Country reports
Beginn der Kampfhandlungen
Die USA führen den Militäreinsatz ohne weitere Resolution des UNO Sicherheitsrates mit der Begründung, dass die Resolutionen 678 (1990) und 687 (1991) weiterhin gültig sind. Erstere diente als Grundlage des Krieges zur Befreiung Kuwaits nach der irakischen Besatzung. Letztere richtete nach Ende der Kampfhandlungen das Waffenstillstandsregime auf, dessen integraler Bestandteil die Abrüstung des Iraks ist. Insofern der Pflicht zur Abrüstung nicht nachgekommen wurde, gilt dies als Bruch der Waffenstillstandsvereinbarung von 1991. Damit gilt aus Sicht Washingtons die erneute Anwendung der Resolution 678 als legale Grundlage für einen erneuten Militärschlag gegen den Irak.
Beide Resolutionen wurden aus diesem Grund in die Präambel der Resolution 1441 (2003) übernommen, um sichtbar zu machen, dass der Kriegszustand von 1990/91 lediglich durch einen Waffenstillstand unterbrochen wurde, aber noch nicht durch eine Friedensregelung abgeschlossen worden ist.
Die USA erhalten offene militärische, logistische oder politische Unterstützung von Äthiopien, Afghanistan, Albanien, Aserbaidschan, Australien, Bulgarien, Dänemark, El Salvador, Eritrea, Estland, Georgien, Großbritannien, Italien, Japan, Kolumbien, Lettland, Litauen, Makedonien, Niederlande, Nikaragua, den Philippinen, Polen, Rumänien, Slowakei, Spanien, Südkorea, Tschechien, der Türkei, Ungarn, und Usbekistan. Außerdem haben weitere fünfzehn Staaten ihre Kooperationsbereitschaft mit den USA erklärt, allerdings mit dem Vorbehalt, diese nicht öffentlich zu machen.
Die Situation der arabischen Staaten
Zu diesen fünfzehn Ländern, die Washington nicht öffentlich unterstützen, zählen insbesondere arabische Staaten. Ohne deren Duldung wäre die Stationierung von rund 250.000 US-amerikanischen und britischen Truppen in der Region kaum möglich.
In Bahrain ist die 5. Flotte der US Navy beheimatet; in Qatar befindet sich gegenwärtig der operative Sitz des Central Command; in Kuwait sind zwei Drittel des Staatsgebietes zu militärischem Sperrgebiet erklärt worden; Saudi Arabien hat die Flughäfen Tabuk und Arar für den zivilen Luftverkehr gesperrt und den USA zur Verfügung gestellt; in Jordanien sind in der östlichen Wüste Raketenabwehrsysteme vom Typ 'Patriot' stationiert worden, die vom amerikanischen Militär bedient werden; Ägypten gewährt der US-Marine Durchfahrtsrechte durch den Suez-Kanal; Jordanien – zusammen mit Israel – gewährt der US Air Force Überflugrechte zwischen dem Mittelmeer und dem Irak. (Außerdem berichteten BBC und MBC (Middle East Broadcasting Corporation) Radio am 18. März (22:00 Uhr Ortszeit Amman), Amman habe israelischen Sonderkommandos den Transit über Jordanien in den Westirak gestattet.)
Das Verhalten der arabischen Regierungen steht damit im Widerspruch zum öffentlichen Diskurs, jeglichen Militärschlag gegen den Irak abzulehnen und nicht an einem Krieg der USA und ihrer Verbündeter teilzunehmen. Der Grund für dieses Auseinanderklaffen liegt in einem doppelten Pragmatismus: Zum einen hegt keine Regierung der Region für das Regime Saddam Husseins in einem Masse Sympathie, die eine Konfrontation mit Washington rechtfertigen würde. Zum anderen ist keine arabische Regierung in der Lage, sich über die weit verbreitete Antipathie grosser Bevölkerungsteile gegen die USA hinwegzusetzen.
Das gegenwärtig vorgenommene Spagat zwischen faktischer Unterstützung und rhetorischer Ablehnung des Irak-Kriegs birgt für alle arabischen Länder der Region ein grosses politisches Destabilisierungspotential.
Regionales Destabilisierungspotential
Ventilfunktion des arabisch-israelischen Konflikts
Der seit September 2000 eskalierende Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern wird in der Region in unmittelbarem Zusammenhang mit der Irak-Krise gesehen. Die harte Haltung Washingtons und der UNO gegenüber dem Irak hinsichtlich der Verbindlichkeit von UNO-Resolutionen wird einer im wesentlichen nachsichtigen Politik gegenüber Israel entgegengestellt. Daraus resultiert die Gefahr einer psychologischen Aufladung des Irak-Konflikts als ein Krieg, bei dem es um die Absicherung der Vorherrschaft der USA und Israels in der Region gehe.
Befürchtungen, Israel könne im Windschatten des Irak-Krieges eine größere Zahl von Palästinensern über den Jordan vertreiben, sind zwar unbegründet, beschreiben aber dennoch die Erwartungshaltung weiter Kreise in den palästinensischen Gebieten und in Jordanien. Geheime Absprachen zwischen Jordanien und Israel beugen diesem Szenario, an dem keine Seite ein Interesse hat, vor, vermögen aber aufgrund ihres vertraulichen Charakters nicht die Perzeption dieser Gefahr zu zerstreuen.
Es kann davon ausgegangen werden, dass die irakische Propaganda versuchen wird, dies auszunutzen. Während die Palästinenser selber einer Instrumentalisierung durch das Regime in Bagdad skeptisch und ablehnend gegenüber stehen, herrscht hierfür etwa in Jordanien und Ägypten sowie in den palästinensischen Flüchtlingslagern des Libanons zuweilen große Sympathie. Gleiches gilt für Saudi Arabien sowie grundsätzlich jedes arabische Land, das in der Vergangenheit den Palästinakonflikt als Ventil benutzt hat, um von innenpolitischen Problemen abzulenken.
Es gibt derzeit Anzeichen, dass die USA sich dieser Problematik ähnlich wie im letzten Golfkrieg 1991 annehmen werden. Damals wurde nach Abschluss des Waffenstillstandes mit dem Irak die Friedenskonferenz von Madrid einberufen, deren Mechanismen zwar scheiterten, die aber mit der Prinzipienerklärung von Oslo (1993) und dem folgenden Friedensvertrag zwischen Jordanien und Israel (1994) zu einer Verbesserung des politischen Klimas in der Region führten. Gegenwärtig scheint es Bestandteil einer umfassenden Strategie der USA zu sein, das Projekt der sogenannten 'road map' anlaufen zu lassen. Hierfür ist mit der Ernennung von Mahmud Abbas (Abu Mazin) zum Premierminister der Palästinensischen Nationalbehörde sowie der Zustimmung des Palästinensischen Legislativrates eine wichtige von Washington geforderte Bedingung erfüllt worden.
Die Humanitäre Situation im Irak
Die Entscheidung der UNO vom 17. und 18. März, sämtliches ausländisches Personal aus dem Irak abzuziehen, hat nicht nur die Arbeit der United Nations Monitoring, Verification and Inspection Commission (UNMOVIC) beendet, sondern auch zum Zusammenbruch des Oil-for-Food Programms in den letzten 36 Stunden geführt.
Die ohnehin desolate Versorgungslage der Bevölkerung wird sich mit Beginn der Kampfhandlungen weiter verschlechtern. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass die Medien nicht nur Bilder vom Einsatz von Präzisionswaffen, sondern auch solche zivilen Leids transportieren werden. Die Mediensituation der arabischen Länder unterscheidet sich gegenwärtig grundlegend von der des vorangegangenen Golfkriegs; damals verfügte lediglich CNN über operative Basen im Irak, und die ägyptische Regierung begann über einen ersten Satellitenkanal mit der zeitversetzten Ausstrahlung von Nachrichten im pan-arabischen Rahmen.
Gegenwärtig operieren rund 50 arabische Satellitensender in der Region, die über entsandtes Personal im Irak oder aber über lokale Nachrichtenmittler verfügen. Die mediale Aufbereitung zivilen Leids wird einen großen Einfluss auf die Öffentlichkeit der Region ausüben.
Die UNO hat bereits vor einigen Wochen das Amt der Humanitarian Commission for Iraq (HCI) geschaffen, deren Leiter, Romero da Silva, zwar bereits bestimmt, aber noch nicht förmlich ernannt worden ist. Die Verzögerung seitens der UNO ging auf den Sachverhalt zurück, dass im Verlauf der diplomatischen Maßnahmen nicht der Eindruck erweckt werden sollte, die UNO nähme einen Krieg bereits als unausweichlich hin. Die HCI hat gegenwärtig ihren Sitz in Zypern und soll sowohl auf dem Gebiet der humanitären Hilfe während des Konflikts als auch im Nachkriegsprogramm aktiv werden.
Die aus dem Irak evakuierten Mitarbeiter des Oil-for-Food Programms werden der HCI zugeordnet und sollen als fünf sogenannte 'area teams' zum frühestmöglichen Zeitpunkt in den Irak zurückkehren.
Drei Aufgaben gelten hier kurzfristig als prioritär:
- Durchführung von ein- bis zweitägigen rapid assessment operations im Irak;
- Auskundschaften des Zugangs zu Städten wie Irbil und Bagdad;
- Rückführung des Oil-for-Food Programms.
Die humanitäre Situation im Irak und die möglichen Folgen ihrer medialen Aufarbeitung außerhalb des Iraks ist eine weitere Priorität in der strategischen Planung der USA. Bereits im Januar 2003 ist deshalb auf Weisung von Präsident George W. Bush im Pentagon ein Planungsstab eingerichtet worden, der mittlerweile unter dem Namen Office of Reconstruction and Humanitarian Assistance (ORHA) arbeitet. Ziel dieser Institution ist es, Beziehungen mit anderen Organisationen der Nothilfe und des Wiederaufbaus aufzunehmen und diese entsprechen weiterzuentwickeln, so wie es die Situation erlaubt.
ORHA hat in Kuwait ein Humanitarian Operation Center (HOC) eingerichtet, um den Austausch von zivilen und militärischen Informationen zu fördern und um Organisationen der humanitären Soforthilfe und des Wiederaufbaus den Zugang zum Irak zu erleichtern. Es wird davon ausgegangen, dass binnen kurzem HOC für die Erteilung von Visa für Kuwait zuständig sein wird und dass anerkannten Organisationen auf diese Weise der Zugang zum Irak erteilt wird.
Bei einigen internationalen Nichtregierungsorganisationen, die im Irak aktiv werden wollen, bestehen Bedenken hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit einem im wesentlichen vom Militär getragenen Koordinierungsinstitution. Die Erfahrungen im Umgang mit HOC sind demgegenüber bislang aber positiv.
Die United States Agency for International Development (USAID) hat als ziviles Pendant zur HOC ein über 60-köpfiges Disaster Assistance Response Team (DART) gebildet, das ebenfalls hauptsächlich aus Kuwait operiert. DART hat die Aufgabe, Mitarbeiter auf den Einsatz im Irak vorzubereiten, die Versorgung mit Hilfsmaterialien vor Ort zu gewährleisten, Maßnahmen mit anderen Organisationen zu koordinieren und Mittel direkt vor Ort zu verausgaben, ohne eine weitere Einwilligung aus Washington einholen zu müssen. Die logistischen Lager für diese Operationen liegen in Amman und Kuwait. Das Regionalbüro Naher Osten steht in Kontakt mit den in Amman für DART Verantwortlichen.
Flüchtlingsbewegungen aus dem Irak
Wie oben angedeutet, findet die Auseinandersetzung mit dem Irak-Konflikt in den arabischen Ländern derzeit hauptsächlich medial statt. In unmittelbarem Kontakt zu den Entwicklungen im Irak stehen gegenwärtig nur Einzelne, die über familiäre Bindungen in den Irak verfügen oder aber Arbeiter etwa im Transportsektor (Fahrer von Tankwagen im Verkehr zwischen Irak und Jordanien). Eine direkte Betroffenheit mit dem Konflikt kann sich in dem Masse ergeben, wie Flüchtlinge aus dem Irak das Straßenbild der größeren Städte in der Region zu prägen beginnen.
Schätzungen des United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), des United Nations Development Program (UNDP) und des Comité International de la Croix Rouge (CICR) in Jordanien und Syrien gehen davon aus, dass rund 600,000 Flüchtlinge den Irak mit Beginn der Kampfhandlungen verlassen werden. Der Flüchtlingsstrom wird sich dabei hauptsächlich in Richtung Iran (300,000) und Syrien (200,000) bewegen. Dies liegt im wesentlichen an geographischen Gegebenheiten; der Iran liegt näher an grösseren Bevölkerungsgebieten, und Syrien ist aufgrund des Verlaufs des Euphrat (stromaufwärts) ein in Etappen leichter zu erreichendes Ziel.
Demgegenüber sehen nicht wenige in den rund 800 km Wüste zwischen Bagdad und Amman ein Hindernis für einen größeren Strom von Flüchtlingen nach Jordanien, wo deshalb davon ausgegangen wird, dass sich der Flüchtlingszustrom von 1990/91 nicht wiederholen wird. Vorbereitungen gehen von einer Zahl von 70,000 Flüchtlingen aus, von denen die meisten Angehörige von Drittstaaten (zumeist Gastarbeiter im Irak aus Ägypten, Sudan, Südasien etc.) sein werden. Für Kuwait wird vermutet, dass je nach Verlauf der Kampfhandlungen Flüchtlinge aus dem Südirak Aufnahme finden könnten.
Nach Auskünften von OCHA plant die UNO gemeinsam mit dem CICR, der Federation of Red Cross and Red Crescent Societies und dem UHNCR Auffanglager in Syrien in Deir Al-Zur und im Iran in Ahvaz, Kermanshah und Sanandaj. Weitere Informationen liegen gegenwärtig nicht vor. In Jordanien werden gegenwärtig nahe dem Ort Al-Ruwashid (ca. 40 km von der jordanisch-irakischen Grenze entfernt) zwei Zeltlager errichtet, von denen das eine vom Jordanischen Roten Halbmond (Finanziert von der Federation of Red Cross and Red Crescent Societies) und das andere von der Jordanian Hashemite Charity Organization (finanziert vom UNHCR) betrieben wird.
Ziel der jordanischen Regierung ist, Iraker möglichst noch auf irakischem Gebiet unterzubringen und Angehörige von Drittstaaten möglichst schnell zu evakuieren. Bei der Repatriierung von insbesondere Ägyptern wird die International Organization for Migration (IOM) eine federführende Rolle spielen. Der Transport soll mit bis zu 45 Bussen pro Tag vom ostjordanischen Al-Ruwayshid nach Aqaba erfolgen, von wo aus eine Fähre nach Nuwayba auf dem ägyptischen Sinai verkehrt.
Wirtschaftliche Auswirkungen
Neben den allgemeinen weltwirtschaftlichen Auswirkungen – wenn auch nur kurzfristig – höherer Ölpreise wird vor allem die Wirtschaft Jordaniens von dem militärischen Konflikt betroffen sein. Jordanien bezieht 100% seines Erdöls für Industrie, Haushalte und Verkehr aus dem Irak auf der Basis einer Sonderregelung des UNO Sicherheitsrates nach Artikel 50 der UNO Charta (Kapitel VII).
Die Hälfte des Öls erhält Jordanien kostenlos, die andere Hälfte zu Vorzugspreisen, die etwa 60 bis 70 % des Weltmarktpreises ausmachen. Die Bezahlung erfolgt hier in Form von jordanischen Warenlieferungen an den Irak.
Gegenwärtig findet der Transport von irakischem Erdöl auf dem Landweg ununterbrochen statt. Es muss aber davon ausgegangen werden, dass die Kampfhandlungen einen weiteren Ölexport zumindest kurzfristig unterbinden werden. Sofern nicht unmittelbar ein sogenannter swing-supplier gefunden werden kann, muss Jordanien Öl stärker zu bewirtschaften beginnen.
Die Reserven des Landes reichen für einen Zeitraum von etwa zwei bis vier Monaten. Unabhängig von der Dauer des Konflikts scheint aber absehbar, dass sich die Öleinkaufspreise auf jordanischer Seite etwa verdreifachen werden. Eine Weitergabe dieses Aufschlags an Haushalte und Industrie würde zu massiven wirtschaftlichen und sozialen Problemen füh ren. Gerüchten zufolge soll Saudi Arabien das wegfallende irakische Öl kompensieren; dennoch muss kurzfristig mit einer Schockwirkung durch den Wegfall der bis jetzt regelmäßigen Öllieferungen gerechnet werden.
In gleicher Weise wird auch die Exportwirtschaft Jordaniens, für die der Irak der wichtigste Handelspartner ist, mit Einbussen zu rechnen haben. Statistisch steigen die Exporte Jordaniens zwar seit gut einem Jahr geradezu dramatisch an, doch geht dies hauptsächlich auf das mit den USA abgeschlossene Freihandelsabkommen zurück. Die Verbesserung der Exportstatistik beruht aber im wesentlichen auf offshore-Betrieben vorzugsweise ausländischer Unternehmen, die in Jordanien produzieren, um in die USA zoll- und quotenfrei exportieren zu können. Der Gesamtzustand der jordanischen Exportwirtschaft entspricht dieser statistischen Aufbesserung nicht.
Je nach Dauer des Irak-Konflikts wird sich früher oder später eine wirtschaftliche Krise bemerkbar machen, die im weiteren Sinne sozial und politisch destabilisierend wirken kann.