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Gesetzgebung und Pacto Fiscal
In Erfüllung des Friedensvertrages vom Dezember 1996 hatte die frühere Regierung des PAN eine Kommission eingesetzt, die Vorgaben für einen "Pacto Fiscal" erarbeiten sollte. Die Idee dieses "Pacto" war ein Bündnis von Staat, gesellschaftlichen Organisationen und Wirtschaft über die finanziellen Grundlagen des guatemaltekischen Staates.
Themen des am 29. Dezember 1999 vorgelegten Vorschlages waren Ausgabendisziplin und -effizienz des Staates, Senkung der Steuerhinterziehung, Umverteilung der Steuersätze zugunsten einer höheren Steuergerechtigkeit. Nach langen Verhandlungen gelang am 25. Mai 2000 in der Tat die feierliche Unterzeichnung eines solchen Paktes durch etwa 100 Organisationen aus Wirtschaft und Gesellschaft sowie Präsident Portillo und Parlamentspräsident Ríos Montt (beide FRG).
Von den Gegnern des Paktes wurde von Anfang die Debatte auf das Reizthema "Steuererhöhungen für einen korrupten und ineffizienten Staat" reduziert. Im FRG-dominierten Parlament fanden die Vorschläge trotz der starken gesellschaftlichen Unterstützung und der feierlichen Unterschrift des Parlamentschefes Ríos Montt bisher wenig Rückhalt. Ende Juni wurde ein erstes Paket von Gesetzen beschlossen, die allerdings wirklich im wesentlichen auf Steuererhöhungen (Flughafensteuer, Einkommenssteuer, KFZ-Steuer) beschränkt blieben.
Auch die Regierung rückte durch ihre verschiedenen Stellen (Finanzminister, Wirtschaftsminister) wieder von einigen zentralen Punkten der Vereinbarungen ab und hat nun z.B. vorrangig eine Mehrwertsteuererhöhung zur raschen Steigerung der Staatseinnahmen im Blick, obwohl dies zunächst einmal mehr in der Breite diejenigen betrifft, die über geringe Einkommen verfügen.
Während dieser Verhandlungen, die vor allem zwischen Staat und Wirtschaft auch nach Unterzeichnung des Paktes andauerten, kam es am 27. Juni 2000 im Parlament zur Verabschiedung eines Gesetzes über neue Steuersätze auf den Getränkeverkauf.
Beschlossen wurden nach allen vorliegenden Informationen folgende Steuersätze: 20 % für alkoholi-sche Getränke außer Wein, 10 % für Weine und 1 % für nichtalkoholische Getränke. Im Gesetz, das am 1. August im Gesetzblatt veröffentlicht wurde, werden jedoch die folgenden Steuersätze genannt: 10 % für alkoholische Getränke außer Wein, 4,18 % für Weine und 0,2 % für nichtalkoholische Getränke. Diese Abweichungen und dazu das spurlose Verschwinden sämtlicher Aufzeichnunen der besagten Parlamentssitzung (Protokolle, Video- und Tonbandaufzeichnungen) bewegen seitdem die guatemaltekische Öffentlichkeit unter dem Titel "Guategate".
Der vermutliche Hergang der Gesetzesfälschung und die Folgen
Schließlich sind doch noch Tonbandaufzeichnungen aufgetaucht, die die Angaben von Oppositions-abgeordneten bestätigten, dass in der Parlamentssitzung am 27. Juni die o.g. Steuersätze verabschiedet wurden. Da der FRG über die absolute Parlamentsmehrheit verfügt, tauchte die Frage auf, warum man auf diesem Wege Gesetze verfälscht, wenn man sie doch einfach durch Mehrheitsbeschluss ändern kann.
Es scheint aber so gewesen zu sein, dass am 27. Juni der Vizepräsident Guatemalas, Juan Francis-co Reyes, sich in Beratungen mit Wirtschaftsvertretern zum Thema Pacto Fiscal befand, die die Steuererhöhung für den Getränkehandel kritisierten und Reyes dies so nachvollziehbar fand, dass er eine sofortige "Regelung" des Problems zusagte. Dies geschah durch einen Anruf im Parlament, was Reyes auch zugegeben hat, und das Ergebnis liegt nun vor.
Die Oppositionspartei PAN hat nun mit Unterstützung anderer Oppositionsgruppen 20 FRG-Abgeordnete, darunter auch Parlamentspräsident Ríos Montt, wegen Fälschung eines Gesetzes und Vernichtung von Beweismaterial angezeigt. Die FRG-Verteidigungsstrategie lief bisher darauf hinaus, Stellungnahmen vor der Presse zu vermeiden und wenn, dann nur von einer "Korrektur" des Gesetzentwurfes zu sprechen. Außerdem soll die Beweiskraft des vorliegenden Tonbandes angezweifelt werden und vor allem darauf verwiesen werden, dass ja auch in der vorigen Legislaturperiode unter PAN-Regie solche Dinge vorgekommen seien, man aber keinen Skandal daraus gemacht habe (sic!).
Optionen einer rechtstaatlichen Aufklärung
Neben dem Verfahren, das die Staatsanwaltschaft zur Aufhebung der Immunität der beschuldigten FRG-Abgeordneten eingeleitet hat, wurde vom PAN auch eine Anklage vor dem Obersten Gerichtshof erhoben. Dieser reagierte mit der sofortigen Einsetzung eines Sonderermittlers, der Ende August seine Untersuchungen aufgenommen hat. Die Medien, auch solche, die zuvor dem FRG eher wohlwollend gegenüberstanden, und eine Vielzahl gesellschaftlicher Organisationen fordern jetzt vom Obersten Gerichtshof eine rasche und rechtsstaatliche Aufklärung des Falles sowie dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Das Misstrauen der Opposition und der Öffentlichkeit richtet sich vor allem gegen die Staatsanwaltschaft, da der amtierende Generalstaatsanwalt, Adolfo Gónzalez Rodas, schon seit dem Regierungswechsel im Januar 2000 um sein Verbleiben im Amt kämpft und dabei von der Parlamentsmehrheit des FRG abhängt. Die Generalstaatsanwaltschaft verfügt außerdem über den zweifelhaften Ruf, wichtige Fälle so lange zu untersuchen, bis von den Anklagen nichts mehr übrig bleibt (z.B. der Mordfall Weihbischof Gerardi, der immer noch nicht aufgeklärt ist).
Diese Situation erklärt auch das Interesse des FRG, in jedem Fall zu verhindern, dass die Untersuchungen vom Obersten Gerichtshof geführt werden. Aus diesem Grunde hat man Klage vor dem Verfassungsgericht gegen den Obersten Gerichtshof erhoben, um zu erreichen, dass die Untersu-chungen ausschließlich bei der Generalstaatsanwaltschaft verbleiben.
Neben den möglichen strafrechtlichen Folgen dürfte die FRG-Führung besonders die Kritik der öf-fentlichen Meinung und der daraus folgende massive Ansehensverlust beunruhigen. In Meinungsumfragen ergaben sich Mehrheiten von 70-85 % von Bürgern, die einer Verurteilung der Schuldigen zu-stimmten, den Erklärungen der FRG keinen Glauben schenkten und gar den Rücktritt von Ríos Montt forderten. Allerdings haben nach der vom 12. bis 14. August in der Hauptstadtregion durch-geführten Umfrage nur 36,8 % der Befragten das Vertrauen, dass die Justizbehörden den Fall wirklich aufklären wollen.