Country reports
Rebellenüberfall auf Phnom Penh
Kurz nach Mitternacht am Freitag, dem 24. November, tauchten 80 mit Granatwerfern, Gewehren und Maschinenpistolen bewaffnete Männer in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh auf, überfielen das Verteidigungsministerium, die benachbarte Regierungszentrale und eine Wachstation der Gendarmerie in der Nähe des Flughafens, lieferten sich eine Stunde lang heftige Gefechte mit den herbeieilenden Polizeikräften und Armeeinheiten und verschwanden wieder. Zurück blieben acht Tote und zahlreiche Verletzte.
"Die schwersten Kämpfe in Phnom Penh seit der blutigen Entmachtung von Prinz Ranariddh durch seinen damaligen Co-Ministerpräsidenten Hun Sen im Juli 1997" - so der Tenor der Berichterstattung in den besorgten Nachbarländern. Viele fragten sich, ob die nach 30 Jahren Krieg, Völkermord (Pol Pot) und Bürgerkrieg Ende 1998 erreichte Befriedung und politische Stabilität in dem kleinen südostasiatischen Königreich mit der großen kulturellen Tradition nur ein kurzes Zwischenspiel gewesen sei.
Inzwischen hat sich einer der anschließend verhafteten Männer dazu bekannt, den Überfall organisiert zu haben, um Hun Sen und die in der Regierung dominierende kambodschanische Volkspartei zu stürzen. Der 51jährige Kambodschaner mit amerikanischem Pass gehört den von Kambodschanern in den USA organisierten und finanzierten "Cambodian Freedom Fighters" an, die seit den sechziger Jahren gegen die Monarchie für ein republikanisches Kambodscha und nach dem Ende der Roten Khmer Herrschaft gegen die mit den Vietnamesen verbündeten kambodschanischen Kommunisten kämpften, die sich inzwischen unter Hun Sen vom Kommunismus abgewandt und in kambodschanische Volkspartei umbenannt haben.
Gefahren für die Politik der Befriedung und der wirtschaftlich-sozialen Entwicklung Die Angreifer hatten zu keinem Zeitpunkt auch nur die geringste Chance, ihr vorgebliches Ziel zu erreichen. So könnte der Überfall als unwichtige, skurrile Episode abgetan werden, wenn er nicht ein Schlaglicht auf die Gefahren werfen würde, die der Politik der Befriedung und wirtschaftlich-sozialen Entwicklung drohen, die seit Ende 1998 von der wiedererrichteten Koalitionsregierung der kambodschanischen Volkspartei unter Ministerpräsident Hun Sen und der royalistischen "FUNCIPEC" unter Prinz Ranariddh, jetzt Präsident der Nationalversammlung, betrieben wird.
· Nach dreißig Jahren Krieg und Wirren ist jede auch noch so skurrile und wirkungslose, politisch motivierte Gewalttat geeignet, das zarte Pflänzchen des Vertrauens ausländischer Investoren in die politische Stabilität des Landes wieder zu zerstören. Ohne ausländisches Kapital und ohne ausländische Expertise hat das Land aber keine Chance, sich aus den Trümmern und Zerstörungen herauszuarbeiten.
· Die Bürden der Vergangenheit - unversöhnlicher Hass, ungesühnte Verbrechen und Gewalttaten - sind in Kambodscha heute noch sehr groß. Deshalb braucht es viel Augenmaß und Sensibilität bei den begrüßenswerten Bemühungen der westlichen Demokratien und internationalen Organisationen, gleichzeitig dem Land zu helfen und Druck auf seine Regierung auszuüben, die Entwicklung der Demokratie, den Respekt vor den Menschenrechten, den Aufbau des Rechtsstaates und die Aburteilung der Verantwortlichen für den Völkermord voranzutreiben. Wenn sie es an diesem Augenmaß fehlen lassen, könnte das Ergebnis ihres Engagements ein massiver Rückschlag für Entwicklung und Frieden und ein Rückfall in Wirren und blutige Auseinandersetzungen sein.
Die Rolle der internationalen Staatengemeinschaft
Gruppen wie die "Cambodian Freedom Fighters" diffamieren auch heute noch, nachdem sich die internationale Staatengemeinschaft ganz überwiegend auf ein konstruktives Engagement für Wiederaufbau und Entwicklung des Landes verständigt hat, die kambodschanische Regierung als Kommunisten und Puppen der Vietnamesen. Und sie operieren bislang ungestört von amerikanischem Boden aus.
Ein Teil der Angreifer beim Überfall auf die Regierungsgebäude am 24. November waren ahnungslose Bauern, denen man erklärt hatte, sie müssten nun wieder gegen die Vietnamesen kämpfen. Behauptungen, wie sie aus der - insbesondere von westlichen Politikern unterstützten - Opposition zu hören waren, die Regierung habe den Überfall selbst inszeniert, sind absurd. Denn damit würde sich Hun Sen bei dem Versuch, die fortdauernde Herrschaft der kambodschanischen Volkspartei jetzt durch Erfolge bei der wirtschaftlich-sozialen Entwicklung des Landes gegenüber der Bevölkerung zu legitimieren, durch den vorhersehbaren Schaden einer solchen Aktion für das Investitionsklima im Land selbst ausbremsen.
Tatsache ist schließlich auch, dass die kambodschanische Volkspartei heute in ihrer Mehrheit weder kommunistisch noch vietnamhörig ist, auch wenn der Stand innerparteilicher Demokratie noch nicht den Standard reifer westlicher Demokratien erreicht hat und sie versucht, die Eingrenzung ihrer vorher fast uneingeschränkten Macht - wo immer es geht - zu verlangsamen.
Gefährlicher noch ist die Lage am anderen Ende des politischen Spektrums. Die Fundamentalkommunisten der Roten Khmer haben ihren fast zwanzigjährigen Guerillakrieg in den Jahren 1996 - 1999 erst aufgegeben und sich teilweise in die regulären staatlichen Sicherheitskräfte integrieren lassen, als ihnen Amnestie versprochen und dann auch durch den König gewährt wurde.
Wenn nun die notwendige Aufarbeitung des Völkermords der Roten Khmer auf Druck der internationalen Gemeinschaft in Form eines Tribunals mit formeller Aburteilung der Schuldigen und nicht - wie z.B. in Südafrika - in Form einer Wahrheitskommission mit Schuldbekenntnissen und Bitten um Vergebung der Täter angegangen werden soll, dann besteht die Gefahr, dass sich die Überläufer betrogen fühlen und es gerade angesichts der hunderttausenden von unkontrolliert noch in der Bevölkerung gehaltenen Waffen erneut zu Wirren und Gewalttaten kommt.
Zwar ist ein neuer großer Bürgerkrieg unwahrscheinlich, aber das Land könnte durch solche Unruhen wiederum für Jahre gelähmt und zurückgeworfen werden. Für die große Mehrheit der bitter armen Landbevölkerung gibt es aber heute nur eine Priorität: Sie wollen in Frieden ihr Land bestellen und auch einmal über die nächste Ernte hinaus planen können, damit sie sich langsam aus dem Elend herausarbeiten können.
Die Aufarbeitung der Vergangenheit wird begrüßt, aber nicht um den Preis von neuen Unruhen und neuer Gewalt. So müssen sich manche Vertreter der in Kambodscha engagierten internationalen Staatengemeinschaft - wenn sie das Leben und Wohl der Menschen in diesem Land im Auge haben - sehr wohl fragen lassen, ob sie nicht auf der einen Seite des politischen Spektrums Gruppen ermuntern, die die mühsam errungene Stabilität wieder in Frage stellen, und auf der anderen Seite durch kompromißlos-fundamentalistische Positionen die Möglichkeiten des Landes überfordern, die schreckliche Vergangenheit ohne Rückfall in Wirren und Chaos allmählich zu überwinden und aufzuarbeiten.
Wegweisende Entscheidungen zur Aufarbeitung der Vergangenheit und Bewältigung der Zukunft
In den kommenden Monaten stehen in Kambodscha Entscheidungen an, die die Zukunft des Landes auf Jahrzehnte hin prägen werden:
(1) Der zwischen Hun Sen und den Vereinten Nationen ausgehandelte Gesetzentwurf über die Durchführung eines kambodschanischen Tribunals mit maßgeblicher internationaler Beteiligung zur Verurteilung der überlebenden Hauptverantwortlichen für den Völkermord der Roten Khmer soll in den kommenden Wochen in der Nationalversammlung behandelt werden. Wenn das Gesetz wirklich verabschiedet wird und der Prozess im kommenden Jahr stattfindet, ist die Frage, ob es dabei gelingt, auf dem schmalen Pfad zwischen einem puren Schauprozess gegen einige ausgewählte Sündenböcke und einer erneuten Gefährdung der so bitter benötigten politischen Stabilität des Landes zu bleiben.
(2) Ebenfalls noch in dieser Sitzungsperiode der Nationalversammlung, die im Januar endet, sollen die vor allem vom stellv. Ministerpräsident Sar Kheng, Co-Innenminister und führendes Mitglied der kambodschanischen Volkspartei, vorangetriebenen Gesetzentwürfe zur erstmaligen Durchführung demokratischer Gemeinderatswahlen und zum anschließenden Aufbau kommunaler Selbstverwaltung vom Parlament verabschiedet werden.
Wenn beide Vorhaben gelingen, kann das Land einen gewaltigen Schritt zur Festigung der politischen Stabilität und der demokratischen Ordnung und zur Förderung rechtsstaatlicher und wirtschaftlich-sozialer Entwicklung tun. Doch beides ist nicht möglich ohne massive Unterstützung von außen.
Druck auf die Regierung, die Reformagenda einzuhalten ist nützlich. Aber gleichzeitig ist partnerschaftliche und sensible Zusammenarbeit zur Realisierung dieser Vorhaben gefragt. Denn das Land verfügt nach der Auslöschung fast der gesamten Bildungselite durch die Roten Khmer nicht über genügend Expertise, die Reformen alleine zu bewältigen. Und es hat auch alleine nicht ausreichende finanzielle Ressourcen hierfür, insbesondere nach der Flutkatastrophe der vergangenen Monate, von der mehr als 30 % der gesamten Bevölkerung betroffen waren.