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Country reports

Lokalwahlen in Ägypten vor dem Hintergrund der Nahostkrise

Am 8. April 2002 waren die Bürger Ägyptens aufgerufen, auf kommunaler Ebene Vertreter in sog. "lokale Volksräte" (Local Councils) zu wählen.

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Die Bedeutung der Wahl dieser Repräsentanten der ägyptischen Bevölkerung in die einzigen demokratischen Organe auf lokaler Ebene kann nur beurteilt werden, wenn man mit den Grundzügen der ägyptischen Kommunalverfassung hinreichend vertraut ist, weshalb wir an dieser Stelle auf die entsprechenden Strukturen eingehen wollen.

Grundzüge der Kommunalverfassung in Ägypten

Seit Beginn der achtziger Jahre gibt es in Ägypten Bemühungen die traditionell zentralstaatlich organisierte Verwaltung zu dezentralisieren, also politische Verantwortung auf lokale Ebenen abzugeben und dabei vor allem die Verwaltung der insgesamt 26 (davon 4 städtische und 22 ländliche) Governorate Ägyptens zu verbessern. Diese Reformanstrengungen wurden zwar durch die jahrzehntelange Vernachlässigung lokaler Einheiten von Beginn an behindert, jedoch kam man angesichts einer Anfang der neunziger Jahre ebenfalls begonnenen wirtschaftlichen Liberalisierung und damit verbundenen Dezentralisierung des wirtschaftlichen Handelns nicht an einer adäquaten Anpassung der entsprechenden Verwaltungsstrukturen und -kompetenzen vorbei.

An der Spitze des Governorats steht dabei weiterhin der vom Präsidenten persönlich ernannte Gouverneur, der im Rang eines Ministers steht und formal der Repräsentant des Präsidenten innerhalb der Governoratsgrenzen ist. Für die lokale Verwaltung gilt, dass sie auf Governoratsebene auf der Grundlage des Gesetzes über lokale Administration Nr. 43 aus dem Jahre 1979 und seiner Änderungen aus den Jahren 1981 und 1988 durch eine Verklammerung von dezentralisierter Ministerialverwaltung und regionaler/lokaler Verwaltung mit begrenzten Verantwortungs- und Entscheidungsspielräumen gekennzeichnet ist. Das daraus resultierende Prinzip der doppelten Zuständigkeit führt deshalb bis heute sowohl zu unklaren Kompetenzabgrenzungen innerhalb der Governoratsverwaltung, als auch zu wachsendem Koordinationsbedarf, der von den beteiligten Instanzen oft nicht in ausreichendem Maße bewältigt wird.

Politik auf kommunaler/lokaler Ebene findet in Ägypten im wesentlichen in zwei verschiedenen Verfassungsorganen statt, zum einen in den ernannten lokalen Exekutivräten (Executive Councils) zum anderen in den jetzt neu gewählten lokalen Volksräten (Local councils).

Die lokalen Exekutivräte sind die höchsten Verwaltungsorgane auf Governoratsebene und umfassen die Verwaltungsspitzen wie etwa den Gouverneur, die Vorsitzenden von Lokalräten, und die Repräsentanten der gesamten exekutive Verwaltung. Die so zusammengesetzten Exekutivräte verfügen über eine große Machtfülle mit umfangreichen Eingriffs- und Entscheidungsrechten. Sie stellen die wichtigsten administrativen Organe zur Planung, Koordinierung und Durchsetzung zentralstaatlicher Politik auf der jeweiligen lokalen Ebene dar.

Im Governorat stellt der Exekutivrat das höchste Verwaltungsorgan dar und setzt sich aus dem Gouverneur, seinem Stellvertreter, den Distrikt-, Stadt- und Ortschaftsvorsitzenden sowie den Leitern der ministeriellen Departments und dem Generalsekretär zusammen. Bereits aus der Zusammensetzung dieses Gremiums lässt sich schließen, dass zusätzlich zu der gesetzlich festgeschriebenen Machtfülle der Exekutivräte gegenüber den jetzt gewählten Volksräten, die Exekutivräte über einen deutlichen (allgemeinen) politik- und damit entscheidungsrelevanten Wissensvorsprung verfügen.

Die auf der jeweiligen lokalen Ebene für vier Jahre gewählten lokalen Volksräte haben dagegen die Aufgabe gegenüber der administrativen Verwaltung bzw. dem "Executive Councils" die Interessen der Bevölkerung wahrnehmen bzw. vertreten. Die lokalen Volksräte stellen damit im System der Lokalverwaltung in Ägypten die einzigen politischen Organe dar, die durch ein Wahlverfahren zustande kommen und deshalb grundsätzlich außerhalb des unmittelbaren zentralstaatlichen Zugriffs liegt. Die Volksräte stellen mithin auf der lokalen Ebene die einzigen gewählten Verfassungsorgane dar, da lt. ägyptischer (Kommunal-) Verfassung weder Bürgerbefragungen noch andere Formen der Bürgerbeteiligung auf lokaler Ebene existieren.

Der Volksrat wählt aus der Gruppe der in ihn gewählten Volksvertreter einen Vorsitzenden, dem die Leitung dieses Gremiums obliegt und der die Aufsicht über die entsprechenden Räte nach geordneter lokaler Ebenen hat. Die Wahl dieser Volksräte erfolgt seit 1989 im Listenverfahren, weshalb parteiunabhängige Kandidaten es schwer haben Mandate zu erringen, da sie allein, eine Liste anführend, nur eines der zu besetzenden Mandate erringen können. Das Listenwahlverfahren begünstigt also generell Parteien, die in der Lage sind, eine ausreichende Anzahl von Kandidaten aufzubieten.

Die Befugnisse der Volksräte -und dies erscheint politisch besonders wichtig- sind eher bescheiden und beschränken sich auf eine allgemeine Beratungsfunktion der Exekutivräte, die als wichtigste administrative Einheit auf der lokalen Ebene über weitaus mehr Rechte verfügen. Obwohl nach dem Gesetz für lokale Verwaltung die Volksräte neben dieser Beratungs- auch über eine Kontrollfunktion gegenüber den Exekutivräten verfügen, wird diese in der Praxis kaum verwirklicht. Gleiches gilt für finanzielle Angelegenheiten. Die gewählten Volksräte können zwar nach dem Gesetz Vorschläge für den jeweiligen Haushalt unterbreiten, soweit sie jedoch über die ministeriellen Kompetenzen der lokalen Ebene hinausreichen, bleiben sie spätestens auf der zentralstaatlichen Ebene unberücksichtigt.

Zwar sind nach ägyptischem Kommunalgesetz (Local Communities Law 43/1979) die Exekutivräte den gewählten Lokalräten gegenüber verantwortlich bzw. rechenschaftspflichtig, jedoch können die Lokalräte die Entscheidungen der Exekutivräte nur debattieren und Eingaben machen bzw. Anregungen geben. Sie können dagegen weder Gesetze noch Verordnungen oder andere Regelungen beschließen, noch auf die endgültige Verwendung von Budgetmitteln Einfluss nehmen. Es steht ihnen ebenfalls nicht zu, Vertreter der Verwaltung zur Rechenschaft zu ziehen oder gar bei Fehlleistungen -verhalten von ihren Positionen abzurufen. Die Volksräte lassen sich deshalb von ihrer Struktur und Funktionsweise weder als wirkungsvolles Kontrollorgan über die exekutiven Einheiten noch als Repräsentativorgan lokaler Interessen bezeichnen. Damit wird die geringe Bedeutung der Volksräte nicht nur durch ihre geringen Kompetenzen, sondern auch durch die unmittelbare Aufsicht der zentralstaatlichen Autorität untermauert. Die jetzt neu gewählten Organe sind damit eigentlich reine "Consultants" der Verwaltung.

Die Macht bzw. der Einfluss dieser Räte ist also genauso beschränkt wie ihre Amtszeit. Diese beträgt im Regelfall im Gegensatz zu der von Parlamentsabgeordneten (5 Jahre) und der der Mitgliedern des Shura Rats (6 Jahre) nur 4 Jahre, wobei der Präsident des Landes sowohl das Recht hat, die Amtszeit der gewählten Lokalräte (wie im jetzigen Fall geschehen) um ein Jahr zu verlängern als auch sie jederzeit ganz aufzulösen bzw. einzelne Mitglieder abzuberufen.

Der regierende Ministerpräsident hat zudem jederzeit das Recht, den Volksrat auf der Governoratsebene aufzulösen, und der jeweilige (ernannte) Gouverneur hat dieses Recht gegenüber den Volksräten der nachfolgenden lokaler Einheiten.

Trotz dieser institutionellen Schwächen wird die Rolle der Volksräte unterschiedlich beurteilt. Man berichtet etwa über den Volksrat von Alexandria, dass dieser frühzeitig in Entwicklungsvorhaben im Governorat einbezogen wird, sodass Vorschläge der Volksräte im Plenum zu gemeinsamen Konzepten verarbeitet und dann gemeinsam verabschiedet werden können. Der Vorsitzende des Volksrates von Alexandria charakterisierte das Verhältnis zwischen Exekutiv- und Volksrat deshalb als kooperativ. Auf den unteren Verwaltungsebenen (Dorfebene) werden jedoch oft deutliche Unterschiede in der Kompetenz der Mitglieder von Exekutiv- zu denen der Volksräte sichtbar. Da den Mitgliedern der Volksräte -zumal auf diesen unteren Ebenen- häufig auch Inkompetenz attestiert wird, wird eine Kompetenzverschiebung zugunsten der Volksräte, auch wenn sie aus Gründen der Stärkung der demokratischen Teilhabe der Bevölkerung auf allen Ebenen wünschenswert erscheint, in der politischen Diskussion eher zurückhaltend beurteilt.

Lokalwahlen in Ägypten

Nicht nur wegen der beschriebenen begrenzten Befugnisse der lokalen Volksräte sondern vor allem auch wegen der die politische Tagesordnung in Ägypten bestimmende Verschlechterung des politischen Klimas im Nahen Osten erzeugten die diesjährigen Lokalwahlen nicht mehr die Aufmerksamkeit bzw. das Wählerinteresse der letzte Jahre, die Lokalwahlen durchaus schon einmal eine Wahlbeteiligung von 20 - 25% und damit eine viel höheren Wahlbeteiligung als bei regulären Parlamentswahlen erreichen ließ.

Kritiker dieser Entwicklung plädieren zwar seit langem dafür, den gewählten Räten mehr Beteiligungs- bzw. Mitbestimmungsrechte u. a. in Fragen der Budgetaufstellung zu gewähren, um sie für politisch interessierte bzw. engagierte Bürger attraktiver zu machen, doch schreckt man momentan davon zurück, die ägyptische Verfassung aus dem Jahre 1971 zum Thema zu machen.

Doch trotz dieser sehr beschränkten politischen Möglichkeiten bieten Mandate in lokalen Räte durchaus pragmatische Vorteile bzw. z.T. lukrative Einflussmöglichkeiten. Wenn es nämlich um Entscheidungen auf lokaler Ebene geht, wie etwa Gewährung von Baurechten (aus landwirtschaftlicher Nutzfläche) und Baugenehmigungen für Wohnblocks, Versorgung mit öffentlicher Infrastruktur (Anschlüssen für Wasser, Strom, Gas und Abwasser und öffentlichen Transporteinrichtungen), lassen sich durchaus persönliche Vorteile erzielen.

Hinzu kommt, dass die Wahlbezirke überschaubar (klein) sind und man das Wahlergebnis durch die Hinwendung auf einflussreiche Wählergruppen (voting blocks) durchaus zu beeinflussen vermag. Diese Ausrichtung auf bestimmte Wählergruppen erfordert jedoch auch die In-Aussicht-Stellung von bestimmten Entscheidungen zugunsten genau dieser Gruppen. Vielen gilt es deshalb als sicher, dass auf dieser Ebene der öffentlichen Verwaltung, die Korruption blüht und es eigentlich eines effektiveren Kontrollmechanismus bedarf.

Seit 1997 gibt es deshalb eine Regierungskommission, die das Kommunalgesetz überarbeiten bzw. Reformvorschläge machen soll, wobei es das erklärte Bestreben der Regierung ist, die Rechte und Einflussmöglichkeiten der gewählten Räte zu erweitern und dabei gleichzeitig solche Kontrollmechanismen zu stärken. Bis heute hat diese Regierungskommission jedoch noch keine abschließenden Reformvorschläge vorgelegt.

Die ägyptischen Lokalwahlen vom 8. April 2002

Diese letzten Kommunalwahlen hatten in Ägypten im Jahre 1997 stattgefunden und hätten eigentlich im letzten Jahr 2001 erneut abgehalten werden sollen. Wegen der in jenem Jahr gleichzeitig stattfindenden Wahlen für die beiden Häuser des nationalen Parlaments hatte der ägyptische Präsident allerdings verfügt, dass die Kommunalwahlen um ein Jahr verschoben werden und deshalb erst in diesem Jahr stattfinden sollten.

Diese Verschiebung hat nun dazu geführt, dass die Kommunalwahlen vor dem Hintergrund wachsender Spannungen im Nahen Osten stattgefunden haben, was die Aufmerksamkeit bzw. das Interesse der Bevölkerung für die lokalen Belange und damit auch für diese Wahlen - angesichts täglich stattfindender Demonstrationen zur Lage im Westjordanland - noch stärker hat in den Hintergrund treten lassen.

Seit der Einführung des Mehrparteiensystems in Ägypten und dabei vor allem bei den letzten Lokalwahlen hatten Oppositionskräfte auf lokaler Ebene Erfolge erzielen können und damit immer wieder auf sich aufmerksam gemacht. So erreichten etwa unabhängige Oppositionskandidaten in den letzten Lokalwahlen zum Teil erhebliche Stimmengewinne von bis zu 20 %.

Das Besondere an diesen Kommunalwahlen war jedoch, dass sie nicht so umfassend wie die vorangegangenen Parlamentswahlen im vergangenen Jahr von unabhängigen Richtern überwacht worden sind. Ein Gericht hatte vor den Wahlen entschieden, dass nur bei Parlamentswahlen eine vollständige Überwachung (complete judicial oversight) des Wahlverfahren durch unabhängige Richter erfolgen müsse und dass bei Lokalwahlen wie diesen, wegen der großen Anzahl von Wahllokalen nur eine teilweise Kontrolle von Wahllokalen durch Richtern gewährleistet werden könne, schließlich gäbe es in Ägypten insgesamt 43000 Wahlbezirke und insgesamt nur etwa 6000 unabhängige Richter. Diese Entscheidung führte schließlich allerdings zum Rückzug der sog. "unabhängigen" Oppositionskandidaten, die oft den Muslimbrüdern nahe standen und nahm den Wahlen den Rest an "politischer Brisanz" bzw. demokratischer Relevanz.

Da unabhängige Richter nur noch in insgesamt 298 größeren Wahlbezirken Stichprobenkontrollen durchzuführen sollten und die Administration der restlichen 37.410 kleineren "Wahlbezirken" überwiegend Mitarbeitern der jeweiligen öffentlichen Organe (Verwaltung, Sicherheitskräfte) überlassen blieb, erklärten relevante Vertreter der Muslimbrüder vor der Wahl dass sie unter den gegebenen Umständen sich " nicht an dieser Komödie einer Wahl beteiligen.." wollten.

Es kann deshalb kaum verwundern dass die "staatstragende" Regierungspartei NDP nicht nur seit jeher die Lokalwahlen dominiert hat, sondern trotz der deutlichen Rückschläge, welche die Regierungspartei bei den letzten Parlamentswahlen erlitten hatte, auch diesmal wieder als Favorit ins Rennen ging. Politische Beobachter rechneten deshalb vor den Wahlen wieder mit einen Erfolg der NDP im Umfang von nicht weniger als 92 - 95% der Mandate. Unabhängigen trauten sie ca. 4-5% der Mandate zu, Vertretern der Opposition dagegen nur etwa 1 - 2% der Mandate.

Regierungsvertreter und Mitglieder der zuständigen Wahlorgane teilten bereits am Wahltag mit, dass angesichts der Tatsache, dass die Muslimbrüder die Wahlen insgesamt boykottierten und sich auch sonst nur eine beschränkte Anzahl von Oppositionsvertretern an den Wahlen beteiligen wollten, voraussehbar sei, dass die NDP, die in jedem Wahlkreis (mindestens ) einen offiziellen und damit insgesamt 49.280 Kandidaten nominiert hatte, mehr als 70% der zur Vergabe anstehenden Mandate schon allein deshalb erringen würde, weil es keine Gegenkandidaten gäbe.

Schon am Ende der offiziellen Nominierungsfrist, am 7. März 2002 hatte festgestanden, dass von den insgesamt 60.280 Kandidaten nur 59.708 zu den Wahlen zugelassen werden würden, wobei zahlreiche Bewerber wegen Nichterfüllung des Wehrdienstes und anderer gesetzlich geregelter Umstände von den Wahlen ausgeschlossen worden waren.

Die NDP stellte schließlich 48.106 Kandidaten (80,7%); als "unabhängig" bezeichneten sich 10.568 Kandidaten (17,7%) und nur 1.034 Kandidaten (1,6%) bekannten sich zu einer der sechs Oppositionsp arteien und dabei zur liberalen Wafd-Partei (758), der linken Tagammu und Nasseristen Partei (215) sowie drei relativ obskurer kleinerer Parteien (61). Diese knapp 60.000 Kandidaten bemühten sich um die insgesamt 49.280 Mandate in Dörfern (28131), Distrikten (2627), Städten (7195), Stadtteilen Kairos (15674) und verschiedenen Governoraten (6081). Weibliche Kandidaten machten nur 1,7% aller Kandidaten (1035) aus.

Der ägyptische Minister für Lokale Entwicklung, Mustafa Abdel Kader, gab am 14. April 2002 die Endergebnisse der Lokalwahlen bekannt.

Parteien:DörferVororteKleinstädteBezirkeGouvernorateLokale MandateAnteil in %
NDP24.1811.3034.88412.5583.01745.94397,04
Unabhängige456562233201841.2392,62
El Wafd2626239-1420,30
El Taggammu2-1-580,02
Nasseristen3--3280,02
Al Ahrar13--140,01
Misr Partei----1310,01
Andere     10,01
 
Total24.6691.3645.10712.9203.22347.345100,00

Unter den insgesamt 49.708 Kandidaten setzen sich auch 774. Frauen durch (1,63%), von denen die allergrößte Zahl auch von der Regierungspartei gestellt wurden (750 = 96,8%).

Neben 22 weiblichen Kandidaten, die als Unabhängige ins Rennen gegangen waren konnten immerhin noch zwei Kandidatinnen der oppositionellen, liberalen Wafd-Partei ein Mandat erringen. Mehr als die Hälfte der Kandidaten (26307) hatten ihr Mandat ohne Gegenkandidaten errungen, die restlichen 21.039 lokalen Mandate gingen an erfolgreiche Bewerber, die vorwiegend der NDP angehörten.

Die Regierungspartei NDP hatte im Rahmen der Vorbereitungen zu diesen Kommunalwahlen bei der Auswahl der eigenen Kandidaten erstmals ein neues "Electoral College System" eingesetzt. Dieses System erlaubte es vor der Wahl jedem Parteimitglied, in offener Abstimmung eigene Kandidatenvorschläge zur machen. Dieses Verfahren war notwendig geworden, da sich innerhalb der Regierungspartei immerhin insgesamt etwa 80.000 NPD-Mitglieder um die offizielle Kandidatur in den insgesamt 49.280 Wahlbezirken beworben hatten.

Dieses im Grunde genommen demokratische Verfahren hat nach verlässlichen Informationen aus der Partei zu tiefen Verwerfungen innerhalb der Ortsverbände der Regierungspartei bzw. zwischen einflussreichen Parteimitgliedern geführt. So versuchten offensichtlich Parlamentsabgeordnete den NDP-Ortsverbänden auf den jeweiligen "Nominierungsparteitagen" bestimmte Kandidaten "aufzudrängen", welche unbedingt auf sichere Listenplätze der Partei "gehievt" werden sollten. Gleichzeitig warnte die Parteiführung die in diesen "Electoral Colleges" unterlegenen Kandidaten, nicht als sog. "Unabhängige" gegen ihre eigenen Parteikollegen zu kandidieren. Ein solches Verhalten wollte die Partei dieses Mal mit Parteiausschlussverfahren ahnden.

Fragt man nun, was von den neu gewählten lokalen Volksräten zu erwarten ist, so muss wohl den Stimmen Recht gegeben werden, die der Meinung Ausdruck verliehen haben, dass die demokratische Kontrollfunktion der gewählten lokalen Räte gegenüber der öffentlichen Kommunalverwaltung natürlich solange nur unvollkommen funktioniert, solange sich in beiden Gremien vorwiegend Vertreter ein und derselben politischen Partei, nämlich der Regierungspartei NDP gegenübertreten.

In einer kritischen Untersuchung des "Al Ahram Center for Political and Strategic Studies (ACPS)" wurde etwa bemängelt, dass viele der aus den Reihen der Regierungspartei in die lokalen Räte gewählten Mitglieder häufig den Sitzungen dieser Gremien fernbleiben und damit ihrer Kontrollfunktion nur sehr unzureichend nachkommen. Man spricht in dieser Studie sogar von insgesamt 6.299 gewählte Volksvertretern, die diesen Sitzungen in den vergangenen fünf Jahren gänzlich ferngeblieben sind und stattdessen privaten Belangen nachgegangen sind.

Das Al Ahram Center kommt schlussendlich zu der Einschätzung, dass nur eine Verringerung des Einflusses der Regierungspartei auf die kommunalen Entscheidungs- und Kontrollstrukturen eine Erfolg versprechende Bekämpfung der Korruption, eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bürger und eine weitere Demokratisierung der Gesellschaft ermöglichen würde. Auch diese Einschätzung entspricht der Überzeugung der Mehrheit der Politikwissenschaftler im Land, allerdings gelten diese Argumente für alle Fälle, in denen man es mit einer "übermächtigen" Regierungspartei zu tun hat.

Dieser Übermacht kann, in einem Mehrparteiensystem, als das man Ägypten betrachten muss, letztlich nur der Wähler ein Ende setzen. Die nächste Chance, dies zu tun, hat er im Jahre 2005.

Quellen:

Tino Schuppan: "Verwaltungsreform in Ägypten unter besonderer Berücksichtigung der lokalen Ebene", Diplomarbeit der Universität Potsdam , SS 2000, S. 55 - 69 Abdalla F. Hassan: "Power and privilege", Cairo Times v. 11.-17.04.2002, S. 7 Gamal Essam El-Din: "NDP sweeps poll by default", Al Ahram Weekly v. 04.-10.04.2002 Gamal Essam El-Din: "NDP versus NDP - again", Al Ahram Weekly v. 14.-20.03.2002 Gamal Essam El-Din: " Brother cold-shoulders municipal poll", Al Ahram Weekly v. 14.-20. Feb. 2002, Gamal Essam El-Din: "Judging the polls", Al Ahram Weekly v. 10.-16.01.2002, Bashir El-Adl: " Local Councils in for shake-up", in Egyptian Gazette v. 19. Feb. 2002, o. A.: "Die Endergebnisse der Lokalwahlen" in, Al Ahram v. 14.04.2002

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