Country reports
Die britischen Wähler haben der Regierung von Tony Blair bei den gleichzeitig abgehaltenen Wahlen zum Europäischen Parlament und den Teil-Komunalwahlen eine der schlimmsten Niederlagen in der britischen Parteiengeschichte beigebracht. Die Konservativen sind aus beiden Wahlen als die erfolgreichste Partei hervorgegangen, können aber mit den Ergebnissen nicht vollständig zufrieden sein. Zwar erreichten sie mit insgesamt 38% der Wählerstimmen bei den Kommunalwahlen ihren größten Erfolg über die Labour Party seit 1992, konnten aber in großen Städten wie Liverpool, Manchester oder Newcastle nicht einen einzigen Ratssitz erobern. Dagegen haben die Liberaldemokraten den Trend zu einem Dreiparteiensystem in Großbritannien mit insgesamt 30% Wähleranteil stärken können und zugleich mit der Übernahme der Macht in Newcastle nicht nur die 30jährige Vorherrschaft von Labour in dieser Stadt brechen, sondern auch ihre Attraktivität für urbane Wählergruppen insgesamt stärken können.
Die Labour-Party verliert mehr als 460 Mandate und bisherige Bastionen wie Newcastle, Leeds oder Doncaster. Mit einem Anteil von nur 26% verwiesen die Wähler die Regierungspartei auf den dritten Rang.
Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament (Wahlbeteiligung: 38,2% gegenüber 24% 1999) schnitten die Tories mit 26,7% am Besten ab, mußten aber Verluste von 9% hinnehmen und stellen künftig nur noch 27 Europaabgeordnete. Labour kam mit einem Minus von 5,4% auf insgesamt 22,6% und 19 Abgeordnete, die populistische Anti-Europa-Partei „UK Independence Party“ schob sich mit einem Plus von 9,2% und einem Wähleranteil von 16,1% auf den dritten Rang. Sie schickt 12 Abgeordnete nach Straßburg und Brüssel. Die Liberaldemokraten verbesserten sich um 2,3% auf 14,9% und ebenfalls 12 Abgeordnete, die Grünen blieben bei 6,3% und 2 MEP`s, und die walisische Besonderheit Plaid Cymru wird einen Abgeordneten stellen.
Die britischen Parteienforscher haben bereits herausgefunden, daß dieses Ergebnis für die beiden großen Parteien ein Desaster bedeutet: Für die Tories ist es der niedrigste Anteil, den sie je bei nationalen Wahlen seit 1832 erreicht haben, für Labour ist es der geringste Wählerzuspruch seit dem 1.Weltkrieg.
Die ersten Untersuchungen der Wählerbewegungen zeigen, daß die UKIP insbesondere von den Tories, aber auch von Labour Stimmen gewonnen hat. Es ist eine Abstrafung der Regierung, insbesondere ihrer Irak-Politik und der als unzureichend empfundenen Reformen bei den öffentlichen Dienstleistungen.
Anders aber, als in den meisten anderen EU-Mitgliedsstaaten, in denen die jeweilige Opposition von der Kritik an der Regierung profitierte, haben die Konservativen in Großbritannien ebenfalls eine empfindliche Schlappe hinnehmen müssen. Ihre Alternativen zur Regierungspolitik erscheint vielen Wählern nicht klar genug, ihre Haltung zu Europa wird vielfach als ein „sowohl-als-auch“ empfunden, was entschiedene Europa-Befürworter eher zu den Liberaldemokraten und Europa-Kritiker zur UKIP wechseln läßt.
Michael Howards Position, in Europa zu verbleiben und im Falle der Regierungsübernahme wichtige Teile des Europäischen Vertragswerkes neu zu verhandeln, erscheint auch vielen Mitgliedern der Tories als rein taktische Haltung, die sich in Wahrheit nicht durchsetzen läßt. So kam es während des Wahlkampfes zu einer öffentlichen Unterstützung der UKIP durch vier Tory-Mitglieder des Oberhauses und vielfache Sympathieerklärungen in den Wahlkreisen. Durch eine massive Attacke der UKIP und ihrer Brandmarkung als „extremistisch“ hat Howard der Partei zusätzliche Aufmerksamkeit verschafft.
So wundert es nicht, daß die UKIP gerade in den eher konservativen Hochburgen im Süden Englands und in den Midlands gut abschneiden konnte. Im Wahlkreis East Midlands, wo die europa-skeptischen Abgeordneten Chris Heaton-Harris und Roger Helmer der Konservativen zur Wiederwahl anstanden, verzeichnete gleichwohl die UKIP ihr bestes Wahlergebnis und kam bis auf 0,3% an die Tories heran.
Für die Führung der britischen Konservativen sind die Botschaften, die die Wähler der politischen Führung bei den Wahlen zum Europäischen Parlament am vergangenen Donnerstag gegeben haben, klar: „Blair has no mandate to go this week to Brussels and sign up to this wretched constitution“ (Michael Ancram MP, Schatten-Aussenminister und Deputy Leader). Und: „We will fight a vigorous campaign against closer EU integration“ (Dr.Liam Fox MP, Co-Chairman). Der wiedergewählte Europaabgeordnete Roger Helmer schließlich rät seiner Partei öffentlich zu einer Politik des “wideranging disengagement from EU law“.
Und der Star dieser Tage, Robert Kilroy-Silk, ein kürzlich von der BBC wegen ausländerfeindlicher Äußerungen gefeuerter, populärer Talkmaster, der für ein paar Jahre auch einmal für die Labour Party im Unterhaus saß, beschreibt seinen Auftrag als frisch gewählter Europaabgeordneter so: „People want their country back from Brussels and we are going to get it back for them“. Kilroy-Silk ist einer von künftig 12 Europaabgeordneten der UK Independence Party, der er erst vor wenigen Wochen nach einem guten Mittagessen im spanischen Ferienhaus seines Freundes, des Earl of Bradford, der Partei beigetreten war, deren Namen er nach eigenem Bekunden bis dahin kaum zu buchstabieren vermochte.
Seither bestimmten er und die an seiner Seite „kämpfende“ frühere „Dallas“-Berühmtheit Joan Collins und ihre simple Botschaft „Raus aus der EU“ die Medien, und auch diejenigen Zeitungen, die sich selbst als „liberal“ oder „konservativ“ kennzeichnen, haben wesentlichen Anteil an dem erfolgreichen Branding der UKIP, weil sie ihr und ihren Heroen eine Aufmerksamkeit geschaffen haben, wie keinem anderen der Kandidaten.
Über Wochen hinweg war das Lager der Europabefürworter nicht wahrzunehmen, die inhaltliche Debatte war verkürzt auf alles Unheil, das aus Brüssel kommt – von der dort vermeindlich angeordneten obligatorischen Alkoholkontrolle von Autofahrern auch ohne Verdachtsmomente, bis zur Erhöhung der Autopreise durch zusätzliche Sicherheitsanforderungen, die ebenfalls in Brüssel entschieden worden sein sollen.
So werden nicht nur Wahlen entschieden, auch der Druck auf Tony Blair und die Beachtung der „red lines“ bei den Verhandlungen über den europäischen Verfassungsvertrag hat erheblich zugenommen. Ob Blair jetzt glaubt, mit diesen Wahlen das Schlimmste überstanden zu haben und nunmehr freier entscheiden zu können, wird man am Donnerstag und Freitag in Brüssel sehen. Und Michael Howard reagierte auf die Wahlergebnisse mit einer Umbildung seines Schatten-Kabinetts.