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Die von der Opposition sowie den meisten Medien seit Monaten mit äußerster Intensität betriebenen Vorstöße gegen die Regierung wegen der Korruption im Lande haben einen vorläufigen Höhepunkt in einem von der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) und der Eurolinken Partei eingebrachten Mißtrauensantrag gegen das Kabinett "wegen der von der Regierung und dem Premier tolerierten und geführten Politik der Korruption" gefunden.
Das war bereits der dritte Antrag, den die Regierung Iwan Kostov in ihrer Amtszeit zu überstehen hatte (Anlaß zu den beiden vorhergehenden hatten die Gesundheits- und die Industriepolitik geboten) bzw. das dreizehnte Mißtrauensvotum seit der Wende in Bulgarien 1989. Diese Inflation der Mißtrauensabstimmungen ist vorwiegend auf zwei Ursachen zurückzuführen.
Zum einen kennt die bulgarische Verfassung kein konstruktives, sondern nur ein destruktives Mißtrauensvotum. Die Opposition braucht infolgedessen keinen Gegenkandidaten für das Amt des Premiers zu nominieren, sondern muß "lediglich" versuchen, eine negative Mehrheit gegen das amtierende Kabinett zusammenzubringen. Zum anderen haben aber die oppositionellen Parteien in Bulgarien, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung, selbst dann gern zum Mittel des Mißtrauensantrags gegriffen, wenn dessen Scheitern von vornherein als sicher gelten konnte, um sich durch die Aussprache im Parlament eingebildete oder echte Vorteile im Lichte der öffentlichen Meinung verschaffen zu können.
Zu dieser letzten Gruppe gehörte auch dieser Antrag, dessen Erfolgschancen vorab von den Einbringern selbst als nichtig bewertet wurden. Zudem hatte BSP-Parteichef Georgi Parwanov unlängst auf dem 44. Parteitag der BSP in seinem Rechenschaftsbericht eingeräumt, daß vorgezogene Neuwahlen prinzipiell unwahrscheinlich sind und die Erhaltung des Status quo bis 2001 am naheliegendsten seien. Eine weitere Besonderheit ist, daß diesmal die Eurolinke als Einbringer mit verantwortlich zeichnete. Die vorangegangenen zwei Voten gingen allein auf das Konto der BSP.
Bei den Debatten im Plenarsaal am 16. Mai sagte Georgi Parwanov, daß die Korruption heute allgegenwärtig sei und die ganze Gesellschaft durchdrungen habe. Die gesamte politische Philosophie, gesetzgeberische Tätigkeit und Regierungspolitik der Union Demokratischer Kräfte (UDK) habe nur ein treibendes Motiv - mehr materielle Werte zusammenzuraffen. Die Korruption zersetze die Staatsmaschinerie und bedrohe die Existenz des Staates. Der Mißtrauensantrag sei der letzte Ausweg, die Wahrheit zu suchen, nachdem die UDK alle anderen Vorschläge der Opposition abgelehnt habe.
Iwan Kostov sei zusammen mit Parlamentschef Jordan Sokolov und den Chefs anderer Institutionen der politische Stützpfeiler der korrumpierten Beamten. Mehr noch, Kostov sei der Ideologe der Korruption und der Motor der vollständigen Verschmelzung der Regierungspartei mit der Exekutive. Laut Parwanov sind weitere namhafte UDK-Politiker wie Generalsekretär Christo Bisserov, der Ex-Vizepremier und Chef der Sofioter Parteiorganisation der UDK, Ewgenij Bakardshiev, und das Mitglied des Nationalen Exekutivrats der Partei, Jordan Zonev, ebenfalls korrumpiert. Er brachte jedoch keine konkreten Fakten gegen sie vor. Einen wichtigen Platz in diesem System würden auch hochrangige Regierungsbeamte sowie Berater des Premier einnehmen. Alles spreche dafür, daß die UDK eine Mafia sei.
Redner der BSP - wie Ljuben Kornesov und Ex-Energiewirtschaftsminister Rumen Owtscharov - und der Eurolinken wie Dragomir Draganov - wiederholten viele der von den Medien in der Vergangenheit bereits vorgebrachten Beschuldigungen und prangerten besonders die ihres Erachtens undurchsichtige Privatisierung und vor allem die Belegschafts-Manager-Gesellschaften an, die zur Bereicherung der "blauen Aktivisten", d.h. der Parteimitglieder der UDK sowie deren "blauer Cousins" (=Verwandtenkreis) beigetragen hätten. (Belegschafts-Manager-Privatisierung, auch Management-Buy-Out genannt, ist eine in Osteuropa insgesamt und in Bulgarien im besonderen beliebte Form der Privatisierung, bei der Unternehmen an eingetragene Vereine, deren Mitglieder die Leitung des Betriebes sowie dessen Personal sind, veräußert werden. Sie ist zwar nicht die Methode der Wahl, aber angesichts des vielfach in den Reformstaaten anzutreffenden Kapitalmangels häufig die einzig mögliche Entstaatlichungsform.)
Achmed Dogan, Vorsitzender der türkischen Bewegung für Rechte und Freiheiten (BRF), die das Rückgrat der Parlamentsfraktion der Union für Nationale Rettung (UNR) darstellt, meinte, daß das Virus der Korruption den Staat angesteckt habe und insbesondere die Privatisierung Hand in Hand mit dieser Erscheinung gehe. Das Land befinde sich in der Krise, als erste Maßnahme für einen Ausweg regte Dogan die Bildung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Überprüfung der Privatisierung an. Die UNR hatte zuvor angekündigt, den Mißtrauensantrag nicht unterstützen zu wollen mit der Begründung, daß die grassierende Korruption zwar eine Tatsache darstelle, jedoch keine Alternative zu den Regierungsparteien in Sicht sei.
Der Vorsitzende der Eurolinken, Alexander Tomov, unterbreitete konkrete Vorschläge zur Korruptionsbekämpfung, wozu seines Erachtens u.a. die Reduzierung der Lizenzierungsbestimmungen und der Ausschluß hochrangiger Politiker von der Privatisierung zählen.
"Korruption gibt es zwar, ich bin jedoch überrascht, daß uns darüber diejenigen informieren, die vor drei Jahren das Land in den Kollaps führten", sagte die Vorsitzende der an der Regierungskoalition beteiligten Bauernpartei-Volksunion (BP-VU). Vizepremier Petar Shotev erinnerte daran, daß fast alle Mitglieder dieses Kabinetts erst seit Januar 2000 ihre Posten innehaben und unmöglich für die letzten Jahre verantwortlich gemacht werden können. Die Privatisierung dürfe unter keinen Umständen gestoppt und die Reformen nicht blockiert werden, war seine kategorische Meinung.
Der auf Wunsch der Regierungsparteien im Plenarsaal anwesende Generalstaatsanwalt Nikola Filtschev brachte konkretes Zahlenmaterial über laufende Ermittlungsverfahren wegen Korruption sowie wegen der großen Finanzdelikte 1994-96 (Bankkonkurse, Finanzpyramiden), als nach seinen Wor-ten mindestens 7 Mrd. DM aus dem Bankensystem entwendet worden sind, vor. Hoffnung, dieses Geld in größerem Umfang sicherherzzustellen, bestünde zwar nicht, wohl aber, die Schuldigen hinter Gitter zu bringen. Der Staatsanwaltschaft sei die Parteizugehörigkeit der Angeklagten gleichgültig, hierbei handele es sich aber ausschließlich um Mitglieder einer Partei (nämlich der BSP - Anm. des Autors), die diese eigentlich im Einklang mit ihren deklarierten Normen noch vor der gerichtlichen Verurteilung aus ihren Reihen ausschließen müßte.
Ministerpräsident Iwan Kostov verwarf entschieden die Anschuldigung, daß die Regierung eine Politik der Korruption betreibe. Wenn dem tatsächlich so wäre, dann hätte Bulgarien niemals Beitrittsverhandlungen mit der EU aufnehmen können. Soweit überhaupt ein objektives Maß für die Korruption existiere, so befinde sich das Land im Mittelfeld der osteuropäischen Staaten. Es gebe zwar Reformstaaten mit weniger Korruption, das seien aber gerade diejenigen, die bereits 1990 konsequente Umgestaltungen in Angriff genommen hätten - die Tschechische Republik, Ungarn, Polen und Slowenien.
Was habe Bulgarien unterdessen gemacht? Das gesamte in Bulgarien im Umlauf befindliche Geld habe sich 1992 auf rund 10,5 Mrd. DM belaufen. Nach der Regierungszeit der BSP 1997 habe der Geldumlauf 3,5 Mrd. DM betragen, was exakt die fehlenden 7 Mrd. DM seien, auf die Generalstaatsanwalt Filtschev verwiesen habe. Wenn mit demselben Tempo wie in der Regierungszeit der von der BSP getragenen Regierung des Ljuben Berov 1992-94 und des sozialistischen Kabinetts von Jean Widenov 1994-97 weitergestohlen worden wäre, dürfte es gegenwärtig in Bulgarien nicht mehr als 1 Mrd. DM geben.
Zur Zeit würden aber in Bulgarien 8,6 Mrd. zirkulieren. Es kann nicht eine Politik korrupt genannt werden, die die Staatskasse füllt und den Nationalreichtum mehrt. Die Regierung sei keine Justiz. Die Exekutive habe niemanden gedeckt, keine Ermittlungen hintertrieben und insbesondere der Staatsanwaltschaft alle ihr zugänglichen Signale über Korruption zugeleitet. Mehr könne sie nicht tun. Kostov betonte erneut, daß sich das Szenario mit Philip Dimitrov von 1992, als die erste UDK-Regierung, in welcher der amtierende Premier übrigens Finanzminister war, nach weniger als einem Jahr durch den Verlust der Mehrheit im Parlament gestürzt wurde, nicht wiederholen werde.
Nach Ablauf der durch die Geschäftsordnung des Parlaments vorgesehenen, mindestens 24-stündigen Frist wurde in offener Abstimmung der Antrag am 18. Mai mit 133 Gegen- und 67 Ja-Stimmen bei 16 Enthaltungen abgelehnt. Sämtliche anwesenden Abgeordneten der Regierungsparteien sowie einige Unabhängige (ehedem Mitglieder der zerfallenen Fraktion des Bulgarischen Businessblock BBB) stimmten mit Nein, die BSP sowie die Eurolinken bis auf zwei Enthaltungen waren dafür, die UNR enthielt sich. (Die Opposition drängt bisher vergeblich bei sämtlichen Mißtrauensanträgen und Vertrauensfragen auf geheime Abstimmung. In der bulgarischen Verfassung bzw. der Geschäftsordnung des Parlaments sind keine Bestimmungen dahingehend enthalten, daß auf Antrag einer bestimmten Abgeordnetenzahl die Abstimmung notwendigerweise geheim erfolgen muß. Somit kann die geheime Abstimmung nur über ein offenes Votum mit einfacher Mehrheit erreicht werden, was die Regierungsparteien nicht zulassen. Die VDK haben allerdings in der Tat in ihr Wahlprogramm die Zusage ausschließlich offener parlamentarischer Abstimmungen mit der Begründung der Transparenz aufgenommen und halten sich eisern daran.)
Der formale Mißerfolg der Opposition bei der Abstimmung war zwar vorprogrammiert, aber auch sonst machten die BSP und die Eurolinke während der Debatten nicht den frischesten Eindruck und wirkten nicht ganz so gut vorbereitet, wie es bei einem solchen Votum eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Sie brachten trotz der Ankündigung von Parteichef Parwanov, man werde mit neuen Fakten aufwarten, im Grunde nichts, was nicht schon aus den Medien bekannt wäre, so daß ein Überraschungsmoment fehlte.
Im Gegenteil - die Argumente des Regierungslagers und insbesondere die Ausführungen des Generalstaatsanwalts dürften unangenehme Erinnerungen an die Zustände während der Regierungszeit der BSP (1992)-1994-96 in das kollektive Gedächtnis der Bulgaren zurückgerufen haben. Es gibt allerdings nicht zu unterschätzende Hinweise darauf, daß die fundamentale Absicht zumindest bestimmter oppositioneller Kreise nicht primär in einem Angriff auf die Politik der Regierungsparteien, sondern einer Diskreditierung der Demokratie, der politischen Klasse als Ganzes und des Image Bulgariens vor der Welt bestand, selbst auf Kosten des eigenen Ansehens.
So sagte der Direktor des Instituts für Soziologie der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften,, Prof. Georgi Fotev: "…im Moment werden nicht einzelne Politiker, sondern das politische Modell als Ganzes attackiert, es wird Mißtrauen gegenüber denin die Mechanismen der Demokratie geschürt (...). Dazu ist es nicht ohne die Beteiligung der einflußreichen Medien gekommen (...)" (Demokrazia, 17.5.2000.), was man, sofern es wirklich zutrifft, für bedenklich halten muß. Denn ungeachtet dessen, wen man für den Sieger des Schlagabtausches halten mag, ist es eine Tatsache, daß für viele Zuhörer und Zuschauer die vorgebrachten Argumente beider Seiten eine noch größere Verwirrung gestiftet haben dürften.
Die Meinungsforschung ermittelt in den letzten Wochen und Monaten tatsächlich einen sich fortsetzenden Trend des Vertrauensverlustes gegenüber den in die Parteien allgemein,als Ganzes, d.h. keine politische Gruppierung profitiert bislang von den Auseinandersetzungen um die Korruption, aber alle verlieren dadurch. Dennoch ist es nicht angebracht, deswegen sogleich in Panik zu verfallen, wie das bisweilen geschieht, denn die demokratischen Mechanismen und Institutionen in Bulgarien funktionieren noch völlig zufriedenstellend und das politische System ist weiterhin stabil.
Bei der Eurolinken Partei haben sicher auch die in letzter Zeit mit Erbitterung geführten parteiinternen Auseinandersetzungen für und wider die Politik des Vorsitzenden, Alexander Tomov, ein Motiv für die Einbringung des Antrags abgegeben. Man wollte vermutlich Profil zeigen und die entstandenen Spannungen ein wenig lösen. Die Stimmenthaltung der parlamentarischen Lobby der großen (zwielichtigen) Wirtschaftsgruppierung Multigroup, der UNR, ist möglicherweise ebenfalls kein Zufall. So könnte man darin beispielsweise bestimmte (versöhnliche?) Signale von Multigroup, die Anfang 1998 in einer scharfe Kontroverse mit der Regierung um der russischen Erdgaslieferungen willen verwickelt war, in Richtung Kabinett vermuten.
Die Fraktionsvorsitzende der UDK, Ekaterina Michailova, glaubt, in den oppositionellen Attacken auch die Einmischung "fremder Mächte" erblicken zu können. Man kann mutmaßen, daß mit der Fremdmacht Rußland gemeint sein könnte, zu dem die Sozialisten traditionell enge Kontakte pflegen, gemeint sein könnte. Die postulierten russischen Versuche, Einfluß auf die bulgarische Innenpolitik auszuüben, müssen spekulativ bleiben, vieles spricht jedoch dafür, daß Moskau u.a. die Bestrebungen des Kabinetts zur Integration Bulgariens in die NATO mit Mißfallen betrachtet.