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Country reports

Israelischer Rückzug aus dem Südlibanon - Kontrollierter Schritt oder freier Fall?

by Dr. h. c. Johannes Gerster
Durch den Rückzug Israels aus dem Libanon ist der Frieden in Nahost keinesfalls sicherer geworden, dafür sind die Chancen zum Frieden, wenn alle mitspielen, größer geworden.

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1. Der Rückzug

Israel hat sich am 24. Mai 2000 nach 22-jähriger Besatzungszeit vollständig aus dem Südlibanon zurückgezogen. Generalstabschef Shaul Mofas erklärte, die letzten israelischen Einheiten seien am Morgen gegen 3 Uhr nach Israel zurückgekehrt.

Bei dem Rückzug wurde nach offiziellen Angaben kein israelischer Soldat verletzt. Die israelische Armee hat Positionen entlang der Grenze mit dem Libanon außerhalb der Sicherheitszone bezogen.

Inzwischen haben etwa 6000 Angehörige der mit Israel verbündeten Miliz Süd-Libanesische Armee (SLA) mit ihren Familien in Israel nach Asyl nachgesucht.

Sie wurden zunächst in einem Zeltlager am See Genezareth provisorisch untergebracht. Dort wurden sie von den israelischen Behörden, aber auch von der Bevölkerung im Norden Israels mit allem Nötigen versorgt.

2. Reaktionen

  • Israels Ministerpräsident Ehud Barak bezeichnete den 24. Mai 2000 als einen historischen Tag, da die israelischen Soldaten ohne Verluste heimgebracht worden seien. Barak dankte den Soldaten und warnte die Gegenseite vor Angriffen auf israelische Soldaten oder Zivilisten diesseits der Grenze. Israel würde mit voller Macht zurückschlagen. Dies war offenbar die Reaktion auf das Siegesgeschrei im arabischen Lager.

    Einen Tag später drückte Ehud Barak die Hoffnung aus, daß der Rückzug zur Entspannung in der Region beiträgt. Er wünsche sich, daß die libanesische Regierung die Kontrolle über das geräumte Gebiet übernehme. Zugleich machte er die Regierungen in Beirut und Damaskus dafür verantwortlich, sollten vom Libanon aus Gewalttaten gegen Israel verübt werden. Israel behalte sich das Recht auf Selbstverteidigung vor.

  • Libanons Ministerpräsident Salim Hoss, der unmittelbar nach Abzug der israelischen Armee ins Grenzgebiet gekommen und dort von den Bewohnern begeistert gefeiert worden war, versprach die schnelle Wiederherstellung aller staatlichen Dienstleistungen und erklärte den 25. Mai zum Tag des Widerstandes und der Befreiung.
  • Die arabischen Staaten gratulierten Libanon und der iranische Außenminister harazi traf zu der offiziellen "Siegesfeier" in Beirut ein. Begleitet vom Chef der vom Iran unterstützten Hisbollah, Scheich Hassan Nasrallah, besuchte er die größte schiitische Stadt im Südlibanon Bint Jbail. Er hielt sich mit öffentlichen Erklärungen jedoch zurück.
  • Der syrische Außenminister Farak A-Schara erklärte, bei der Hisbollah handele es sich um eine "legitime Widerstandsorganisation", die von der UNO keinesfalls entwaffnet werden dürfe, auch nicht nach dem Rückzug Israels aus dem Libanon.
  • Aggressiver als die offiziellen Vertreter der arabischen Staaten äußerten sich radikale Palästinensergruppen. Der Generalsekretär der Islamischen Dschiad, Ramadan Abdallah Shallah erklärte: "Der Sieg der Hisbollah beweist, daß der bewaffnete Kampf der einzige Weg zur Befreiung ist."

    Ahmed Dschabril von der Volksfront zur Befreiung Palästinas - Generalkommando (PFLP-GC) würde am liebsten 300.000 im Libanon lebende Palästinenser gegen die israelische Grenze marschieren lassen.

    "Laßt die Israelis doch das Feuer auf Kinder, Frauen und Alte eröffnen, und dann werden wir sehen, ob die Welt letztlich die Notwendigkeit anerkennt, das Problem palästinensischer Flüchtlinge zu lösen."

  • Der Befehlshaber der südlibanesischen Armee General Antoine Lahad übte harte Kritik an Israel, das seine Richtung innerhalb von 24 Stunden radikal geändert und die Bündnisgenossen der SLA im Stich gelassen habe. Damit habe Israel der Hisbollah, die jetzt ihre Fahnen ... an der israelischen Grenze hisste, ganz unlogischer- und überflüssiger Weise einen Sieg in den Schoß fallen lassen. "Wollt ihr jetzt plötzlich mit der Hisbollah ein Bündnis schließen?" fragte Lahad mit bitterer Ironie.
  • Die israelische Bevölkerung bejaht mit großer Mehrheit den einseitigen Rückzug aus dem Libanon. Insgesamt drei Meinungsumfragen - zwei Tage nach dem Rückzug - ergaben bei 75% der Israelis eine Zustimmung, 17% waren dagegen und 6% waren unentschlossen. 54% waren zufrieden mit der Art und Weise, wie Ehud Barak den Rückzug durchführte, 40% waren gegen die Form des Rückzuges.

    Der Ministerpräsident hat durch den Rückzug 8% auf der Popularitätsskala gewonnen. 43% würden sich, wenn heute Wahlen wären, für ihn und 35% für Oppositionsführer Sharon entscheiden.

  • Die israelische Presse, auch die konservative "Jerusalem Post", begrüßt den Rückzug unisono. Von Hysterie zur Euphorie beschrieb Orna Landau die Stimmung der Israelis am Tag nach dem Rückzug.

3. Politische Bewertung

Der einseitige Rückzug Israels aus dem Libanon hat zwei Seiten:

Ohne Zweifel hat der einseitige Rückzug Syrien seine wichtigste Trumpfkarte gegen Israel genommen. Auch könnte sich der Druck auf Syrien verstärken, nun ebenfalls den Libanon zu verlassen.

Doch gerade dies könnte Damaskus und die schiitische Hisbollahmiliz dazu verführen, den Kampf gegen Israel von der Sicherheitszone im Südlibanon jetzt direkt an den Grenzzaum zu tragen um die Entschlossenheit der israelischen Armee auf die Probe zu stellen. Dies ist keine Schwarzmalerei, wenn man gehört hat, daß Hisbollah-Kämpfer am Grenzzaun Israelis auf der anderen Seite zurufen: "Wir wollen keinen Frieden mit Euch! Wir werden Euch von dem Land verjagen, auf dem ihr steht." Oder "Dies ist palästinensisches Land und nicht israelisches. Wir werden unseren Kampf fortsetzen, bis wir in Jerusalem sind!"

Man könnte derartige Ausfälle als Sprüche einzelner Scharfmacher bezeichnen, wenn die Propaganda zumindest der palästinensischen Hamasbewegung nicht auf drei wesentlich gefährlichere Automatiken abstellen würde:

  1. der Rückzug Israels aus dem Libanon sei die erste militärische Niederlage seit Gründung des Staates Israel. Dieser Staat sei verletzlich und besiegbar geworden.
  2. Der militärische Sieg der Hisbollah beweise, daß Israel nur auf Gewalt reagiere. Der militante Kampf gegen Israel müsse daher fortgesetzt, ja verstärkt werden.
  3. Israel habe das besetzte ägyptische Land vollständig zurückgeben müssen. Es habe auch das besetzte jordanische Land vollständig zurückgeben müssen. Auch der Golan werde vollständig an Syrien zurückgegeben werden. Also müsse auch das gesamte palästinensische Land an die Palästinenser zurückgegeben werden, Israel also von der Landkarte verschwinden.
Auf der anderen Seite lassen relativ zurückhaltende Kommentare zahlreicher arabischer Spitzenpolitiker rund um Israel aufhorchen und hoffen. Dabei erscheint das, was nicht gesagt wurde, oft wichtiger, als das, was von einzelnen Lautsprechern in die Welt getönt wurde.

So dürfte für die Nachbarn Israels bewiesen worden sein, daß die israelische Regierung Barak es ernst meinte und handelt, wenn sie immer wieder verkündete, sie wolle

  • den Rückzug aus dem Libanon
  • die Rückgabe des Golan gegen einen Frieden mit Syrien und
  • einen Friedensvertrag mit den Palästinensern unter Akzeptanz eines Palästinenserstaates.

4. Folgen

Wenn der Rückzug Israels an dessen Nordgrenze Frieden bringt, wird Barak als Nationalheld in Israel gefeiert werden. Sein Handlungsspielraum trotz einer insgesamt schwachen Regierung dürfte dann enorm wachsen und weiteren Schritten auf dem Weg zum Frieden Vorschub leisten.

Syrien steht nun am Scheideweg. Will es Frieden, dann werden die Signale auf Ruhe und Ordnung und auf einer Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Israel stehen. Wenn nein, können Spannung und Kriegshysterie leicht überhand nehmen.

Die internationale Staatenwelt, die Israel über rund zwei Jahrzehnte immer wieder wegen der Besetzung des Südlibanon scharf kritisiert hat, ist nun auch am Zuge, Syrien und die übrigen Nachbarn Israels zur Mäßigung zu drängen.

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Dr. Alexander Brakel

Alexander.Brakel@kas.de

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