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Den weitestgehenden Vorschlag unterbreitet das Baskenland mit dem sogenannten "Ibarretxe-Plan“, der eine von Spanien unabhängige Gerichtsbarkeit und einen diplomatischen Status für das Baskenland vorsieht. Das Verhältnis zu Spanien soll in einem „freien Verbund“ erfolgen. Der Plan, der in Madrid auf heftigen Widerstand stößt, wurde bereits von der spanischen Regierung mit Unterstützung der oppositionellen Sozialisten PSOE als illegal bezeichnet. Die baskische Regierung hingegen beharrt auf eine Durchsetzung im baskischen Regionalparlament.
Der spanischen Regierung bereiten ebenfalls die lauter werdenden Stimmen in Katalonien nach weiteren Autonomierechten Sorge. Mit der Bildung der neuen linksnationalistischen Regionalregierung in Barcelona unter dem sozialistischen Regionalpräsidenten Pasqual Maragall (PSC) werden Veränderungen im Verhältnis zu Madrid gefordert, die insbesondere die Zusammenstellung, die Bereiche sowie die Verteilung von staatlichen Kompetenzen betreffen. Hinzu kommt die gegenwärtig zwischen Madrid und Barcelona heftig geführte Debatte über eine Reform der Finanzverteilung.
Selbst zwei vom PP regierte Regionen fordern mehr Rechte ein. So sprach sich die mit absoluter Mehrheit gewählte Regionalpräsidentin Esperanza Aguirre (PP) in ihrer Antrittsrede für eine Veränderung des regionalen Wahlsystems aus. Damit steht sie zwar nicht außerhalb der Verfassung, doch ihre Forderung stößt in der spanischen Zentralregierung auf wenig Gegenliebe. Dagegen klingen die Forderungen des Regionalpräsidenten von Valencia, Francisco Camps, ebenfalls PP, schon radikaler.
Ein „Bürgerrechtskodex“ für Valenzianer soll eingeführt sowie die Bedeutung der Valenzianischen Sprachakademie gesteigert werden. Auf den Kanarischen Inseln denkt man derzeit über eine Reform des Steuereinnahmesystems nach, während in Andalusien die Regierung für mehr finanzielle Eigenständigkeit eintritt. In Aragon hingegen stellt die Regionalregierung generell Überlegungen zur „Vertiefung der Selbstverwaltung“ an.
Föderalistische Bestrebungen stoßen seit Jahren auf taube Ohren beim regierenden Partido Popular. Der radikale Nationalismus im Baskenland und seit neuestem auch in Katalonien in Verbindung mit dem fortgesetzten ETA-Terrorismus hat die spanische Regierung negativ sensibilisiert. Selbst moderate Forderungen finden kaum Anklang bei der Regierungspartei. Obwohl die spanische Verfassung explizit Vorkehrungen für weitere staatliche Dezentralisierungen vorsieht, so fürchtet der PP mit der Zunahme nationalistischer und föderalistischer Tendenzen um die Einheit des spanischen Staates.
Die Sozialisten hingegen haben für den Fall ihres Sieges bei den Parlamentswahlen im kommenden März angedeutet, sie würden eine Reform der regionalen Autonomiestatuten in Angriff nehmen. Allerdings lehnen auch sie die Unabhängigkeitsbestrebungen des Baskenlandes strikt ab. So kritisierte der parlamentarische Sprecher der Sozialisten, Jesús Caldera (PSOE), in einem Interview der spanischen Tageszeitung „El País“ vom 3. Januar 2004 die „rigide“ Haltung des PP als Ausdruck eines „überalterten Zentralismus, der lediglich Spannung erzeugt“.
Ziel der Reform, so Caldera, sei die Modernisierung des Systems. Aus seiner Sicht solle der Senat die Stimme der Regionen sein, die auch ein Mitspracherecht in Angelegenheiten der Europäischen Union erhalten sollten. Darüber hinaus sprach er sich für die Einrichtung einer Konferenz der Regionalpräsidenten aus, die sich mit der Regierung in Madrid austauscht. „Soll Spanien dadurch auseinanderbrechen?“, fragt Caldera.
Unterstützt wird Calderas rhetorische Frage durch eine Umfrage über Einstellungen zum Autonomiestatus, die die spanische Tageszeitung „ABC“ am 3. Januar 2004 veröffentlichte. So äußerten 51 Prozent der Befragten, sie unterstützten einen Staat mit Autonomen Regionen (1984: 31 Prozent). Entsprechend niedrig fällt mit 10 Prozent der Anteil derjenigen aus, der sich für einen Zentralstaat ohne Autonome Regionen aussprach (1984: 29 Prozent). Geringfügig gestiegen ist ebenfalls mit 24 Prozent der Anteil derjenigen, die mehr Kompetenzen für die Autonomen Regionen fordern (1984: 20 Prozent).
Die Reform der regionalen Autonomiestatuten entwickelt sich gegenwärtig zum zentralen Wahlkampfthema für die Parteien. Dabei ist festzustellen, dass zunehmend föderalistische Bestrebungen mit nationalistischen Tendenzen verwechselt werden. Angesichts des fortwährenden ETA-Terrorismus darf die Bedeutung des Nationalismusthemas in der spanischen Gesellschaft nicht unterschätzt werden. Auch wenn die grundsätzliche Ablehnung des PP als übertrieben gewertet werden kann, so bergen selbst die moderaten Töne des PSOE in der Föderalismusdebatte die Gefahr einer „Steigbügelfunktion“ für nationalistische Regionalparteien.
Erste Anzeichen dafür ergeben sich aus der neuen Koalition in Katalonien zwischen den Sozialisten (PSC) und den radikalen Linksnationalisten ERC. So unterbreitete die ERC Anfang Januar 2004 den Vorschlag der Bildung eines Bündnisses aller überregionalen und regionalen Parteien gegen den PP in den kommenden Parlamentswahlen im März. Selbst konservative Parteien wie die baskische PNV und die CiU in Katalonien, die sich nach der Novemberwahl erstmals in der Opposition befindet, sollen dem Bündnis beitreten.
Darüber hinaus hat die ERC ihren sozialistischen und grünen Koalitionspartnern eine „Fraktionsgemeinschaft des Fortschritts“ im spanischen Senat vorgeschlagen, damit die Regierungspolitik der linksnationalistischen Koalition eine stärkere Stimme im Senat erhält. Geht der PSOE auf die Angebote der ERC ein, so kann dies auch über die Grenzen Kataloniens hinaus zu einer Polarisierung zwischen Zentralisten und Nationalisten führen, die der Debatte um föderale Reformen in Spanien insgesamt nicht dienlich sein kann.