen die Regierungsmehrheit eine Unterstützung zu erhalten. Dabei wurde er vor allem von jungen Anhängern in Dakar im Wahlkampf unterstützt. Sein größter Fehler dürfte gewesen sein, dass er sich als Bürgermeister von Dakar zu sehr auf die Hauptstadt verließ. Dakar ist mit ca. fünf Mio. Einwohnern zwar die größte Stadt des Landes, jedoch keinesfalls repräsentativ für den Rest des Senegals. Die einseitige Fokussierung auf Dakar während des Wahlkampfs ist umso tragischer, da MTS in der Hauptstadt keine Mehrheit erlangen konnte. Zukünftig wird Dakar mit sieben Sitzen durch die Regierungskoalition BBY im Parlament vertreten sein. Der Bürgermeister von Dakar hat mit seiner Koalition in der Hauptstadt selbst keine Mehrheit. Zudem wird die Koalition MTS nach senegalesischem Recht mit nur sieben Abgeordneten selbst keine Fraktion stellen können, hierfür sind mindestens 15 Abgeordnete vonnöten. Für den Bürgermeister von Dakar ist das Ergebnis dieser Parlamentswahl eine herbe Niederlage – es wird sich zeigen, ob er als Verlierer dieser Wahl bis 2019 die erforderliche politische Autorität erlangen kann, um tatsächlich aussichtsreich den Amtsinhaber bei der Präsidentschaftswahl herauszufordern. Entscheidend wird hierfür ohnehin zuerst der Ausgang des Gerichtsverfahrens wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder sein.
PUR – Überraschungskandidat der Wahl
Für eine große Überraschung sorgte die vierte politische Kraft der nunmehr beginnenden fünfjährigen Legislaturperiode des senegalesischen Parlaments: Die Partei PUR (Parti de l´unité et du rassemblement; auf Deutsch: Partei der Einheit und Versammlung). Vor der Wahl trat die Liste nicht sonderlich in Erscheinung, weshalb die meisten Reaktionen nach der Veröffentlichung des Wahlergebnisses er-staunt waren. Zwar wird die Partei zukünftig lediglich mit drei Abgeordneten im Parlament vertreten sein und somit keine Fraktion dar-stellen, jedoch lässt die politische Ausrichtung der Partei hellhörig werden. Die Partei wird von Issa Sall als Spitzenkandidat geführt und steht der Bewegung der Moustarchidines von Serigne Moustapha Sy nahe. Bei den Moustarchidines handelt es sich um eine religiöse Bruderschaft innerhalb des senegalesischen Islams, die im Kontext der Islamischen Revolution in Iran 1979 im Senegal entstand.
Die Moustarchidine-Bewegung distanziert sich selbst eindeutig von islamistischen und reformistischen Ideologien und beruft sich auf eine sufische Auslegung des Islams. Spirituell steht die Bewegung der Bruderschaft der Tidschaniya nahe, die im Senegal als die größte der wesentlichen vier Bruderschaften gilt. Der Spitzenkandidat der Partei PUR betont zwar die Identifikation seiner Partei mit den Werten der Moustarchidine-Bewegung, unterstreicht je-doch auch, dass es sich bei der PUR-Partei um keine religiöse Partei handele. Dies wäre nach senegalesischem Recht auch nicht möglich, da Parteien prinzipiell nicht entlang religiöser oder ethnischer Linien geformt sein dürfen.
Im Wesentlichen lassen sich drei Faktoren für den Erfolg der PUR-Partei festhalten: Die Partei setzt sich nicht aus mehreren Strömungen bzw. unterschiedlichen Parteien zusammen und bildet eine eindeutige inhaltlich erkennbare Richtung ab. Sie ist sehr gut organisiert und landesweit vertreten. Ihre organisatorische und inhaltliche Eindeutigkeit hat dem Wähler daher landesweit ein klar verständliches Angebot unterbreiten können. Ferner ist die Partei seit über 20 Jahren im Senegal präsent und weist somit eine nicht selbstverständliche Kontinuität auf, die sich auch im Wahlkampf auszahlte. Die Partei ist Wahlkampferprobt und hat bereits drei Präsidentschafts-, vier Parlaments- und drei Lokalwahlen bewältigt. Bei dieser Wahl wurde sie nun erstmals für ihre kontinuierliche Arbeit entlohnt. Drittens hat die Partei einen konkreten und Themenbasierten Wahlkampf geführt und konnte durch die landesweite Präsenz vor allem im strukturkonservativen, ländlichen und religiösen Milieu Anhänger mobilisieren.
Es wird sich zeigen, mit welchen Themen und Anträgen die Partei in der Nationalversammlung auf sich aufmerksam machen und ob eine dezidiert religiöse Konnotation ihrer Ausrichtung erkennbar werden wird.
Herausforderungen und Ausblick
Der Wahlkampf im Vorfeld der Parlamentswahl war mit lediglich drei Wochen zwar kurz, je-doch sehr intensiv. Die Vielzahl der angetretenen Parteien hat zu einer erheblichen weiteren Fragmentierung des Parteiensystems im Senegal beigetragen. Der deutliche Anstieg der Wahlbeteiligung ist erfreulich und sollte durch eine verantwortungsvolle parlamentarische Arbeit in den kommenden fünf Jahren nicht enttäuscht werden.
Die Regierungskoalition BBY geht als eindeutiger Sieger dieser Wahl hervor. Das Wahlergebnis ist ein deutlicher Auftrag an die Koalition um den Staatspräsidenten Macky Sall, seinen Reformkurs weiter konsequent voranzutreiben. Der Entwicklungsplan PSE und die Stärkung der Regionen durch eine konsequente Dezentralisierung können mit dazu beitragen, dass sich das Land weiter entwickelt. Der klare Auftrag an BBY und die Regierung lautet nunmehr, den eingeschlagenen Kurs der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes fortzuführen – dabei müssen Transparenz und eine gute Regierungsführung stets selbstverständliche Begleiter der Regierungsarbeit sein.
Die zentrale Herausforderung der beginnenden Legislaturperiode wird allerdings die Stärkung der Nationalversammlung selbst sein. Die Parlamentarier müssen sich über ihre Rechte und Pflichten bewusst werden und die gesetzgeberische Kompetenz ihrer Einrichtung aktiv nutzen. Die Abgeordneten der Nationalversammlung sind nicht lediglich zur Absegnung von Präsidialvorhaben gewählt, sie müssen sich ihrer eigenen Gesetzgebungsfunktion bewusst werden. Hierfür wird neben einer personellen auch eine bessere organisatorische Ausstattung des Parlaments unabdingbar sein. Die Opposition wird mit insgesamt 40 Sitzen keine leichte Aufgabe haben (125 Sitze stützen die Regierung Macky Salls). Umso wichtiger wird es sein, dass die Regierungsmehrheit verantwortungsbewusst mit ihrer Machtfülle im Parlament umgehen und der Opposition ihre Rechte zugestehen wird. Dies wird keinesfalls eine Selbstverständlichkeit sein. Denn mit dem En-de des Wahlkampfs für die Parlamentswahl und der Wahl einer neuen Nationalversammlung begann für viele bereits der nächste – wichtigere – Wahlkampf: für die Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2019.