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Country reports

Militärs und Menschenrechte - ein erster Schritt in Richtung Versöhnung?

Wer vor ein bis zwei Jahren in Chile öffentlich behauptet hätte, daß sich Vertreter der Streitkräfte und der Menschenrechtsorganisationen an einen Tisch setzen, über die während der Militärdiktatur begangenen Menschenrechtsverletzungen diskutieren und dann zu einer gemeinsamen Erklärung kommen würden, wäre wohl (mit Recht) als Phantast oder Ignorant abgestempelt und vermutlich milde belächelt worden.

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Heute lächelt darüber niemand mehr: dieses noch vor einem Jahr völlig undenkbare Szenario ist eingetreten, hat sich inzwischen auch auf die legislative Ebene ausgeweitet und scheint erstmals in der jüngeren chilenischen Geschichte einen Weg hin zu einer gesellschaftlichen Versöhnung oder zumindest auf den Beginn einer Aufarbeitung dieser Geschichte zu weisen.

Im Kontext der Verhaftung Pinochets in London vor knapp zwei Jahren ist in der Tat Bewegung in das vormals starre Verhältnis zwischen Militärs, Regierung und Zivilgesellschaft geraten. Man kommt nicht umhin, diese Bewegung gerade diesem Fall Pinochet zuzuschreiben. Mit der Verhaftung des scheinbar "Unantastbaren" sind offenbar gewisse Tabus zumindest geschwächt worden, wodurch ein Klima geschaffen wurde, in dem der Dialog nicht nur möglich, sondern auch unabweisbar wurde.

In diesem Zusammenhang muß auch erwartet werden, dass auch 10 Jahre nach Überwindung der Diktatur das Demokratiebewußtsein der Chilenen auf der Grundlage letzter Umfragen keinesfalls so stark ist wie gemeinhin angenommen.

In einer Umfrage des CERC äußerten immerhin 30% der Befragte, daß sie die Demokratie nicht verteidigen würden, wenn diese durch einen Militärputsch in Gefahr geriete. In gewisser Weise damit übereinstimmend sind auch 27% der Befragten der Meinung, daß Pinochet nicht für die Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur verantwortlich ist.

Dies stimmt mit den Erhebungen des UN-Entwicklungsprogramms (PNUD) überein, bei denen lediglich 45% der Chilenen die Demokratie als das beste Regierungssystem erachteten. Hierbei waren allerdings eindeutige Unterschiede je nach politischem Standort erkennbar, da diese Zahl bei den Anhängern der Concertación zwischen 62% und 82% schwankt, während sie bei den rechten Parteien bei lediglich 32% liegt.

Auch im Hinblick auf das Verhältnis der Streitkräfte zur Zivilgesellschaft bietet die Umfrage des CERC interessante Befunde: lediglich 22% der Befragten waren der Meinung, daß die Streitkräfte die Autorität der Regierung in vollem Umfang anerkennen, aber immerhin 24% waren überzeugt, daß die Streitkräfte lediglich gemäß ihren eigenen Interessen handeln.

An Hand dieser Zahlen wird deutlich, daß die chilenische Gesellschaft nach wie vor in zwei (ungleiche) Teile zerfällt: ein Drittel de Bevölkerung steht der Demokratie mehr als skeptisch gegenüber und billigt offenbar nach wie vor das zwischen 1973 und 1988 Geschehene, während rund zwei Drittel sich zumindest mit der Demokratie identifizieren und für den angesprochene Zeitraum Wahrheit und Gerechtigkeit verlangen.

Die Aufhebung der Immunität Pinochets durch das Appellationsgericht in Santiago wegen begründeter Verdachtsmomente einer Mittäterschaft bei diversen Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur markiert in diesem Szenario - nach der Affäre im Ausland (Großbritannien, Spanien) - einen für chilenische Verhältnisse ganz bedeutenden Schritt: Die chilenische Justiz hat zumindest in dieser ersten Instanz ihre Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit bewiesen (trotz teilweise massiven politischen Drucks von beiden Seiten) und damit dem Land auch international eine Blamage erspart.

Unabhängig davon, ob diese Entscheidung in der nächsten und letzten Instanz vor dem Obersten Gerichtshof ratifiziert wird (die Verteidigung legte sofort Widerspruch ein), hat dieser Richterspruch eine ungeheure Signalwirkung: Menschenrechtsverletzungen sind strafbar oder um das Urteil korrekt wiederzugeben: sie sind Gegenstand von Strafverfahren, auch in Chile, auch für Augusto Pinochet.

Diese Hintergründe sind zum Verständnis der Herausforderungen und , Schwierigkeiten unter denen die sog. "Mesa de Diálogo" ihre 10-monatige Arbeit absolviert hat, von entscheidender Bedeutung, will man ihre durchaus als historisch zu bezeichnende Leistung in vollem Umfang würdigen.

Spannungen und Gereiztheit innerhalb der Streitkräfte, aber auch in den Regierungen Frei und Lagos, vernehmliche vorgetragene Forderungen der Menschenrechtsorganisationen nach Wahrheit und Gerechtigkeit, internationaler Druck und die Pinochet-Affäre waren Elemente, die jede Initiative wie die der Mesa eigentlich zum Scheitern verurteilt hätten.

Und dennoch erreichte sie mit der gemeinsamen Erklärung ihr erstes Etappenziel.

Dazu muß man wissen: Noch in der Regierung Frei und dank der energischen Initiative des Verteidigungsministers Edmundo Perez Yoma konstituierte sich dieses Dialogforum (Mesa de Diálogo), um dessen Zusammensetzung es bereits heftige Diskussionen gegeben hatte.

Man verständigte sich letztlich auf aktive Militärs (aller Waffengattungen) auf der einen Seite und Menschenrechtsanwälten auf der anderen Seite - allerdings ohne Vertreter des Verbandes der Familienangehörigen der Verschwundenen AFDD, die diese Instanz von Anfang an abgelehnt hatten.

Als Vermittler zwischen den beiden Gruppen fungierten Vertreter der verschiedenen Kirchen und Persönlichkeiten aus dem Bereich der Kultur und Wissenschaft, insgesamt 18 Personen zzgl. des Ministers, seines Beraters und zweier Geschäftsführer.

Die Verhandlungsrunden des Dialogforums waren in der Anfangsphase von einem vorsichtigen Sondieren und eher durch ein höfliches Zuhören, denn durch einen echten Dialog geprägt.

Kleine symbolische Gesten - wie Schweigeminuten für die Opfer auf beiden Seiten - schufen über diese 10 Monate hinweg langsam aber sicher ein Vertrauensverhältnis, wozu die führenden Persönlichkeiten, zunächst Edmundo Perez Yoma und dann sein ehemaliger Staatssekretär und Berater und seit März 2000 amtierender Verteidigungsminister Mario Fernandez (beides Christdemokraten) entscheidend beitrugen.

Immer wieder von Rückschlägen und Verzögerungen geplagt (in der Regel verursacht durch starre Positionen der Militärs, die jeden kleinen Schritt mit ihren Vorgesetzten abstimmen mußten), stand das Forum beim Regierungswechsel im März kurz vor dem Stillstand und der Auflösung.

Das entschiedene Eintreten von Minister Fernandez und auch das Plazet des neuen Staatspräsidenten Lagos gaben dem Forum jedoch neue Dynamik. Nun bildete sich langsam aber sicher eine Kompromißformel heraus, die den unterschiedlichen Zielsetzungen der Mitglieder gerecht werden sollte: Der Regierung ging es in erster Linie um das Auffinden der Verschwundenen nach dem Berichte der sog. Rettig-Kommission kamen während der Militärdiktatur 3197 Menschen aus politischen Gründen ums Leben, davon sind knapp 1200 bis heute verschwunden, den Militärs um den Abschluß des Übergangs vom Militärregime zur Demokratie und den Menschenrechtsanwälten um die Bewußtseinsbildung und Anerkennung der Menschenrechtsverletzungen bei den Streitkräften.

Am 13. Juni konnte das Abschlußdokument erstellt und nach dem Plazet der Oberkommandierenden auch unterzeichnet und dem Präsidenten übergeben werden. Dieses 4-seitige Schriftstück stellt insofern ein historischen Schritt dar, als hier die Streitkräfte zum ersten Mal seit 1990 die Tatsache bestätigen, daß es Verhaftete gegeben hat, die anschließend verschwanden: bisher hatten die Streitkräfte dies als Tatsache - auch nach dem Rettig-Bericht 1990 - stets verneint. Aber auch hinsichtlich des historischen Kontextes wurde Übereinkunft erzielt, daß eine "Spirale der politischen Gewalt in den Ereignissen vom 11.9.73 mündete".

Hinsichtlich der jeweiligen Verpflichtungen wird betont, daß das Auffinden der Verschwundener oder zumindest die Rekonstruktion der jeweiligen Tat und damit des Verbleibes der sterblichen Überreste das zentrale Anliegen bleibt. Die Streitkräfte verpflichten sich, in einer Frist von 6 Monaten die nötigen Informationen zu sammeln, die sie nach eigener Aussage derzeit nicht haben. Dabei werden die Personen, die diese Information liefern unter den Schutz eines neuen Gesetzes gestellt, welches das Dienstgeheimnis (secreto profesional) sichert.

Die Exekutive verpflichtet sich, dieses Gesetz in aller Kürze auszuarbeiten und dem Kongreß mit maximaler Dringlichkeit zur Verabschiedung vorzulegen.

Schließlich wird betont, daß sich alle dem Oberziel verpflichten, künftig derartige Geschehnisse zu vermeiden.

Das Dokument beinhaltet damit eine explizite Verurteilung der begangenen Menschenrechtsverletzungen. Ob ein solches Übereinkommen ohne die Verhaftung Pinochets in London zu Stande gekommen wäre, darf begründet bezweifelt werden.

Präsident Lagos selbst unterstrich bei der Übergabe des Dokumentes ebenfalls die historische Bedeutung dieses Augenblickes, zeigte sich aber auch überzeugt, daß es hinsichtlich der Geschichte keinen Anspruch auf alleinige Wahrheit geben könne. "Die Chilenen werden auch weiterhin die Geschichte unterschiedlich interpretieren" äußerte er und betonte dabei jedoch auch, daß "niemals wieder jemand in Chile die Macht auf gewalttätige Weise erlangen darf".

Ausdrücklich zollte er seinen Vorgängern Aylwin und Frei Anerkennung, die durch die Wahrheits- oder Rettig-Kommission (unter Aylwin) und den Beginn der "Mesa de Diálogo" (unter Frei) dieses Ergebnis vorbereitet und ermöglicht hatten.

In Rekordzeit wurde schließlich das erforderliche Gesetz zum Schutz der potentiellen Informanten von der Regierung ausgearbeitet und von beiden Kammern des Kongresses verabschiedet. Hektische Betriebsamkeit ist seitdem bei den Streitkräften spürbar, die nun am Zuge sind, um die (diskrete) Aufklärungsarbeit zu leisten. Noch dürften diejenigen, die über Informationsbruchstücke verfügen, am Leben sein. Es liegt an den Streitkräften, den Geist der Erklärung in die eigenen Reihen zu tragen, um das eiserne Schweigen zu durchbrechen und das Bewußtsein begangenen Unrechts wenigstens im Ansatz zu verinnerlichen.

Es wird damit der Wahrheit zunächst Vorrang vor der Gerechtigkeit eingeräumt, was auch die heftigen Proteste einiger Menschenrechtsorganisationen gegen das Abkommen erklärt. Letztlich dürfte dies aber der einzig gangbare Weg sein. Und hinsichtlich der Gerechtigkeit bleibt abzuwarten, wie sich die laufenden Verfahren (nicht nur gegen Pinochet, sondern auch gegen andere führende ehemalige Militärs) entwickeln.

Es könnte in der Tat mit diesem Schritt ein neues Kapitel in der chilenische Geschichte aufgeschlagen werden, getragen von einer Gesellschaft, die zumindest in dieser Frage weniger gespalten als in der Vergangenheit ist.

Was Augusto Pinochet, der auf das Urteil des Obersten Gerichtshofes wartet, von diesen neuen Entwicklungen hält, wissen wohl nur wenige. Es scheint aber auch immer weniger Menschen in Chile zu kümmern. Auch das ist ein positiv stimmendes Zeichen.

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Andreas Michael Klein

Andreas Michael Klein

Director Regional Programme Political Dialogue Asia

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