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Country reports

Jugend zwischen Gewalt und Ausbeutung

by Reinhard Willig

Minderjährige in den Fängen der Mafia

Kinderarbeit, Jugendbanden und Menschenhandel sind eng verbunden mit der Armutssituation großer Teile der Bevölkerung, der Arbeitslosigkeit, dem mangelden Zugang zu öffentlichen und sozialen Dienstleistungen, dem Fehlen klarer Sozialpolitiken, der verbreiteten Straflosigkeit im Justizsystem bei Delikten gegen Kinder oder heranwachsende Jugendliche sowie der mangelnden Zukunftschancen der Jugend.

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Kinderarbeit und Schulbildung

Unter den rd.6,6 Millionen Einwohnern des Landes sind nach offiziellen Angaben der OIT (Internationale Arbeits -Organisation) rd. 356.000 arbeitende Kinder und Jugendliche (von rd.1,3 Millionen in der zentralamerikanischen Region). Angesichts einer herrschenden Arbeitslosigkeit von knapp 40 % sind die Familien auf jedes Einkommen, auch auf das ihrer Kinder, angewiesen. Trotz enormer Anstrengungen muss rd. ¼ der Bevölkerung mit weniger als einem US-Dollar täglich auskommen. Diese Bevölkerungsschicht lebt somit in extremer Armut.

Dies bleibt nicht ohne Auswirkungen auf den Bildungsstand der Bevölkerung: rd.1/5 der schulpflichtigen Kinder bleibt dauerhaft dem Schulunterricht fern; fast 2/3 der Jugendlichen zwischen 15 und 17 Jahren gehen arbeiten; die Analphabetenrate beträgt 30 %.

Es besteht keine begründete Aussicht auf Besserung der sozio-ökonomischen Siuation dieser Bevölkerungsschicht auf kurze Sicht.

Neue Bedrohung für die öffentliche Sicherheit: Jugendbanden

Aus ursprünglich sozialen Motiven, wie Kameradschaft, Solidarität und Identifizierung mit gemeinsamen Werten, aber auch Steigerung des Selbstwertgefühls angesichts der auseinanderfallenden familiären Bindungen, haben sich die Jugendbanden in den 90er Jahren zu gefährlichen kriminellen Vereinigungen mit großer krimineller Energie ent-wickelt. Der große Schub kam Anfang der 90er Jahre mit der aus den USA importierten kriminellen, jugendliche Sub-Kultur.

Die in den USA gegründeten Banden zum kollektiven Schutz jugendlicher Einwanderer mutierten schnell zu kriminellen Vereinigungen, die Schutzgelder in ihren Bezirken eintrieben und der organisierten Mafia zur Hand gingen und als Durchlauferhitzer dienten. Die kriminellen Erfahrungen der ausgewiesenen straffälligen Jugendlichen fielen in der Bandenszene Honduras auf fruchtbaren Boden. Schnell wurden sie zum Albtraum für die bürgerliche Sicherheit. Der explosive Cocktail aus Schulausstieg, wachsendem Drogenkonsum Minderjähriger sowie sozialer Desintegration der familiären Bindungen und letztendlich blockierter sozioökonomischer Zukunftsperspektiven begünstigten die Entwicklung der Jugendbanden.

In Honduras gibt es nach Auskunft des Kinderschutzbundes Casa Alianza rd. 36.000 Mitglieder (nach Angaben der CIA 100.000), organisiert in rd. 500 kriminellen Jugendbanden („Maras“), die enthemmt durch Drogenkonsum und ausgerüstet mit Schnellfeuerwaffen (wie z.B. das AK-47) bereits die Kontrolle über weite städtische und ländliche Bereiche übernommen haben. So wurde beispielsweise auch ein Sohn des gegenwärtigen Präsidenten Honduras, Ricardo Maduro, von einer Jugendbande entführt und ermordet. Das Alter der Mitglieder liegt zwischen 13 und 20 Jahren und der Eintritt in eine Jugendbande wird unter anderem durch die Atmosphäre häuslicher Gewalt in der Familie begünstigt. Die bekannteste unter den Maras (das Wort „Mara“ kommt von „marabunta“ und bezeichnet ein Heer afrikanischer fleichfressender Wanderameisen, das auf seinem Weg alles abfrisst) ist die „Mara Salvatrucha“ mit ihren Fraktionen und Untergruppen, die auch in den USA und anderen Ländern Zentralamerikas aktiv sind und insgesamt ca. 100.000 Jugendliche organisieren. Zeitungsberichten zufolge sollen sie 80 % des Drogenhandels in Zentralamerika sowie den illegalen Waffenhandel kontrollieren.

Eine Studie der Zentralamerikanischen Universiät von El Salvador fasste rd. 1.000 Interviews von aktiven Bandenmitgliedern wie folgt zusammen:

  • sämtliche Bandenmitglieder haben an Gewalttätigkeiten teilgenommen, rd. 25 % geben Morde zu

  • Alkohol- und Drogenkonsum stand in direktem Zusammenhang mit den Gewalttätigkeiten

  • Weibliche Bandenmitglieder (weniger als 20 %) sind in geringem Ausmaß an den Gewalttätigkeiten beteiligt, werden allerdings zunehmend zu Opfern, vor allem wenn sie Drogenkonsumenten sind

  • Bandenmitglieder mit gewälttätiger Vorgeschichte in ihren Familien nehmen eher an Gewalttätigkeiten teil oder sind Opfer

  • Mehr als die Hälfte der Befragten will ihre Teilnahme an Gewalttätigkeiten beenden oder dem Drogenkonsum entsagen

Die Reaktionen von Staat und Gesellschaft liessen nicht lange auf sich warten und im Jahre 2003 wurde ein strenges Gesetz zur Bekämpfung der Jugendbanden erlassen, die fortan als kriminelle Vereinigungen keinen Schutz ihrer zumeist minderjährigen Mitglieder erwarten konnten. Die Strafen für Entführungen und Erpressung von Schutzgeldern wurden drastisch erhöht und liegen zwischen 9 und 12 Jahren Gefängnis sowie bis zu 12.000 US-Dollar an Geldstrafen für Bandenführer (für einfache Mitglieder reduziert sich die Strafe um ein Drittel). Bislang konnten 700 Bandenmitglieder (darunter 220 Banden-führer) verhaftet werden. Das Konzept der „Null Toleranz“ des Staates gegenüber den „Maras“ wird zudem durch das Schutzbedürfnis der Gesellschaft und die dadurch entstandenen privaten Sicherheitsmaßnahmen unterstützt.

Der Kampf gegen die Bandenkriminalität wird gekennzeichnet durch die blutige Verfolgung der Bandenmitglieder. Nach Recherchen der Casa Alianza kamen allein in den letzten beiden Jahren mehr als 130 Personen unter 23 Jahren in den Gefängnissen und Polizeizellen des Landes unter ungeklärten Umständen zu Tode. Davon mehr als die Hälfte in der Jugend-Strafkolonie „El Porvenir“. Der für die Untersuchung zuständige Staatsanwalt erklärte: „das Ziel der Verantwortlichen des Massaker-Plans von El Porvenir war die Schwächung der Mareros (Bandenmitglieder) im Lande“.

Darüber hinaus haben Todesschwadrone zwischen 1998 und März 2004 rd. 2.200 Mitglieder der Jugendbanden regelrecht hingerichtet. Oftmals sind die Bandenmitglieder durch ihre eindeutigen Tätowierungen am ganzen Körper identifizierbar. Eine besondere Rolle spielte dabei das Batallion 3-16, von dem Maria Luisa Borjas, ehemalige Leiterin für interne Angelegenheiten der Nationalen Partei sagte: „es gibt Elite-Einheiten der Polizei, die von ehemaligen Mitgliedern des (Batallions) 3-16 geführt werden - für das Verschwinden Dutzender von Aktivisten der Linken in den 80er Jahren angeklagt - die diese Hinrichtungen durchführen“. Diese Fälle von Selbstjustiz bei weitgehender Straflosigkeit- monatlich werden zwischen 20 und 30 Jugendliche ermordet - verbunden mit der verschärften Gesetzgebung, haben dazu geführt, dass das Problem der Jugendbanden auch in die angrenzenden Nachbarländer, wie Guatemala, El Salvador und Nikaragua exportiert wurden.

Doch auch untereinander stehen die Maras in einem erbitterten Kampf um die Kontrolle ihrer Einflußgebiete, der oft unter Anwendung brutaler Gewalt geführt wird. Offizielle Angaben schätzen die Anzahl der von den Jugendlichen allein in Honduras monatlich begangenen Morde auf rd. 200.

Die Verschärfung der Anti-Bandengesetzgebung wird vielfach als Beleg für die Unfähigkeit der Regierung Honduras gesehen, die Ausweitung des Problems zu verhindern. Ob-wohl offizellen Angaben zufolge aufgrund der Änderungen der Strafgesetzgebung die Zahl der von Jugendlichen begangenen Morde um rd. 20 % im laufenden Jahr zurückgegangen ist, hat die drastische Verschärfung der Strafen und die leichte Identifizierung der kriminellen Jugendlichen dazu geführt, dass viele Bandenmitglieder das Land verlassen und sich in die Nachbarländer abgesetzt haben. Mittlerweile geben sich die Maras in Honduras als eine Armee Jugendlicher, die sich durch Kleidungs- und Sprachregeln identifiziert, sich die Organisation kriminellen Handelns zum Ziel gesetzt hat und eine Art Lehrzeit für spätere kriminelle Karrieren in der internationalen Mafia darstellt.

Organisierter Menschenhandel und Ausbeutung von Minderjährigen

Gefangen in einem Teufelskreis aus Betrug, Hintergehung und unfreiwilliger Verschuldung sind in Honduras mehr als 8.000 Minderjährige der sexuellen Ausbeutung ausgesetzt. Hinzu kommt eine große Dunkelziffer von Heranwachsenden, die über mächtige Netzwerke des Menschenhandels in die Prostitution im Ausland gezwungen werden. Diese Netzwerke operieren mit brutaler Gewalt und genießen weitgehende Straflosigkeit. Der Ausweg der Jugendlichen aus dem Teufelskreislauf wird vielfach erschwert durch Alkoholabhängigkeit und Drogenkonsum sowie Brandmarkung durch die Gesellschaft jenseits der Prostitution. Die Mehrheit der ausgebeuteten jugendlichen Mädchen stammt aus Haushalten, die durch Armut gekennzeichnet sind und viele davon sind minderjährige Mütter.

Es ist zu beobachen, dass Minderjährige zunehmends dem Drogenhandel und der organisierten Kriminalität - auch in Ländern wie Kanada - ausgesetzt sind. Nach Angaben der Casa Alianza konnten 35 im Drogenhandel tätige Minderjährige in Vancouver entdeckt werden.

Bislang gibt es wenig Möglichkeiten der Rückführung von Jugendlichen nach Honduras. Sie verdienen im Ausland Geld und lindern durch Finanztransfers den Hunger und die Armut ihrer Familien. Für die organisierte Kriminalität bieten sie den Vorteil, dass sie kaum strafrechtlich belangt werden können und einfach zu ersetzen sind.

Ausweg ?

Kinderarbeit, Jugendbanden und Menschenhandel sind eng verbunden mit der Armutssituation großer Teile der Bevölkerung, der Arbeitslosigkeit, dem mangelden Zugang zu öffentlichen und sozialen Dienstleistungen, dem Fehlen klarer Sozialpolitiken, der verbreiteten Straflosigkeit im Justizsystem bei Delikten gegen Kinder oder heranwachsende Jugendliche sowie der mangelnden Zukunftschancen der Jugend. Diese Problematiken sind deshalb äusserst konsequenzenreich für die Gesellschaft, wenn man bedenkt, dass 50 % der Bevölkerung unter 18 Jahren ist.

Die durch das Land praktizierte Sicherheitspolitik im staatlichen und privaten Bereich, das heißt die dadurch begünstigten Maßnahmen der Repression - bis zur physischen Eliminierung - tuen ein übriges, um die Gewaltspirale weiter zu drehen und eine nachhaltige Lösung des Problems immer schwieriger werden zu lassen.

Vom Kinderschutzbund Casa Alianza wurde eine Reihe von Empfehlungen ausgearbeitet, die nicht nur für Honduras interessant sind. Dazu gehören u.a. die

  • konsequente Umsetzung des Artikels 119 der Verfassung Honduras, der den besonderen Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie die Anerkennung der entsprechenden internationalen Vereinbarungen vorsieht

  • Analyse und Behandlung der Problematik von Jugendbanden sowie Menschenhandel und Ausbeutung Minderjähriger im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang

  • Bekämpfung der Straflosigkeit bei illegaler Selbstjustiz gegen Jugendbanden sowie Menschenhandel und Ausbeutung Minderjähriger

  • Gründung einer Nationalen Kommission aus Vertretern der drei staatlichen Gewalten und anerkannten Organisationen der Zivilgesellschaft zur Erarbeitung von Strategien zum Schutz der Kinder und Jugendlichen sowie zur Verbesserung ihrer Bildungs- und Entwicklungschancen

Einen interessanten Ansatz zur länderübergreifenden Behandlung der Jugendbanden sowie des Menschenhandels und der Ausbeutung Minderjähriger stellt das Regional-

Treffen gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen dar, das vom 18. bis 20. Mai 2004 in Costa Rica stattfindet. Es soll dem Meinungs- und Erfahrungsaustauch zwischen den einzelnen Regierungen über die verschiedenen Programme und Maßnahmen zum Schutz von Minderjährigen und der Bewußtseinsbildung für eine stärkere Kooperation dienen. Ihm wird von der Regierung Abel Pachecos große Bedeutung im Kampf zur Sicherung der Rechte und Zukunftschancen Kinder und Jugendlicher beigemessen.

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Kerstin von Bremen

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