Country reports
Die gewählten Vertreter der italienischen Abgeordnetenkammer und des Senats werden am Montagvormittag in einer gemeinsamen Sitzung zur Vertrauensabstimmung gebeten. Dann kann die neue Regierung – die bereits im Entstehungsprozess nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa für Aufsehen und Kritik sorgte – ihre Arbeit endlich aufnehmen.
Nachdem der designierte Premierminister Giuseppe Conte die Zustimmung für die Kabinettsliste seitens des italienischen Staatspräsidenten eingeholt hatte unterstrich er, dass die „Regierung der Veränderung“ den Koalitionsvertrag umsetzen und intensiv für die Verbesserung der Lebensqualität der italienischen Bürger arbeiten wolle.
Kabinett
Die neue Gelb-Grüne-Regierung setzt sich aus 18 Ministerien zusammen – sechs davon sind ohne „Portafoglio“, d.h. ohne eigenen Geschäftsbereich. Neun Ministerien werden von Fünf-Sterne-Politikern geführt, sechs von der Lega. „Parteilose“ Technokraten führen künftig drei Ministerien – das Finanzministerium, das Außenministerium sowie das Ministerium für Europäische Angelegenheiten. Giancarlo Giorgetti, Vizepräsident der Lega und enger Vertrauter Matteo Salvinis, wird als Staatssekretär beim Ministerrat eine bedeutende Funktion in der Koordinierung der Regierungsarbeit übernehmen und als einer der wichtigsten Ansprechpartner des Premiers fungieren.
Der Spitzenkandidat der Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, übernimmt das Ministerium für Arbeit, wirtschaftliche Entwicklung und Soziales. Außerdem fungiert er als Vizepremierminister. Di Maio hat damit ein für die Fünf-Sterne-Bewegung wichtiges Portfolio inne, die mit der Einführung des allgemeinen Grundeinkommens die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation der italienischen Bürger im Fokus hat.
Der Spitzenkandidat der Lega, Matteo Salvini, übernimmt das Innenministerium und wird somit zukünftig die für die Lega besonders relevanten Politikbereiche innere Sicherheit und Migration bearbeiten. Auch er unterstützt den neuen Premierminister Conte als sein Vize.
Die Regierung wird von dem Technokraten Giuseppe Conte geführt werden, der auf keine politischen Erfahrungswerte zurückgreifen kann. Conte wird zwei starke politische Figuren an seiner Seite haben, die ihre jeweilige politische Agenda vermutlich selbstbewusst vertreten werden.
Wirtschafts- und Finanzminister Giovanni Tria
Das Finanzministerium, an dem die Regierungsbildung im ersten Anlauf gescheitert ist, hat der Premier dem 69-jährigen Giovanni Tria anvertraut. Der Wirtschaftsprofessor, der der Wirtschaftsfakultät der römischen Universität Tor Vergata vorsitzt, hatte vor wenigen Wochen in der Internetzeitschrift „Formiche“ an dem Koalitionsvertrag zwischen M5S und Lega kritisiert, dass die Finanzierung unklar sei. Die Einführung der „Flat-Tax“ erschien ihm interessanter als das allgemeine Grundeinkommen. Allerdings sah er Schwierigkeiten bei der Finanzierung, die jedoch u.a. durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer erreicht werden könnte, ein Vorgang, den man in Italien – wo man bereits bei 22 Prozent Mehrwertsteuer angelangt ist – bislang vermeiden wollte.
Tria, der der Forza Italia nahesteht, wird auf Vorschlag der Lega Italiens neuer Finanzminister. Vor gut einem Jahr hatte sich Tria gemeinsam mit dem damaligen Fraktionsvorsitzenden der Forza Italia (FI) in der italienischen Abgeordnetenkammer, Renato Brunetta, zu den Missständen in der Europäischen Union geäußert. Einen Ausstieg aus dem Euro sieht er kritisch – andererseits sei der Euro auch nicht, wie es Mario Draghi behaupte, unumkehrbar, so Tria und Brunetta. Experten sagen, dass die Politik Trias durch Realismus und seinen moderaten Charakter gekennzeichnet werden wird.
Außenminister Moavero Milanesi
Bei Außenminister Enzo Moavero Milanesi handelt es sich um einen erfahrenen Europäer: In der Regierung von Mario Monti und unter Regierungschef Enrico Letta war Milanesi Minister für Europäische Angelegenheiten. Er war als Funktionär der Europäischen Kommission in unterschiedlichen Positionen tätig, unter anderem als Kabinettschef von Mario Monti und als stellvertretender Generalsekretär der Europäischen Kommission in den Jahren 2002 bis 2005. Der Jurist, der Europäisches Recht an der renommierten Wirtschaftsuniversität LUISS lehrt, diente auch als Richter am Europäischen Gerichtshof. Europa kennt er in und auswendig – er ist in Brüssel „zu Hause“, so formuliert es die italienische Tageszeitung La Stampa. Enzo Moavero Milanesi ist ein Weltbürger – er hat viele Jahre außerhalb Italiens gelebt und gearbeitet und spricht u.a. ein hervorragendes Deutsch.
Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta
Elisabetta Trenta wird auf Vorschlag der Fünf-Sterne-Bewegung zukünftig das Verteidigungsministerium führen. Die Wissenschaftlerin ist stellvertretende Leiterin des Masterstudiengangs „Intelligence und Security“ der Link Campus University in Rom. Ihre Expertise in den Bereichen Sicherheits- und Verteidigungspolitik konnte sie durch Missionen für das italienische Außen- und das Verteidigungsministerium in Projekten im Irak, Libanon und in Libyen vertiefen. Trenta selbst verfügt über militärische Erfahrung (Hauptmann der Reserve). Sie selbst bezeichnete sich in einem Interview mit SudgestAid als „Programm-Managerin“, die seit zwanzig Jahren Projekte in Post-Konflikt-Staaten umgesetzt hat.
Experten gehen nicht von einer starken Abweichung der bisherigen verteidigungspolitischen Linie Italiens unter Ministerin Trenta aus. Prioritär wird sie sich vermutlich der Umsetzung des italienischen Weißbuchs zur Verteidigungspolitik widmen.
Europaminister Paolo Savona
An dem 81jährigen Paolo Savona ist der erste Regierungsanlauf angeblich gescheitert. Der italienischen Staatspräsident Sergio Mattarella hatte ihn aufgrund seiner äußerst euro-kritischen Äußerungen abgelehnt.
Savona hat in einem jüngst veröffentlichten Buch die These vertreten, dass Italien einen „Plan B“ bereithalten müsse für einen gewollten oder ungewollten Ausstieg aus der Währungsunion. Nun hat man den Eurokritiker Savona, der bereits in Italien unter Ministerpräsident Carlo Azeglio Ciampi als Industrieminister (1993/1994) und für die Banca d’Italia tätig war, sowie als Generaldirektor den italienischen Unternehmerverband Confindustria leitete, zum Europaminister ernannt.
Das Europaministerium gehört zu den Ministerien ohne Geschäftsbereich, d.h. ohne einen signifikanten administrativen Apparat und Budget. Es ist bei dem Amt des Ministerpräsidenten angesiedelt – ähnlich wie die Staatsminister für Kultur und Medien oder Digitalisierung in Deutschland. Dem Europaministerium kommt i.d.R. die Bearbeitung spezifischer Dossiers zu, die politischen Gestaltungsmöglichkeiten sind eher eingeschränkt.
Experten bezeichnen die Ministerriege als „solide“, die nicht nur die italienischen Wähler zufriedenstellen, sondern auch beruhigende Signale an die europäischen Partner aussenden soll.
Ende des politischen Chaos?!
Auch wenn der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella darum bemüht war Ruhe in die Regierungsverhandlungen zu bringen und die politischen Kräfte selten unter Druck setzte, herrschte in den vergangenen Tagen und Stunden politisches Chaos in Rom. Interviewaussagen von politischen Entscheidungsträgern änderten sich mehrmals innerhalb eines Tages. Verlässliche Aussagen konnten nicht getroffen werden. Man arbeitete sich an der Person des Finanzministers ab. Das Land schien in proeuropäische und europaablehnende Kräfte gespalten zu sein. In der politischen Debatte gab es jene, die Mattarellas Entscheidung unterstützten und jene, die ihn kritisierten. Salvini sah hingegen Deutschland, Frankreich und die EU in der Verantwortung. Er betonte mehrmals er sei es leid, dass ein Minister abgelehnt werde, weil er Merkel oder Macron nicht passe.
Präsident Macron hatte bereits am vergangenen Samstag mit dem designierten Premierminister Conte telefoniert und ihm seinen Glückwunsch ausgesprochen. Zu früh – wie sich am Sonntag herausstellte. Mit seinem Anruf hatte er gegen das Protokoll verstoßen – dennoch wurde es in Italien auch als Annäherung an die europakritischen Kräfte verstanden. Als Mattarella den Finanzminister am Sonntag ablehnte, lobte Macron den Staatspräsidenten am Montag für seine mutige Entscheidung. Eine Woche später kann Macron nun wieder an seinen ersten Kontakt mit Conte anknüpfen.
Die kritischen Stimmen, die sich in den vergangenen Tagen aus dem Ausland in den Regierungsbildungsprozess in Italien einschalteten, erwiesen sich vielfach als kontraproduktiv: Lega und M5S profitierten von den Aussagen die aus ihrer Sicht nur bestätigten: Die europäische „Bevormundung Italiens“ müsse aufhören.
Italien hat nun die Regierungskoalition, die sich die Mehrheit der italienischen Bürger wünscht. Das zeigen auch aktuelle Umfragen, knapp 90 Tage nach der Wahl. Die Stabilität und Überlebensdauer der M5S-Lega-Regierung lassen sich gegenwärtig schwer einschätzen. Einige Experten gehen davon aus, dass diese Regierung eine gewisse Verweildauer haben wird. Denn nach diesem langen Verhandlungsprozess wollen Luigi Di Maio und Matteo Salvini nun endlich regieren. Darüber hinaus zeigt nicht nur Staatspräsident Mattarella, sondern auch die Opposition der sozialdemokratischen Partito Democratico sowie die Forza Italia derzeit kein Interesse an Neuwahlen.
Staatspräsident Mattarella hat am Ende eines langen Verhandlungsprozesses erreicht, dass eine politische Regierung - die den Wählerwillen widerspiegelt - den Auftrag erhalten wird, Italien zukünftig zu regieren und gleichzeitig eine Ministerriege enthält, die auch moderate Stimmen und Experten beinhaltet, die auf die Verankerung Italiens in der internationalen Staatengemeinschaft und der Europäischen Union bedacht sind.
Fazit
Die Regierungsbildung in Italien kann bei allem Respekt wohl als Hängepartie bezeichnet werden. Dass es Premierminister Conte am vergangenen Sonntag nicht gelungen war, die jetzige Lösung herbeizuführen zeigt, wie verhärtet die Fronten zeitweilig offensichtlich waren. Dies lag wohl auch an dem respektlosen Ton, der von M5S und Lega mit Blick auf den italienischen Staatpräsidenten – und somit auch indirekt auf die politischen Institutionen und die Verfassung – im Rahmen der Regierungsbildung angeschlagen wurde.
Die Anti-Establishment-Bewegung M5S kann nun endgültig nicht mehr als solche bezeichnet werden. Während sie mit Premierminister Conte einen politisch unbeleckten „einfachen“ Bildungsbürger ausgewählt haben, setzen sie mit Paolo Savona einen Techniker ins Kabinett, der aufgrund seiner Karriere – ebenso wie Außenminister Moavero Milanesi – eindeutig für das politische Establishment steht.
Ein erster Blick auf die Regierung deutet nicht auf den von den beiden Wahlgewinnern versprochenen Wandel hin – zumindest was das Führungspersonal betrifft. Besonders von der Fünf-Sterne-Bewegung, die sich als „Anti-Establishment“-Kraft etablieren wollte, hätte man etwas anderes – vielleicht innovativeres oder „revolutionäres“ erwarten können – was die Auswahl der Minister betrifft. Bei den besonders relevanten und einflussreichen Ministerposten handelt es sich um renommierte und erfahrene Experten; die Anzahl der Frauen ist überschaubar.
Matteo Salvini hat unmittelbar nach Bekanntgabe des Kabinetts darauf hingewiesen, dass die Mitte-Rechts-Koalition weiterhin kompakt sei und er sich mit dem Präsidenten der Forza Italia, Silvio Berlusconi, abgestimmt habe. Es bleibt abzuwarten, wie sich dies in den kommenden Wochen entwickeln wird. Am 10. Juni stehen in circa 700 italienischen Städten und Gemeinden – vom Norden bis zum Süden des Landes – Kommunalwahlen an, dann wird es einen ersten Stimmungstest seitens der italienischen Wähler geben.
Bei der Vertrauensabstimmung am kommenden Montag in Abgeordnetenkammer und Senat brauchen Lega und M5S die Stimmen von Forza Italia nicht, um die Regierung ins Amt zu heben.
Berlusconi hätte nun die Möglichkeit, sich tatsächlich als proeuropäische Kraft zu etablieren und sich von der europaverachtenden Linie Salvinis zu emanzipieren. Prognosen dazu sind zum jetzigen Zeitpunkt sicher noch zu früh – noch ist unklar, welchen Weg die jetzige Regierung tatsächlich einschlagen wird. Eine frühzeitige Unterstützung der moderaten Kräfte im Land von europäischer Ebene wäre mit Blick auf die Europawahlen im kommenden Jahr sicherlich angebracht.