Country reports
Noch vor Ablauf des ersten Regierungsjahres scheint die Schonfrist der Regierung Kirchner abgelaufen zu sein. Dies ist nicht auf unerwartete Krisenszenarien, sondern vielmehr einerseits auf eine sich abzeichnende Erschöpfung des bisherigen Regierungsstils und andererseits auf nun offen zu Tage tretende aber schon vor langer Zeit absehbare konkrete Probleme zurückzuführen. Mehrere Ereignisse der letzten Wochen haben dazu geführt, dass diese Erschöpfung und damit die fundamentalen Schwächen der Regierung offenkundig wurden.
Regierungsstil
Kirchners egozentrischer, bisweilen herrschsüchtiger und auf vorrangig mediale Wirkung ausgerichteter Regierungsstil, bei dem die Minister zu Statisten degradiert und auf das Abnicken präsidialer Entscheidungen beschränkt wurden (es hat bisher nicht eine einzige reguläre Kabinettssitzung stattgefunden), hat sicher in den ersten Monaten in der von der Erwartungshaltung der Bevölkerung getragenen Stimmung zu den hohen Popularitätswerten des Präsidenten beigetragen. Es wurde schließlich ständig der Eindruck vermittelt, das alle wichtigen Entscheidungen vom Präsidenten höchstpersönlich beschlossen wurden, sei es nun die Verhandlungen mit dem IWF (bei denen selbst der im In- und v.a. im Ausland hochgeschätzte Finanzminister Lavagna in der entscheidenden Phase stillschweigen musste) oder die diversen Konfliktherde mit Militärs, piqueteros, Menschenrechten, Justiz, etc.
Damit wurde zwar erreicht, dass alle anfänglichen (Schein)Erfolge dem Präsidenten zugeschrieben wurden. Es wurde allerdings auch die Erwartung geschürt, dass alle nun folgenden und wahrlich komplexen Probleme (s.u.) ebenso simpel und nachhaltig von einer Person - dem Präsidenten - gelöst werden können. Kirchner hat sich damit dem Instrument der Kabinettsumbildung als Krisenmanagement beraubt (wenn die Minister keine Bedeutung bzw. Macht haben, ist deren Auswechslung auch unerheblich) und seine Person einem Erfolgsdruck ausgesetzt, der sich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem gefährlichen Fallstrick entwickeln wird.
Machtgefüge
Angesichts der Tatsache, dass Kirchner seine Machtbasis fast ausschließlich auf die öffentliche Meinung aufgebaut hat (dies bisher sehr erfolgreich, die Zustimmungswerte von über 70 Prozent untermauern dies eindrucksvoll) und parteipolitisch gesehen mit dem Konzept der „transversalidad“ bewusst Allianzen jenseits seiner eigenen Partei PJ gesucht und geschmiedet hat, ist er ein hohes politisches Risiko eingegangen.
In der aktuellen Parteienlandschaft Argentiniens bietet nur die PJ, bei aller interner Fragmentierung, eine reale parteipolitische Machtbasis. Sich diese zu sichern, wäre für Kirchner kein leichtes, aber auch kein unmögliches Spiel gewesen. Die PJ galt und gilt als machtorientiert (wenn nicht gar machthungrig) und ihre Akteure erwarten eigentlich „nur“ eine gewisse Partizipation an der Macht als Gegenleistung für eine relativ disziplinierte Gefolgschaft hinter „ihrem“ Präsidenten.
Kirchner wählte jedoch bewusst und gezielt die Konfrontation.
In beiden Kammern des Kongresses hat zwar die PJ eine numerische Mehrheit, die Frage der Parteidisziplin ist jedoch ungelöst. Die wiederholten Bitten der Fraktionen, insbesondere der Abgeordneten nach einer Aussprache mit dem Präsidenten, um eine gemeinsame Strategie abzustimmen, ließ dieser über seinen Präsidialamtsminister Alberto Fernandez wie folgt beantworten: Er habe nicht die Absicht seine Zeit mit sinnlosem Teetrinken mit Abgeordneten zu verschwenden (!). Die Reaktionen namhafter PJ-Abgeordneter in diesem Kontext waren wahrlich nicht druckreif.
Im Senat spielt Kirchners Ehefrau Cristina Fernandez de Kirchner ihre doppelte Rolle als einflussreiche Senatorin und First Lady zum Leidwesen der PJ-Senatoren derart aus, dass sogar Sitzungstermine der Ausschüsse, in denen sie Mitglied ist, von ihrem Terminkalender abhängig gemacht werden.
Die Spannungen sind auch hier erheblich, von gezielten persönlichen Attacken gegenüber Senatoren wie Eduardo Menem oder Carlos Reutemann ganz zu schweigen.
Der ins groteske reichende Höhepunkt war jedoch der Parteitag der PJ Ende März.
Man hatte sich im Vorfeld darauf verständigt, das bis dato existierende Vorstandsprovisorium (CAP-Comisión de Acción Política) im Rahmen eines außerordentlichen Parteitags in einen ordentlichen Parteivorstand umzuwandeln.
Dabei waren die zentralen Funktionen (Vorstand, Generalsekretär, Vizepräsidenten) im Vorfeld zwischen dem starken Mann der PJ im Hintergrund, Ex-Präsident Eduardo Duhalde und Präsident Nestor Kirchner abgestimmt worden, so dass der Parteitag in Buenos Aires als reine Formsache angesehen wurde.
So wurden denn auch von den Delegierten Eduardo Fellner (Gouverneur von Jujuy) als Vorsitzender, Eduardo Camaño (Vorsitzender der Abgeordnetenkammer) als Generalsekretär und Jorge Obeid (Gouverneur von Santa Fe), Felipe Sola (Gouverneur von Buenos Aires) und Jorge Busti (Gouverneur von Entre Rios) als Vizepräsidenten gewählt (die einzige Überraschung war, dass José Manuel de la Sota nur als Beisitzer gewählt wurde), die Art und der Inhalt der verbalen Auseinandersetzungen ließen jedoch nichts Gutes ahnen.
Die Redebeiträge der Kirchner-nahen Delegierten wie Sergio Acevedo (Gouverneur von Santa Cruz) und auch der Beitrag von Cristina Kirchner wurden von lauten Pfiffen begleitet. Als letztere dann noch die Bemerkung fallen ließ, dass es in der PJ zu viele weibliche Führungsfiguren gäbe, die dort nur auf Grund der jeweiligen Ehemänner seien, brach ein politisches Gewitter los. Diese Anspielung, in erster Linie auf Olga Ruitort (Ehefrau von de la Sota und selbst mit langjähriger eigener Parteikarriere) gemünzt, wurden von ihr, aber v.a. auch von Hilda Gonzalez de Duhalde, Ehefrau von Eduardo Duhalde massiv und hart gekontert.
Als sich Minister Alberto Fernandez in öffentlichen Kommentaren unmittelbar nach dem Parteitag noch zu der Bemerkung hinreißen ließ, dass diese Debatte einer Diskussion in einem Friseursalon geähnelt habe, war es mit dem Burgfrieden dahin.
Binnen 48 Stunden nach dem Parteitag waren bis auf Eduardo Camaño alle frisch gewählten Führungskräfte der PJ wieder von ihren Ämtern zurückgetreten, einige mit der offenen Erklärung, dass sie dazu von Kirchner oder einem seiner Minister unverblümt „gebeten“ worden waren.
Diese politische Posse sachlich nachzuvollziehen fällt wahrlich schwer, die PJ hat sich als Partei letztlich lächerlich gemacht und Kirchner hat durch seinen Gewaltakt auch die letzte Hoffnung zerschlagen, dass er zumindest des Burgfriedens und der Regierungsfähigkeit willen bereit ist gewisse Konzessionen zu machen oder sich zumindest nicht nur von Emotionen (die eigenen oder die seiner Frau) beeinflussen zu lassen.
Seine verbalen Retourkutsche, dass hier die „alte“ Politik gescheitert sei und jeder wissen müsse, ob er für oder gegen die „neue“ Politikarbeiten würde mutete seltsam an angesichts der Tatsache, dass die gewählte Parteiführung nachweislich mit ihm abgestimmt worden war.
Die Ereignisse im Kontext mit der ESMA (siehe unten) und sicher auch die Reaktionen der Delegierten gegenüber seinen Vertrauten und seiner Frau dürften aber den gewaltsamen Bruch provoziert haben, der nun zur Folge hat, dass die wichtigste politische Kraft des Landes (PJ) auf absehbare Zeit führungslos vor sich hindümpeln wird und deren Akteure (Abgeordnete, Gouverneure, Seantoren, Bürgermeister) sich nun entweder in Pragmatismus üben (d.h. sich mit der Regierung einigen, um an den staatlichen Subventionen zu partizipieren) oder sich auf eine echte Kraftprobe einlassen, die spätestens dann eintreten wird, wenn die Popularitätskurve des Präsidenten zu sinken beginnt und Eduardo Duhalde seine bisher eisern gewahrte Neutralität bzw. Loyalität zu Kirchner aufgibt.
Menschenrechte und innere Sicherheit
Kirchner hatte gleich zu Beginn seiner Amtszeit das Thema der Menschenrechte und der Vergangenheitsaufarbeitung weit oben auf seine öffentliche Prioritätenliste gestellt.
Seine demonstrierte Befehlsgewalt gegenüber den Streitkräften mit der Entlassung einer Reihe führender Militärs unmittelbar nach Amtsantritt, die engen Beziehungen zu den Menschenrechtsorganisationen (Madres de Plaza de Mayo u.a.), das Bestreben die Amnestiegesetze wieder aufheben zu lassen, etc. sind klare Anzeichen für diese politische Richtung.
Demonstrativer Höhepunkt war das Anliegen die ESMA (Escuela de Mecánica de la Armada), zu Zeiten der Militärdiktatur ein Folterzentrum der Streitkräfte, in ein historisches Museum zu verwandeln.
Der Umgang mit dieser Thematik zeigte jedoch auch, wie eng es um Kirchners Geschichtsbewusstsein bestellt ist. Die im Ansatz begrüßenswerte Initiative erhielt zunehmend den faden Beigeschmack, dass es sich hier um eine reichlich einseitige Interpretation und Erinnerung von argentinischer Geschichte handeln würde, da dort ausschließlich die Verbrechen der Militärdiktatur zur Anschauung kommen sollten, die Verbrechen der Guerilla hingegen ausgeklammert würden. Selbst der Regierung wohlgesonnene namhafte Journalisten wie Eduardo van der Kooy (Clarín) rückten in diesem Kontext erstmals deutlich von Kirchner ab, da sie ihm hier (zu Recht) vorwarfen mit einem komplexen und wahrlich bedeutendem Thema allzu leichtfertig umzugehen.
Als sich Hebe de Bonafini, Vorsitzende der Agrupación Madres de Plaza de Mayo auch noch aufschwang die Teilnahme einiger wichtiger Gouverneure am Eröffnungsakt (z.B. de la Sota, Sola und Obeid) abzulehnen und diesem Anliegen vom Präsidenten nicht widersprochen wurden, fragten sich viele Beobachter, wie es denn um die politische Weitsicht des Präsidenten bestellt sei. Die so brüskierten Gouverneure veröffentlichten daraufhin eine landesweite Anzeige, in der sie klarstellten, dass es auf das Thema der Vergangenheitsbewältigung keine Monopolstellung gäbe, sondern dies eine Sache des gesamten argentinischen Volkes sei. Dies wurde von Kirchner als erstes Anzeichen einer Rebellion innerhalb der PJ gewertet, was z.T. die Ereignisse auf dem Parteitag der PJ (s.o.) erklärt.
Kirchner vertiefte diese Kluft, als er sichtbar bewegt bei der Eröffnungsfeier im Namen des argentinischen Volkes dafür um Verzeihung bat, dass in den letzten 20 Jahren (also seit Ende der Militärdiktatur) nichts zur Ahndung der Menschenrechtsverletzungen in Argentinien geschehen sei.
Dies war nicht nur geschichtlich falsch, sondern auch politisch unklug. Sich selbst nun auch noch zum ersten (und einzigen) wahren Verfechter der Menschrechte in Argentinien emporzuschwingen, rief sogar den Expräsidenten Alfonsín auf den Plan, der zu bedenken gab, dass es in seiner Amtszeit erste wichtige Bemühungen in dieser Sache gegeben habe.
Es wurde so eine hervorragende Gelegenheit vergeben die Vergangenheit historisch korrekt und in ihrem gesamten Umfang aufzuarbeiten und so nicht nur zu Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern eben auch zur Versöhnung in der Gesellschaft beizutragen. Gesten der persönlichen Erniedrigung, wie die öffentliche Aufforderung Kirchners an den Oberbefehlshaber des Heeres General Bendini vor laufenden TV-Kameras auf ein Bänkchen zu steigen und das Bild General Videlas in der ESMA abzuhängen zeigen, dass es ihm offenbar mehr darauf ankam, symbolisch mit der Vergangenheit abzurechnen, als die Geschichte ernsthaft aufzubereiten.
Diese Episode, bei der rund 10.000 Sympathisanten zusammentrafen (oder zusammengetragen wurden) war jedoch nur ein schwacher Eindruck im Vergleich zu dem was sich wenige Tage später in Buenos Aires abspielte und was wohl zu Rechts als Scheidepunkt in der aktuellen Politik gewertet werden kann.
Die Entführung des 23-jährigen Axel Blumberg (deutscher Abstammung, ehemaliger Schüler der deutschen Schule), die nach gescheiterter Lösegeldübergabe unter diffusen Umständen und offensichtlichem Fehlverhalten der Polizeikräfte mit der Ermordung des jungen Mannes durch seine Entführer endete, brachte ein Fass zum Überlaufen, welches sich in den letzten 2 Jahren aufgestaut hatte.
Das Thema der inneren (Un)Sicherheit nimmt auf der Rangliste der Argentinier inzwischen nach der Arbeitslosigkeit den zweiten Rang ein. Vor allem die Gewaltanwendung im Zusammenhang mit Entführungen in allen sozialen Schichten hat gezeigt, dass Ordnungskräfte, Polizei und Politik nicht nur überfordert, sondern (wie im Fall der Polizei der Provinz Buenos Aires) auch oftmals selbst involviert sind.
Dem Aufruf des Vaters Juan Carlos Blumberg folgten am 1. April rund 150.000 Menschen in der Innenstadt von Buenos Aires vor dem Kongress, eine überwältigende und bewegende Demonstration ohne politische Deklamation, nur mit weißen Kerzen, friedlich, aber mit einer deutlichen Forderung: Es reicht!
Mit beeindruckender Zivilcourage wandte sich Juan Carlos Blumberg an den Kongress mit der Forderung um Verschärfung der Gesetze zur Kriminalitätsbekämpfung.
Das Schweigen der Regierung auch noch Tage später (sieht man einmal von den peinlichen Versuchen der Schuldzuweisungen zwischen Nationalregierung und Regierung der Provinz Buenos Aires ab) war bezeichnend: Zum ersten Mal seit der Amtseinführung hatte die Regierung keinen öffentlichen Akt TV- und umfragengerecht selbst inszeniert, sondern war von einer realen Demonstration überrascht worden und wusste nicht so recht, wie man damit umgehen sollte. Die Hilflosigkeit wurde u.a. dadurch offenkundig, dass der staatliche TV-Sender Canal 7 (dessen Programmraster mit der Regierung mehr als abgestimmt ist) als einziger TV-Sender die Demonstration nicht live übertrug, sondern einen Auftritt Kirchners vor Malvinen-Veteranen in Tierra del Fuego zeigte und Kirchner es auch nicht für nötig befunden hatte, seine politische Agenda diesem Ereignis anzupassen. Auch die regierungsfreundlichen Zeitung Pagina 12 zeigte als einzige Tageszeitung am Tag danach kein Panorama-Foto von der Demonstration, sondern unterlag dem Schauspiel der Schuldzuweisung.
Dieses Ereignis markiert auch einen Bruch in der öffentlichen Meinung, auch wenn es noch keine aktuellen Umfragen gibt, die dies belegen. In den Medien (v.a. Zeitungen und Zeitschriften) ist seit diesem Ereignis erstmals laute und deutliche Kritik an der Regierung nachzulesen und der Regierung dämmert wohl, dass es bei dieser Thematik auf etwas mehr als gute Inszenierung ankommt: Hier ist nachhaltige und seriöse Politik gefragt, kurzfristige Erfolge sind nicht zu erwarten.
Wirtschaft und Energie
Die wirtschaftliche Situation ist nach wie vor von einer positiven Tendenz gekennzeichnet, die allerdings in erster Linie auf externe Faktoren zurückzuführen sind, auch wenn die Regierung bemüht ist, diese als Ergebnis einer wirkungsvollen Wirtschaftspolitik darzustellen.
Nachdem Argentinien nach einem lautstarken Tauziehen mit dem IWF am 11. März letztlich die fällige Rate überwiesen und dieser der zweiten Revision des Abkommens auch formal zugestimmt hat, stehen nun die weitaus komplizierteren Verhandlungen mit den privaten Gläubigern an, bei denen mit weniger politischen „good will“ zu rechnen ist.
Dennoch ist es richtig, dass das Abwenden einer ernuten Zahlungsunfähigkeit von den wirtschaftlichen Akteuren als positives Signal gewertet wurde.
Entscheidend für den aktuellen wirtschaftlichen Boom sind jedoch die Weltmarktpreise einiger Commodities wie Agrarprodukte, Metalle und Erdöl, die im wesentlichen das argentinische Exportsortiment bestimmen. Das Rekordpreiskurve für Sojabohnen beispielsweise scheint kein Ende zu kennen und so partizipiert auch der Staat durch seine Exporterlösteuer von diesem ständig steigenden Exportvolumen (monetär betrachtet).
Die zentrale Frage ist natürlich wie lange dieser Boom für Produzenten und Regierung anhält, der beispielsweise den Haushaltsüberschuss in diesem Jahr auf deutlich über die mit dem IWF paktierten 3 Prozent anwachsen werden lässt.
Auch wenn einige Schätzungen von einem Preisnachlass in den Jahren 2005 und 2006 ausgehen, so ist doch durch das gestiegene Interesse an argentinischer Soja auf dem Wachstumsmarkt China weiterhin mit einer erheblichen Nachfrage und damit einer gewissen Preisstabilität zu rechnen
Im Sog dieser Entwicklung zeichnet sich auch eine deutliche Erholung beim Bruttoinlandsprodukt (3. und 4. Quartal 2003 jeweils 10-11 Prozent) und eine Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt ab. Die aktuellen Schätzungen gehen in diesem Jahr von einem Wirtschaftswachstum von 8 und ein Absinken der Arbeitslosigkeit von derzeit 20 Prozent auf Prozent14-15 Prozent aus. Daneben besteht aber auch nach jüngsten Zahlen des INDEC weiterhin ein ausgesprochen hoher (wenn auch um 5 Prozent niedrigerer Wert als vor sechs Monaten) Anteil von Bevölkerung, der in Armut lebt (47,5 Prozent).
Davon abgesehen braut sich jedoch am Horizont ein Problem zusammen, welches sowohl die Produktion wie auch die privaten Verbraucher schwer treffen würde. Was sich anfangs als eine punktuelle Gasverknappung abzeichnete, wächst sich inzwischen zu einer handfesten Energiekrise aus.
Das Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage hat verschiedene Gründe, vor allem jedoch finanzielle. Durch das Einfrieren der Energiepreise nach der Abwertung 2001 hat man zwar die Inflationsspirale unter Kontrolle gehalten, im Bereich der Energieerzeugung und -verteilung jedoch fatale Signale gesetzt. Im weitgehend privatisierten Energiesektor sind die notwendigen Investitionen bei Abgabepreisen unter Kostenniveau fast vollständig ausgeblieben, so dass nun bei anlaufender Konjunkturbelebung zwar die Nachfrage nach Energie deutlich steigt, das Angebot jedoch deutlich dahinter zurückbleibt. Da ein Ausgleich zwischen dem aktuellen Angebot und der gestiegenen Nachfrage nur mit erheblichen Investitionen und einiger zeitlicher Verzögerung möglich ist, ist die Krise heute praktisch unabwendbar.
Die Energiekrise ist in erster Linie im Bereich der Gaserzeugung zu sehen. Davon sind die privaten Haushalte, die gasbetriebenen Kraftfahrzeuge und dann aber auch die Stromerzeuger betroffen (der meiste Strom wird aus Gaskraftwerken gewonnen).
Erste Einschnitte gab es bereits Ende März mit einem Absinken der Stromspannung auf 210 Volt. Eine erste Überbrückung mit zusätzlichem Strom aus Brasilien brachte zwar Linderung, aber mittel- bis langfristig ist dies nicht ausreichend. Als Argentinien auf dieser Basis dann seine Gasexporte nach Chile und Uruguay stornierte, kam es dort zu heftigsten Protesten (aus Chile intervenierten neben der Außenministerin Soledad Alvear auch Staatspräsident Lagos) mit dem Hinweis auf die Unzuverlässigkeit Argentiniens.
Daran wird aber auch gleichzeitig das ganze Dilemma der künstlich niedrigen Preise deutlich: Während die Produzenten die niedrigen Inlandspreise durch lukrative Exporte zu Weltmarkpreisen zu kompensieren versuchten, werden diese nun zur Befriedigung der Inlandsnachfrage gestrichen (wodurch sich die wirtschaftlichen Problem der Erzeuger noch verschlechtern). Gleichzeitig wird ausländisches Gas aus Bolivien zu Weltmarktpreisen importiert, ebenso minderwertiger Dieselkraftstoff aus Venezuela als Ersatz für die Stromkraftwerke.
In Endeffekt können sich die argentinischen Verbraucher auf einen Winter mit Gasknappheit (Heizung!) und einen Sommer mit Stromknappheit (Klimageräte) einstellen, was sicher nicht zur Erheiterung und positiven Gesamtstimmung beitragen wird.
Eine langfristige Lösung muss eine Anpassung der eingefrorenen Tarife beinhalten, wie dies Wirtschafts- und Finanzminister Lavagna auch schon öffentlich geäußert hat. Dies stieß jedoch - wen wundert es - auf Kirchners Missfallen, wodurch das leidige Thema wieder einmal verschoben und wertvolle Zeit verschwendet wurde.
Fazit
Präsident Kirchner und seiner Regierung bläst nach über 10-monatigem innenpolitischem Sonnenschein nun erstmals ernsthafter und deutlich kühlerer Wind ins Gesicht. Dem Mann aus Patagonien sollte dies eigentlich nichts ausmachen, doch scheint es, dass er sich allzu sehr an die öffentlichkeitswirksame Schönwetterlage gewöhnt zu hat.
Die nun laut werdende Kritik richtet sich auf die bisher aufgeschobenen und lange bekannten Probleme wie innere Sicherheit und Energiekrise, bei denen es der Regierung auch nicht so ohne weiteres gelingen wird, externe Schuldige (wie bei der Verschuldungsfrage) zu finden. Man erwartet nun (zu Recht) ein Stück Realpolitik, d.h. jedoch konkrete politische Entscheidungen, die nicht notwendigerweise die Umfragewerte nach oben treiben werden.
Ist die Regierung bereit und in der Lage diese Entscheidungen zu treffen? Ist die Bevölkerung dann auch bereit, diese mit zu tragen, oder wird sie sich enttäuscht von dieser kühleren Realität abwenden und Kirchner mit einem Absinken der Popularitätskurve „bestrafen“?
Vieles deutet darauf hin, dass Kirchner nun den „Boomerang-Effekt“ seiner Strategie zu spüren bekommt: Wer monatelang der Bevölkerung suggeriert, der einzig wahre starke Mann im Lande zu sein, der es mit den Mächtigen im In-und Ausland aufnimmt, den darf es nun nicht wundern, wenn eben diese Bevölkerung nun auch erwartet, dass er komplexe Probleme wie die der inneren Sicherheit und der Energieversorgung quasi per Dekret löst.
Da dies eben nicht möglich ist, muss man sich fragen, auf welcher politischen Machtbasis Kirchner dann, wenn die Illusion der nachhaltig positiven öffentlichen Meinung geplatzt ist, die Regierungsfähigkeit aufrecht erhalten will, auf welcher politischen Machtbasis er dann die realen Probleme des Landes lösen will.
Dann könnte es sich noch als äußerst kostspieliger Fehler herausstellen, dass er mit der PJ so herablassend, ja despektierlich umgegangen ist. Wie sagte noch einer der von Kirchner ignorierten Gouverneure: „Eines Tages wird er uns noch brauchen, und hoffentlich sind wir dann alle bei ihm !“
Immerhin scheint es dem Präsidenten zu dämmern, was da auf ihn zukommt. In einem jüngsten Interview gestand er ein, dass seine „angeblichen Flitterwochen mit der Zivilgesellschaft nun vorbei seien und er nun täglich Rechenschaft ablegen müsse.“ Dabei „sei es schwierig zu regieren und ständig Entscheidungen zu treffen, die immer auf das absolute Wohlwollen der Bevölkerung treffen“.
Vielleicht sind dies ja erste Anzeichen für eine späte Einsicht oder ein beginnendes Einlenken. Wie der Politologe Rosendo Fraga zutreffend formulierte: Dies ist nicht der Anfang vom Ende, sondern das Ende des Anfangs!