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Die Sudetendeutsche Landsmannschaft Österreichs (SLÖ) erhob nach einem Bericht von "Lidové noviny" vom 4. Februar 2002 erstmals offiziell einen Anspruch auf finanzielle Entschädigung für die Vertreibung und für die nach dem Zweiten Weltkrieg durchgeführten Enteignungen. Die SLÖ bereitet angeblich zurzeit gegen Tschechien eine Klage vor, die auf der Basis des tschechischen Recht zur Aufhebung der Benes-Dekrete und zur Beseitigung des Nachkriegsunrechts führen soll.
Während seines eintägigen Besuchs in Wien am 13. Februar 2002 versuchte Václav Klaus, die durch die Aussagen von Premierminister Milos Zeman und dem ehemaligen FPÖ-Vorsitzenden Jörg Haider gestörten tschechisch-österreichischen Beziehungen wieder zu normalisieren. Die bisher freundschaftlichen Beziehungen der beiden Staaten dürften sich nicht auf die Frage von Temelin und der Benes-Dekrete begrenzen, so Klaus.
Auf dem Boden des Europäischen Parlaments forderte am 20. Februar 2002 der ungarische Premierminister Viktor Orban die Tschechen auf, die Benes-Dekrete wegen ihrer Inkompatibilität mit dem EU-Recht aufzuheben. Am folgenden Tag wurden Orbans Forderungen von den Ausschussvorsitzenden des Abgeordnetenhauses für Auswärtige Beziehungen, Lubomir Zaoralek (CSSD), und Europäische Angelegenheiten, Jaroslav Zverina (ODS), als völlig inakzeptabel zurückgewiesen. Auf Grund der Aussagen von Orban stornierten die Premierminister Tschechiens und der Slowakei ihre Teilnahme am Gipfeltreffen der Visegrad-Staaten, das am 1. März stattfinden sollte. Der polnische Premierminister sagte schließlich ebenfalls seine Teilnahme ab.
Die Politiker der ODS befürworteten diese Entscheidungen: "Wir verstehen völlig die Entscheidung Zemans. Leider bestätigt dies, dass etwas ähnliches wie Visegrad nicht existiert. Es scheint sich eher eine Achse München-Wien-Budapest abzuzeichnen", so der stellvertretende Vorsitzende der ODS, Miroslav Benes (Pravo, 23. Februar 2002). Weder die Christdemokraten noch die US-DEU schlossen sich der Argumentation der ODS an und kritisierten eher Zemans Entscheidung.
Orban bekräftigte hingegen nochmals, dass er seine Aussagen über die Benes-Dekrete nicht zurücknehme. Daraufhin sagten die Kulturminister Tschechiens, der Slowakei und Polens ihre Teilnahme an einem Treffen mit ihrem ungarischen Kollegen, das am 25. Februar 2002 stattfinden sollte, ab. Für die Streitigkeiten mit Ungarn machten die Beteiligten aus den anderen Visegrad-Staaten den ungarischen Wahlkampf verantwortlich und wiesen die Forderung nach einer Auflösung der Kooperation im Rahmen der Visegrad-Staaten als unsinnig zurück. Die ODS äußerte jedoch, dass auch diese Möglichkeit zu erwägen sei.
Auf einer Pressekonferenz am 21. Januar 2002 kündigte der ODS-Vorsitzende Václav Klaus an, er wolle die rechtliche Wirkungen der Benes-Dekrete durch eine Klausel im EU-Beitrittsvertrag vor möglichen Anfechtungen schützen. Klaus forderte - so "Lidové noviny" vom 22. und 23. Februar 2002 - schriftlich Premierminister Zeman auf, über eine solche rechtliche Klausel auf Regierungsebene nachzudenken. Dies diene der Vorsorge gegen mögliche Überlegungen einer Revision der Nachkriegsordnung.
Er berief sich dabei auf ein Gespräch mit dem Leiter der Delegation der Europäischen Kommission in Tschechien, Botschafter Ramiro Cibrián, der ihn angeblich auf eine solche Möglichkeit während eines Gesprächs im Januar angesprochen haben soll. "Es ist an der Zeit, dass wir über eine Exklusivitätsklausel nachdenken, die die Unbezweifelbarkeit der Rechts- und Eigentumsverhältnisse in Tschechien sichern würde", so der stellvertretende ODS-Vorsitzende und Schattenaußenminister Jan Zahradil.
In einem Interview für die "MF Dnes" vom 23. Februar 2002 nannte Klaus als Grund für die Initiative seiner Partei, dass es in Deutschland und Österreich Interesse gäbe "an einer Revision der Eigentumsrechte und letztendlich der territorialen Ordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde". Dies habe er aus verschiedenen Gesprächen mit Vertretern dieser Länder erfahren.
Günter Verheugen, Mitglied der Europäischen Kommission, lehnte die Forderungen der ODS in einem Gespräch mit Außenminister Jan Kavan am 22. Februar ab. "Die Eigentumsfragen im Rahmen der Benes-Dekrete sind nicht Teil der EU-Verhandlungen und haben in den Verhandlungen auch keinen Platz", stimmten Verheugen und Kavan überein. Am Rande der Verhandlungen könne man jedoch dieses Thema ansprechen.