Country reports
Israel wurde vom Sieg der Hamas völlig überrascht. Premier Olmert wies unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Wahlergebnisse seine Kabinettskollegen an, bis zu einer Kabinettsitzung am letzten Sonntag keine Kommentare abzugeben – offenbar um Zeit zu gewinnen und Sprachregelungen zu treffen.
Der Sieg der Hamas traf die israelische Führung völlig unvorbereitet: Weder war ein möglicher Sieg der Hamas ernsthaft diskutiert, noch waren Strategien ausgearbeitet, wie man mit einem solchen Sieg umgehen sollte. Zudem ging man nach der Erfahrung der Primaries in der Fatah wohl kaum davon aus, dass die Wahlen so friedlich ablaufen würden.
Offiziell werden jegliche Kontakte mit der Hamas abgelehnt, solange Hamas die Waffen nicht niederlegt und die Vernichtung Israels nicht widerruft.
In Israel wird nach dem Überraschungssieg der Hamas auch darüber diskutiert, warum (wieder einmal) die Geheimdienste versagt haben. Inzwischen wird eine Untersuchung eingeleitet, welche diese Frage klären soll.
Kurz vor der Wahl gab es nach Zeitungsberichten eine Auseinandersetzung zwischen israelischen und US-amerikanischen Geheimdienststellen. Offenbar waren die US-Geheimdienste noch optimistischer hinsichtlich eines Sieges der Fatah.
Auch die palästinensischen Umfragen, auf die sich auch viele israelische Kommentatoren verlassen hatten, konnten dieses Ergebnis nicht vorhersagen - immerhin eine Wiederholung der Fehleinschätzung vor den letzten Kommunalwahlen: auch da hatte Hamas dann relativ überraschend gewonnen.
Schließlich war wohl auch die Hamas vom Ausmaß des Sieges überrascht und sucht noch immer nach Partnern, welche vor allem die Kontakte der zukünftigen Autonomieregierung zu Israel und zur Internationalen Gemeinschaft tragen können.
Diskutiert wird in Israel auch der bisherige Umgang mit Hamas. Vor allem wird darauf hingewiesen, dass alle Liquidierungen von radikalen Vertretern der Hamas bisher nicht zu ihrer Schwächung geführt haben. Die Politik der harten Hand gegenüber Hamas hat ihren Wahlsieg nicht verhindert.
Offen ist nun der konkrete Umgang mit der Hamas in Zukunft. Inzwischen werden Stimmen lauter, welche hoffen, dass Hamas sich mäßigen wird. Hamas wird – so die Hoffnung – in Zukunft mehr mit der Wohlfahrt des Volkes befasst sein (und sein müssen), als mit gewaltsamen und ideologisch geprägten Auseinandersetzungen mit Israel. Immerhin gibt es auf kommunaler Ebene schon unvermeidliche Kontakte mit Israel. Hamas wird sich nun auch daran messen lassen müssen, was sie „liefern“ kann. Dies könne eine Chance für Israel sein: solange es den Interessen der Hamas dient, wird sie auch für einen langfristigen Waffenstillstand, eine „hudna“ bereit sein.
Intensiver diskutiert wird nun in Israel auch die Frage der Demokratisierung des Nahen Ostens. Diese – nicht selten als Einführung formaler Institutionen um jeden Preis empfundene – Bemühung der USA wird nach der Stärkung der Muslimbrüderschaft in Ägypten und nun der Hamas nicht selten als naiv und nicht den Realitäten des Nahen Ostens gerecht werdend angesehen.
Israel müsse – so Kommentatoren – nun auch stärker die Rolle der arabischen Öffentlichkeit mit in die außenpolitischen Strategien einbeziehen, und nicht nur Stabilität durch gute Kontakte zu den jeweiligen, z.T. diktatorischen Führern sicherzustellen versuchen. Dies bedeute, dass man sich einer noch komplexeren Realität stellen müsse. Diskutiert wird schon die Gefahr, welche durch eine „Demokratisierung“ der gut bewaffneten Staaten wie Jordanien, Syrien und Ägypten ausgehen könnte.
Schließlich hat der Umgang mit der Hamas auch den israelischen Wahlkampf erreicht: Gegner von Kadima aus dem rechten und linken Spektrum sprechen davon, der einseitige Rückzug aus Gaza hätte die bisherige Autonomieregierung geschwächt und zum Sieg der Hamas geführt. Diese Ansicht eint Yossi Beilin (Meretz) und Benjamin Netanjahu (Likud). Die letzten Umfragen zeigen zwar einen Rückgang der Befürwortung des einseitigen Rückzugs, jedoch keinerlei Einbuße von Stimmen für Kadima. Allerdings sät der unerwartete Sieg der Hamas auch generelle Zweifel an Umfragen.
Benjamin Netanjahu (Likud) vergleicht den Sieg der Hamas außerdem mit dem Weg Hitlers an die Macht und Silvan Shalom (Likud) spricht davon, dass „Hamastan“ nicht nach Jerusalem gebracht werden dürfe, d.h. jeder Kompromiss über eine Teilung Jerusalems tabu sei. Amir Peretz (Avoda) würde keinesfalls mit Hamas verhandeln und wäre zu weiteren einseitigen Schritten bereit.
Interessant ist auch, dass das jetzt in den palästinensischen Autonomiegebieten erfolgreich praktizierte Wahlsystem einer Kombination von Mehrheitswahl in Wahlkreisen und Wahl einer Landesliste auch zu Diskussionen in Israel geführt hat, dass Wahlsystem neu zu überdenken. Hier wird bisher – nach dem Abschaffen der Direktwahl des Premierministers im Januar 2001 – nach Landesliste gewählt.
Insgesamt ist die Überraschung und Enttäuschung der Israelis über den Wahlsieg der Hamas zwar groß. Allerdings ist ebenso klar, dass für die israelische Führung bisher auch Abu Mazen kein Verhandlungspartner war – der Abzug aus Gaza wurde einseitig und ohne Verhandlungen umgesetzt. Jetzt wird wohl die einseitige Abkoppelung Israels auch von der palästinensischen Seite erwidert: Verhandlungsbemühungen mit Israel werden unumgänglichen Arrangements weichen, die Orientierung der Palästinenser wird in Zukunft wohl noch mehr in Richtung der arabischen Nachbarstaaten gehen. Befördert wird dies sicher durch die Diskussion in Israel, aber auch in der Europäischen Union und den USA, die Hilfe für die Palästinenser einzufrieren. Ob dies langfristig zu einer stabilen Situation im Nahen Osten führt, darf mindestens als unsicher gelten.