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Der erste Zwischenfall ereignete sich im Ujjain District, in der Nähe von Indore (Madhya Pradesh). Die Nonne Leena Verghese wurde morgens, unmittelbar nachdem sie den Konvent verlassen hatte, mit mehreren Schüssen schwer verletzt und war drei Tage bewusstlos. Sie arbeitete in einer Schule für Behinderte, die von ihrem Orden, den "Sisters of the Adoration of Blessed Sacrament" betrieben wird.
Die Polizei konnte in den ersten Tagen keine einzige Spur der Täter aufzeigen. Auf einer Versammlung von 60 christlichen Organisationen aus Madhya Pradesh erklärte Bischof Dr. George Anathil am 8. August in Indore, dass der Überfall auf Schwester Leena kein Einzelfall sei. Es habe im letzten halben Jahr zahlreiche anti-christliche Angriffe auf Personen oder Einrichtungen gegeben. Es sei an der Zeit, dass die Polizei und die politisch Verantwortlichen auf diese Entwicklung konsequent reagierten. (The Indian Express, 9.08.01)
Der zweite Zwischenfall ereignete sich am selben Tag in Thane, nördlich von Mumbai (Maharashtra). Der Priester Oscar Mendonca wurde am Abend von einer "Aktivisten"-Gruppe der "Bajrang Dal" zusammengeschlagen, die zuvor seine Kirche geplündert hatte. Er liegt seitdem schwer verletzt im Krankenhaus.
In zahlreichen Diozösen, vor allem in Maharashtra, fanden in den folgenden Tagen Protestaktionen statt. Der Erzbischof von Mumbai, Ivan Dias, forderte ebenfalls die Regierung zu entschlossenem Handeln auf. Am Montag, den 13. August, sollen viele der katholischen Schulen geschlossen bleiben. (The Hindu, 9.08.01)
Die Gruppe, die Oscar Mendonca zusammengeschlagen hatte, kam nachweislich unmittelbar von einer Versammlung der "Bajrang Dal", auf der gegen Christen agitiert worden war. Nachdem am folgenden Tag 18 Angehörige dieser radikalhindunationalistischen Organisation verhaftet worden waren, rief sie zusammen mit der VHP zum Generalstreik auf. Mehr als 50 öffentliche Busse wurden am selben Tag in Thane demoliert.
Die "Bajrang Dal" (Partei des Affengottes) ist für ihre gewalttätigen Ausschreitungen gegen Christen berüchtigt. Es handelt sich um eine Unterorganisation des VHP ("Vishva Hindu Parishad" = Weltrat der Hindus), der sich vor allem um die Rekonversion von Christen zum Hinduismus bemüht, und dabei unterstellt, dass die meisten der heute 24 Millionen Christen in Indien ursprünglich ebenfalls zur Konversion gezwungen worden seien.
Internationale Aufmerksamkeit hatten die gewalttätigen Übergriffe gegen Christen vor allem in den Jahren 1998 und 1999 gefunden. Zahlreiche Priester und Missionare wurden seinerzeit ermordet, Nonnen vergewaltigt, Kirchen und ungezählte Bibeln in Brand gesteckt. Vor diesem Hintergrund erschienen im Verlauf des Jahres 2000 relativ wenige Meldungen dieser Art in der indischen Presse. Doch seit dem Sommer dieses Jahres scheint dieser Konfliktbereich in der indischen Gesellschaft jedoch erneut zu eskalieren.
Im Mai 2001 waren in Manipur drei katholische Priester ermordet worden. Daraufhin hatte es im Nordosten Indiens, in den sog. "seven sister states" (Assam, Arunachal Pradesh, Manipur, Mizoram, Meghalaya, Nagaland und Tripura), zahlreiche Proteste gegeben, die auch dem Premierminister vorgetragen wurden. In diesen sieben Bundesstaaten sind 35 Prozent der Bevölkerung Christen. Würden die von ihnen unterhaltenen Schulen - wie angedroht wurde - schließen, würde in der gesamten Region das Schulsystem zusammenbrechen.
Bereits Ende Juli hatte das "All India Christian Council" (AICC) die Öffentlichkeit zu größerer Wachsamkeit und zum Protest gegen die Übergriffe aufgerufen. Besonders nachdrücklich wies der AICC darauf hin, dass in der jüngsten Zeit gelegentlich auch reguläre Polizeikräfte militante Hindunationalisten unterstützt hätten. Offensichtlich könnten sich diese Polizisten der Rückendeckung von oben sicher sein.
In Varanasi, der heiligsten Stadt der Hindus, hatte die Polizei sogar in diesem Sommer ein Übungslager der Hindunationalisten toleriert, in dem mit Schusswaffen trainiert wurde. Kurz darauf waren fünf Christen von selbsternannten "Wächtern" der VHP unter dem Vorwurf zu missionieren "verhaftet" worden. Zwar ließ die Polizei die fünf bald darauf wieder frei; aber frei gingen auch die Angehörigen der VHP aus.
Das Gesetz, das im Bundesstaat Uttar Pradesh aktive Missionierung verbietet und sich ironischerweise "Freedom of Religion Act" nennt, wird nur gegen Christen angewandt, aber nicht gegen Hindus. (The Hindu, 30.07.01)
In zahlreichen Gebieten vor allem im mittleren Norden Indiens nimmt die Zahl der bekannt gewordenen Drohungen gegen Christen zu:
- Regelmäßige Drohungen erhält zum Beispiel ein Waisenhaus im Distrikt Kota in Rajasthan, das von der Katholischen Kirche betrieben wird. Der Hauptverantwortliche, Bischof M. A. Thomas, berichtet von wiederholten Todesdrohungen.
- Im Bundesstaat Orissa sind vor kurzem 17 Erwachsene zum Christentum konvertiert und haben dies ordnungsgemäß bei der Polizei als einen freiwilligen Glaubensakt deklariert. Seitdem werden sie nicht zuletzt von der Polizei selber verfolgt und zur Rekonversion gedrängt.
- In Bhopal, der Landeshauptstadt von Madhya Pradesh, werden Hindu Eltern, die ihre Kinder auf christliche Schulen schicken, regelmäßig eingeschüchtert, und der Direktor einer solchen Schule wurde gezwungen, dem Elefantengott Ganesh öffentlich seine Referenz zu erweisen.
Abrams ist gleichzeitig Vorsitzender der "US Commission on International Religious Freedom", die in den vergangenen Jahren häufig Indien wegen der Übergriffe gegen Christen kritisiert hatte. Im Jahresbericht dieser Kommission, der im Mai 2001 erschienen ist, nimmt die Kritik an Indien einen zentralen Platz ein. In Delhi wird befürchtet, dass Abrams Stimme sich nachteilig auf die Entspannung in den indo-amerikanischen Beziehungen auswirken könnte.