Country reports
Die Stimmung in Kolumbien war in den letzten Wochen vor der Wahl angespannt. Im ersten Wahlgang am 27. Mai hatten sich die 19 Millionen abgegebenen Wählerstimmen auf die unterschiedlichen politischen Strömungen verteilt, die das Spektrum der politischen Landschaft in Kolumbien repräsentieren. Im Gegensatz zu der oft in den Medien dargestellten Polarisierung des Landes, bewiesen die Wähler, dass in Kolumbien eine ideologische Vielfalt herrscht, angefangen von der politischen Rechten über die Parteien und Bewegungen der Mitte bis hin zu den eher linksgerichteten Parteien. Das Panorama hat sich jedoch im zweiten Wahlgang unter dem Druck der neuen Situation grundsätzlich verändert. Nach dem weitgefächerten Ergebnis im Mai, mussten sich die Bürger nun zwischen zwei politischen Extremen entscheiden, Iván Duque auf der rechten und Gustavo Petro auf der linken Seite. Die Entscheidung ist zugunsten der Rechten gefallen.
Dabei befanden sich vor allem einige Anhänger der politischen Mitte in einem Dilemma, was zur Folge hatte, dass nicht wenige von ihnen entweder gar nicht an die Urnen gegangen sind oder von ihrem Recht auf ein „Voto en Blanco“ Gebrauch machten, das als dritte Alternative auf dem Stimmzettel stand. Insgesamt aber betrug die Wahlbeteiligung ähnlich wie im ersten Wahlgang rund 53%, ein für Kolumbien guter Wert Die Anzahl der Stimmen für ein „Voto en blanco“ betrug 4,2%.
Beobachtungen zur Wahl
Im Allgemeinen haben die Präsidentschaftswahlen 2018 gezeigt, dass die Demokratie in Kolumbien, trotz einiger Defekte, gut funktioniert. Zum einen hat die “politische Maschinerie (maquinaria)” - eine extraoffizielle, nicht ideologische Struktur, die die Praxis umschreibt Wählerstimmen durch Bargeld, Einräumen von wirtschaftlichen Vorteilen oder die Vergabe von Posten etc. zu erkaufen und so die Macht zu verteilen - in diesen Wahlen keine große Rolle gespielt hat. Dagegen setzte sich das sogenannte “Voto de opinión” durch, das die wirklich persönliche Entscheidung widerspiegelt. Ein Beweis dafür ist die Tatsache, dass der Kandidat der traditionellen politischen Klasse, der Zugang zu der „Maschinerie“ hat (Germán Vargas Lleras von Cambio Radical), im ersten Wahlgang nur ganze 7.3% der Stimmen erhielt. Aber warum hat die „Maschinerie“ bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen nicht funktioniert bzw. keinen Einfluss gehabt? Drei Gründe sind zu nennen: Erstens wurden die finanziellen Mittel und die entsprechende Logistik für den Stimmenkauf offensichtlich bereits bei den Parlamentswahlen, am 11. März dieses Jahres, ausgeschöpft. Außerdem wurden die institutionellen Kontrollen verschärft und die Wahlbeobachter waren nach Bekanntwerden einiger spektakulärer Betrugsfälle alarmiert. Somit war die Maschinerie in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Zweitens hat die Anzahl derjenigen, die von ihrem Stimmrecht Gebrauch machten (in Kolumbien bisher immer unter 50 %), zum ersten Mal zugenommen; 53.36 % der Wahlberechtigten sind im ersten Wahlgang an die Urnen gegangen. Bereits Monate vor der Wahl haben sich über eine Million Erstwähler in den einzelnen Wahllokalen eingeschrieben; die Wahlbeteiligung ist gewachsen. Wobei die Anhänger der politischen Mitte im zweiten Wahlgang eine Ausnahme bildeten, da sie sich von keinem der beiden Kandidaten repräsentiert fühlten und viele es daher vorzogen, gar nicht wählen zu gehen.
Ein weiterer Beweis für das Funktionieren der Demokratie in Kolumbien war der überraschende Erfolg des Kandidaten der politischen Mitte, Sergio Fajardo, im ersten Wahlgang. Er erhielt fast 4.6 Mio. Stimmen und hat damit nur knapp den Einzug in die zweite Runde verpasst. Das beweist, dass die kolumbianischen Bürger verzweifelt nach politischen Alternativen und neuen Vorschlägen suchen, die das Volk mehr einbeziehen. Ein Schwachpunkt aller Wahlen dieses Jahres in Kolumbien war die schwindende Rolle der Parteien, vor allem der traditionellen. So hat die Konservative Partei keinen eigenen Kandidaten aufgestellt und ihre führenden Mitglieder haben öffentlich ihre Unterstützung für verschiedene andere Kandidaten bekundet; das heißt , es herrschte keine Parteidisziplin und es gab keine gemeinsame Position. Die Liberale Partei hatte zwar mit dem erfahrenen Politiker und ehemaligen Verhandlungsführer der Friedensgespräche, Humberto de la Calle, einen eigenen Kandidaten, den sie jedoch nicht ausreichend unterstützte und der in der ersten Runde daher nur 2.06 % der abgegebenen Stimmen erhielt. Auch hier verteilten sich die traditionell liberalen Stimmen auf zwei weitere Kandidaten ohne die nötige Parteidisziplin.
Die Schwächung des Parteiensystems ist offensichtlich, dies zeigt sich auch darin, dass die Mehrheit der Kandidaten nicht für eine bestimmte Partei angetreten war, sondern ihre Kandidatur durch Unterschriftensammlung in der Bevölkerung erlangten.
Die ersten Tage Iván Duques als neuer Präsident – Wie geht es nun weiter?
Bereits im Wahlkampf hatte Iván Duque eine Reihe von Reformen und Maßnahmen angekündigt, die er als Präsident in Angriff nehmen will. Seine Partei, „Centro Democrático”, kann bereits einige Wochen vor seinem Amtsantritt am 7.8., nach der Einsetzung des neugewählten Parlaments am 20. Juli, einiges davon vorbereiten.
Einer der Reformvorschläge Duques bezieht sich auf das von der Regierung Santos abgeschlossene Friedensabkommen mit der FARC-Guerilla und die damit verbundenen Gesetzesvorschriften. Dadurch wolle er, so Duque, für mehr Wahrheitsfindung, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zugunsten der Opfer des bewaffneten Konflikts sorgen. Gleichzeitig sollen gerechtere Strafen für Kapitalverbrechen der Guerilla durchgesetzt und damit die von ihm angeprangerte Straflosigkeit bekämpft werden.
Zwei Wochen vor dem zweiten Wahlgang hatte Duque jedoch in einem Interview betont, dass er das Friedensabkommen nicht komplett zunichtemachen, sondern lediglich einige Modifikationen und Anpassungen vornehmen wolle, um so “einen glaubhaften und nachhaltigen Frieden“ zur erreichen, der „fest in der Justiz verankert“ sei. Man wird sehen, was dies in der Praxis bedeuten wird. Zum einen kann man davon ausgehen, dass Duque seine Klientel befriedigen muss, zum anderen wird er nicht so unklug sein, das Friedensabkommen wirklich zu gefährden.
Eine weitere Reform, die Duque während seiner Amtszeit durchsetzen will, ist die Justizreform. Da er dabei auf eine weit angelegte Debatte und die Unterstützung anderer Fraktionen im Kongress angewiesen ist, könnten die ersten Schritte bereits in den nächsten Tagen unternommen werden. Momentan setzt sich die Judikative in Kolumbien aus 4 Obersten Gerichtshöfen zusammen: Corte Suprema de Justicia“ (Oberster Gerichtshof), „Consejo de Estado“ (Staatsrat), „Corte Constitucional“ (Verfassungsgericht) und „Consejo Superior de la Judicatura“ (Oberster Justizrat), die insgesamt 75 hauptamtlichen Richter beschäftigen. In den letzten Jahren waren die Gerichtshöfe in mehrere Korruptionsskandale und Kompetenzkonflikte verwickelt, so dass eine schnelle und effiziente Lösung der Krise in dem Sektor von vitaler Bedeutung für das Land ist.
Der Vorschlag des “Centro Democrático” unter Leitung des neuen Präsidenten ist die bestehenden Gerichte durch einen einzigen Gerichtshof mit entsprechend spezialisierten Unterabteilungen zu ersetzen. Durch eine solche Strukturreform könnte unter anderem auch die hohe Anzahl der obersten Richter verringert werden.
Weitere Themen auf der Agenda des neuen Präsidenten sind z. B. die Entscheidung über die Fortführung der Friedensverhandlungen mit einer anderen Guerillagruppe, der ELN, oder die Lösung von Notfallsituationen wie die Schäden am Wasserkraftwerk Ituango im Department Antioquia, wo das Wasser mehrere Gemeinden zu überschwemmen droht. Auch die große, unkontrollierte Migration aus dem Nachbarland Venezuela steht auf der politischen Tagesordnung.
Was bleibt vom Wahlkampf? - Die Demokratie in Kolumbien funktioniert!
Auch wenn die Präsidentschaftswahlen die Polarisierung in der kolumbianischen Bevölkerung gezeigt haben, so ist doch zu beobachten, dass die demokratischen Partizipationsmechanismen funktionieren und von den Bürgern auch genutzt werden. Aus politischer Sicht kann gesagt werden, dass sich der neue Präsident auf eine solide Mehrheit im Kongress stützen kann: die Fraktionen des “Centro Democrático”, der Konservativen Partei, “Cambio Radical”, der Liberalen Partei, und der “Partido de la U”, die sich seiner Kampagne im zweiten Wahlgang angeschlossen hatten, wollen ihn auch in der Regierung unterstützen. Wie das im politischen Alltag aussehen wird, bleibt aber abzuwarten. So hatte zum Beispiel die Liberale Partei ihre Unterstützung im Wahlkampf von klaren Konditionen abhängig gemacht. Eine wichtige Voraussetzung war dabei die Verteidigung des Friedensabkommens und der damit verbundenen Verpflichtungen, wie zum Beispiel einer Agrarreform zur Förderung der Produktivität in den ländlichen Gebieten Kolumbiens.
Insgesamt wird nach dem Wahlkampf aber wohl vieles halb so heiß gegessen werden wie es vorher (politisch) gekocht worden ist. Dies zeigt sich schon alleine daran, dass die Parteien die bis dato die Koalition von Präsident Santos getragen haben, nunmehr auch in der Regierung Duque mitregieren möchten.
Ein klares Signal jedoch ist das sehr gute Ergebnis des linken Politikers Petro. Immer mehr Kolumbianer lehnen das Geklüngel nach den Wahlen und das mehr oder weniger kollektive Eintreten in die Regierung des jeweiligen Präsidenten ab. Bleibt also zu hoffen, dass der neue Präsident die Zeichen der Zeit erkennt und versucht, das Land wirklich zu einen und auch Themen wie die Verringerung der Ungleichheit, Chancengerechtigkeit für alle oder Armutsbekämpfung mit auf seine Agenda nimmt. Falls nicht wird vielleicht schon in 2022 auch in Kolumbien die Stunde der Populisten schlagen.