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Trotz Wahlpflicht hatten sich nur rund 42% der Wahlberechtigten am ersten Julisonntag aufgerafft, ihre Stimme abzugeben. Zur Wahl standen auf nationaler Ebene die Parlamentarier des Abgeordnetenhauses, also dem „Unterhaus“ des Kongresses. Ebenso wurden Wahlen in 12 der insgesamt 32 Bundesstaaten abgehalten: Landes- und Kommunalparlamente wurden in Guanajuato, Estado de México, Morelos, Tabasco, Jalisco und im Distrito Federal gewählt. Zusätzlich um die Besetzung des Gouverneurspostens ging es in Campeche, Colima, Nuevo León, Querétaro, San Luis Potosí sowie Sonora. Besondere Bedeutung kam dabei dem Hautstadtbezirk, Distrito Federal, zu, der ebenfalls als ein eigener Bundesstaat angesehen werden kann. Auch hier ging es um die Neubesetzung des Parlamentes mit insgesamt 66 Abgeordneten.
Die Bilanz aus Sicht der PAN: Im Abgeordnetenhaus des Bundesparlamentes verlor die PAN, die rund 30,8% der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte, 53 der bislang 207 Sitze. Die Partei lag im Jahr 2000 im Bündnis mit den Grünen noch bei 38,2%. Die bis 1997 dominierende Quasi-Staatspartei PRI , Hauptkonkurrentin der PAN, gewann dagegen 13 Sitze dazu. Dieser Erfolg beruht jedoch nicht zuletzt auf einigen Besonderheiten des Wahlrechts . Die PRI, die nun ihrerseits teils in Allianz mit den Grünen angetreten war, erhielt bereinigt nun rund 35% der Stimmen, 2% weniger als noch im Jahr 2000 und rund 4% weniger als 1997.
Im sicher geglaubten Bundesstaat Nuevo León ging ein Gouverneursposten an die PRI, als „Ausgleich“ eroberten die „panistas“ den Gouverneurspalast in San Luis Potosí. Eine weitere Ohrfeige erhielt die Partei von Präsident Fox aber ausgerechnet im symbolträchtigen Distrito Federal. Nicht zuletzt durch das Charisma ihres Bürgermeisters Andrés Manuel-López Obrador eroberten die Kandidaten der PRD 12 der insgesamt 16 Stadtbezirke (delegaciones) per Direktmandat (PAN: 3; PRI: 1). Im Abgeordnetenhaus des Hauptstadtdistriktes stellt die PRD mit 47 von 66 Mandaten die absolute Mehrheit. Das bundesweite Stimmenergebnis der PRD liegt demgegenüber bei gerade 17,6%. Am meisten Federn lassen musste in der Hochburg López Obradors aber die PRI, der die Wähler im D.F. kaum noch Glauben schenken wollten. Sie erhielt in Mexikos Hauptstadt nur 11,7% der Stimmen.
Aus persönlicher Sicht kann daher Andrés López Obrador als der große Gewinner dieser Wahl gelten. Die Mexikaner hat offenbar das Charisma des Bürgermeisters beeindruckt. Eher schwachen Politikergebnissen steht hier aber ein glänzendes Politikmarketing gegenüber. López Obrador schaffte schließlich das, woran Vicente Fox scheiterte: Es gelang ihm, seinen persönlichen Bonus bei der Bevölkerung auch auf seine Partei zu übertragen. Fox gelang dies ganz offensichtlich nicht.
Die Niederlage in Nuevo León traf die PAN unvorbereitet. Allerdings ist hier die Schuld nicht auf Bundesebene zu suchen, die Defizite liegen auf lokaler und regionaler Ebene. Positiv überrascht haben dagegen die relativ guten Ergebnisse der PAN bei den Gouverneurswahlen in Sonora und Campeche – auch wenn es für einen Sieg nicht ausreichte. Kritiker des PAN-Wahlkampfes auf Bundesebene wiesen angesichts der guten Regionalergebnisse darauf hin, dass ein ähnliches Engagement beim Wahlkampf auf Bundesebene den Wahlausgang durchaus hätte wenden können.
Obgleich der Wahlkampf auf politischer Ebene zeitweise mit harten Bandagen geführt worden war, blieb die Wahlbeteiligung weit hinter den Hoffnungen der Parteien zurück. Von den knapp 65 Millionen registrierten Wahlberechtigten hatten sich nur 42% zur Abstimmung begeben – die schwächste Beteiligung seit 30 Jahren. Bei der Präsidentenwahl vor drei Jahren waren es noch fast 64 %.
Einer der Gründe für die ausgesprochen schwache Wahlbeteiligung muss in der Unzufriedenheit der Bürger mit dem Politikergebnis der ersten drei Regierungsjahre von Präsident Fox gesucht werden. Zu groß waren die in den Wechsel gesetzten Erwartungen, zu gering in der Realität der Handlungsspielraum angesichts der fehlenden Mehrheit der PAN im Abgeordnetenkongress. Bis 1997 hatten die Präsidenten der PRI dagegen immer auf einen folgsamen Kongress bauen können – nicht zuletzt wegen der wenig demokratischen Strukturen innerhalb der Partei.
Insgesamt kann man hinsichtlich der geringen Wahlbeteiligung folgenden Schluss ziehen: Einerseits von Fox und der PAN enttäuscht, andererseits aber auch nicht gewillt, die PRI wiederzuwählen, sind viele Mexikaner aus Frust daheimgeblieben. Insofern lässt sich in der Niederlage der PAN auch ein möglicher Silberstreif am Horizont erkennen. Die Mexikaner haben der Partei das Vertrauen nicht gänzlich entzogen. Sie wollen aber Ergebnisse sehen.
Doch das hochgesteckte Ziel der politischen Reform, der tief greifenden Demokratisierung Mexikos ist nach den Wahlen vom 6. Juli ein Stück weiter in die Ferne gerückt. Noch vor drei Jahren sprachen politische Beobachter angesichts des Wechsels von PRI zu PAN im Präsidentenamt von einer zweiten mexikanischen Revolution. Diese hat jetzt sichtlich an Schwung verloren – noch bevor ihre Projekte wirklich ins Rollen kommen konnten. Kurzum: Auf Vicente Fox, aber mehr noch auf den PAN-Vorsitzenden Bravo Mena warten nach dem Warnschuss des Wählers schwere Zeiten.
Die Rolle der jüngsten Kongresswahlen in Mexiko lässt sich nur verstehen, wenn man den historischen Kontext im Blick behält. Bis 1997 war die PRI quasi identisch mit dem mexikanischen Staat. Der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa hatte daher für den südlichen Nachbarn der USA den Bergriff der „perfekten Diktatur“ geprägt. 1997 gelang es dann der Opposition erstmals – nach rund 70 Jahren ununterbrochener PRI-Herrschaft auf allen Ebenen – die althergebrachte Hegemonie zumindest im Abgeordnetenkongress aufzubrechen. PAN und PRD beraubten die PRI erstmals seit 1929 der absoluten Mehrheit in der Kammer. 2000 schaffte dann Vicente Fox Quesada mit Unterstützung der PAN und gut 42,5% der Wählerstimmen den Sprung ins Präsidialamt.
In 22 der 32 Bundesstaaten erhielt der ehemalige Gouverneur des Bundesstaates Guanajuato eine Mehrheit, er wurde in erster Linie von der städtischen Bevölkerung, der Jugend und den unentschlossenen Mexikanern mit höherem Bildungsstand gewählt. Das Hauptmotiv, welches die Wähler im Jahr 2000 veranlasste zur Wahl zu gehen, war der Wunsch nach dem vielzitierten „cambio“, der Wunsch nach politischem Wechsel. Trotz Fox’ Wahl erzielte aber die PAN im Abgeordnetenkongress keine Mehrheit. Da der Präsident letztlich auf die Unterstützung des Parlamentes angewiesen ist, kämpfte Fox seit seinem Amtsantritt um Mehrheiten für die Teile seines Reformprojektes, die eine tief greifende Demokratisierung und Pluralisierung der mexikanischen Gesellschaft zum Ziel haben – aufgrund der Blockadehaltung von PRI und PRD hat er aber nur mäßigen Erfolg.
Folglich sahen sich nun viele Erwartungen der Wähler auf den versprochenen „cambio“ enttäuscht. Dem neugewählten Präsidenten wurde anfangs oft vorgeworfen, er habe nicht bemerkt, dass der Wahlkampf vorbei sei und die Regierungsarbeit begonnen habe. Es fehle der jungen Regierung an einer klaren Linie, an Koordination, Vorbereitung und Struktur, um den Problemen des Landes mit Entschlossenheit zu begegnen. Die Bevölkerung und auch die Medien vermissen konkrete politische Ergebnisse, geben sich mit bloßen Versprechungen nicht mehr zufrieden.
Ebenso muss der Verlauf der „Testwahl“ im Auge behalten werden, die am 9. März dieses Jahres im Bundesstaat Estado de México (oder kurz „Edomex“) stattfand. Die Bedeutung der Wahl erklärte sich daraus, dass sich einerseits de facto ein beachtlicher Teil der Bundeshauptstadt auf dem Boden des Bundesstaats Mexiko befindet. Für geschätzte 24 Millionen Menschen – genaue Daten gibt es nicht – ist im Distrito Federal einfach nicht genügend Platz. Andererseits spiegelt der Bundesstaat Mexiko recht genau die Bevölkerungsstruktur des ganzen Landes wieder.
Der Wahlkampf in diesem Bundesstaat zeichnete sich durch seine Härte aus: Strafanzeigen, Polemik, massive Vorwürfe an Fox und seine Frau Marta Sahagún wegen „Einmischung“ in die Wahlkampagne durch zahlreiche Besuche im Estado de México. Primär schien es den Parteien darum zu gehen, den Gegner in der Öffentlichkeit zu disqualifizieren. Inhalte oder Ziele der Parteien waren Nebensache. Umgehend erteilte der Bürger den Parteien die Quittung: Der Bundessstaat Mexiko verzeichnete mit 42% die geringste Wahlbeteiligung seit 1990. Ob die geringe Wahlbeteiligung den Ausschlag für den Stimmenverlust der PAN (minus 8,6%) gab oder aber, wie von der PRI behauptet, das Scheitern von Präsident Fox, bleibt umstritten.
Der harte Wahlkampf im Bundessstaat Mexiko blieb nicht ohne Folgen für die Wahl am 6. Juli. Die Parteien hatten schließlich erkannt, dass sie sich durch das Abqualifizieren des politischen Gegners letztlich ins eigene Fleisch schneiden. In einem Punkt entstand Konsens: Der Wahlkampf zu den Kongresswahlen durfte keinen „efecto Edomex“ nach sich ziehen. Er sollte sanfter, harmloser ablaufen, um die durch Skandale verlorene Glaubwürdigkeit und Legitimität wieder herzustellen und um das Vertrauen des Bürgers zurückzugewinnen. Die Frage ist nun: War der Wahlkampf zu sanft?
Die PAN vermochte es jetzt im Rahmen ihres aus einer Defensivposition angelegten Wahlkampfes offensichtlich nicht, die Gründe für den Reformstau – die Blockadepolitik von PRI und PRD im Abgeordnetenkongress – gegenüber dem Wähler zu verdeutlichen. Der Slogan „Quítale el freno al cambio“ (dt. sinngemäß: „Weg mit der Reformbremse“) war wohl zu zahm, der Wahlkampf zu verhalten. Entsprechend machten die Bürger die Regierungspartei für den Stillstand verantwortlich. Trotzdem ist der mexikanische Wähler mit dem Ergebnis der jüngsten Wahlen letztlich im Alltag der pluralen Demokratie angekommen.
Das Abstrafen der PAN mit einem Stimmenrückgang von rund acht % geht trotz der Mandatsgewinne der alten Hegemonialpartei nicht mit einer „Renaissance“ der PRI einher. In der Wählergunst lag die PRI noch 1997 bei rund 39 %. Im Jahr 2000 waren es denn nur noch 37 %. Und bereinigt man bei der jüngsten Wahl das PRI-Ergebnis um die Stimmen der Grünen, liegt das Bürgervotum für die einstige „Staatspartei“ bei nur noch 35 %. Die Tendenz ist also klar absteigend. Dass die Mandatsverteilung dennoch nach einem Erdrutsch-Sieg für die PRI aussieht, liegt in erster Linie an den verzerrenden Effekten des mexikanischen Wahlsystems, das letztlich noch von der PRI maßgeschneidert wurde – nach der eigenen Statur. Verschiedene Elemente sorgen dafür, dass die Mehrheitspartei überproportional von der Mandatsverteilung profitiert. Die Chancen, dass diese Defekte in der Ägide von Präsident Fox behoben werden können, stehen allerdings nach dem 6. Juli denkbar schlecht.
Das Regieren für Vicente Fox und die Regierungspartei PAN wird alles andere als einfacher werden. Zudem: Bereits kurz nach den Wahlen wurden Risse zwischen Parteiführung und Regierung sichtbar. Doch in der zweiten „Halbzeit“ ihres Mandates kommt auf die Regierungsmannschaft eine Reihe von Herausforderungen zu.
Rund 60 % Nichtwähler sind ein beachtlicher Warnschuss, der von allen politischen Beteiligten verlangt, sich an einen Tisch zu setzen. Dies gilt insbesondere für Präsident Fox, dem es in den bisherigen zweieinhalb Jahren seiner Amtszeit nicht gelungen ist, die moderaten, reformbereiten Kräfte innerhalb der PRI zu lokalisieren und einzubinden. Ob sich die PRI diesem Ansinnen allerdings öffnet, bleibt abzuwarten. Zu groß ist die Gefahr, dass sich die Partei von den eigenen Mandatsgewinnen blenden lässt, die wahlrechtsbedingt in keinem Verhältnis zum Stimmenergebnis stehen. Auch die PRD wird sich nach dem Wahlerfolg von López Obrador nur schwerlich in die Regierungspolitik einbinden lassen. Sie konnte mit der von ihrem Polit-Star angeführte Blockadepolitik zu sehr Punkte sammeln. In den kommenden drei Jahren wird es bei der PRD wahrscheinlich mehr darum gehen, die eigene Partei zu stärken. Für die Präsidentschaftswahl 2006 steht Andrés López Obrador in den Startlöchern und drängt zur Pole-Position.
Eine weitere Achillesferse der Regierung ist, dass sich Vicente Fox und PAN bisher zu wenig abstimmen, zu wenig kommunizieren. Gerade angesichts der fehlenden Kongressmehrheit wäre die Regierung gut beraten, die Festung des Präsidentenpalastes Los Pinos durchlässiger zu gestalten. Bezüglich der Zusammenarbeit PAN-Regierung sind nun die Protagonisten Vicente Fox, Carlos Medina, Diego Fernández de Cevallos und der Parteivorsitzende Felipe Bravo Mena nebst ihren Mitstreitern aufgerufen, für die gemeinsame Sache persönliche Animositäten hintanzustellen und den Dialog zu intensivieren.
Ein Vorwurf, dem sich Vicente Fox seit seinem Antritt gegenübersieht, ist, dass er sein Präsidentenamt mehr zelebriere als die Regierung zu führen. Gleichzeitig entsteht nicht selten der Eindruck, der Präsident äußere sich auch zu Themen zu Wort, die seinem Amt nicht entsprechen. Andere monieren dagegen sein Schweigen, wenn an sich ein Wort des Präsidenten angesagt wäre. Dies bedeutet für die kommenden drei Jahre: Fox muss innerhalb seines Kabinetts Führungskraft demonstrieren und bei der Auswahl seiner Mitarbeiter auf Qualität achten. Bei der Auswahl der Themen empfiehlt sich die Konzentration auf wesentliche Punkte seines Reformvorhabens.
Sowohl die Regierung als auch die Regierungspartei PAN sollten sich überdies in der praktischen Politik mehr den Regionen öffnen. Der PAN haftet nach wie vor der Ruf an, die Partei der Besserverdiener zu sein. Die Analyse der Wählerschaft belegt, dass PAN-Wähler finanziell oft besser gestellt sind als der Durchschnittsbürger. Das Gleiche gilt für das Bildungsniveau. Sich auch mit Blick auf die Mitglieder- und Wählerstruktur zu einer Volkspartei zu entwickeln, bleibt eine der großen Herausforderungen der PAN. Innerhalb Mexikos kann die PAN als vielleicht einzige Programmpartei gelten. Was ihr aber bislang fehlt, ist es, aus gesellschaftlichem Engagement eine echte Passion zu entwickeln, die als Funke auf den Wähler überspringt und Identifikation schafft.
Denn bislang erscheint bis dato die PAN in der Öffentlichkeit als „Wahlverein“ zur Absicherung der Präsidentschaft Vicente Fox’. Erforderlich ist daher, dass die Partei ihre mittel- und langfristigen Ziele herausstellt, sprich: sich als Programmpartei profiliert, um in der Öffentlichkeit an thematischer Eigenständigkeit zu gewinnen. Nur so hat sie in der „Post-Fox-Ära“ eine Chance, unter der blau-weißen Fahne einen weiteren Präsidenten zu küren und – vielleicht noch wichtiger – auf eine solide Mehrheit im Abgeordnetenkongress bauen zu k önnen.