Country reports
Auch wenn die Welle der Gewalt das Krisenland Kongo (leider) bereits in jüngster Vergangenheit häufiger heimgesucht hat, so gab es dieses Mal doch einen gravierenden Unterschied: zum Protest aufgerufen hat nicht wie bisher das Oppositionsbündnis „Rassemblement“, sondern katholische Gruppen. Ohne Zweifel verschärft sich dadurch die Lage weiter: Der Konflikt im Land weitet sich zu einer Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat aus.
Während in vielen Teilen der Welt friedlich in das neue Jahr gefeiert wurde, zählte der Kongo seine Toten: Nach Angaben der UN-Friedensmission MONUSCO sind bei den Auseinandersetzungen zwischen kongolesischen Sicherheitskräften und Demonstranten acht Menschen ums Leben gekommen, darunter viele Jugendliche. 120 Personen wurden festgenommen, davon 82 allein in der Hauptstadt Kinshasa. Von insgesamt 92 Verletzten ist die Rede.
Gewalt gegen Gläubige
Der Grund für die Proteste war - wie bei den vergangenen Demonstrationen - folgender: Die Teilnehmer der Proteste forderten die Umsetzung des Silvesterabkommens vom 31. Dezember 2016 und die damit verbundene verbindliche Erklärung des Präsidenten Kabila, bei den am 23. Dezember des Jahres angesetzten Wahlen nicht mehr für eine dritte Amtszeit zu kandidieren – was ihm nach der kongolesischen Verfassung auch gar nicht erlaubt wäre. Doch steht der Verdacht im Raum, Kabila wolle seine Amtszeit illegal verlängern und spiele deshalb (weiterhin) auf Zeit, um länger im Amt zu bleiben und möglicherweise die Verfassung zu seinen Gunsten zu ändern. Eine große Anzahl der Demonstranten forderte deshalb den sofortigen Rückzug des Präsidenten von seinem Amt. Bereits am Vortag (30. Dezember 2017) wurden durch die Regierung „aus Gründen der staatlichen Sicherheit“ das mobile Internet und die SMS-Dienste vorübergehend abgeschaltet und erst zwei Tage später wieder in Funktion gesetzt. Die staatlichen Behörden verboten im Vorfeld die angemeldeten friedlichen Protestkundgebungen, Polizei und Militär zeigten erhöhte Präsenz in den Straßen des Landes und errichteten zahlreiche Barrikaden. Zeugenangaben und UN-Berichten zufolge sollen dieses Mal die Sicherheitskräfte mit besonderer Brutalität gegen die friedlichen Demonstranten vorgegangen sein. Es wurde mit scharfer Munition geschossen, Tränengas und Gummigeschosse wurden eingesetzt, um die Proteste zu zerstreuen. Und nicht nur das: Sicherheitskräfte drangen sogar in Kirchen ein, verprügelten Gottesdienstbesucher und verhafteten katholische Priester. Das harte Vorgehen des Regimes gegen die im Land hoch angesehene Katholische Kirche stellt dabei eine traurige Eskalation der Gewalt da. Doch steht außer Zweifel, dass sowohl die hohe Anzahl an Protestteilnehmern als auch die brutale Reaktion der Regierung eindrucksvolle Belege für die enorme Mobilisierungskraft der Katholischen Kirche im Land sind. Die zahlreichen Protestaufrufe der Opposition wenige Wochen vorher hatten hingegen kaum vergleichbare Wirkung erzielt. Während sich nach dem Tod des großen kongolesischen Oppositionsführers Etienne Tshisekedi im Februar 2017 die Opposition im Land tief gespalten zeigt, nahm bereits zu einem frühen Zeitpunkt die Katholische Kirche eine aktive Vermittlerrolle zwischen Regierung und (Teilen der) Opposition ein. Fest steht: Ausschließlich dem Wirken der Kirche ist es zu verdanken, dass das Silvesterabkommen überhaupt zustande kam. In der Folge zeigte sich die Kirche aber vom fehlenden politischen Willen der Regierung, das Abkommen auch wirklich umzusetzen, stark enttäuscht und beendete bereits im März 2017 ihre Vermittlertätigkeit. Kirchliche Vertreter kritisierten in den zurückliegenden Monaten die Regierung für ihre offenkundige Verzögerungstaktik, Wahlen durchführen zu wollen, was wiederum von Seiten der Regierung starke verbale Gegenreaktionen hervorrief. So erklärte Kabilas Regierungssprecher Lambert Mende mehrfach, die Kirche solle sich aus der Tagespolitik heraushalten und drohte mit Konsequenzen bei Nichtbeachtung. Doch statt der Aufforderung der Regierung Folge zu leisten, verstärkte die Kirche ihren Widerstand gegen das Regime, indem beispielsweise zahlreiche Kirchengemeinden durch nächtliches Glockengeläute symbolisch ihren regierungskritischen Protest kundtaten.
Kirche als mächtiger Gegner der Regierung
Die gewaltsame Reaktion der Regierung auf die von Katholiken organisierten Proteste könnte ohne Zweifel das Fass zum Überlaufen bringen. Die Menschen sind aufgrund der schlechten sozio-ökonomischen Bedingungen im Land und der damit einhergehenden miserablen Lebensbedingungen ohnehin mehr als unzufrieden mit der Regierung. Wenn sich letztere weiterhin derart massiv gegen die Kirche stellt, kommt noch eine emotionale Komponente hinzu: Die Menschen werden direkt in ihrem starken religiösen Glauben angegriffen, der nicht selten dazu beiträgt, schlimme Lebensbedingungen noch erträglich erscheinen zu lassen und täglichen Halt in der Misere gibt. Folglich ist davon auszugehen, dass die Proteste in den kommenden Wochen und Monaten eher noch zunehmen werden. Diese Annahme wird zudem auch durch die Tatsache verstärkt, dass es seitens der Kirche auch keinerlei Anzeichen dafür gibt, im Konflikt mit der Regierung nachgeben zu wollen. Für den 21. Januar 2018 wurde von katholischen Laienorganisationen eine erneute friedliche Demonstration angekündigt. Der 78-jährige, im Vatikan als einflussreich geltende kongolesische Kardinal Laurent Monsengwo sprach in seiner Funktion als höchster katholischer Geistlicher im Land nach den Übergriffen auf Demonstranten von einem „Akt der Barbarei“ und ließ erklären, dass „es nun an der Zeit sei, dass das kongolesische Volk von ihren mittelmäßigen politischen Führern befreit werde.“ Eine Strategie der Deeskalation sieht ohne Zweifel anders aus. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass der Kardinal derartige Aussagen nicht tätigen würde, wenn er sich nicht der Unterstützung des Vatikans in Rom sicher wäre. Ob die Regierung gut damit beraten ist, sich die Katholische Kirche im Land zum Feind zu machen, sei ohnehin dahin gestellt, denn fest steht: Die Institution der Katholischen Kirche ist ein einflussreicher Machtfaktor im gesamten Land, und zwar auch in Gebieten des Kongos, in denen die Zentralregierung weitestgehend ihre staatliche Autorität verloren hat (bzw. diese wie in Teilen des Ostkongos in Wirklichkeit nie besessen hat).
Amnestie als Ausweg aus der Krise?
Die Internationale Staatengemeinschaft – allen voran die ehemalige Kolonialmacht Belgien sowie die USA – reagierte mit Entsetzen auf die brutale Niederschlagung der Demonstrationen, mahnte zur Umsetzung des Silvesterabkommens und rief den Präsidenten dazu auf, einen demokratischen Machtwechsel in die Wege zu leiten. UN-Generalsekretär Antonio Guterres forderte die Regierung Kabila (zum wiederholten Male!) auf, friedliche Wahlen zu organisieren, die in der kongolesischen Verfassung festgelegte Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu respektieren und rief die Sicherheitskräfte zur Mäßigung im Umgang mit friedlichen Demonstranten auf. Internationale Menschenrechtsorganisationen beklagten, ihnen werde von Seiten kongolesischer Autoritäten der Zugang zu Krankenhäusern und Leichenhallen verwehrt, was letztlich ihre Arbeit in der Aufklärung von Gewalttaten und Menschenrechtsverletzungen massiv behindere. Es ist an der Zeit, kritisch die Frage zu stellen, was die Appelle der Internationalen Staatengemeinschaft, verbunden mit Individualsanktionen gegen hohe Repräsentanten des Staates, in der Vergangenheit bewirkt haben. Der Präsident und seine Gefolgsleute zeigen sich davon zumindest relativ unbeeindruckt. Dies mag auch darin begründet liegen, dass das Festklammern an der Macht für Kabila nicht ausschließlich politische, sondern auch (oder sogar vor allem) wirtschaftliche Gründe hat: Laut einem Bericht der renommierten US-amerikanischen Congo Research Group, besitzt der Kabila-Clan angeblich Anteile an mehr als 80 kongolesischen Firmen in verschiedenen Sektoren des Landes (zum Beispiel: Landwirtschaft, Bergbau, Bankwesen, Immobiliengeschäft, Telekommunikation und Luftverkehr). Der kongolesische Präsident zählt somit zu einem der reichsten Staatschefs des afrikanischen Kontinents. Nach einem möglichen Ausscheiden aus dem Amt wären ohne Zweifel diese Geschäfte in Gefahr. Ein anderer Punkt findet in der öffentlichen Diskussion zudem selten Beachtung, sollte aber zukünftig bei der Suche nach friedlichen Konfliktlösungsmechanismen eine größere Rolle einnehmen: das Thema der „Amnestie“. Denn: der Präsident müsste im Falle des Machtverlustes Strafverfolgung befürchten – möglicherweise im eigenen Land aber auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Dies bedeutet, dass der Präsident und seine Gefolgschaft ohne eine „garantierte sichere Zukunftsperspektive“ alle Mittel nutzen werden, um an der Macht zu bleiben. Paradoxer Weise wäre politische Instabilität im Land und eventuell sogar ein für die Bevölkerung verheerender Bürgerkrieg für die herrschende politische Klasse noch immer die bessere Option, als für viele Jahre ins Gefängnis zu müssen. Aus moral-ethischen, aber auch juristischen Aspekten der Gerechtigkeit wäre das Thema „Straffreiheit“ für die Opfer von Schreckensherrschaft und Gewalt ein Schlag ins Gesicht - aber könnte vielleicht immer noch besser sein, als ohne einen (friedlichen) Regimewechsel mit der Perspektive auf Einleitung eines Demokratisierungsprozesses das Blutvergießen und tägliche Leid für Millionen von Kongolesen fortzusetzen. Hier gilt es, eine sorgfältige Bewertung vorzunehmen und alle Aspekte sowie mögliche Szenarien gegeneinander abzuwägen.