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Das Foto auf fast allen Titelseiten asiatischer Zeitungen sprach Bände. Chinas Ministerpräsident Zhu Rongji, mit drohender Miene und warnendem Zeigefinger, ging mit taiwanesischen Wählern ins Gericht: "Wir werden niemals zulassen, dass Taiwan unabhängig wird." Und weiter: "Alle chinesischen Bürger erinnern sich genau daran, dass die gesamte neuere chinesische Geschichte seit dem Opium-Krieg im Jahre 1840 die Geschichte eines Landes ist, das von ausländischen Mächten verletzt und gedemütigt worden ist". Starke, aber letztlich vergebliche Worte vom Festland, um in letzter Minute Taiwans Präsidentenwahlen zu beeinflussen. Denn: Taiwans Wähler ließen das Donnergrollen aus Peking ungehört verhallen und wählten den Oppositionskandidaten Chen Shui-bian ins höchste Amt.
Ein Jahr ist seit diesen Drohgebärden verstrichen und die Beziehungen zwischen den verfeindeten Nachbarn sind in etwas ruhigeres Fahrwasser gelangt. Feindselige Rhetorik hat vorsichtigen politischen und wirtschaftlichen Kontakten Platz gemacht. Erst kürzlich besuchte Taipehs Bürgermeister Ma Ying-jeou Hongkong, der erste offizielle Besuch in der ehemaligen britischen Kronkolonie. Andere, wenn auch keine besonders hochrangigen gegenseitigen Visiten vertieften die Beziehungen. Taiwanesische Investitionen auf dem Festland sind auf Rekordhöhe, der Handel floriert.
Bricht in der Straße von Formosa diplomatisches Tauwetter an? Einstweilen kann trotz positiver Anzeichen davon nicht die Rede sein. Über den zukünftigen politischen Status Taiwans sind sich beide Parteien völlig uneins. Hinzu kommt, dass Peking neben sanften diplomatischen Tönen weiter auch auf die militärische Karte setzt. Über 400 Kurz-, Mittel- und Langstreckenraketen hat man auf dem Festland gegenüber Taiwan in Stellung gebracht. Zwar sei Peking sicher, dass Präsident Chen nicht länger die Unabhängigkeit Taiwans an erster Stelle auf der politischen Tagesordnung habe, meint Andrew Yang vom "Chinese Council of Advanced Policy Studies" in Taipeh, keineswegs ist jedoch garantiert, dass die Hardliner in Peking nicht im Handumdrehen wieder in aggressivere Töne verfallen.
Zweifel der Nachbarn
Vorsicht ist in der Tat geboten. Chinas Politik in den letzten 50 Jahren lässt die Nachbarn in Ost- und Südostasien an der friedlichen Rolle des Landes als regionale Vormacht zweifeln. Zu groß sind Misstrauen und Sorgen gegenüber den Absichten Pekings. Da mag auch eine Rolle spielen, dass bislang alle politischen Führer Chinas nie ein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung für Fehler der Vergangenheit gefunden haben. Chinas Krieg mit Indien Anfang der 60er Jahre, Pekings Unterstützung für das Terrorregime der Roten Khmer in Kambodscha in den siebziger Jahren, der Krieg mit Vietnam im Jahre 1979, die Drohgebärden in Richtung Taiwan und unlängst großangelegte 50-Jahres-Feiern anlässlich der chinesischen Unterstützung für Nordkorea im Korea-Krieg, und dies inmitten des derzeitigen Friedensprozesses auf der koreanischen Halbinsel - nur einige Beispiele für "machtvolle" chinesische Politik in der Vergangenheit, die in der Region nicht gerade für Vertrauen und einen verantwortlichen Umgang miteinander sorgten.
Anhand dieser Beispiele wirkte es fast schon absurd, als der chinesische Verteidigungsminister General Chi Haotion bei einem Besuch Ende des letzten Jahres in Malaysia die asiatischen Nachbarn Chinas auffordert, Peking doch nicht länger als "potentiellen Aggressor" zu betrachten. Für Chinas alte Garde und ihre seit 1949 regierende Kommunistische Partei ist es offensichtlich unvorstellbar, mit Blick auf die Vergangenheit Fehler einzugestehen. Man malt offensichtlich noch immer am rosaroten Bild vom friedliebenden Reich der Mitte, das weltweit die Rechte aller unterdrückten Völker gegenüber ausländischen Mächten verteidigt.
Da klare Worte und Taten ausbleiben und Peking auch im Innern alle Kritiker an der offiziellen chinesischen Außenpolitik kaltstellt, ist es nicht besonders verwunderlich, dass es am Vertrauen der Nachbarn mangelt. Bis zu einer chinesischen Vormachtstellung, die in Südostasien allgemein akzeptiert werden würde, ist es noch ein langer Weg. Sicherlich: die kleinen Anrainer versuchen, sich mit dem mächtigen Nachbarn im Norden zu arrangieren, auch wirtschaftlich möchte man mit dem großen Markt sehr gerne ins Geschäft kommen, sicherheitspolitisch setzt man aber auf die amerikanische Karte als Garant für Frieden und Stabilität in der Region. Japan, Südkorea, Thailand, Singapur, die Philippinen, sogar Vietnam und Kambodscha blicken misstrauischer nach Peking als nach Washington. Nur Indonesien und vor allem Malaysia scheinen an den hehren Absichten chinesischer Politik nicht zu zweifeln.
Drohgebärden im südchinesischen Meer
An einem Beispiel wird besonders deutlich, wie die chinesische Führung Politik in der Region versteht und diese durchsetzen will. Dabei scheut man nicht vor einer Taktik aus diplomatischen Schmeicheleien einerseits, massiver Drohung und Einschüchterung andererseits zurück. Zielscheibe chinesischer Repressalien: Südostasien beim Bemühen, eine Lösung für Besitzansprüche im südchinesischen Meer zu finden.
Das Territorium aus winzigen Inseln und Korallenhügeln wird gesamt oder in Teilen von China, Taiwan, Vietnam, den Philippinen, Malaysia und Brunei beansprucht. Man rate dringend, so heißt es aus Peking, keine gemeinsamen militärischen Übungen in dem umstrittenen Gebiet abzuhalten. Völlig unakzeptabel seien darüber hinaus Allianzen mit "auswärtigen Mächten". Kein Wort wird allerdings darüber verloren, dass China seit geraumer Weile, wann immer sich die Chance ergibt, im südchinesischen Meer Tatsachen zu seinen Gunsten schafft. Der Ausbau des Mischief Reefs zur militärischen Basis, nach chinesischer Lesart offiziell Heimat für chinesische Fischer in der Region mit Satellitenstation und Hubschrauberlandeplatz, ist nur ein Beispiel in einer Kette von chinesischen Verletzungen internationaler Regeln.
Die Südostasiaten, ein Zusammenschluss der Staaten Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Myanmar, Malaysia, den Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam (ASEAN), setzen auf Schulterschluss gegen den mächtigen Nachbarn im Norden. Man will für das südchinesische Meer mit seinen Inselgruppen und den dort vermuteten gewaltigen Gasvorkommen einen klaren Katalog von Verhaltensmaßnahmen beschließen, um sich so das Gebiet wirtschaftlich zunutze zu machen.
Während die chinesische Seite zur Regelung des Streits einen Zwölf-Punkte-Plan vorgelegt hat, der sich sorgsam in Allgemeinheiten und diplomatischen Floskeln ergeht, ringt Asean um ein konkretes Sieben-Punkte-Papier, das sehr präzise jede weitere Inbesitznahme von unbewohnten Inseln und Korallenriffen untersagt. Die Positionen sind einstweilen noch weit voneinander entfernt. Es ist nicht einmal klar, welchen genauen Raum im südchinesischen Meer ein solcher Plan abdecken soll. Darüber hinaus kann auch von einer abgestimmten Asean-Politik nicht die Rede sein - eine enorme politische Schwäche, die sich die chinesische Seite immer wieder geschickt zunutze macht. Eins steht fest: schnelle Aktion ist vonnöten, denn wenigstens fünf der insgesamt sechs beteiligten Nationen, die Besitzansprüche gemeldet haben, unterhalten kleinere militärische Stützpunkte in dem Gebiet - potentielle explosive Auslöser für einen militärischen Konflikt.
Gefahr explosiver Konflikte
Einige politische Beobachter sind davon überzeugt, dass Peking auf Expansionskurs ist. "China entwickelt derzeitig für Operationen im südchinesischen Meer eine neue Generation von in der Luft zu betankenden Kampfflugzeugen; neue Fregatten und Atom-U-Boote sollen die Vorherrschaft sicher stellen", weiß Carlyle Thayer vom "Asia-Pacific Centre for Security Studies" in Hawaii. Überdies wachse, so der Herausgeber der "Jane´s Defence Weekly", Robert Karniol, die Gefahr wirklich explosiver Konflikte, da man sich nicht mehr länger "mit Maschinengewehren auf Fischerbooten" gegenüberstehe, sondern mit Raketen von Fregatten bekämpfe.
"Die Asean-Staaten müssen endlich begreifen, dass sie es nicht zulassen können, dass ein anderer Staat das südchinesische Meer kontrolliert", meint Jose Almonte, Sicherheitsberater des früheren philippinischen Präsidenten Fidel Ramos. China wolle in der Region Japan zur Seite drängen und Vormacht werden. Mit dem Besitz der Spratly-Inseln im südchinesischen Meer könne man wichtige strategische Schifffahrtswege kontrollieren.
Schnelle Passagen amerikanischer Kriegsschiffe zwischen dem Pazifik und dem Indischen Ozean würden auf diese Weise ebenso unmöglich gemacht wie der ungehinderte Transport von wichtigen Gütern zwischen Japan bzw. Südkorea und den südostasiatischen Staaten oder wichtige Öllieferungen aus dem Mittleren Osten für die Region.
Blickt man auf die letzten fünf Jahre, so steht fest: Peking setzt in der Region auf Stärke. Militärisch können die am Konflikt beteiligten südostasiatischen Staaten dem Streben Chinas nichts entgegensetzen. Plumpe Drohungen allerdings werden die Länder nur enger zusammen schweißen und noch intensiver nach natürlichen Verbündeten Ausschau halten lassen. Da könnte sich die aggressive Taktik Pekings ähnlich wie im Falle Taiwans, dessen Bürger den auf dem chinesischen Festland wenig geliebten Oppositionskandidaten zum Präsidenten machten, sehr schnell als grober Fehler erweisen.