Neue Technokraten-Regierung – Effizienz zählt
Nur ein Tag nach dem 59. Unabhängigkeitstag Senegals am 4. April reichte der seit 2014 als Premierminister fungierende Mohammed Boun Abdallah Dionne offiziell den Rücktritt seiner Regierung beim Staatspräsidenten ein. Der Rücktritt der amtierenden Regierung bildet nach jeder Präsidentschaftswahl eine republikanische Tradition im Senegal und soll dem neu gewählten Präsidenten die Möglichkeit zur raschen Neuberufung einer Regierung bieten. Dionne, der als fleißiger Technokrat gilt, wurde bereits am 6. April erneut zum Premierminister ernannt und vom Staatspräsidenten mit einer besonderen Aufgabe betraut: der Abschaffung seines eigenen Amtes und der gleichzeitigen Umwandlung Senegals in eine volle Präsidialdemokratie. Die Wiederernennung Dionnes kam für viele überraschend, da er einigen als amtsmüde und nach der voreiligen Verkündigung des Wahlsieges Macky Salls bereits am Wahlabend zudem als angeschlagen galt. Für andere wiederum ist seine erneute Berufung zum Premierminister nur folgerichtig und gilt als erneuter Vertrauensbeweis des Präsidenten für Dionnes jahrzehntelange Loyalität. Dionne war 2017 nicht nur Spitzenkandidat der Präsidialkoalition Benno Bokk Yakaar (BBY) bei der Parlamentswahl und Wahlkampfmanager der Präsidentschaftswahlkampagne 2019, sondern seit 2014 auch wesentlicher Verwalter des senegalesischen Entwicklungsplans Plan Sénégal Émergant (PSE) und engster Wegbegleiter Salls seit dessen eigener Zeit als Premierminister 2004. Zukünftig soll er nach der Abschaffung des Premierministeramtes die Funktionen als Generalsekretär des Präsidialamtes und Staatsminister bekleiden und somit nach dem Präsidenten nach wie vor die zweitwichtigste politische Persönlichkeit Senegals bleiben.
Die am 7. April veröffentlichte Kabinettsliste beinhaltet einige Überraschungen – vor allem, da politische Schwergewichte und Vertreter von BBY-Mitgliedsparteien nicht in der Regierung vertreten sind. Der bisherige Justizminister, Ismaila Madior Fall, der Hochschulminister, Mary Teuw Niane, und der bisherige Tourismusminister, Mame Mbaye Niang, fanden sich ursprünglich alle nicht mehr im neuen Kabinett wieder. Niang und Fall wurden nachträglich zu Ministern im Präsidialamt ernannt. Der bisherige Verteidigungsminister Augustine Tine wird zukünftig Direktor des Präsidentenkabinetts und Niang Chef des politischen Kabinetts im Präsidialamt sein. Die ungenaue Kompetenzaufteilung der beiden Funktionen und die Ernennung beider Politiker zu Direktoren im Präsidialamt im Rang eines Ministers verdeutlichen den Balanceakt des Präsidenten. Einerseits musste er einflussreiche Politiker weiter einbinden und gleichzeitig eine Erneuerung des Kabinetts mit neuen Persönlichkeiten vorantreiben. Der bisherige Minister für die Umsetzung des Senegalesischen Entwicklungsplans PSE, Cheikh Kanté, fand sich zuerst ebenso nicht in der vorgestellten Kabinettsliste und wurde nachträglich mit seinem gleichbleibenden Zuständigkeitsbereich dem Präsidialamt zugeordnet.
Die neue Regierung besteht aus 32 – anstatt wie bisher 39 – Fachministern, und drei neu geschaffenen Staatssekretären. 20 bisherige Minister finden sich nicht im neuen Kabinett wieder, der Frauenanteil steigt von 20 auf 25 Prozent und alle 14 Regionen Senegals werden zukünftig am Kabinettstisch vertreten sein. Einige Ministerien, wie das Ministerium für afrikanische Integration und die Zusammenarbeit innerhalb der Frankophonie verschwanden, andere wurden zusammengelegt. Unter den 16 neuen Ministern im Kabinett finden sich vor allem Anhänger der Partei Macky Salls, der Alliance pour la République (APR), darunter mehrheitlich bisherige Behördenchefs und Beamte aus nachgeordneten staatlichen Organisationen. Für viele überraschend wurden einflussreiche Politiker wie die aus Podor stammende Bürgermeisterin und Abgeordnete Aissata Tall Sall nicht in das neue Kabinett eingebunden, obschon sie im Wahlkampf von der Sozialistischen Partei zur Präsidialkoalition BBY übergelaufen ist. Generell lässt sich feststellen, dass Macky Sall in seiner zweiten Amtszeit einen deutlichen Schwerpunkt auf Effizienz vor politischem Kalkül zu legen scheint. Die Ernennung von 12 Behördenleitern anstelle von prominenten Politikern als Minister in seinem Kabinett lässt diesen Schluss jedenfalls zu und offenbart den Willen des Präsidenten, durch Fachkompetenz aus nachgelagerten Behörden zu schnelleren Entscheidungen nach der „fast-track“-Devise zu gelangen.
Neben der Einführung von je einem Staatssekretärsposten im Außen-, Justiz-, und Infrastrukturministerium sorgte vor allem die Ernennung des bisherigen Finanz- und Wirtschaftsministers Amadou Ba zum Außenminister für große mediale Berichterstattung. Ba trug seit 2017 wesentlich zu den die Wahlsiegen der Präsidialkoalition BBY in der Hauptstadt Dakar bei und gilt als einflussreichster Politiker im Kabinett Salls. Ba, der sich 2024 vermutlich selbst als Präsidentschaftskandidat präsentieren dürfte, soll hinter den Kulissen dafür gesorgt haben, dass er nicht wie ursprünglich vorgesehen zum Energieminister ernannt wurde. Obschon Senegal ab 2021 zum siebtgrößten Erdgasproduzenten der Welt aufsteigen könnte, war dem machtbewussten Ba dieses Amt scheinbar zu unbedeutend – vor allem, da die Finanzierung seines Ministeriums wesentlich von seinem Amtsnachfolger im Finanzministerium abhängen würde. Er sorgte daher noch am Tag der Kabinettslistenveröffentlichung dafür, dass ihm das Außenministerium übertragen wurde. Mit diesem prestigeträchtigen Amt kann er seine internationalen Kontakte ausbauen und wichtige ausländische Investitionsvorhaben für das Land generieren. Damit dürfte ihm auch eine stärkere mediale Präsenz gewährleistet sein – für seine wahrscheinliche Präsidentschaftskandidatur 2024 ein wichtiger Aspekt.
Im Außenministerium wird mit Moise Sarr erstmals ein Staatssekretär die Arbeit der Auslandssenegalesen verwalten. Senegal ist eines von vier afrikanischen Ländern, die der Diaspora bereits im Ministerialzuschnitt eine Bedeutung zuteilwerden lassen. Sarr, der seit 2013 mit Sitz in Paris bereits senegalesische Studenten im Ausland betreute, soll zukünftig den wichtigen Einfluss der senegalesischen Diaspora auf die Entwicklung des Landes steuern. Mit mehr als 2 Mrd. Euro jährlichen Rücküberweisungen der senegalesischen Diaspora in ihr Herkunftsland ist deren Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes bereits stark und wird mit 15 Diaspora-Abgeordneten in der Nationalversammlung seit 2017 auch politisch immer wichtiger.
Das bisherige Finanz- und Wirtschaftsministerium wird in zwei getrennte Ministerien aufgeteilt. Der bisherige Außenminister, Sidiki Kaba, wird als Verteidigungsminister wirken. Innenminister bleibt der nicht unumstrittene Aly Ngouille Ndiaye, der sich während der Präsidentschaftswahl klar für Macky Sall positionierte und vielen daher nicht als neutraler Innenminister galt. In Zeiten einer angespannten innenpolitischen Lage, die nach einem aufrichtigen Dialog zwischen Regierung und Opposition verlangt, gilt er vielen als unpassende Personalie, um diesen Dialogprozess zu gestalten. Neue Jugendministerin ist die 37-jährige Néné Fatoumata Tall, die Gründungsmitglied der APR und aktives Parteimitglied in einem Vorort von Dakar ist. Ihre Berufung wird als starkes Signal an die Präsidentenpartei APR gewertet, da ein langjähriges und zeitgleich junges, weibliches Mitglied der Partei zur Ministerin ernannt wurde. Ihr Zuständigkeitsbereich beschränkt sich zukünftig ausschließlich auf die Jugend und wird im neuen Kabinett besondere Aufmerksamkeit des Präsidenten genießen. Auch hier gilt: Durch die Konzentration der Ministerien auf konkrete Fachbereiche soll eine effiziente Arbeitsweise nach der Devise „fast-track“ erreicht werden.
Schwerpunkte der neuen Regierung – vier Prioritäten
Staatspräsident Macky Sall verwies bereits in seiner Amtseinführungsrede am 2. April auf die Schwerpunkte seiner neuen Regierung. Er verkündete vier Prioritäten, die seine Amtszeit bis 2024 prägen sollen. Die größte Aufmerksamkeit gehöre der Jugend des Landes, die mit mehr als 70 Prozent die Bevölkerungsmehrheit stellt. Die Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen nehme eine herausgehobene Priorität ein. Als einzige Behörde nannte er in seiner Antrittsrede namentlich die von ihm begründete Delegation für schnelles Unternehmertum (La Délégation Générale à l´Entreprenariat Rapide, DER), deren Arbeit in den kommenden fünf Jahren mit zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beitragen solle. Die im Wahlkampf genannte Zahl von einer Million neuer Arbeitsplätze, die er bis 2024 schaffen wolle, wurde seit seinem Amtsantritt in keiner Verlautbarung mehr erwähnt. In Gesprächen mit Abgeordneten wird zudem deutlich, dass weder eine Strategie vorzuliegen scheint, in welchen Bereichen diese Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, noch wie sich der informelle Sektor nachhaltig formalisieren lassen könnte. Das neu geschaffene Digitalisierungsministerium erscheint in einem Land mit einer Alphabetisierungsquote von nur rund 60% Prozent zudem als ein eher symbolisch wirkender Versuch, dem Land das Image einer afrikanischen „Start-Up“-Nation zu vermitteln.
Eine zweite Priorität legt der Staatspräsident auf Frauen, deren Zugang zu Kleinkrediten und einer besseren Gesundheitsversorgung. Das nach wie vor hohe Bevölkerungswachstum Senegals mit jährlich 3,5 Prozent kann nur über gebildete Frauen gedrosselt werden. Deren Zugang zu Krediten, Gesundheitsversorgung und Bildung wird sie in ihrer Eigenverantwortung und Selbstbestimmung stärken und ist daher ein wichtiges – wenn auch langwieriges – Vorhaben der Regierung, um die nachhaltige Entwicklung des Landes tatsächlich garantieren zu können.
Ein dritter Schwerpunkt der kommenden Amtszeit bildet die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung und ein besserer Umweltschutz. Der Präsident kündigte nicht nur Maßnahmen zur Müllentsorgung, sondern auch den Neubau von 100.000 Sozialwohnungen an, um Familien mit schwachem Einkommen bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Das zentrale Vorhaben aber, das alle Politikbereiche durchziehen soll, ist die Effizienzsteigerung der gesamten Verwaltung. Abläufe und Verfahren seien zu langwierig und Prozesse, die nur wenige Stunden dauern dürften, brauchten oft Tage, so der Präsident wörtlich in seiner Ansprache. Die Reform der Verwaltung nach der Devise „fast-track“ sei daher ein zentrales Reformprojekt seiner zweiten Amtszeit und solle in enger Abstimmung mit der Nationalversammlung erfolgen. Wie wenige Tage später am 6. April bekannt wurde, wird dies vor allem die Abschaffung des Premierministeramtes beinhalten. Der Präsident kann somit zukünftig direkt mit seiner Regierung Reformen umsetzen und wird somit auch direkt für das Regierungshandeln verantwortlich sein. Wie der Präsident anlässlich seiner Ansprache zum Nationalfeiertag am 4. April verkündete, gilt für ihn „Entwicklung heute als der neue Sinn von Unabhängigkeit“. Die Entwicklung Senegals gelte für ihn als Gradmesser für die eigentliche Unabhängigkeit des Landes, entsprechend sollten die Reformen des Senegalesischen Entwicklungsplans PSE weiter fortgesetzt und dabei eine Effizienzsteigerung stets im Mittelpunkt allen Handelns stehen. Es wird deutlich, dass zwei „R“ die Arbeit der zweiten Amtszeit Macky Salls als Staatspräsident prägen sollen: „rigueur“ (Strenge/Striktheit) und „rapidité“ (Raschheit).
Einschätzung und Ausblick
Die Ankündigung des Präsidenten, das Amt des Premierministers abzuschaffen, sorgt bei vielen für Fragen nach der zukünftigen Ausrichtung des Regierungshandelns in dem sich wirtschaftlich seit Jahren positiv entwickelnden Land. Befürchtungen, Präsident Sall würde omnipotent und könne ohne Rücksicht auf demokratische Abläufe durchregieren, können jedoch entkräftet werden. Macky Sall ist nicht der erste senegalesische Präsident, der das Amt des Premierministers abschafft. Der erste Präsident Léopold Sédar Senghor, der das Land nach der Unabhängigkeit 1960 bis 1980 regierte, setzte das Amt des Premierministers von 1963 bis 1970 aus. Der 1970 zum Premierminister ernannte Abdou Diouf, der später von 1981 bis 2000 Senegals Präsident war, tat seinem Amtsvorgänger gleich und schuf das Amt ebenso von 1983 bis 1991 ab. Senegal hat also eine Tradition des Ein- und Absetzens dieser Exekutivfunktion und kann sich dennoch seit der Unabhängigkeit einer starken demokratischen Tradition erfreuen. Die Aussetzung des Premierministeramtes in vorausgegangen Dekaden hatte keine negativen Auswirkungen auf das politische System Senegals. Die Tatsache, dass Macky Sall mit dem gleichen Argument wie Abdou Diouf (1981-2000) das Amt des Premierministers aussetzen möchte, nämlich zur Effizienzsteigerung des Regierungshandels, belegt zumindest, dass dieses Vorhaben in früheren Jahrzehnten wenig wirksam war.
Die Ankündigung Salls, das Amt des Premierministersnun erneut abzuschaffen, ist der wiederholte Versuch, die senegalesische Verwaltung produktiver und effizienter arbeiten zu lassen. Der Präsident wird die Kabinettssitzungen wie bisher selbst leiten und zukünftig überdies das Regierungshandeln direkt beaufsichtigen. Für Sall ist dies ein mitunter riskantes Unterfangen, da ausschließlich er für Erfolge und Misserfolge des Regierungshandels verantwortlich sein wird und eine mangelnde Effizienz nicht einem Premierminister vorwerfen lassen kann. In einer vollen Präsidialdemokratie wird jedoch das eigentlich schwache Parlament zudem gestärkt. Der Präsident wird zukünftig nicht mehr das Parlament auflösen können und wird den mündlichen und schriftlichen Fragen der Abgeordneten zum Regierungshandeln eine direkte Antwort zukommen lassen müssen. Die Verfassungsänderung zur Abschaffung des Premierministeramtes soll Ende April durch das Parlament vorgenommen werden. Da die Präsidialkoalition BBY dort über eine Zwei-Drittel-Mehrheit verfügt, gilt die Annahme als sicher. Der bisherige Generalsekretär des Präsidialamtes, Maxime Jean Simon Ndiaye, wurde bereits zum neuen Generalsekretär der Regierung ernannt und wird eng mit seinem Amtsnachfolger, dem bisherigen Premierminister, die Durchführung des Regierungshandels abstimmen.
Neben der Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen für die junge Bevölkerung Senegals und der Verbesserung von Lebensverhältnissen für Frauen und die Bevölkerung im ländlichen Raum bleibt die Reform des Verwaltungsapparats ein zentrales Vorhaben der Regierung Salls bis 2024. Auch eine grundlegende Reform des Gesundheits- und Bildungssektors sind erforderlich, um das Land mit einer steigenden Bevölkerung nachhaltig entwickeln und Perspektiven vor Ort schaffen zu können.
Mit dem Umbau Senegals zu einer vollwertigen Präsidialdemokratie kann Präsident Sall direkter die Umsetzung seiner Reformvorhaben voranbringen und wird dabei stärker an seinen eigenen Ansprüchen gemessen werden können. Dionne bleibt dabei als Staatsminister und Generalsekretär des Präsidialamtes der zweitwichtigste Politiker Senegals, selbst wenn er sein Amt als Premierminister verliert. Durch die Berufung zahlreicher bisheriger Fachminister zu Ministern im Präsidialamt bleibt die Verkleinerung des Kabinetts eine optische Täuschung – de facto behält Senegal knapp 40 Spitzenpolitiker im Ministerrang. Die Effizienzsteigerung bei der Umsetzung der Reformen im Zuge des Senegalesischen Entwicklungsplans PSE dürften hingegen mehr als reine Lippenbekenntnisse des Staatspräsidenten sein. Sall zeigte in den vergangenen sieben Jahren bereits, dass er als Technokrat der Macht an Ergebnissen und ernsthaften Reformen interessiert ist und das Land jenseits von Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit voran bringen möchte. Die Entwicklung des Landes nun zur eigentlichen Unabhängigkeitsfrage zu erklären, ist daher im 60. Jahr der Unabhängigkeit Senegals ein hehrer, aber bei diesem Präsidenten nicht unrealistischer, Anspruch.
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